Ungezähmt (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00972-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ungezähmt -  Glennon Doyle
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Seit ihrem zehnten Lebensjahr strebt Glennon Doyle danach, gut zu sein: eine gute Tochter, eine gute Freundin, eine gute Ehefrau - so wie die meisten Frauen schon als Mädchen lernen, sich anzupassen. Doch statt sie glücklich zu machen, hinterlässt dieses Streben zunehmend ein Gefühl von Müdigkeit, Über- und Unterforderung. Glennon - erfolgreiche Bestsellerautorin, verheiratet, Mutter von drei Kindern - droht, sich selbst zu verlieren. Bis sie sich eines Tages Hals über Kopf in eine Frau verliebt - und endlich beschließt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Glennon Doyle zeigt uns, was Großes geschieht, wenn Frauen aufhören, sich selbst zu vernachlässigen, um den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden, und anfangen, auf sich selbst zu vertrauen. Wenn sie auf ihr Leben schauen und erkennen: Das bin ich. Ungezähmt.

Glennon Doyle ist Bestsellerautorin, renommierte Aktivistin sowie Gründerin und Präsidentin von Together Rising, einer von Frauen geführten gemeinnützigen Organisation. Oprah Winfrey gehört zu ihren Unterstützerinnen, genau so wie Elizabeth Gilbert und Reese Witherspoon. Glennon Doyle lebt mit ihrer Familie in Florida.

Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen Autor:innen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.   Glennon Doyle ist Bestsellerautorin, renommierte Aktivistin sowie Gründerin und Präsidentin von Together Rising, einer von Frauen geführten gemeinnützigen Organisation. Oprah Winfrey gehört zu ihren Unterstützerinnen, genau so wie Elizabeth Gilbert und Reese Witherspoon. Glennon Doyle lebt mit ihrer Familie in Florida.

Waffen


Ich sitze auf einen kalten Plastikstuhl am Abfluggate, starre meinen Koffer an, trinke Flughafenkaffee. Bitter und schwach. Durchs Fenster ist das Flugzeug zu sehen. In wie viele Flugzeuge werde ich im kommenden Jahr steigen? Hundert? Ich bin bitter und schwach wie der Kaffee.

Wenn ich einsteige, wird dieses Flugzeug mich nach Chicago O’Hare befördern, wo ich nach einem Schild mit meinem Namen (nein, stimmt nicht, dem meines Mannes) in der Hand eines Fahrers Ausschau halten werde. Ich werde meine Hand heben und das Erstaunen auf seinem Gesicht registrieren, weil ich eine kleine Frau in Jogginghose bin und kein großgewachsener Mann im Anzug. Der Fahrer wird mich ins Palmer House Hotel bringen, dem Veranstaltungsort einer nationalen Bücherschau. Dort werde ich mich in einem Ballsaal auf eine Bühne stellen und mehreren hundert Bibliothekaren von Love Warrior erzählen, meinen demnächst erscheinenden Memoiren.

Love Warrior – die Geschichte der dramatischen Zerstörung und des mühevollen Wiederaufbaus meiner Familie – wird als eine der Neuerscheinungen des Jahres gehandelt. Ich werde das Buch auf der Bühne und in sämtlichen Medien bewerben, und zwar gefühlt bis in alle Ewigkeit.

Ich versuche, mir über meine Gefühle klarzuwerden. Angst? Aufregung? Scham? Es gelingt mir nicht, etwas Spezifisches zu isolieren. Ich starre durchs Fenster zu dem Flugzeug hinaus und frage mich, wie ich es schaffen soll, einem Meer aus Fremden innerhalb der mir zugewiesenen sieben Minuten die intimste, komplizierteste Erfahrung meines ganzen Lebens nahezubringen. Ich habe ein Buch geschrieben, und jetzt wird von mir erwartet, mich in die Werbesendung für das von mir geschriebene Buch zu verwandeln. Was hat es für einen Sinn, Schriftstellerin zu sein, wenn ich Worte über die Worte machen muss, die ich bereits geschrieben habe? Müssen Maler Bilder über ihre Bilder malen?

Ich war schon einmal an diesem Punkt. Vor drei Jahren veröffentlichte ich mein erstes Buch. Mit dem bin ich ebenfalls durchs Land getingelt, um den Leuten zu erzählen, wie ich mein persönliches Happy End fand, indem ich meine lebenslange Ess-Brech- und Alkoholsucht gegen einen Sohn, einen Ehemann und die Schriftstellerei eintauschte. Ich stand damals auf Bühnen im ganzen Land und wiederholte vor erwartungsvollen Frauen die Botschaft meines Buchs: Gib nicht auf. Das Leben ist hart, aber du bist eine Kriegerin. Eines Tages wird sich auch für dich alles fügen.

Die Tinte des ersten Buchs war kaum getrocknet, da saß ich im Sprechzimmer eines Therapeuten und hörte mir an, dass mein Mann seit unserer Hochzeit mit anderen Frauen geschlafen hatte.

Ich hielt den Atem an, als er sagte: «Es hat andere Frauen gegeben», und als ich wieder Luft holte, hing der Geruch von Riechsalz in der Luft. Er konnte nicht aufhören, sich zu entschuldigen, den Blick auf die Hände gesenkt, und sein hilfloses Gestammel ließ mich laut auflachen. Mein Gelächter war den beiden Männern – meinem Ehemann und seinem Therapeuten – sichtlich unangenehm. Ihr Unbehagen verlieh mir ein Gefühl von Macht. Ich schaute zur Tür und zwang das Adrenalin, mich aus dem Gebäude zu tragen, über den Parkplatz und weiter bis zu meinem Minivan.

Dort saß ich eine Weile auf dem Fahrersitz, und mir wurde klar, dass das Geständnis meines Mannes in mir nicht etwa das Gefühl einer verzweifelten Frau mit gebrochenem Herzen hinterlassen hatte. In mir tobte die Wut einer Schriftstellerin, der man soeben den Plot versaut hatte. Die Hölle selbst kann nicht wüten wie eine Frau, deren Ehemann ihr gerade die frisch gedruckten Memoiren kaputtgemacht hat.

Ich glühte seinetwegen vor Zorn und war empört über mich selbst. Ich war unachtsam geworden und hatte darauf vertraut, dass die Charaktere meiner Geschichte wie vorgesehen agieren würden und sich die Handlung gemäß meinen Skizzen entwickelte. Ich hatte meine eigene Zukunft ans Messer geliefert und meine Kinder verletzbar gemacht, indem ich einer anderen Figur die kreative Kontrolle über die Geschichte überließ. Was für eine Idiotin! Nie wieder. Ich würde mir die vollständige Kontrolle zurückholen, und zwar sofort. Das war meine Geschichte und meine Familie, und ich bestimmte, wie es endete. Ich würde den Haufen Mist, den man mir in die Arme gedrückt hatte, annehmen, und ich würde ihn zu Gold spinnen.

Ich holte mir die Kontrolle mit Worten, Sätzen, Kapiteln und mit Manuskripten zurück. Ich rollte die Geschichte vom Ende her auf, die wiederauferstandene Familie im Kopf – eine heile, ganze Familie – und arbeitete mich von dort aus rückwärts durch. Die Zutaten waren Zorn, Schmerz, Therapie, Selbsterkenntnis, Vergebung, zögerliches Vertrauen und schließlich: neue Intimität und Erlösung. Ich weiß nicht, ob ich die darauffolgenden Jahre durchlebte und dann darüber schrieb oder ob ich die nächsten Jahre zu Papier brachte und anschließend zum Leben erweckte. Es spielte keine Rolle. Alles, was zählte, war, dass ich mir am Ende dieser nebelverhangenen Zeit eine düstere Liebesgeschichte erschaffen hatte – ein Drama voll von Betrug und Vergebung, von Schmerz und Erlösung, von Zerrissenheit und Heilung. In Buchform und in Familienform. Tja, Leben: Spiel, Satz und Sieg!

In Ann Patchetts Memoiren Truth & Beauty tritt eine Leserin zu ihr an den Signiertisch und fragt: «Wie machen Sie das, sich an so vieles zu erinnern?»

«Ich erinnere mich nicht daran», antwortete sie. «Ich schreibe es.»

Als Love Warrior fertig war, drückte ich Craig das Manuskript in die Hand und sagte: «Bitte sehr. Hier hast du den Sinn. Ich habe der ganzen Sache eine Bedeutung gegeben. Wir haben den Krieg gewonnen. Unsere Familie hat es überlebt. Unsere Geschichte ist doch eine Liebesgeschichte. Gern geschehen.»

Jetzt ist der Krieg also vorbei, und ich will nur noch nach Hause. Nur, dass «zu Hause» in Wahrheit immer noch ein Schützengraben ist, dass Craig und ich einander ansehen und uns fragen: Und was jetzt? Was haben wir eigentlich erreicht?

Ich rufe meine Schwester an und frage, ob ich den PR-Termin in Chicago absagen kann. Ich will, dass sie mir sagt, schon in Ordnung, gar kein Problem. Sie sagt: «Wir können absagen, aber das wäre dann ein Problem. Du hast dich vertraglich verpflichtet.»

Also tue ich, was ich immer tue. Von außen sieht es vermutlich aus, als würde ich mich aufrichten, steif werden. Innen fühlt es sich an, als würde ich mein flüssiges Ich erstarren lassen. Wasser zu Eis. Glennon ist nicht mehr im Hause. Ich hab’s im Griff. Ich steige in das Flugzeug, um eine Geschichte zu erzählen, an die ich vielleicht selbst nicht mehr glaube.

Alles wird gut. Ich werde eine Geschichte erzählen anstelle eines Lebens. Als läge das Ende bereits hinter mir, als wäre ich nicht irgendwo mittendrin festgefahren. Ich werde die Wahrheit erzählen, allerdings ein wenig verzerrt: Ich werde mir selbst ausreichend Schuld geben; ihn in möglichst sympathischem Licht darstellen, eine Verbindung von meiner Bulimie zu meiner Frigidität und von meiner Frigidität zu seiner Untreue herstellen. Ich werde erzählen, wie der Ehebruch zu Selbstreflexion führte, Selbstreflexion zu Vergebung und Schmerz zu Erlösung. Ich werde die Geschichte so erzählen, dass die Zuhörerinnen von selbst drauf kommen: Klar. Es lief von vornherein auf dieses Ende hinaus. Verstehe. Es musste alles genau so passieren. Dieselbe Schlussfolgerung, die auch ich daraus ziehen werde.

Der Bogen der Moral in unserem Leben neigt sich der Bedeutung zu – vor allem, wenn wir ihn verbissen mit aller Kraft in diese Richtung biegen und zerren.

Ich lande in Chicago und treffe mich im Palmer House Hotel, wo die Abendveranstaltung stattfinden wird, mit meiner Presseagentin. Dieses Wochenende ist das literarische Äquivalent zum Super Bowl, und sie surrt förmlich vor Aufregung. Wir sind auf dem Weg zu einem Abendessen, wo sich zehn Autorinnen und Autoren kennenlernen werden, ehe wir in den Ballsaal auf die Bühne gehen und die Werbetrommel für unsere neusten Werke rühren. Dieses Abendessen, von dem ich erst vor ein paar Stunden erfahren habe, hat meinen inneren Terroralarm der Introvertierten von Gelb auf Rot springen lassen.

Der Raum, in dem wir uns zum Essen versammeln, ist klein. Zwei lange Konferenztische wurden zusammengeschoben und bilden ein Quadrat. Die Leute sitzen nicht, sondern schlendern herum. Zwischen mir fremden Menschen herumzuschlendern, ist meine persönliche Vorstellung der Hölle auf Erden. Ich schlendere nicht. Ich gehe schnurstracks zum Getränketisch und schenke mir ein Glas Eiswasser ein. Eine berühmte Schriftstellerin kommt auf mich zu, stellt sich vor und fragt: «Sind Sie Glennon? Mit Ihnen wollte ich sprechen. Sie sind doch die gläubige Christin, richtig?»

Ja. Die bin ich.

«Mein neues Buch handelt von einer Frau, die sich nach einer religiösen Erfahrung dem Christentum zuwendet. Können Sie das glauben? Eine glühende Christin! Für sie fühlt es sich total real an! Ich weiß nicht, wie meine Leserinnen reagieren werden: Werden die Leute sie ernst nehmen? Was glauben Sie? Haben Sie das Gefühl, die Leute nehmen Sie ernst?»

...

Erscheint lt. Verlag 17.11.2020
Übersetzer Sabine Längsfeld
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte buch für frauen • Ehekrise • Erfahrungsberichte • Feminismus • Frauen • Glück • Heilung • Hoffnung • Lebenskrise • LGBT • Memoir • Mutmacher • Neuanfang • New York Times Bestseller • Selbstbestimmung • Selbstfindung • Selbstliebe • Unabhängigkeit • untamed • Untarmed • Vergebung
ISBN-10 3-644-00972-4 / 3644009724
ISBN-13 978-3-644-00972-1 / 9783644009721
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