How dare you! (eBook)

Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
288 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-27198-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

How dare you! -  Jan Fleischhauer
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Fleischhauer in Hochform: Das Beste aus dem »Schwarzen Kanal« und darüber hinaus
Jan Fleischhauer ist der Meister der politischen Kolumne: Er ist nicht nur bissig, provokant und sehr unterhaltsam. Seine Fans lieben ihn vor allem deshalb, weil er sich die Freiheit nimmt, eine eigene Meinung zu vertreten - selbst wenn die meisten in seinem Gewerbe etwas ganz anderes richtig finden. Ob über die Ökoträume der Grünen, den Rudeltrieb in den Medien oder die neue Kultur der Empfindlichkeit: Fleischhauer traut sich, dagegen zu halten, auch wenn er dafür anschließend Prügel bezieht. In seinem Buch nimmt er die beliebtesten - und umstrittensten - Kolumnen als Ausgangspunkt für Nachfragen. In Gesprächen mit Andersdenkenden und Lieblingsgegnern wie Jakob Augstein, Margot Käßmann oder Armin Nassehi wird klar, dass die Auseinandersetzung erst anfängt, wo die Kolumne aufhört.

Jan Fleischhauer, geboren 1962 in Hamburg, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Nach dreißig Jahren beim SPIEGEL, wo er unter anderem als Berliner Büroleiter und Wirtschaftskorrespondent in New York tätig war, wechselte er im Sommer 2019 zum »Focus«. Seine Kolumnen, die unter dem Titel »Der schwarze Kanal« erscheinen, gehören regelmäßig zu den meistgelesenen Meinungsartikeln in Deutschland. 2009 erschien der Bestseller »Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde«, 2017 sein Trennungs-Buch »Alles ist besser als noch ein Tag mit dir«, das ebenfalls auf die Bestsellerliste gelangte. 2020 veröffentliche er »How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken«. Fleischhauer lebt mit seiner Familie in Pullach bei München.

Über Glanz und Elend des Kolumnisten:

Ein Vorwort

Die meisten Journalisten wollen, dass man sie mag. Sie wünschen sich, dass ihre Kollegen nicht schlecht über sie denken. Wenn ausnahmsweise doch jemand einmal schlecht über sie denkt, soll er wenigstens nicht schlecht über sie reden. Werden sie gefragt, wo sie politisch stehen, wählen sie einen Platz links der Mitte. Das ist der Ort, an dem auch die Mehrheit von ihnen steht.

Für meinen Beruf sind das schlechte Voraussetzungen. Wer den Job des Kolumnisten ernst nimmt, macht sich nicht beliebt. Es hagelt regelmäßig Eingaben an die Chefredaktion. Eine Reihe von Kollegen schaut misstrauisch auf das, was man macht. Entweder gilt man als überbezahlt oder als überschätzt. In jedem Fall aber als entbehrlich.

Das Dasein als Kolumnist hat Vorzüge. Man kann arbeiten, wo man will. Niemand verlangt von einem, jede Woche an Redaktionssitzungen teilzunehmen oder seine Zeit in Telefonaten mit Politikern zu vertrödeln. Man kommt notfalls ohne lästige Recherche aus. Um sich eine Meinung zu bilden, reicht die Zeitungslektüre. Man darf sogar zu allem seine Meinung äußern. Wer allerdings darauf spekuliert, dass einen die Menschen ins Herz schließen, sollte sich eine andere Beschäftigung suchen.

Es gibt Fans, sicher. Anders wäre es ja auch nicht auszuhalten. Aber auf jeden Fan kommt ein Hater. Ich will mich nicht beklagen, um Gottes willen. Ich lebe von den Menschen, die mich zum Teufel wünschen, und zwar mindestens genauso wie von denjenigen, die mich zu schätzen wissen. Wenn ich einen Hinweis absetze, dass eine neue Kolumne erschienen ist, können viele Leute dem Impuls nicht widerstehen, einmal nachzuschauen, was ich diese Woche wieder angestellt habe. Sie haben sich fest vorgenommen, keine Kolumne von mir mehr zu lesen. Aber dann sehen sie eine Überschrift, die sie aufregt, und, wusch, sind sie wieder dabei. Man nennt das masochistisches Lesen. Ich bin davon ein großer Profiteur.

Was macht eine gute Kolumne aus? Man muss sich, zumindest kurzzeitig, aufregen können. Wer alles mit der Gelassenheit eines buddhistischen Mönchs betrachtet, wird niemals einen Satz schreiben, der Schwung und Kraft hat. Es ist zweifellos auch hilfreich, wenn man so formuliert, dass die Leute nicht den Eindruck haben, sie wären im Proseminar oder in der Kirche. Es ist wie überall im Leben: Humor und die Fähigkeit zur Selbstironie, und sei diese nur vorgetäuscht, erleichtern die Sache. Dazu sollte ein Gedanke kommen, den noch nicht alle gefasst haben. Letzteres klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber nach meiner Beobachtung eine Voraussetzung, auf die weniger Menschen in meinem Gewerbe Wert legen, als man annehmen sollte.

Jeder Journalist hat seine Vorbilder. Zu meinen gehört der österreichische Autor Anton Kuh. Von Kuh stammt der Satz: »Warum sachlich, wenn’s auch persönlich geht?« Damit lässt sich arbeiten.

Der Journalist solle sich mit nichts gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache, lautet ein Rat, der angehenden Journalisten in Seminaren gegeben wird. Der einfachste Weg, dieser Empfehlung gerecht zu werden, ist, es sich mit Leuten, auf die es ankommt, zu verscherzen. Das wäre, wenn Sie so wollen, die Kombination aus Satz eins und zwei. Also angewandter Anton Kuh.

Eine nahezu todsichere Methode, Distanz zwischen sich und anderen zu schaffen, ist die Beleidigung. Als Stilform ist die Beleidigung etwas in Verruf geraten, zu Unrecht, wie ich meine. Einige meiner liebsten Journalisten waren große Beleidiger. Karl Kraus hatte am Ende nicht nur seine Leserschaft so weit dezimiert, dass er die »Fackel« einzeln austragen konnte, auch die Zahl der Menschen, die ihn auf der Straße noch grüßten, war überschaubar. Kurt Tucholsky, Alfred Kerr, Alfred Polgar – sie alle waren Meister der Boshaftigkeit. Das macht es ja bis heute auch so vergnüglich, sie zu lesen. Eines der Projekte, das auf meiner Liste unerledigter Aufgaben steht, ist ein Kompendium der schönsten Verbalinjurien. Titel: »Die Beleidigung durch die Jahrhunderte – wie man sich andere gekonnt zum Feind macht«.

Heinrich Heine über Alexandre Dumas: »Der Kopf von Dumas gleicht einem Gasthof, wo manchmal gute Gedanken einkehren, die sich dort aber nicht länger als eine Nacht aufhalten; sehr oft steht er leer.« Jean Cocteau über Jean Anouilh: »Er hat eine neue Mätresse? Unmöglich – bei dem schläft doch nur das Publikum.« Hans Wollschläger über Gabriele Wohmann: »Gabriele Wohmann oder: Mein Psychoanalytiker hat gesagt, ich solle mehr schreiben.« Sie ahnen, worauf es hinausläuft.

Es gilt als unfein, über andere in herabwürdigender oder abwertender Absicht zu schreiben. Das könne man doch nicht sagen, heißt es dann, das gehe zu weit. Dem würde ich erstens mit dem Kabarettisten Werner Finck entgegenhalten: Da, wo’s zu weit geht, fängt die Freiheit erst an. Außerdem steht die Spottlust am Anfang der Aufklärung, um mal ins hohe Fach zu greifen. Insofern sehe ich mich hier ganz in demokratischer Tradition.

Der Freiheitsgrad einer Gesellschaft lässt sich ziemlich genau daran bemessen, wie die Obrigkeit mit Leuten umspringen darf, die nach ihrem Geschmack zu frech und zu aufsässig zu sind. Nicht mehr im Gefängnis schmoren zu müssen, wenn sich einer auf den Schlips getreten fühlt, ist eine der großen Errungenschaften der Moderne. Es ist noch nicht so lange her, da reichte ein falscher Satz, um sich seine Karriere und auch seine Gesundheit zu zerstören. Dem Rechtsanwalt William Prynne ließ der englische König Karl I. wegen einer Theaterkritik beide Ohren vom Kopf säbeln. Die angebliche Beleidigung waren vier Worte, die Königin Henrietta als Anspielung auf sich verstanden hatte: »Schauspielerinnen sind gewohnheitsmäßige Huren.« Die Königin hatte kurz nach Erscheinen von Prynnes Kritik eine Rolle in einer dramatischen Darstellung am Hof übernommen. Bad timing, wie man so schön sagt.

Bei der üblen Nachrede kommt es, wie bei allen Stilformen, auf Witz und Originalität an. Die beste Form wird verhunzt, wenn Stümper sich daran versuchen. »Blödmann« oder »Idiot«, das kann jeder, dazu muss man nicht viel im Kopf haben. Aber die treffende Abwertung, die wirklich schmerzt, die verlangt den Könner. Mein Kollege Henryk M. Broder stand einmal vor Gericht, weil er über eine Kulturmoderatorin des ZDF gesagt hatte, sie halte beim Reden den Kopf immer leicht schräg, damit sich die Gedanken auf einer Seite sammeln könnten. Das nenne ich eine gelungene Beleidigung. Die arme Frau wollte diese Gemeinheit nicht hinnehmen und zog vor das Landgericht in Düsseldorf, das ihr 10 000 Euro an Schmerzensgeld zusprach. Zum Glück für Leute wie mich kassierte das Oberlandesgericht die Entscheidung wieder. Am Ende musste Broder 40 Prozent der Gerichtskosten tragen, was für ihn viel Geld war, für die Verteidigung der Meinungsfreiheit aber ein akzeptabler Preis ist, wie ich finde.

Die wahre Kunst ist die Beleidigung nach oben. Menschen herabzusetzen, die ohnehin schon klein sind, ist billig. Das schönste Spottwort ist nichts wert, wenn das Urteil über denjenigen, dem man es verpasst, längst gefallen ist. Leider herrscht auch hier in Deutschland ein unseliger Hang zum Herdentrieb. Wir sind inzwischen wahnsinnig empfindlich bei jeder Form der Diskriminierung, worunter bereits die vermutete Diskriminierung fällt. Undenkbar, dass jemand heute noch eine Kolumne schreiben könnte, die »100 Zeilen Hass« heißt. Auch Karl Kraus hätte in unserer diskriminierungsaversen Zeit einen schweren Stand. Aber wenn einer dann mal zum Abschuss freigegeben ist, arbeiten sich alle an ihm ab.

Ich versuche mich beim Schreiben an zwei Regeln zu halten. Die eine Regel habe ich von Harald Schmidt übernommen: »Keine Witze über Leute, die weniger als 10 000 Euro im Monat verdienen.« Ich kann nicht garantieren, dass ich dem immer gerecht werde. Aber ich bemühe mich. Die andere lautet: Kein böses Wort über Leute, die ohnehin schon am Boden liegen.

Wenn alle sich in ihrem Verdammungsurteil einig sind, braucht es nicht noch einen Kommentar von mir, der den Geschlagenen ein weiteres Mal trifft. Im Zweifel ergreife ich für den in Bedrängnis Geratenen lieber Partei, wenn es sonst schon keiner tut. Als alle über Jürgen Trittin herfielen, weil er als AStA-Aktivist in Göttingen mal einen Aufruf unterschrieben hatte, indem die Freigabe von Sex mit Kindern gefordert wurde, habe ich mich hingesetzt und eine Kolumne verfasst, weshalb ich es niederträchtig finde, Leute an 40 Jahre alten Zitaten aufknüpfen zu wollen. Ich würde mich auch vor Claudia Roth oder Katrin Göring-Eckardt stellen, wenn ich den Eindruck hätte, dass sich halb Mediendeutschland gegen sie zusammenrottet. Die Parteizugehörigkeit ist dabei für mich zweitrangig. Man sollte den Anwendungsfall für seine Prinzipien nicht danach ausrichten, ob er einem politisch genehm ist. In der Hinsicht denke ich ganz konservativ.

Manchmal treffe ich auf die Opfer meiner Texte, das lässt sich nicht immer vermeiden. Ich versuche, Politikern aus dem Weg zu gehen. Ich hänge nicht auf Partys herum, auf denen sie verkehren. Ich bin auch nicht Mitglied in irgendwelchen Hintergrundkreisen.

Ich kenne mich: Ich bin durch Nähe absolut korrumpierbar. Bei »Maybrit Illner« bin ich einmal auf Katja Kipping gestoßen, die langjährige Vorsitzende der Linkspartei. Nach der Talkshow standen wir noch etwas beisammen und tranken ein Glas Wein. Wir haben über die Probleme bei der Kindererziehung geplaudert. Ich fand sie sehr nett, außerdem sieht sie für eine Politikerin fabelhaft aus. Ich weiß, das darf man nicht schreiben, weil es als sexistisch gilt. Aber meine Kolumne heißt aus gutem...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • eBooks • focus • Gender • Grüne • Linke • Öko • Schwarzer Kanal • Spiegel • Spiegel-Bestseller-Autor • Unter Linken
ISBN-10 3-641-27198-3 / 3641271983
ISBN-13 978-3-641-27198-5 / 9783641271985
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