Heimat muss man selber machen (eBook)

Wie wir gemeinsam eine lebenswerte Gesellschaft schaffen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
208 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43737-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Heimat muss man selber machen -  Sina Trinkwalder
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Heimat ist kein Ort, Heimat ist eine Frage der Haltung Sina Trinkwalder hat angepackt, wovon andere nur reden: Sie hat 140 Menschen Arbeit gegeben, hat sie stolz gemacht und ihr Selbstvertrauen geweckt, hat das Leben ihrer Mitarbeiter, hat deren Haltung sich selbst und anderen gegenüber verändert. Sina Trinkwalder weiß, was es heißt, einem Menschen »eine Heimat zu geben«, denn diese Heimat ist keine des Ortes und der Herkunft, diese Heimat ist eine, die man selber machen muss. Und Trinkwalder ist überzeugt: Was im Kleinen gelingt, gelingt auch im Großen. Menschen geben sich wechselseitig »Heimat«, wenn sie sich mit Wertschätzung und Fairness begegnen, das funktioniert regional wie national und global. >Heimat muss man selber machen< ist Sina Trinkwalders Manifest für ein besseres Miteinander.

Sina Trinkwalder, Jahrgang 1978, studierte Politik und Betriebswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach erfolgreichem Abbruch arbeitete sie über 10 Jahre als Geschäftsführerin ihrer eigenen Werbeagentur. 2010 wechselte sie die Seiten und gründete das erste textile Social Business in Deutschland: manomama. In dieser Kleidermanufaktur werden von ehemals arbeitslosen Näher/innen innerhalb einer regionalen Wertschöpfungskette ökosoziale Bekleidung und Accessoires produziert. Für ihr ökologisches und soziales Engagement wurde Sina Trinkwalder mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem ist sie vom Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung zum 'Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit 2011' ausgezeichnet worden und erhält 2015 das Bundesverdienstkreuz.  

Sina Trinkwalder, Jahrgang 1978, studierte Politik und Betriebswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach erfolgreichem Abbruch arbeitete sie über 10 Jahre als Geschäftsführerin ihrer eigenen Werbeagentur. 2010 wechselte sie die Seiten und gründete das erste textile Social Business in Deutschland: manomama. In dieser Kleidermanufaktur werden von ehemals arbeitslosen Näher/innen innerhalb einer regionalen Wertschöpfungskette ökosoziale Bekleidung und Accessoires produziert. Für ihr ökologisches und soziales Engagement wurde Sina Trinkwalder mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem ist sie vom Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung zum "Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit 2011" ausgezeichnet worden und erhält 2015 das Bundesverdienstkreuz.  

HEIMAT MUSS MAN
SELBER MACHEN


Zehn Jahre. 120 Monate. Dreitausendsechshundertundeinpaarzerquetschte Tage. Ein Viertel meines Lebens, die Hälfte meines unternehmerischen Daseins. Das ist in unserem schnelllebigen Alltag eine verdammt lange Zeit. Für etwas, von dem niemand glaubte, dass es in der heutigen leistungsorientierten Wirtschaftswelt, die rigoros regiert wird von Rotstift-Controllern und Schwarznull-Fetischisten, existieren, geschweige denn funktionieren könnte.

Ich war die Ausnahme.

Ich glaubte immer schon daran, dass Wirtschaft für den Menschen da ist. Und nicht umgekehrt. Ebenso daran, dass Kapitalismus in seiner ursprünglichen Form jedem Einzelnen einen Vorteil bringen muss und nicht nur wenige begünstigen darf. Ich glaubte, dass es in unserem Land Menschen zwar unterschiedlich gut, dass es aber niemandem schlecht gehen darf. Dies alles glaubte ich und war damit, nicht nur unter meinen Unternehmerkollegen, ziemlich allein. Trotzdem brachten mich weder Zweifel der engsten Freunde noch ernsthaft gehegte Sorgen bezüglich meiner geistigen Gesundheit von Menschen, die es gut mit mir meinten, davon ab, für sie Unvorstellbares zu starten. Ich war mir sicher, wenn ich es mir vorstellen konnte, würde es auch gehen. »Wenn ich es denken kann, kann ich es machen«, war und ist mein Motto, das dem Walt Disneys sehr ähnelt. Er nämlich war der Ansicht: »If you can dream it, you can do it.«

Fehlende Chancengerechtigkeit, verwehrte Zugänge zu Bildung und zu Berufen, die Diskriminierung von vermeintlich Schwächeren – all die Missstände in unserer Gesellschaft waren mir eine eindrückliche Aufforderung zum Handeln. Nur reichten sie, wie bei vielen von uns, allein nicht aus, um aus dem Wunsch nach Veränderung auch ernsthaft etwas zu tun. Dazu brauchte es mehr als gegenwärtige Probleme, die mich selbst nicht betrafen. Erst verschiedene Begegnungen mit Menschen halfen mir, die Kraft zu entwickeln, die es braucht, um das eigene Leben und Wirken auf links zu krempeln. Allen voran das Zusammentreffen mit einem Obdachlosen am Wuppertaler Hauptbahnhof. In kürzester Zeit und mit wenigen Worten zeigte er mir eindrücklich auf, dass unsere Gesellschaft, von der ich, du, wir alle ein Teil sind, ziemlich am Ende ist.

Ich kam damals gerade von einem Kundentermin und hatte ordentlich Übergepäck dabei: einen Stapel Belegexemplare, Hochglanzzeitschriften. Kurzerhand warf ich einen Teil davon in den Abfall. Er hatte mich beobachtet, die Sachen sofort aus dem Mülleimer entnommen und sorgfältig in seiner Tasche verstaut. Meine Neugier veranlasste mich, ihm den Rest der Magazine anzubieten, die er dankbar nahm und mir, ganz kurz, beiläufig erklärte, dass er obdachlos sei, zusammen mit seiner Frau »umme Ecke« am Bahnhof wohnen würde und aus den gesammelten Magazinen Weihnachtsschmuck für deren kargen Nächtigungsplatz basteln wolle. Die darin liegende Erkenntnis, dass es in unserem reichen Land Menschen gibt, die ihr nicht vorhandenes Zuhause mit dem schmücken, was andere achtlos wegwerfen, ließ mich tiefe Scham empfinden und den Mut reifen, endlich auszusteigen aus meinem persönlichen Hamsterrad. Es war der Moment, in dem ich für mich entschied, nicht mehr erfolgreich sein zu wollen, sondern wertvoll. Für die Gesellschaft, in der ich ebenso lebte wie er, der Obdachlose.

Die Gier der Reichen und Starken lässt immer mehr Schwächere auf der Strecke, nicht nur irgendwo in Afrika oder Südostasien, sondern auch hier, vor unserer eigenen Haustür. Wie den Mann am Wuppertaler Hauptbahnhof. Was in der Wirtschaft längst Usus ist, schlägt sich mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung auch auf die Gesellschaft durch: Ökonomischer Erfolg und damit verbunden ein Leben in finanzieller Unabhängigkeit bleibt immer weniger Menschen vorbehalten. Die Idee, wie sie Adam Smith, Begründer der klassischen Nationalökonomie, formulierte, dass wir durch das Verfolgen individueller Interessen auch den Nutzen der Gemeinschaft mehren, ist längst abgelöst. Was in den jungen Jahren der sozialen Marktwirtschaft aufgrund echten Wirtschaftswachstums und durch einen starken Staat gelang, war das klare Bekenntnis aller zum Kapitalismus. Schließlich brachte diese Form jedem Einzelnen eine Verbesserung seiner persönlichen Lebensumstände. Heute jedoch ist die Situation eine andere geworden: Immer weniger werden durch weniger Arbeit reicher, während immer mehr durch mehr Arbeit ärmer werden. Den Ursprung dieser ungerechten Formel finden wir in der Zeit, in der großzügige Steuervorteile für Vermögende geschaffen wurden und ihr Geld die uneingeschränkte Arbeitserlaubnis bekam. Ihren Beginn hat die Entwicklung in den 1970 ern, als der Goldpreis vom Dollar entkoppelt und mit dieser Entscheidung die Finanzwirtschaft aus den Angeln gehoben wurde. Eine wirtschaftliche Parallelwelt entstand, und den realen Gütern stand eine stetig wachsende virtuelle Geldmenge gegenüber. Hinzu gesellte sich die konstant voranschreitende Globalisierung, die zunächst ebenfalls von vielen Menschen auf unserer Erde mit einem klaren »Ja« zum weltweiten Kapitalismus begrüßt wurde. Nun aber scheinen Mittel und Möglichkeiten ausgereizt, und die herkömmlichen Mechanismen funktionieren nicht mehr. Während immer weniger Menschen vom derzeitigen Kapitalismus partizipieren, mehren sich die Stimmen derer, die ihn verändern möchten. Manche treten sogar für seine Abschaffung ein.

Nun kann man die nach wie vor wachsenden Missstände hinnehmen, darüber lamentieren, jammern oder sie schweigend akzeptieren und weitermachen wie bisher. Dies alles geht, solange es die eigene Existenz nicht bedroht. Mein Großvater sagte einmal: »Weil Menschen seit Jahrzehnten keine Not erlitten, jammern sie. In Not wird nicht gejammert, in der Not hilft man einander.« Sieht man genauer hin, finden sich in der breiten, schweigenden Masse auch Menschen, die ernsthaft zu jammern und wirklich Hilfe notwendig hätten. Durch Schweigen in einer schweigenden Masse fällt nur niemand auf.

Viele der Betroffenen, das lehrten mich dreitausendsechshundertundeinpaarzerquetschte Tage mit ihnen, nehmen ihre desolate Situation nicht freiwillig hin. Sie haben schlichtweg keine Kraft mehr nach jahrelanger Ausbeutung als Zeitarbeiter und Tagelöhner, zermürbt durch andauernde Existenzängste ob explodierender Mieten und ausgelaugt durch nervenaufreibende Kämpfe mit Jobcentern und Arbeitsämtern. Das Schlimmste jedoch ist die soziale Ächtung: Wer nicht leisten kann, gehört nicht zur Leistungsgesellschaft. Aber gerade wie eine Gesellschaft mit den Schwächsten umgeht, widerspiegelt ihren Zustand. Alte, Kranke, Gehandicapte und Schwache: Wir sperren sie weg und grenzen sie aus. Schwach, einsam und erschöpft startet niemand eine Revolution. Das wissen die Nutznießer dieses Systems und machen munter weiter.

Um daran etwas zu verändern, braucht es also die Menschen, die seit Jahren außerhalb gesellschaftlicher Normen agieren wie auch jene vom Rande der Gesellschaft, die noch Kraft haben. Ebenso die wenigen innerhalb, die Anstand, Mitgefühl und Empathie über die persönliche Gier stellen. Sie können die Ärmel hochkrempeln, den oft bemühten Hintern zusammenkneifen und dagegen etwas unternehmen. Schließlich kann jede Struktur, die von Menschen kreiert wurde, auch von ihnen umgestaltet werden. Wir dürfen allerdings nicht erwarten, dass die Initiative hierzu ausgerechnet von jenen ausgeht, die vom System profitieren. Niemand schneidet sich gern ins eigene Fleisch.

Intuition und Energie taten sich nach der Begegnung zwischen dem obdachlosen Herrn und mir zusammen und bereiteten das neue Feld, welches bestellt werden wollte: Ich hatte immer schon Kraft für zwei und im vorhergehenden Leben als Inhaberin einer Werbeagentur zumindest nichts maßgeblich verschlechtert. Hinzu kam mein Bauch. Vom ersten Gedanken an hatte ich dieses für mich typische kribbelnde Gefühl im Magen. Es verrät mir stets, dass klappen kann, was ich vorhabe. Nun ist ein Kribbeln in der Magengegend wohl für die wenigsten Menschen Grund genug, einen erfolgreichen Job an den Nagel zu hängen und die gesamte persönliche – materielle – Existenz für etwas aufs Spiel zu setzen, was alle sogenannten Experten schlichtweg eine Schnapsidee genannt hätten: für die Gründung eines mittelständischen Produktionsbetriebs. Mitten in Deutschland. Am Ende der Finanzkrise. In der Textilbranche, die seit Jahren in Mitteleuropa als nahezu ausgestorben gilt. Und, als wäre das nicht Herausforderung genug, ausschließlich mit Menschen, die auf dem ersten, zweiten und selbst dritten Arbeitsmarkt keine Chance auf eine dauerhafte Einstellung hatten – aufgrund ihres Alters, ihrer Herkunft, ihrer Behinderungen, ihrer Macken und Liebenswürdigkeiten. Schließlich waren und sind sie der Grund, weshalb ich das Vorhaben überhaupt gestartet habe.

Wir alle wünschen uns ein gutes Leben. Das gelingt nur, wenn wir das Leben selbst und seine Rahmenbedingungen so gestalten, dass niemand fürchten muss, es nicht bis zum Ende durchziehen zu können. Jeder Einzelne von uns verdient folglich eine Chance, seinen eigenen Unterhalt zu erwirtschaften und dadurch an unserer Gesellschaft teilzuhaben. Wenn der bestehende Arbeitsmarkt schlecht für Menschen ist, die anders sind, die sich nicht nahtlos einfügen lassen, muss er geradegebogen werden. Wenn die herkömmlichen Arbeitgeber nicht bereit sind, ihre Einstellungspraxis zu überdenken und zu ändern, braucht es einfach einen neuen Arbeitgebertypus: eine Firma, die das Ziel hat, menschlichen Gewinn zu maximieren, nicht den monetären. Eine Unternehmung, die Menschen eine Chance gibt, die als nicht »markttauglich« abgestempelt wurden und sich selbst bereits aufgegeben haben. Ich gründete eine Chancengesellschaft. Sie heißt manomama.

Woran ich einst...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Arbeitslosigkeit • Buch Greta Thunberg • digitaler Kapitalismus • Erfahrungsbericht • Fairness • female future • Götz W. Werner • Harald Welzer • heimat buch • Innerer Frieden • kreatives Leben • Manomama • Sachbuch • Sachbuch Wirtschaft • Selbstvertrauen • Welt verändern • Wertschätzung • Zivilcourage • Zugehörigkeit
ISBN-10 3-423-43737-5 / 3423437375
ISBN-13 978-3-423-43737-0 / 9783423437370
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