'Alleiner kannst du gar nicht sein' (eBook)
464 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43782-0 (ISBN)
Peter Dausend studierte Amerikanistik, Politikwissenschaft und Englische Philologie in Saarbrücken. Nach einem Volontariat an der Axel-Springer-Journalistenschule begann er 1994 in der Entwicklungsredaktion ERGO des Heinrich-Bauer-Verlags. Im Herbst 1995 begann er als Redakteur bei der 'Welt', zunächst im Auslandsressort, ging als Arthur F. Burns-Stipendiat 1998 zur 'Anchorage Daily News' nach Alaska und schrieb ab 1999 als Reporter für die 'Seite 3' der 'Welt'. 2001 wechselte Peter Dausend ins Parlamentsbüro der 'Welt' nach Berlin. Seit 2008 ist er politischer Korrespondent und Kolumnist der Wochenzeitschrift 'Die Zeit' in Berlin.
Peter Dausend studierte Amerikanistik, Politikwissenschaft und Englische Philologie in Saarbrücken. Nach einem Volontariat an der Axel-Springer-Journalistenschule begann er 1994 in der Entwicklungsredaktion ERGO des Heinrich-Bauer-Verlags. Im Herbst 1995 begann er als Redakteur bei der "Welt", zunächst im Auslandsressort, ging als Arthur F. Burns-Stipendiat 1998 zur "Anchorage Daily News" nach Alaska und schrieb ab 1999 als Reporter für die "Seite 3" der "Welt". 2001 wechselte Peter Dausend ins Parlamentsbüro der "Welt" nach Berlin. Seit 2008 ist er politischer Korrespondent und Kolumnist der Wochenzeitschrift "Die Zeit" in Berlin. Horand Knaup, geboren 1959, ging 1995 für die "Badische Zeitung" nach Bonn und wechselte 1998 zum "Spiegel", für den er viele Jahre aus dem Hauptstadtbüro schrieb, fünf Jahre war er "Spiegel"-Korrespondent in Afrika mit Sitz in Nairobi. Seit 2017 freier Journalist und Autor.
1»Ich habe gedacht,
das ist jetzt ein Traum«
Der Start im Bundestag:
Staunen, Anpassen, Widerstehen
Diese Ansage hat keiner der Angesprochenen vergessen: »Sie haben zwei Möglichkeiten – entweder Sie lassen sich auf die Irrenliste der Bild-Zeitung setzen, dann kriegen Sie immer einen Anruf, wenn die was brauchen. Sie werden dann auch schön zitiert, und jemand in Ihrem Wahlkreis freut sich, dass sein Abgeordneter in einer Zeitung steht, die er liest. Oder Sie suchen sich ein Fachgebiet, arbeiten sich richtig gut ein, sodass es heißt: Die Neue da, die kann was. Wenn Sie den Respekt Ihrer Kollegen verdienen wollen, rate ich dringend zu Letzterem.«
Der Mann, der seine Ratschläge gern im Klartext formulierte, war Peter Hintze. Und seine spezifische Warnung vor der Irrenliste richtete sich an jeden Neuankömmling in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gewicht besaß diese Ansage nicht nur, weil Hintze, unter Helmut Kohl sechs Jahre lang Generalsekretär der CDU, bis zu seinem Tod 2016 einer der engsten Vertrauten von Angela Merkel war. Sondern auch, weil bis heute aus niemandem etwas geworden ist, der sich nicht an sie gehalten hat. Und das gilt nicht nur für die CDU.
MdB – so lautet das Kürzel, das schlagartig das Leben verändert.
MdB rückt ein Leben ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, und es macht jene, denen es verliehen wird, über die Wahlnacht zu Vertretern von rund 83 Millionen Menschen. Bei jenen, die ankommen, wo so viele hinwollen, steht das Kürzel nun hinter dem Namen, direkt oder durch ein Komma getrennt.
MdB – Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Namenszusatz weist einen als Teil der gesetzgebenden Gewalt aus, in der repräsentativen Demokratie zuständig für die Beratung und Verabschiedung von Gesetzen. Viele von denen, die sich in harten politischen Auseinandersetzungen durchgesetzt und dieses Lebensziel erreicht haben, macht das zunächst einmal demütig. Viele, aber nicht alle. Denn in dieser neuen Welt sind alle ehrgeizig, sie wollen etwas werden oder etwas bleiben, und sie arbeiten vom ersten Tag an auf ein Ziel hin, das nicht jeder erreichen wird: in vier Jahren wiedergewählt zu werden.
Jeder der 709 Abgeordneten, die seit der Wahl 2017 im 19. Bundestag sitzen, war mal ein Neuling. Wie war das, neu in den Bundestag zu kommen? Wie lange dauert es, bis man die Abläufe, die Rituale und die geheimen Codes verstanden hat? Worauf muss man besonders achten? Vor allem: Wie fällt man auf, mit wem muss man gut können, wie kommt man weiter nach oben, kurz: Wie gelingt der Einstieg?
Sicher ist, und das gilt in Ergänzung zu Peter Hintzes Verdikt: Nur aufgrund seiner Fachkunde oder rhetorischen Befähigung hat im Bundestag noch niemand Karriere gemacht. Der beste Rat, den man den Neuen im parlamentarischen Betrieb mit auf den Weg geben kann, lautet also: Arbeite hart – und lass dir was einfallen. Aber was? Darauf gibt es viele Antworten. Hier sind sechs aus sechs Fraktionen.
Als Josephine Ortleb 2017 nach Berlin kommt, stürzt eine Welt auf sie ein, was sie zunächst komplett überfordert. Wer sind die, wo stehen die, was wollen die? Die Medien gieren nach den Neuen. 31 Jahre jung, blond, ausgebildete Fachwirtin im Gastgewerbe. Josephine Ortleb hat bei einem miserablen SPD-Ergebnis den Wahlkreis 296, Saarbrücken, hauchdünn direkt gewonnen, ein bundespolitischer Neuling aus Lafontaine-Land – nichts davon ist normal: Josephine Ortleb ist eine Geschichte und viele wollen sie haben. Sie lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen: In den Medien vorkommen – darum wird es in ihrem neuen Leben auch gehen. Gleichzeitig muss sie ihr Fachgebiet markieren – sie möchte in den Familienausschuss. Und so trägt sie ihr Interesse daran in ein Formular ein, das ihr in der ersten Sitzung der neuen Fraktion übergeben wird.
Dass erfahrenere Kollegen da längst ihre Wünsche bei der Fraktionsführung hinterlegt haben, weiß sie nicht. Josephine Ortleb teilt diese Erfahrung mit fast allen Einsteigern. Am Anfang finden sie alles wahnsinnig aufregend, sich selbst auch. Die Politik verändern, Teil des Wandels sein, die Welt retten, mindestens. »Du kannst vor Kraft kaum laufen«, erinnert sich Sören Bartol, SPD, an seinen Einstieg 2002. »Dann geben dir die älteren Kollegen zu verstehen: So Kleiner, jetzt setz’ dich erstmal hinten hin, fang mal von vorn an.«
Ordentlich zurechtgestutzt werden – das gehört zu den parlamentarischen Initiationsriten. Auch für Josephine Ortleb. Sie erhält einen Anruf aus dem Umfeld der SPD-Fraktionsvorsitzenden: »Tut uns leid, aber du stehst nicht auf der Liste für den Familienausschuss.« Sie könnte heulen, hat dann aber eine bessere Idee. Denn in den ersten Tagen ihres neuen Daseins als Abgeordnete des Deutschen Bundestages hat sie schon was gelernt.
Mit Guido Westerwelle hat er sich schon oft gezofft, die Hauptstadtpresse jagt ihm keinen Schrecken mehr ein, und wenn er die Kanzlerin sieht, erstarrt er nicht vor Ehrfurcht. Als Johannes Vogel 2009 den Zusatz MdB hinter seinen Namen setzen darf, ist er bereits seit vier Jahren Bundesvorsitzender der Julis, der Nachwuchsorganisation der FDP. Der damals 27-Jährige kennt die Spielregeln im politischen Berlin. Streit mit dem Parteichef gehört zu seiner Rolle als jugendlicher Rebell.
Vogel ist ehrgeizig. Er will nicht weniger, als für die FDP ihre alte Rolle als Bürgerrechtspartei zurückerobern. Mit der Zustimmung zum Großen Lauschangriff hat sie dieses Label in den neunziger Jahren verloren. Rasch nach der Konstituierung des Bundestages übernimmt Johannes Vogel den Vorsitz der »jungen Gruppe«, einer Vereinigung von FDP-Abgeordneten, die bei der Bundestagswahl nicht älter als 40 Jahre sein durften. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung, ein Projekt, das für CDU und CSU hohe Priorität hat, nicht umsetzen kann. Vogel und seine Truppe werden zu einem Machtfaktor in der Fraktion.
Vogel lässt sich noch etwas anderes einfallen. »Mehr Markt, weniger Staat« – auf diese simple Formel soll man den Liberalismus künftig nicht mehr reduzieren können. Also entscheidet er sich für eine Karriere, die für einen FDP-Politiker so passend erscheint wie die Mitgliedschaft von Sahra Wagenknecht bei den Rotariern: Vogel will Sozialpolitiker werden – und in den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Hotspot von SPD und Linkspartei. Um dorthin zu kommen, nimmt Vogel eine Abkürzung: Er spricht direkt mit dem Parteivorsitzenden Guido Westerwelle – und damit ist die Sache durch.
Nach Ansicht von Johannes Vogel funktioniert Aufstieg bei den Liberalen nach drei Prinzipien: Wer kann was? Wer kann das, was er kann, mit einem speziellen liberalen Ansatz verbinden? Und: Wer hat eine Hausmacht? Unter »wer kann was?«, unter Kompetenz, versteht Vogel aber nicht nur Fachwissen. Immer wichtiger werde in der Mediengesellschaft etwas anderes: die Vermarktung. »Was nutzt die klügste Position, wenn man sie den Menschen nicht vermitteln kann?« Je nach Rolle variiere die Bedeutung von Fach- und Vermarktungskompetenz. Ein Experte für Wissenschaftspolitik brauche mehr vom Ersten, ein Fraktionsvorsitzender mehr vom Zweiten. Aber natürlich gelte: »Die mediale Wahrnehmung ist eine Währung in der Politik, die Macht verschafft.«
Zehn Jahre nach seinem Einstieg in den Bundestag sitzt Johannes Vogel im Winter 2019 zum Thema »Armutsrisiko Kinder – heute Eltern, morgen arm?« in Maybrit Illners Talkrunde – allein unter Frauen. Und darum geht es ja immer für Neulinge: erkennbar werden, ein Alleinstellungsmerkmal finden.
Als Josephine Ortleb erfährt, dass sie nicht in den Familienausschuss kommt, zeigt sie, dass sie in ihrer kurzen Zeit schon mitbekommen hat, worauf es im Bundestag ankommt: vernetzt zu sein. Sie ist Mitglied der »Parlamentarischen Linken« (PL), der größten der drei politischen Strömungen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. Also fragt sie bei der PL-Spitze nach, ob nicht vielleicht doch noch was geht. Und sie spricht mit Elke Ferner, ihrer Vorgängerin im Wahlkreis Saarbrücken. Ferner, mit der Wahl im September 2017 aus dem Bundestag ausgeschieden, hat als ehemalige Vorsitzende der AsF, der »Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen«, beste Beziehungen zu Andrea Nahles, der Fraktionsvorsitzenden. Bald schon wird Ortleb einen zweiten Anruf aus dem Umfeld der Fraktionsspitze erhalten, in dem es heißt: Es klappt doch mit dem Familienausschuss.
Josephine Ortleb knüpft nun systematisch ihr Netz. In die ganz klassischen Runden, in denen die Jungs beim Bier zusammensitzen, kommt sie als Frau nur schwer rein. »Bier trinken, quatschen, Ränke schmieden, den nächsten Karriereschritt planen – das ist schon so ein Jungsding«, sagt sie. Und ist man mal dabei, werde man weniger wahrgenommen. Wenn Frauen in solchen Runden was sagen, so Ortlebs Erfahrung, zücken die Männer gern mal ihre Handys, die Nebengeräusche würden automatisch lauter. »Vor allem junge Frauen, parlamentarische Neulinge, haben es da schwer, ernst genommen zu werden.«
Zusammen mit elf weiteren SPD-Abgeordneten »zwischen 28 und 40« gründet Josephine Ortleb eine »Gruppe der 12«. Mit mehreren Thesenpapieren zur »Arbeit von morgen«, zum »Bürgerfreundlichen Staat« und zu »Deutschlands...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Allgemeines / Lexika | |
Schlagworte | AfD • Angela Merkel • Angela Merkel Buch • Annalena Baerbock • Buch Politik • Bundesregierung • Bundestag • CDU • Cem Özdemir • Demokratie • Deutsche Politiker • Die Getriebenen • Die Grünen • Drogen und Sucht in der Politik • Druck • Einsamkeit • FDP • Feminismus in der Politik • Gewissen • Hass • Horst Seehofer Buch • Insiderbericht • Intrige • Investigative Recherche • Kanzler • Karriere • Lobbyismus • Macht • Machtpolitik • Markus Feldenkirchen • Martin Sonneborn Buch • Parlament • Parlamentarismus • Partei • Politik Buch 2020 • Politik Buch Bestseller • Politiker • Politiker-Karriere • politisches Buch • Reportage • Robert Habeck • Robin Alexander • Sachbuch Neuerscheinung 2020 • Schwächen • Sexismus in der Politik • SPD • Sucht • Wahlkampf • Wolfgang Kubicki • Wolfgang Schäuble • Zweifel |
ISBN-10 | 3-423-43782-0 / 3423437820 |
ISBN-13 | 978-3-423-43782-0 / 9783423437820 |
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