Mein Jahr als Narr (eBook)

Dem Geheimnis von Karneval, Fasching, Fastnacht auf der Spur
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2020 | 1. Auflage
336 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43788-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Jahr als Narr -  Manuel Andrack
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Karneval, Fasching, Fastnacht: Millionen feiern die fünfte Jahreszeit Karneval, Fasching, Fastnacht - drei Wörter, unzählige regionale Besonderheiten. Auftakt der fünften Jahreszeit ist der 11.11., erste Höhepunkte bilden die Kappenabende, und nach Weiberfastnacht nimmt in vielen Teilen des Landes der Alltag für sechs Tage eine Auszeit. Manuel Andrack hat ein ganzes Jahr diesem Herzensthema gewidmet, hat mit Psychologen über die Lust an der Verkleidung gesprochen, hat Parallelen zwischen dem Oktoberfest und »Mainz bleibt Mainz« nachgespürt, hat Larvenschnitzer besucht, hat in Köln die »Roten Funken« begleitet bei den monatelangen Vorbereitungen auf den Sitzungskarneval und den legendären Rosenmontagszug und ist mit einer selbstgereimten Rede in die Bütt gegangen. Dieses Buch ist so informativ wie überraschend, vor allem ist es eine farbige Liebeserklärung an eine millionenfach geteilte Leidenschaft.

MANUEL ANDRACK verdankt sein Leben dem Karneval, denn dort haben sich seine Eltern kennengelernt. Bekannt wurde er als Redaktionsleiter und Sidekick von Harald Schmidt, erfolgreich ist er mit Bestsellern über Fußball und Wandern. Andrack weiß, wo das Herz der Massen schlägt, mit dem Thema Karneval, Fasching, Fastnacht zielt er tief in die Seele des Landes.

MANUEL ANDRACK verdankt sein Leben dem Karneval, denn dort haben sich seine Eltern kennengelernt. Bekannt wurde er als Redaktionsleiter und Sidekick von Harald Schmidt, erfolgreich ist er mit Bestsellern über Fußball und Wandern. Andrack weiß, wo das Herz der Massen schlägt, mit dem Thema Karneval, Fasching, Fastnacht zielt er tief in die Seele des Landes.

Kapitel 1


AM ASCHERMITTWOCH IST ALLES VORBEI – ABER NICHT IN BASEL


72 Stunden Ausnahmezustand – Eine närrische Energie, die sich entlädt – Yypfyffe – Blagedde ist Pflicht!


Um Schlag vier Uhr am frühen Montagmorgen gehen in Basel die Lichter aus. Es wird dunkel, stockdunkel, zappenduster. Nur die Groß-Laternen und die Kopflichter an den übergroßen Larven der Fasnächtler bewegen sich wie kunterbunte Glühwürmchen durch die Nacht. Gleichzeitig bricht ein infernalischer Lärm los, die Aktiven sind mit Trommeln und Piccoloflöten bewaffnet. Die Parole ist »Vorwärts Marsch«, und dann geht es los, mit den Laternen wie überdimensionierte Lollis – einige haben die Ausmaße eines Kleinwagens –, den Trommeln, den Piccolos.

Ist das ein karnevalistischer Umzug wie in Köln, Mainz, Düsseldorf, alle schön der Reihe nach? Nein, so ist das nicht, ich werde es erzählen. Es geht kreuz und quer, jede Clique dreht ihre eigenen Runden, in den engen Gassen der Basler Altstadt kommt es zu Begegnungen und Kreuzungen, dann vermischen sich die Cliquen kurz, trennen sich wieder, kakofonieren instrumental, entwirren sich wieder und gehen für sich weiter. Anarchie in der ansonsten so ordentlichen Schweiz.

Aber was läuft hier eigentlich bei den Eidgenossen, mitten in der Nacht, bei ohrenbetäubendem Lärm, bunten Lichtern – und einer Affenkälte? Ich will der Sache auf den Grund gehen. Die Bildungsreisenden der Romantik, Wilhelm Meister und der Grüne Heinrich beispielsweise, verstanden unter Bildung nicht das Studium der Bücher. Das Herz sollte sich bilden, die Seele, nicht zuletzt der Verstand. Begegnungen, Erlebnisse, Reisen, der Bildungsroman als Road Movie.

In diesem Sinne möchte ich mich in meinem närrischen Jahr bilden. Ich werde Fastnacht, Fasching, Karneval durch Gespräche, Erfahrungen und Selbstversuche erlernen. Obwohl in Köln geboren, schien mir die närrische Zeit in den letzten beiden Jahrzehnten ein finsteres Paralleluniversum zu sein. Mit Anfang 30 hatte ich nach heftigen Sauf- und Schunkeljahren in Jugend und Studentenzeit geschworen, für immer ins Lager der Karnevals-Flüchtlinge zu wechseln. No more Alaaf anymore.

Mit diesem Buch fange ich auch persönlich wieder bei der närrischen Null an. Ein fastnächtliches Lehrjahr. Ich möchte die Historie des Mummenschanzes verstehen, die psychologische Komponente der Maskerade. Mein Ziel ist es, das Geheimnis der Narren zu begreifen. So universell das Närrisch-Sein ist, scheint es doch jeweils auch starke regionale Komponenten zu haben. Schafft es also einen besonderen Bezug zur Heimat? Oder geht es einfach darum, eine gute Zeit zu haben, Party zu feiern, wir machen durch bis morgen früh und singen Bumsfallera? Und was treiben die Narren eigentlich zwischen Aschermittwoch und Sessionsbeginn? Fallen die in eine Art karnevalistischen Sommerschlaf, oder gibt es da konspirative Geheimtreffen, von denen der Rest der Welt nichts ahnt, an denen aber eifrig Vorbereitungen für die kommende Session getroffen werden? Entscheidend wird für mich als Rheinländer vor allem der Blick über den närrischen Tellerrand sein – wie feiert man in Veitshöchheim, Villach, Venedig, Waldbröl und Rottweil?

Mein närrisches Jahr beginnt in Basel und damit gleich mit einer für mich als kölscher Jung etwas schrägen Version der fünften Jahreszeit. Die augenfälligste Besonderheit ist das Timing. Hier stehen die Fans der Fasnacht am Montagmorgen nach Aschermittwoch um 4.00 Uhr zum Morgestraich stramm. Nach Aschermittwoch, was soll das denn? Am Aschermittwoch ist doch alles vorbei, die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei. Die Fastenzeit beginnt, Schluss mit lustig. So kennt man das in den meisten deutschsprachigen Regionen.

Die Basler dagegen feiern nach dem alten Fastnachtskalender, und das kam so: Bekanntlich dauert eine Fastenzeit 40 Tage, so hat Jesus das vorgelebt, als er sich allein in die Wüste zurückzog, so hat man das schon immer gemacht. Wenn man genau nachrechnet, liegen aber zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag nicht fünfeinhalb, sondern sechseinhalb Wochen. Denn 40 Tage am Stück zu fasten, auf Fleisch, tierische Produkte und Sex zu verzichten, das ist schon ziemlich hart. So sah man das zumindest 1091 auf der Synode von Benevent. Die Kirchenfürsten beschlossen – wahrscheinlich auch im eigenen Interesse –, man könne doch zumindest an den Sonntagen der Fastenzeit eine Pause machen und es so richtig krachen lassen. Dadurch sollte aber nicht die Netto-Fastenzeit gekürzt werden, also wurden die sechs Sonntage draufgerechnet, und schon dauerte die Fastenzeit 46 Tage, von Aschermittwoch bis einschließlich Karsamstag.

Aber warum ist das in Basel anders? Nun, vielleicht sagte man sich, dass man als reformierte Stadt sowieso auf die katholischen Regeln pfeifen könne (deswegen vielleicht die vielen Piccoloflöten der Basler Fastnacht. Nur so eine Vermutung …). Der Reformator Huldrych Zwingli – wie übrigens auch sein Wittenberger Kollege Martin Luther – stand dem Fasten nach einem standardisierten Kalender ohnehin kritisch gegenüber. Deswegen ist dann auch nicht schon wieder am Dienstag nach dem Morgestraich Schluss – Aschermittwoch plus sechs Tage würde ja an sich Ascherdienstag ergeben –, sondern man feiert gut gelaunt weiter bis zum Donnerstag.

Auch in einigen Regionen der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht hat sich übrigens bis heute die »neue« Regel von 1091 nicht durchgesetzt, sie wird als eine Vorgabe von denen da oben empfunden, den feinen Herren und Pfaffen. Daher spricht man im Südwesten Deutschlands von der »Pfaffen-Fastnacht« oder der »Herren-Fastnacht«, wenn man die Zeit von Donnerstag bis Dienstag vor Aschermittwoch meint. Im Badischen findet man nach dem alten Fastnachts-Kalender die »Bauernfastnacht«. Diese Buurefasnacht wird zum Beispiel in Hauingen – einem Dorf, das erst seit den 1970er-Jahren zu Lörrach gehört – und in Weil am Rhein an der Grenze zur Schweiz am Sonntag nach Aschermittwoch gefeiert. In anderen Städten der Schweiz dagegen gilt wie in Deutschland, Beginn der tollen Tage ist an einem Donnerstag. Im katholischen Luzern beispielsweise geht’s Donnerstagmorgen um 5.00 Uhr mit dem Urknall los, einem Feuerwerk am Vierwaldstätter See, einer Art närrisches Silvester. Nicht Weiberfastnacht, sondern Urknall-Donnerstag. Allgemein aber scheint in der Schweiz die Redensart zu gelten: »Der frühe Vogel fängt den Wurm.«

Wenn man genau hinschaut, gibt es in der Region weitere traditionelle Bräuche, die nach Ablauf der üblichen Fastnachtszeit gepflegt werden. In Südbaden – es gibt die Badischen und die Symbadischen, sagt man in Basel –, in der Region von Lörrach also, werden am Samstag oder Sonntag nach Aschermittwoch glühende Scheiben von einer Abschussrampe abgefeuert. Die fliegen dann in hohem Bogen durch die Gegend. Die Scheiben symbolisieren kleine Sonnen und sollen den Frühling anlocken. Also eher ein Winter-Vertreibungsbrauch, der nur bedingt etwas mit Fastnacht und der darauffolgenden Fastenzeit zu tun hat.

In den Dörfern südlich von Basel kennt man diesen Brauch auch, das heißt dort Reedlischigge. Man trifft sich meist auf einer Anhöhe und entzündet ein großes Feuer, in dem die Reedlis zum Glühen gebracht werden. Anschließend jagt man sie via Abschussrampe ins Tal. Im Basler Land betont man, dass die Scheiben in Baden traditionell viereckig seien, während die auf Schweizer Seite rund sind, man dort also gewissermaßen schon das Rad erfunden habe. Aber auch die Basler Fasnächtler – man sollte die aktiven Teilnehmer der Basler Fasnacht niemals, aber auch wirklich niemals »Narren« nennen – sind am Sonntag nach Aschermittwoch aktiv beim Ladäärne yypfyffe. »Yypfyffe«, das sind mehr y als in so manchem finnischen oder ungarischen Wort. Die Laternen werden angepfiffen, Übung macht den Meister, damit die Fasnacht in Basel auch schön laut wird.

Also zurück zum Morgestraich. Vor Müdigkeit fröstelnd fragt man sich als neutraler Beobachter: Wo nehmen die rund 8000 Aktiven eigentlich diese Energie her, morgens um vier so derart fit und gut gelaunt (ich hoffe, die Fasnächtler sind gut gelaunt, unter den riesigen Voll-Larven kann man ja keine Mimik erkennen) durch Basel zu marschieren? »Vor dem Morgestraich liegt ein Zauber, und es ziehen sich kribbelnde Schauer wetterleuchtend durch die Brust«, hat mal jemand gesagt, der eine poetische Ader haben muss. Das ist es vielleicht, diese unsichtbare Energie, die die echten Fasnächtler antreibt wie die Batterie das Duracell-Häschen.

Der Basler Musiker George sagte mir bei einem Glas Wein: »Am eigentlich ruhigen Sonntag merkt man, wie sich die Stadt elektrisch auflädt. Der Tourist sagt vielleicht, ich sehe nichts. Aber ich spüre das, ich weiß ja, wie die Stadt normalerweise tickt. Es liegt etwas in der Luft, die Stadt lädt sich auf. Es liegt total viel Energie in der Luft, um sich dann am Montagmorgen um vier Uhr explosiv zu entladen.« Das ist ein sehr schönes Bild. Wie bei einem Gewitter entlädt sich die Energie der Basler Fastnacht: der Lärm der Trommeln und Piccolos ist der Donner, die tanzenden Lichter der Laternen sind die Blitze. Oder, ein anderes Bild, der Welt des Theaters entlehnt: Der Zuschauerraum verdunkelt sich, der Vorhang geht hoch und das Theaterstück mit dem Titel »Basler Fasnacht« beginnt. Mit einer Länge von 72 Stunden ist es nicht zu kurz.

Dass die Fasnachtsvereine in Basel Cliquen heißen, das hat etwas Konspiratives, Verschwörerisches. Auf den großen, zwei Meter hohen Hauptlaternen, die wie illuminierte Plakatwände den Cliquen...

Erscheint lt. Verlag 23.10.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 11.11. 11:11 Uhr • Alaaf • Aschermittwoch • Bütt • Büttenrede • Düsseldorf • Fasching • Faschingsdienstag • Fasnacht • Fasnet • Fassenacht • Fastabend • Fasteleer • Fastelovend • Fastenzeit • Fastnacht • Fünfte Jahreszeit • Helau • Höhner • Jecken • Junggesellenabschied • Karneval • Karnevalsumszug • Köln • Mainz • Maske • maskerade • Narren • Narrensprung • neuerscheinung 2020 • Ratgeber Frauen • Ratgeber Neuerscheinung 2020 • Rosenmontag • Sachbuch • Sachbuch Neuerscheinung 2020 • Viva Colonia • Weiberfasching • Weiberfasnacht • Weiberfastnacht • Wider den tierischen Ernst
ISBN-10 3-423-43788-X / 342343788X
ISBN-13 978-3-423-43788-2 / 9783423437882
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