Social Justice und Radical Diversity -  Gudrun Perko

Social Justice und Radical Diversity (eBook)

Veränderungs- und Handlungsstrategien

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
103 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-5645-7 (ISBN)
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Gudrun Perko knüpft in ihren essayistischen Betrachtungen an das Diskriminierungskritische Bildungs- und Trainingskonzeptes »Social Justice und Diversity« an. Im Zentrum stehen Strategien wie diese: »Verbündet-Sein«, »Positionierung in der Nicht-Positionierung«, »Pluralisierung«, »Desintegration«, »anerkennende Sprache« und »Bündnisse«. In dem Buch geht es um die Möglichkeiten des Umgangs mit ignoranten Haltungen, der Verrohung der Sprache sowie um das vermeintlich »sorgenvollen Mittun« am falschen Platz. Und nicht zuletzt geht es um »Heimat«. Es werden communities-interne Fragen zu Bündnissen und deren Verhinderungen besprochen. Und mit diesen Grundlagen wird schließlich das »Radical Diversity« als konkrete Utopie, gemeinsam mit Leah Carola Czollek, ausgestaltet.

Gudrun Perko, Jg. 1962, Prof. Dr., Philosophin (Studium der Philosophie in Wien), Professorin für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Potsdam (Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften). Sie ist Mitbegründerin des Instituts 'Social Justice und Radical Diversity'.

Vorwort


Radical Diversity bezeichnet eine konkrete Utopie, in der Social Justice (als Anerkennungs-, Verteilungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit) gesellschaftlich realisiert wäre. Gleichzeitig beschreiben wir im Diskriminierungskritischen Bildungskonzept „Social Justice und Diversity“ 1 mit Radical Diversity eine kritische Praxis, der es um die Veränderung homogener öffentlich-politischer Räume, Institutionen, kultureller Praxen und Diskurse hin zu einem Mainstream der radikalen Verschiedenheit und Vielfalt von Menschen geht. Im Blick haben wir dabei eine inklusive, partizipative und eine für alle Menschen in ihrer radikalen Verschiedenheit offene und plurale Gesellschaft. Um ein solches Radical Diversity zu erreichen, schlagen wir bestimmte Handlungs- und Veränderungsstrategien vor, mit denen bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse verändert und damit auch Strukturelle Diskriminierung beenden werden sollen. Genau daran knüpfe ich bei meinen Überlegungen an.

Dabei ziehe ich einige dieser Veränderungs- und Handlungsstrategien als Ausgangspunkt heran, skizziere sie in den einzelnen Abschnitten und bespreche sie in Bezug auf ausgewählte gegenwärtige Diskurse in philosophisch-essayistischer und gesellschaftskritischer Weise. Leser_innen, die die detaillierten Erklärungen jener Strategien sowie Begriffe wie Strukturelle Diskriminierung, Macht- und Herrschaftsverhältnisse etc. im Detail kennen und verstehen möchten, verweise ich hier gerne auf das erwähnte „Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen“ selbst. In meinen einzelnen Texten greife ich auf diese Ausführungen zurück, wiederhole sie aber nicht umfänglich. Zugegeben, das wäre auch für mich etwas langweilig.

Den Anfang setzte ich mit den Veränderungs- und Handlungsstrategien des Verbündet-Seins und der Positionierung in der Nicht-Positionierung: Ersteres ist ein spezifisches Solidaritätskonzept und eine Art der politischen Freundschaft, bei der die Anliegen der Anderen zu den je eigenen Anliegen werden; zweiteres entzieht sich eindeutigen Positionierungen im Hinblick auf jene Diversitätskategorien, die Vorteile beispielsweise bei Bewerbungen verschaffen und intendiert, Haltungen und Handlungen zu irritieren. Danach nehme ich – gegen eine diskriminierende Sprache – die Strategie der anerkennenden Sprache in den Blick, die zwar alleine noch keine gerechte Gesellschaft herbeizuführen imstande ist, die aber doch dazu beiträgt, insofern Sprache immer auch eine Art Handlung ist (deshalb spreche ich von Sprach/Handlungen). In einem weiteren Schritt greife ich die Strategie der Desintegration auf: Sie verweigert die Annahme von Fremdzuschreibungen und stellt damit die Selbstbestimmung eigener Seinsweisen und Handlungsräume in den Mittelpunkt. Zugunsten des Verlassens der normativen, also der dichotomen und polarisierenden Logik, bringe ich ferner die Strategie der Pluralisierung ins Spiel, eine Strategie, die sich explizit gegen ein polarisierendes Denken und seinen Auswirkungen richtet, und die Vielfalt und Vielfältigkeit im Blick hat. Schließlich fokussiere ich die Strategie der Bündnisse mit jenen Menschen, die von Struktureller Diskriminierung (als Ineinanderverwobenheit von individuellen, institutionellen und kulturellen diskriminierenden Praxen) getroffen werden, aber auch mit jenen, die nicht davon getroffen sind, sich aber dennoch dagegen verwehren.

Mit diesen Strategien nehme ich insgesamt eine plurale Gesellschaft in den Blick, in der Menschen in ihrer radikalen Verschiedenheit und Gleichheit leben können und in der Gerechtigkeit im Sinne von Social Justice (Anerkennungs-, Verteilungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit) intendiert ist. Das führt mich zum Radical Diversity als angestrebte konkrete Gesellschaftsutopie, wie ich es weiter oben beschrieben habe. Und seien wir uns gewiss: Kein Gott, keine übergeordnete Instanz – das haben wir Menschen in der Hand.

Aus der Perspektive dieser Veränderungs- und Handlungsstrategien betrachte ich also Diskurse und Geschehnisse, die nicht selten den geruhsamen Schlaf verderben, den Appetit rauben, vielleicht sogar den Hals einschnüren – jedenfalls wütend werden lassen:2 Meine Besprechung betrifft etwa ignorante Haltungen, wenn in bestimmten Ländern Städte zu LGBTQ-freien Zonen erklärt werden und die hierzulande mangelnde Unterstützung für Menschen, denen das Reisen in bestimmten Ländern nicht mehr möglich ist (siehe „Wir reisen gerne: Verbündet-Sein und Positionierung in der Nicht-Positionierung“). Sie betrifft die Verrohung der Sprache und die Sagbarkeitserweiterung im Hinblick auf diskriminierende Begriffe, die salonfähig geworden sind, oder Begriffe, die durch eine negative Umkehrung verunglimpft werden wie etwa „Gutmensch“ oder „Social Warriors“. Es geht mir zudem um die Inszenierung eines angeblichen „Genderwahns“ und darum, wie simpel dieses Konstrukt ist. Meine Konfrontation bezieht sich ferner auf Haltungen und Handlungen von Menschen, deren „Sorge“ sie dazu antreibt, ihrem Unmut am falschen Platz kundzutun und darum, dass jene „Sorge“ dies nicht entschuldigt. (Siehe „Sagbarkeitserweiterung und Sprach/Handlungen: Affirmative Sprache“.) Von Empörung werde ich sprechen und davon, wie sie sich breit macht als inadäquate Reaktion auf Anschläge und Attentate (siehe „Empörung macht sich breit: Desintegration“). Diskurse um Heimat greife ich auf und stelle dar, dass sich Menschen schon an Vieles gewöhnt haben, und frage schließlich, wie sie zu pluralisieren ist (siehe „Heimat – ein Gespenst geht um: Pluralisierung). Es geht mir ferner um Möglichkeiten und Verunmöglichungen von Bündnissen zwischen Gruppen und Communities, deren Mitglieder selbst Diskriminierung erfahren und jenen, die gegen Diskriminierung angehen (siehe „Zeit zum kollektiven Handeln: Bündnisse“). In den aufgegriffenen Diskursen zeigt sich immer wieder das polarisierende Denken – wie Frau/Mann, schwarz/weiß und vieles mehr –, simple Konstruktionen und Positionen, die dennoch oder gerade deshalb ihre Wirkmächtigkeit entfalten. Dieses polarisierende Denken ist ein identitätslogisches Denken, das identitätspolitische Auswirkungen hat. Das klingt sperrig, ich weiss. Deshalb biete ich mit dem Beitrag zur polarisierenden Identitätslogik und pluralisierenden Magmalogik die Möglichkeit, einen Blick darauf zu werfen, was mit identitätslogisch und identitätspolitisch konkret gemeint ist. Eine Zuspitzung erfährt die Identitätslogik zwar in festgezurrten Ideologien (beispielsweise in rechtsextremistischen Ideologien), doch sind insgesamt unser Denken und unsere Sprache grundlegend von ihr geprägt. Demgegenüber stelle ich die Magmalogik als eine vielwertige Logik vor, die ihnen ebenfalls inne liegt, und die gegen polarisierendes Denken ein pluralistisches Denken ermöglicht (siehe „Polarisierende Identitätslogik und pluralisierende Magmalogik“). Hier wird es lebendig. Einen Ausblick bietet in dem Buch ein Manifest. Dafür konnte ich Leah Carola Czollek gewinnen, wobei es uns darum geht, gemeinsam die Frage nach Bündnissen nochmals aufzugreifen (siehe „Ein Manifest zur konkreten Utopie Radical Diversity). Manifest – das klingt nach Polarisierung. Keine Sorge, es basiert auf dem Lateinischen manifestus, was so viel bedeutet wie „handgreiflich gemacht“ und wir bleiben bei der Pluralisierung.

Themenbezogene Haikus als spezielle Gedichtformen und Gedankensplitter in Form von Prosa von Leah Carola Czollek runden die einzelnen Texte in meinem Buch ab und bieten eine nochmals andere Form für mögliche Nachdenklichkeiten.

Würden wir in anderen Zeiten leben, so würden wir über die einzelnen Themen ins Gespräch kommen können, diskutieren, dialogisieren und gemeinsam pluralisieren. Mein Gegenüber würde gleicher, ähnlicher oder anderer Meinung sein, gleiche, ähnliche oder andere Perspektiven haben. In Zeiten der zunehmenden Polarisierung, in denen alte Traditionen in neuen Gewändern erwachen, in denen das Denken einem Entweder-Oder und Richtig-Falsch geopfert wird, in denen kaum mehr hin und her gedacht, miteinander gestritten, diskutiert, dialogisiert, abgewogen und überlegt wird, sondern festgezurrte, extremistische Ideologien die Köpfe vernebeln, ist das nicht mehr so einfach. Mancherorts schier unmöglich. Wollen wir es dabei belassen?

In dem Buch fokussiere ich das, was wir als Motto des Institutes „Social Justice und Radical Diversity“ folgenderweise ausdrücken: „Es gibt keine Orte und keine Zeiten, die uns zwingen (dürfen), die tiefste Anerkennung der radikalen...

Erscheint lt. Verlag 24.6.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-5645-4 / 3779956454
ISBN-13 978-3-7799-5645-7 / 9783779956457
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