Lebenswerk (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
480 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32131-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lebenswerk -  Alice Schwarzer
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Rückblick, Bilanz, Ausblick. Nachdem Alice Schwarzer 2011 im »Lebenslauf« ihre Herkunft, ihre Kindheit und Jugend sowie die frühen Jahre als Journalistin geschildert hat, berichtet sie nun über die großen Themen ihres Lebens und ihrer Arbeit, durch die sie über Jahrzehnte ein ganzes Land geprägt hat und noch prägt: Ihre Kämpfe gegen Gewalt an Frauen und Kindern, gegen die Männerjustiz, das Abtreibungsverbot, Sexismus, Pornografie und Prostitution- und für eine »Vermenschlichung der Geschlechter« sowie die Aufhebung der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern sind legendär. Motto: »Die Hälfte der Welt für die Frauen - die Hälfte des Hauses für die Männer!« Durch Alice Schwarzers lebendig erzählten Rückblick auf 50 Jahre wird das Ausmaß ihrer politischen Interventionen sichtbar, bis hin zu MeToo und der Kritik am politischen Islam. Ohne sie sähe das heutige Deutschland anders aus. Immer wieder hat Alice Schwarzer mit spektakulären TV-Streitgesprächen etwa mit Esther Vilar (1975) oder Verona Feldbusch (2001) Geschichte geschrieben, genauso wie mit ihren Büchern, der Gründung der Zeitschrift Emma (1977) oder ihren öffentlichen Aktionen gegen den §218 (»Ich habe abgetrieben«) und »PorNO«. Und immer wieder stand auch sie selbst im Mittelpunkt heftiger medialer Aus-einandersetzungen über ihre Person. Ein Buch voller Erinnerungen, Begegnungen (u.a. mit Angela Merkel), Einblicken in ihr Leben und ihre Positionen bis hin zu den heutigen Debatten. Plus ein Anhang mit Schlüssel-Texten von Alice Schwarzer aus den letzten 50 Jahren.

Alice Schwarzer, geboren 1942 in Wuppertal, lebt in Köln und Paris. Sie begann nach einem Volontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten ihre publizistische Arbeit 1969 als Reporterin bei Pardon. 1969-74 politische Korrespondentin in Paris. 1975: »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen«, 1977: Gründung der Zeitschrift Emma. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. »Eine tödliche Liebe - Petra Kelly und Gert Bastian« (1994), »Marion Dönhoff - ein widerständiges Leben« (1996), »Romy Schneider - Mythos und Leben« (1998), »Lebenslauf« (2011), »Der Schock - die Silvesternacht von Köln« (2016), »Meine algerische Familie« (2018), »Lebenswerk« (2020) und mit Chantal Louis »Transsexualität« (2022).

Alice Schwarzer, geboren 1942 in Wuppertal, lebt in Köln und Paris. Sie begann nach einem Volontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten ihre publizistische Arbeit 1969 als Reporterin bei Pardon. 1969–74 politische Korrespondentin in Paris. 1975: »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen«, 1977: Gründung der Zeitschrift Emma. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. »Eine tödliche Liebe – Petra Kelly und Gert Bastian« (1994), »Marion Dönhoff – ein widerständiges Leben« (1996), »Romy Schneider – Mythos und Leben« (1998), »Lebenslauf« (2011), »Der Schock – die Silvesternacht von Köln« (2016), »Meine algerische Familie« (2018), »Lebenswerk« (2020) und mit Chantal Louis »Transsexualität« (2022).

Inhaltsverzeichnis

Wer hat die Frauenbewegung gegründet?


Ich lese ihn immer wieder, und sei es in irgendeinem Blog, den vorwurfsvollen Satz: Alice Schwarzer hat nicht die Frauenbewegung gegründet! Stimmt. Ich habe das auch noch nie behauptet. Niemand hat die Frauenbewegung gegründet. Man gründet eine Partei oder Organisation, aber keine Bewegung. Schon der Name sagt ja, was es ist: Etwas ist in Bewegung geraten. Die ersten zwei, drei fangen an, es kommen Dutzende dazu, Hunderte, Tausende. Eine Bewegung ist geboren. So wie heute die weltweite Klimabewegung.

Auch der Aufbruch der Frauen beschränkte sich Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre zunächst auf die sogenannte Erste Welt. Da war die Spannung zwischen dem, was war, und dem, was hätte sein können, am größten. Erst jetzt, ein halbes Jahrhundert später, gibt es erste Anzeichen für eine erwachende Frauenbewegung auch in der islamischen Welt, im nordafrikanischen Maghreb zum Beispiel, wo Frauen im Herbst 2019 in Marokko ein Manifest veröffentlicht haben: »Ich habe abgetrieben!« Sie wagen es, das Recht auf freie Sexualität zu fordern. Ich habe zwei führende Aktivistinnen gerade in Paris getroffen, eine Filmemacherin und eine Anwältin. Da haben sie strahlend den Simone-de-Beauvoir-Preis entgegengenommen, der einmal im Jahr, immer an Beauvoirs Geburtstag am 9. Januar, verliehen wird (und in dessen Jury ich Mitglied bin). Die Marokkanerinnen erinnern mich mit ihren Hoffnungen und ihrem Übermut stark an unsere Anfänge der 1970er Jahre. Von einem »kulturellen Unterschied« kann da wenig die Rede sein.

In den westlichen Demokratien hatte damals ein Bündel von Faktoren den Aufbruch der Frauen begünstigt. Wir neuen Feministinnen waren die Töchter der Frauen, die im Krieg und danach ihren »Mann« gestanden hatten und brüsk ins Haus zurückgeschickt worden waren, als die Männer zurückkamen. Diese Müttergeneration war frustriert, die Töchter zogen den Schluss: Das soll uns nicht passieren. Auch die Mütter selbst hatten das – oft unbewusste und meist wortlose – Signal gesendet: Mach du es besser!

Hinzu kam: Der 68er-Virus hatte auch die Frauen infiziert. Autoritäten wurden infrage gestellt, ja sogar die eigenen Männer, und neue Freiheiten erprobt, ja sogar sexuelle. Das wurde auch von der Pille gefördert, das erste sichere Verhütungsmittel in Frauenhand (das deutsche Frauenärzte bis in die 1970er Jahre nur verheirateten Frauen verschrieben). Allerdings machte diese Pille die Frauen gleichzeitig verfügbarer. Es gab Jungs, die fragten nun die Mädchen schon beim ersten Tanz: »Hast du heute schon geschluckt?« Und nicht zuletzt benötigte der Markt Arbeitskräfte. Italiener, Spanier und eine Million Türken waren schon ins Land geholt worden. Jetzt also die stille Reserve Frau.

Doch zum Auslöser der deutschen Frauenbewegung wurde der Kampf gegen den §218. Der bedrohte alle Frauen in der BRD bei »Selbstabtreibung« mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und die Ärzte mit bis zu zehn Jahren. Sicher, im Jahr 1969 waren nur noch 269 Frauen wegen Abtreibung bestraft worden. Sie waren der Justiz sozusagen versehentlich in die Fänge geraten. Denn schließlich konnte man die – vor Pille und Aufklärung – geschätzte eine Million Frauen, die im Jahr allein in der BRD abtrieben, nicht alle ins Gefängnis stecken. Wer hätte denn dann die Kinder versorgt und den Haushalt gemacht?

Ein halbes Jahrhundert später treiben in ganz Deutschland nur noch knapp 100000 Frauen im Jahr ab, also eine einstellige Prozentzahl im Vergleich zu vor 50 Jahren! Was vor allem das Verdienst der Frauenbewegung ist. Dank Aufklärung, Eigenständigkeit und gestiegenem Selbstbewusstsein werden Frauen einfach seltener ungewollt schwanger.

Noch im Frühjahr 1971 hatte die frühfeministische Journalistin Sina Walden, die Tochter von Herwarth Walden, wütend in Brigitte geschrieben: »Deutsche Frauen verbrennen keine Büstenhalter oder Brautkleider, stürmen keine Schönheitskonkurrenzen und emanzipationsfeindlichen Redaktionen, fordern nicht die Abschaffung der Ehe und verfassen keine Manifeste zur Vernichtung der Männer. Es gibt keine ›Hexen‹, keine ›Schwestern der Lilith‹ wie in Amerika, nicht einmal ›Dolle Minnas‹ mit Witz wie in Holland. Es gibt keine wüsten Pamphlete, keine kämpferische Zeitschrift, kein bedeutendes aufrührerisches Buch. Es gibt keine Wut.«[8]

Nur wenig später sollte es all das geben. Fast all das. Aber noch herrschte Friedhofsruhe.

Bis am 6. Juni 1971 die Bombe platzte, das im Stern veröffentlichte Bekenntnis der 374: »Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu!« Das hatte in der Tat ich initiiert. Ich habe die Idee aus Frankreich, wo ich zu der Zeit lebte, nach Deutschland exportiert, den Stern dafür gewinnen können und die Unterschriften gesammelt. Genauer gesagt: Ich und viele, viele Frauen hatten die Unterschriften gesammelt. Die Hälfte der Bekennerinnen kam von drei Frauengruppen, die andere Hälfte von Nachbarinnen, Freundinnen, Kolleginnen, Passantinnen.

Ute Geißler, Arzttochter und damals Buchhändlerin in München sowie Aktivistin der »Roten Frauen«, erinnert sich an die Wochen vor Erscheinen des Appells. »Wir haben einfach einen Tapeziertisch besorgt, ihn vors Rathaus oder vor die Uni gestellt und dann Flugblätter zum Unterschreiben verteilt. Na, da kriegten wir was zu hören! Das Recht auf Abtreibung? Dann treibt ihr es ja noch toller! Oder: Dass ihr euch nicht schämt, ihr Flittchen! Aber auch: Endlich trauen Frauen sich! Wenn ich daran denke, was das für ein Elend war, als die Männer aus dem Krieg zurückkamen …«[9]

373 Frauen und ich hatten die im Stern veröffentlichte Selbstbezichtigung unterschrieben. Ich bin oft gefragt worden, ob ich selbst abgetrieben habe. Nein, habe ich nicht. Ich hatte Glück und bin nie ungewollt schwanger geworden. Aber ich kenne nur zu gut die Angst davor. Meine Taschenkalender aus diesen Jahren sind übersät mit Kreuzen – Zeugen eines bangen Zählens und Wartens. Auch muss erinnert werden: Der Appell der 374 war ja kein Geständnis, sondern eine politische Provokation. Wir wenigen unter ihnen, die wir nie hatten abtreiben müssen, haben damals nicht öffentlich darüber gesprochen, damit es nicht als Distanzierung interpretiert werden konnte.

Diese 374 Unterzeichnerinnen hatten den Mut von Löwinnen. Sie wussten nicht: Wird mein Mann sich scheiden lassen? Wird meine Familie mit mir brechen? Werden meine Nachbarn noch mit mir sprechen? Verliere ich meine Stelle? Werde ich verhaftet? Sie waren wahre Heldinnen! Nach der Veröffentlichung tauchte die Polizei bei der Münchner Gruppe der »Roten Frauen« auf, Hausdurchsuchungen. Doch die Provokateurinnen blieben letztendlich ungeschoren. Denn laut Meinungsumfragen 1971 waren 79 Prozent aller Frauen und Männer für die Fristenlösung. Die Frauenbewegung war willkommen.

Aber war da nicht vorher schon mal etwas gewesen? Ja, doch. Die Frauen im SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) hatten im September 1968 den Aufstand geprobt. Eine Tomate flog und eine feministische Brandrede wurde gehalten (»Genossen, eure Veranstaltungen sind unerträglich!«).

Die Filmemacherin Helke Sander hielt diese Rede. Sie ist eine der wenigen, die in beiden Phasen des Aufbruchs der Frauen aktiv waren: im Vorfrühling der Genossinnen 1968 wie im Sommer der Frauenbewegung ab 1971. In einer Rede erinnerte Sander sich 2018, wie sie zusammen mit einer Freundin im Dezember 1967 ein erstes Flugblatt an der Freien Universität verteilt hatte, das wie ein »Urknall« wirkte. Von da an traf sich der »Aktionsrat zur Befreiung der Frauen« einmal in der Woche im linken »Republikanischen Club«. Erstes Ziel: Die Gründung von »Kinderläden« (in leer stehenden Läden), um das Problem der studierenden Mütter zu lindern. (Damals gab es 173 Kinderkrippen in Westberlin, erinnert sich Sanders, heute sind es 1921 in ganz Berlin.) Ein paar Männer waren auch dabei. Mit dem Resultat, dass die Genossen sehr bald den »Zentralrat der antiautoritären Kinderläden« gründeten und darin umgehend die Führung übernahmen.

Und die Frauen? Die richteten sich (noch) nicht an die gesamte Gesellschaft, sondern nur an ihre Genossen. Sander: »Nach wie vor hielten wir die vor allem im SDS behandelten Themen für relevant. Wir wollten gemeinsam mit den Männern die Verhältnisse ändern.«[10] In Frankfurt gab es in der Zeit dieses wunderbare satirische Flugblatt, das ich allerdings erst später entdeckte: »Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!« Dazu gezeichnete mickrige Pimmel, versehen mit jeweils dem Namen eines prominenten Genossen.

Wo befand ich mich zu dieser Zeit? Ich war Volontärin bei den Düsseldorfer Nachrichten und verfolgte die Ereignisse mit heißem Herzen in den Medien. Denn die 68er waren in Deutschland eine fast rein studentische Bewegung in den Metropolen; in Berlin, Frankfurt, München. In einer Stadt wie Düsseldorf herrschte Ruhe (nur Beuys sorgte mit seinen Aktionen an der Kunstakademie für Unruhe). Im Spiegel las ich damals eine herablassende Glosse über die gerade entstehenden »Weiberräte«, die mit den Worten endete: »Selbst ein Mädchen, das mit intimem Anliegen von außen kommt und den nächststehenden Artgenossinnen etwas zuflüstern will, findet nur mühsam Gehör. Was will sie? Tampons! Hat eine vielleicht Tampons?«[11] Und ewig blutet das Weib … Ich war empört!

Knapp zwei Jahre später machte ich mich...

Erscheint lt. Verlag 8.10.2020
Zusatzinfo mit 73 farbigen und sw-Abb.
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Chauvinismus • Emma • Esther Villar • Feminimus • Frauenbewegung • Frauenfeindlichkeit • Gesellschaftspolitik • Journalistin • Kachelmann • #metoo • metoo • Schwangerschaftsabbruch • Unterdrückung • VERONA POOTH • Zeitportrait
ISBN-10 3-462-32131-5 / 3462321315
ISBN-13 978-3-462-32131-9 / 9783462321319
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