Solidarisch sein! (eBook)

Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
128 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491350-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Solidarisch sein! -  Ahmad Mansour
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Was heißt Solidarität in Zeiten wie diesen? Der Psychologe Extremismus-Experte Ahmad Mansour traf am Tag nach dem Anschlag in Hanau bei einem Workshop Schülerinnen und Schüler, die sich vor Aufregung kaum konzentrieren konnten. Sie wollten reden und verstehen, was kaum zu verstehen ist. Erfahrungen wie diese macht Ahmad Mansour häufig. Er ist vor Ort und erlebt unmittelbar, wie sich Lehrer und Eltern überfordert, Jugendliche hingegen im Stich gelassen fühlen. Wie können wir sprechen über Extremismus und Hass, über Ängste und Befürchtungen? Solidarität ist gefragt, sowohl beim Staat als auch bei der Gesellschaft. Ahmad Mansour zeigt uns, was das konkret bedeuten kann, wie wir die Opfer und Betroffenen in unsere Mitte nehmen und uns langfristig um sie kümmern können. Es gilt zusammenzuhalten, Sorgen ernst zu nehmen und Empathie zu zeigen. Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine solidarische Gesellschaft!

Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus, zum Beispiel begleitet er Familien von radikalisierten Jugendlichen, Aussteiger und verurteilte Terroristen. Zudem engagiert er sich unermüdlich gegen Antisemitismus. 2015 erschien sein Bestseller »Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen«, 2018 »Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache«. Zum Thema Salafismus und Antisemitismus hat er zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt und in vielen Talkshows mitdiskutiert. Anfang 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention). Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz, den Carl-von-Ossietzky-Preis, den Theodor-Lessing-Preis, den Menschenrechtspreis 2019 der Gerhart und Renate Baum-Stiftung sowie 2022 das Bundesverdienstkreuz am Bande. 

Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus, zum Beispiel begleitet er Familien von radikalisierten Jugendlichen, Aussteiger und verurteilte Terroristen. Zudem engagiert er sich unermüdlich gegen Antisemitismus. 2015 erschien sein Bestseller »Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen«, 2018 »Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache«. Zum Thema Salafismus und Antisemitismus hat er zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt und in vielen Talkshows mitdiskutiert. Anfang 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention). Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz, den Carl-von-Ossietzky-Preis, den Theodor-Lessing-Preis, den Menschenrechtspreis 2019 der Gerhart und Renate Baum-Stiftung sowie 2022 das Bundesverdienstkreuz am Bande. 

Der Pädagoge und Präventionsexperte Ahmad Mansour antwortet (...) mit einem flammenden Plädoyer für mehr Miteinander und gegen Ghettos

Er hat ein erfrischend handfestes Buch darüber geschrieben, was für den Erhalt des gesellschaftlichen Zusammenhalts nottut.

Damit es trotz Rassismus, Antisemitismus und Hass nicht dermaßen finster bleibt, ruft er seinen Leserinnen und Lesern zu: „Solidarisch sein!“ Und macht es plausibel.

Seine Rezepte für einen wirksamen Impfstoff gegen das Virus der Demokratiefeindlichkeit sind so einleuchtend wie ermutigend. Und notwendig.

Für immer in die Seele gebrannt: Der Tag nach Hanau


Es war früh, 5:50 Uhr, um genau zu sein, als der Wecker meines Handys klingelte, ich im Dunkeln danach tastete und den Ton ausschaltete. Ich sah, dass der Bildschirm voller Push-Nachrichten war, doch ich war noch zu müde und meine Augen zu schwach, um irgendetwas zu lesen. Leise ging ich in die Küche, um meine Tochter nicht zu wecken, machte mir einen Kaffee und ein Brötchen, nahm das Handy wieder in die Hand und las:

»Tote durch Schüsse in Hanau.«

»Amoklauf in Hanau.«

»Schüsse in Hanau: Die Polizei bestätigt elf Tote.«

»Mehrere Tote nach Schüssen – Hintergründe unklar.«

»Amok in Shisha-Bars.«

Die Nachrichten fühlten sich an wie eine Lawine, die mich plötzlich überrollte und sprach- und atemlos machte. Schon wieder ein Anschlag, dachte ich, schon wieder Tote. Mit jedem Schluck Kaffee und jeder Nachricht, die ich las, wurde ich trauriger, fühlte mich hilfloser. Ich dachte an die Opfer, an ihre Freunde und Familien. Was mussten sie jetzt durchmachen? Welchen Schmerz und welche Angst mussten sie empfinden?

Ich fragte mich, wer der Täter war. Welchen Hintergrund hat er? Im Namen welcher Ideologie hatte er gehandelt? Wie viele andere Menschen auch, hatte ich den Drang, den Täter sofort einzuordnen. Die einen meinten zu wissen, dass der Täter Islamist war, andere waren sich sicher, es sei ein Flüchtling. Und wiederum andere behaupteten, es sei die Tat eines Rechtsradikalen gewesen. Alle suchten nach Bestätigung für ihr Weltbild.

Stopp!

War das, was ich gerade tat – vorschnell zu urteilen und Vermutungen anzustellen –, nicht genau das Gleiche? Das, was zu Spaltung in der Gesellschaft und Unsolidarität führt? Das, was ich immer wieder kritisiere? Dass solche Taten allzu oft dazu missbraucht werden, das eigene Weltbild zu bestätigen, und dabei immer die Opfer und ihre Familien vergessen werden? Die Kugeln, die diese Menschen getroffen hatten, hatten Menschen aus ihrem Leben und ihrer Familie gerissen, sie hatten Trauer, Wunden, Schmerzen, Ohnmacht und vieles mehr verursacht. Das alles würde durch das Wissen, ob der Täter Islamist oder rechtsradikal war, welches Tatmotiv er hatte und welche Ideologie dahinter stand, nicht milder oder schlimmer.

Während meine Gedanken kreisten, funktionierte ich irgendwie. Ich duschte, zog mich an, dachte an die Schulklasse, die ich gleich für den zweiten Teil eines Workshops treffen sollte, in dem es um Wertevermittlung und Demokratieförderung gehen sollte. Es war der 10. Jahrgang einer Gesamtschule, Mädchen und Jungen gemischt, fast alle mit Migrationserfahrung, sehr heterogen in ihren Einstellungen, jedoch allesamt sehr sensibel, mit großer Wissbegierde und gleichzeitig enormem Redebedarf.

Ich dachte: Was mache ich hier eigentlich? Welche Situation werde ich dort vorfinden? Werden meine drei Kollegen und ich überhaupt in die Klasse reingelassen, oder sagt der Lehrer, er müsse die Stunden jetzt selbst übernehmen, um mit den Schülern über den Anschlag zu sprechen? Aus Israel kannte ich es nicht anders: Dort ist es üblich, dass die Schülerschaft, die Lehrer und die Sozialarbeiter nach solchen Anschlägen in den ersten Schulstunden trauern und Gedanken austauschen. Insgeheim hoffte ich, die Schule oder der Lehrer würde uns nach Hause schicken. Die Vorstellung, unvorbereitet mit Schülerinnen und Schülern, die ich kaum kannte, über eine Tat zu sprechen, von der ich gerade erst erfahren hatte, überforderte mich.

Ich setzte mich in mein Auto und sah plötzlich Bilder, die ich meinte, hinter mir gelassen zu haben.

Israel im Jahr 2004: Das Land war zerrissen. Terror, Hass und Polarisierung bestimmten den Alltag. An einem regnerischen, kalten Morgen saß ich im Auto, der Verkehr bewegte sich nur sehr langsam. Ich wartete, dass die Ampel auf Grün schaltete, hörte Musik. Plötzlich kamen mir Menschen entgegengerannt und liefen an mir vorbei: Eltern, Kinder, Junge, Alte. Ich werde ihre Gesichter und das, was ich in ihnen sah, niemals vergessen. Da war keine Angst in ihren Gesichtern, da war eine Leere. Für ein paar Sekunden verstand ich nicht, was passierte. Dann sah ich den Terroristen.

Er schoss mit seinem Maschinengewehr auf die umstehenden Wagen. Im nächsten Augenblick traf ihn der tödliche Schuss eines israelischen Soldaten. Es waren die schrecklichsten Minuten meines Lebens.

An diesem Tag wusste ich: Hier und auf diese Weise will ich nicht leben – mit allen Konsequenzen, die dieser Entschluss mit sich brachte.

Ich kündigte meine Arbeit, nahm Abschied von den Kollegen, buchte einen Flug und kam mit zwei Koffern und viel Hoffnung wenige Tage später in Berlin-Tegel an.

Bis heute denke ich an den schrecklichen Moment der Todesgefahr zurück. Ich wurde nicht körperlich verletzt. Die Wunden, die ich bis heute spüre, sind psychisch. Dieses und andere Erlebnisse – Bombenattentate, Tote, Bilder von Verletzten und immer die Angst: Was, wenn ich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort bin? – hatten sich für immer in meine Seele eingebrannt.

Jetzt und hier, auf dem Weg zur Schule, saß ich wieder im Auto, und alle Gefühle kamen zurück: die Unsicherheit, die Angst und die Zerrissenheit. All das, was ich in meiner alten Heimat hatte hinter mir lassen wollen, war jetzt wieder da. Meine neue Heimat war vom Terror betroffen.

Ich schaltete das Radio ein. Ich hörte überforderte Moderatoren und Stimmen von Augenzeugen, die kaum Worte für das fanden, was sie erlebt hatten. All das kannte ich aus Israel. Ich sehnte mich nach der ruhigen, traurigen Musik, die sie in Israel an solchen Tagen spielen. Lieder, die von Trauer und Abschied erzählen als Ausdruck von Überforderung und Anteilnahme.

Ich fuhr weiter, schaute in die anderen Autos, fragte mich, was die Menschen darin wohl gerade dachten. Interessierten sie sich für das, was in Hanau passiert war? Hatten sie Angst? Waren sie vielleicht selbst Täter? Alles schien mir in diesem Moment möglich zu sein.

Dann dachte ich wieder an den Workshop, zu dem ich unterwegs war. Wie würde der Workshop ablaufen? Was passierte mit den Themen, die wir vorbereitet hatten? Würden wir sie durchziehen, so, als sei nichts geschehen? Oder war es unsere Pflicht, mit den Schülerinnen und Schülern über den Anschlag zu sprechen?

Ich rief mein Team an, fragte nach ihrer Meinung, und gemeinsam beschlossen wir, erst einmal alle zur Schule zu kommen. Dort führte uns unser erster Weg ins Sekretariat. Die Mitarbeiter schienen irritiert, als wir fragten, ob der Workshop überhaupt stattfinden würde. Die Antwort: »Natürlich. Warum denn nicht?«

 

Als wir ins Klassenzimmer kamen – der Lehrer war nirgends zu finden und tauchte auch den ganzen Morgen nicht mehr auf –, sahen wir in müde Gesichter. Keine Spur der Energie vom letzten Mal, als wir den ersten Teil des Workshops abgehalten hatten. Alle waren langsam in ihren Bewegungen. Keine Freude, uns zu sehen, aber auch keine Ablehnung. Ihnen schien einfach alles egal zu sein.

Wir entschieden uns, in die Runde zu fragen, was die Jugendlichen am Morgen gemacht hatten. Langsam kamen Antworten.

»Nichts.«

»Gefrühstückt.«

»Gechattet.«

»Hausaufgaben gemacht.«

»Hab meine Sneakers nicht gefunden.«

»U-Bahn verpasst.«

Es schien, als hätten sie gelernt, solche Dinge zu erzählen. Der Anschlag der letzten Nacht war da, von Anfang an, mitten im Raum, zwischen uns. Alle konnten ihn fühlen, aber keiner sagte etwas dazu.

Schließlich fragte ich: »Habt ihr von dem Anschlag gehört?«

»Klar!«

»Wie habt ihr davon erfahren?«

»WhatsApp von Freunden.«

»Mit wem habt ihr darüber gesprochen?«

»Mit keinem.«

»Nicht mal mit euren Eltern?«

»Nö.«

»Und was macht das mit euch, wenn ihr solche Nachrichten hört?«

Als habe diese Frage ihnen einen Kübel Eiswasser über den Kopf gegossen, waren sie wach – und ein Sturm der Empörung brach über uns herein: Wie fremdenfeindlich Deutschland sei. Wie hasserfüllt die Mehrheitsgesellschaft mit ihnen umgehe. Sie fragten, wie man Muslime hassen könne, die einfach nur friedlich leben wollten, die keine Chance hätten, weder in der Schule noch bei Türstehern von Clubs, bei der Wohnungssuche, bei der Jobsuche. Sie erzählten uns von ihrer Angst um sich und ihre Familien. Sie fragten, warum es nach dem Anschlag auf die Zeitschrift Charlie Hebdo 2015 eine Schweigeminute gegeben habe und heute nicht. Einer fragte: »Waren die Menschenleben damals mehr wert als die von gestern?« Ich antwortete: »Ich möchte kein Anwalt für eure Schule sein, aber vielleicht kommt das ja noch, vielleicht planen sie etwas. Vielleicht könnt ihr der Schulleitung auch sagen, was ihr euch wünscht.«

Die Schüler lachten. Es klang bitter. Sie waren sich sicher, die Schule würde das alles ignorieren: »Die Opfer waren ja nur Muslime. Um die trauert man nicht.«

Ein Junge schien besonders aufgelöst zu sein. Er – das hatte er uns bei unserem ersten Workshop erzählt – war in Deutschland geboren und mit drei Jahren in den Kindergarten gekommen. Davor war alles schön gewesen. Doch im Kindergarten hatte sich alles geändert, weil er dort zum ersten Mal begriff, dass er anders war. Mit Tränen in den Augen hatte er uns erzählt, wie seine Mutter ihn eines Tages im Badezimmer mit einer Zahnbürste in der Hand fand. Er hatte versucht, seine dunkle Hautfarbe abzuschrubben. Und jetzt? Sagte er mit einer Mischung aus Angst und Wut:...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2020
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aktuelle Themen • Angst • Anschlag • Breitscheidplatz • Debattenbuch • Diversität • Empathie • Halle • Hanau • Islamismus • Opfer • Rechtsextremismus • Solidarität • Terror • Themen der Zeit • Toleranz • Zusammenhalt
ISBN-10 3-10-491350-1 / 3104913501
ISBN-13 978-3-10-491350-6 / 9783104913506
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