Imagineering (eBook)

Wie Zukunft gemacht wird
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
240 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491288-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Imagineering -
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Für einen utopischen Realismus: Wie Zukunft gedacht und gemacht wird Wir genießen heute einen zivilisatorischen Standard in Sachen Freiheit, Sicherheit, Gesundheit und Wohlstand, der historisch unvergleichlich ist. Aber der materielle Stoffwechsel, auf dem dieser Fortschritt beruht, ist im 21. Jahrhundert nicht fortsetzbar, da er für alles und alle - das Erdsystem, das Klima, die Menschen - zu zerstörerisch ist. Jörg Metelmann und Harald Welzer versammeln Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen, die allesamt verdeutlichen: Ein Pfadwechsel in Politik und Alltag ist gefragt!

Jörg Metelmann ist Kultur- und Medienwissenschaftler. Er arbeitet seit 2007 an der Universität St.Gallen (Schweiz), wo er 2014 habilitiert und 2015 zum Ständigen Dozenten und Titularprofessor ernannt wurde. Nach interdisziplinären Forschungsprojekten zu den Themen Medienreligion, Public Value Management, Melodram und Moderne sowie integrativer Wirtschaftsausbildung widmet er sich aktuell den kulturellen Grundlagen der »Großen Transformation« (www.transformatik.de). Letzte Publikationen: »Der Kreativitätskomplex« (Hg., mit Timon Beyes, 2018), »Transformative Management Education« (mit Ulrike Landfester, 2019). Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe. Er ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und des Norbert-Elias-Centers für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. In den Fischer Verlagen sind von ihm u. a. erschienen: »Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, »Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird«, »Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen«, »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens« und - gemeinsam mit Richard David Precht - »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist«. Seine Bücher sind in 21 Ländern erschienen.

Jörg Metelmann ist Kultur- und Medienwissenschaftler. Er arbeitet seit 2007 an der Universität St.Gallen (Schweiz), wo er 2014 habilitiert und 2015 zum Ständigen Dozenten und Titularprofessor ernannt wurde. Nach interdisziplinären Forschungsprojekten zu den Themen Medienreligion, Public Value Management, Melodram und Moderne sowie integrativer Wirtschaftsausbildung widmet er sich aktuell den kulturellen Grundlagen der »Großen Transformation« (www.transformatik.de). Letzte Publikationen: »Der Kreativitätskomplex« (Hg., mit Timon Beyes, 2018), »Transformative Management Education« (mit Ulrike Landfester, 2019). Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe. Er ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und des Norbert-Elias-Centers für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. In den Fischer Verlagen sind von ihm u. a. erschienen: »Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, »Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird«, »Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen«, »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens« und – gemeinsam mit Richard David Precht – »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist«. Seine Bücher sind in 21 Ländern erschienen.

I. ›Zukunft machen‹ denken


Jörg Metelmann

Grüne Wiesen mit Klee


Transformatik oder: »Bessere Erkenntnis« durch ästhetische Bildung

»Mein Rat ist daher, nichts zu forcieren und alle unproduktiven Tage und Stunden lieber zu vertändeln und zu verschlafen, als in solchen Tagen etwas machen zu wollen, woran man später keine Freude hat.«

Goethe zu Eckermann

Einleitung: Mein metropa-Europa


Es kommt nicht oft vor, dass man sich bei der morgendlichen Zeitungs- oder Social-Media-Lektüre wirklich angeregt fühlt. Also nicht angesprochen (als Bürger, der an die Wahlen am Sonntag erinnert wird), angeschrien (als Konsument, von der MediaMarkt- oder XXL-Lutz-Beilage) oder angeflüstert (als Freizeitaktivist, von einer Wanderroute im Reiseteil). Nein, ich meine wirklich angeregt, so dass einem etwas nicht aus dem Kopf gehen mag und sich das Nachfühlen und Nachdenken über den ganzen Tag hinzieht, ohne dass man zu einer abschließenden Einschätzung käme. Das letzte Mal ist mir das passiert, Zufälle gibt es nicht, kurz bevor ich mit der intensiven Arbeit an diesem Sammelband begann. Da gab es in der Süddeutschen Zeitung (Matzig 2020) auf einer ganzen Seite ein U-Bahn-Netz zu sehen, das aber nicht die Teile einer Stadt, sondern die Länder eines ganzen Kontinentes verband: Europa. Ungläubig zuerst, dann beglückt folgte ich mit den Augen, dann mit den Fingern den farbigen Linien, die Dublin und Istanbul so verbanden wie in München den Hasenbergl mit Fürstenfeldbruck oder in Berlin Pankow mit dem Ostkreuz. Da gab es eine L5 von Lissabon nach St. Petersburg und eine Paneuropa-Ringbahn über Paris, Hamburg, Riga, Sarajevo, Genua und Bordeaux zurück nach Paris, unglaublich! Man stelle sich das nur mal vor! Ich reiste im Kopf und fühlte mich so sehr wieder als bestärkter Europäer, wie ich mich in den Wochen danach, in der Corona-Ausgangsbeschränkung, angesichts der nationalstaatlichen Alleingänge als geschwächter und enttäuschter Europäer fühlte.

So toll kann sich Europa anfühlen!

Metropa – die Vision einer europäischen Superschnellbahn des Musikers und Künstlers Stefan Frankenberger aktivierte Körper und Seele, das sinnliche Herumstreichen über die Linien des Netzplans auf dem leicht angerauten Zeitungspapier, das beglückende Gefühl der Aussicht, dass es ja vielleicht in meiner Lebenszeit noch klappen könnte, einmal selbst mit einem solchen metropa-Zug zu fahren (nach Marrakesch mit der L1, dazu Tea in the Sahara (with you) von The Police hören), das spielerische Jonglieren mit Wissensbausteinen von Elon Musks Hyperloop-Technologie, die man nutzen könnte, über verschlüsselte Ticketkontrollsysteme und Cargo-Einheiten am Ende der Personenzugreihe bis hin zu politischen Erwägungen, ob, wie und wann die L1 am anderen Ende der Metrolinie tatsächlich je bis nach Tel Aviv reichen könnte. Es war und ist ein lustvolles Erleben, auf diesen Netzplan zu schauen, aber nicht nur das. Die Vorstellung einer solchen Mobilität setzte und setzt auch Energien frei, sich anders mit dem Thema auseinanderzusetzen als die Kommission in Brüssel oder der Bundesverkehrsminister – also anders als technisch-solide, status-quo-verhaftet, lobby-getrieben.

Indem Frankenberger mit einem einfach-genialen Transfer ›die Realität‹ künstlerisch ein bisschen verrückt, öffnet er ein Tor zu einer »besseren Erkenntnis«, die nicht nur mentalen Gehalt hat, sondern eine gelebte Wirklichkeit ist: Ich kann mich in dieser Bahn sitzen sehen und mit der L4 von Stuttgart nach Salzburg fahren fühlen! Das »besser« dieser Erkenntnis ist also nicht ein Optimierungsschritt, wie wir das aus der kapitalistischen Innovationsmaschinerie gewöhnt sind. Es ist auch nicht ein »besser« im moralischen Sinne einer ethisch angemesseneren Art und Weise, Probleme des Zusammenlebens zu lösen, also z.B. nicht auf Kosten der Umwelt oder der kommenden Generationen zu leben.

In beiderlei Hinsicht, also im Umgang mit Wissen und Ethik, müssen wir natürlich weiter ›besser‹ werden, man denke nur aktuell an neue Fragen der Epidemiologie und des Ausnahmezustandes, aber auch an Fake News, Populismus, Ressentimentalität, Hetze usw. Aber darum geht es hier zunächst nicht: Es ist eine »bessere Erkenntnis«, weil sie gerade kein Erkenntnisurteil und kein moralisches Urteil von mir verlangt. Ich kann beim Erfahren dieser Kunst einfach angeregt sein, Lust in der Schwebe der vielen Assoziationen empfinden und so eine andere Position in der Welt und zur Welt einnehmen. Eine Mini-Selbsttransformation im Raum des Ästhetischen.

Im folgenden Beitrag möchte ich skizzieren, wie man die Elemente, die ich in diesem illustrativen Beispiel einer Kunst der Transformation gefunden habe, systematisch entfalten kann zum Vorschlag einer Poetik, die methodisch auf den selbstverändernden Teil des Wandels abzielt. Ich nenne sie TRANSFORMATIK. Die Ausgangsthese dazu lautet: Wir brauchen zur Großen Transformation weder noch mehr Wissen noch mehr Moral noch mehr Technologie. Alles ist im Übermaß vorhanden, doch es kommt nicht zur Umsetzung. Was fehlt, ist der gesellschaftliche Spielraum für die persönliche Gestaltung des Wandels. Dieser Raum liegt im Ästhetischen. Die Leitfrage ist: Wie komme ICH dazu, mich als konstruktiven Teil einer sozialen Denk- und Gefühlsbewegung des WIR zu imaginieren, der sich bewegt und damit etwas bewegt? Transformatik ist eine Methode oder Lehre des gesellschaftlichen Wandels, die »bessere Erkenntnis« durch ästhetische Bildung in den Fokus stellt. Im Folgenden möchte ich dieses Ideenfeld in drei Schritten durchwandern: Erstens erläutere ich den künstlerischen Produktionsrahmen, dem ich die Idee einer »besseren Erkenntnis« entnommen habe, der »Schöpferischen Konfession« von Paul Klee aus dem Publikationsjahr 1920. Hierbei komme ich auch noch einmal ausführlicher auf das metropa-Projekt zu sprechen. Zweitens möchte ich mit dem Konzept einer DELIBERATIVEN IMAGINATION die zentrale Rolle der Ästhetik hervorheben, was mich drittens und abschließend zu vier Perspektiven führt: Transformatik vs. Informatik, Transformatik und das »Terrestrische«, Transformatik und »transformative Literacy« und schließlich polit-ökonomische Konsequenzen der Transformatik (Schutz des Lebens, Grundeinkommen).

I. »Eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis« mit Paul Klee


Der deutsch-schweizerische Maler Paul Klee war schon knapp 40 Jahre alt und hatte schon eine kreative Metamorphose auf der berühmten Tunis-Reise mit August Macke durchlaufen, als er sich im Jahr 1918 daranmachte, Gedanken über seine Ästhetik zu notieren, die er 1920 unter dem Titel »Schöpferische Konfession« publizierte. Der Text heißt im handschriftlichen Original »Graphik« und beginnt wie folgt:

»Entwickeln wir, machen wir unter Anlegung eines topographischen Planes eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis. Über den toten Punkt hinweggesetzt sei die erste bewegliche Tat (Linie). Nach kurzer Zeit Halt, um Atem zu holen. (Unterbrochene oder bei mehrmaligem Halt gegliederte Linie). Rückblick, wie weit wir schon sind (Gegenbewegung). Im Geiste den Weg dahin und dorthin erwägen (Linienbündel). Ein Fluss will hindern, wir bedienen uns eines Bootes (Wellenbewegung). Weiter oben wäre eine Brücke gewesen (Bogenreihe).« (Klee, zitiert nach Klingsöhr-Leroy 2018, S. 9)

Klees Gegenstand bei dieser ästhetischen Reflexion sind Landschaften. Sie spielen im Werk Klees eine besondere Rolle, was sich an einer Vielzahl von Titelnennungen zeigt, wobei die Motive selten der Erwartung an die traditionelle Bildgattung entsprachen: Denn Landschaft ist bei Paul Klee »kein wirklicher, sondern ein imaginärer Ort, der die allgemeine Vorstellung von Landschaft als Folie nutzt, um ›eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis‹ zu unternehmen« (Klingsöhr-Leroy 2018, S. 9).

Was meint Klee damit? Für unsere Transformatikzwecke zugespitzt gesagt: Er möchte die erwartete Abbildung des Wirklichen hinter sich lassen und in der Bewegung mit dem Betrachter etwas Neues, Anderes sichtbar werden lassen (bewusst mit sehr großem ›A‹ für ›wirklich anders‹). Der Gegenstand der Reflexion soll seine Gegenständlichkeit, seine Realität und Natürlichkeit verlieren. Es geht elementar darum, von uns allem Vertrauten (wer hätte nicht das Bild einer grünen Wiese vor Augen?) Abstand zu nehmen, um zum Unvertrauten zu kommen, das als Möglichkeit immer schon mit gegenwärtig ist.

Paul Klee – Gewölk über BOR (1928)

Das ist bei Klee nun gerade keine Hinterwelt, die nur wenige Hinterweltler kennen. »Das Land der besseren Erkenntnis« ist keine ›wirklichere Wirklichkeit‹ aus dem philosophischen Märchenwald der metaphysischen Letztbegründung, sondern eine konkrete Tätigkeit der Wahrnehmung und Selbstaktualisierung (alle Vermögen fließen ein: Assoziationen, Erinnerungen, Körpergefühl etc.). Hierin liegt die besondere Pointe: Der Betrachter wird durch den Wanderer ersetzt, der im...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2020
Zusatzinfo 24 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Björn Müller • Gesellschaft • Klimawandel • Kris Krois • Lebenslanges Lernen • Nachhaltigkeit • Politik • Ressourcen • Solidarität • soziale Innovation • Stefan Schwall • Transformation • Zukunft
ISBN-10 3-10-491288-2 / 3104912882
ISBN-13 978-3-10-491288-2 / 9783104912882
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