Auch nur ein Mensch (eBook)

Politiker und ihre Leidenschaften - und was sie uns über sie verraten - Ein SPIEGEL-Buch

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
288 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-25272-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auch nur ein Mensch -  Marc Hujer
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Politiker und ihre Hobbys - ein Reporter im Selbstversuch
SPIEGEL-Autor Marc Hujer hat hinter das öffentliche Bild deutscher Spitzenpolitiker geschaut - und Menschen entdeckt, die fernab der Öffentlichkeit mitunter überraschende Hobbys pflegen. Beim Pralinenherstellen mit Anton Hofreiter, auf dem Tanzparkett mit Katrin Göring-Eckardt oder beim Crossfit-Training mit Lars Klingbeil lernt er neue Seiten des vermeintlich bekannten Personals der deutschen Politik kennen - und erlebt es weniger kontrolliert, weniger inszeniert, unmittelbar und ungewohnt. Hujers ebenso unterhaltsame wie erhellende Porträts zeigen, dass das Streben nach Macht und die Bekämpfung des politischen Gegners nicht alles für Politiker sind und ihre privaten Leidenschaften viel darüber verraten, wie man in der Politik erfolgreich sein kann. Mit zahlreichen exklusiven Fotos.

Marc Hujer, geboren 1968, begann seine journalistische Laufbahn bei der »Süddeutschen Zeitung«, für die er von 2000 bis 2005 aus den USA berichtete. Seit 2005 ist er für den SPIEGEL tätig, davon viele Jahre als Washington-Korrespondent des Nachrichtenmagazins. Seit dem Sommer 2014 arbeitet er im Hauptstadtbüro des SPIEGEL in Berlin und porträtiert dort vor allem deutsche Spitzenpolitiker. Bei DVA hat er 2009 eine politische Biographie Arnold Schwarzeneggers veröffentlicht.

Winning Ugly


Tennis mit Markus Söder

In seiner politischen Karriere war dem bayerischen Ministerpräsidenten fast jedes Mittel recht, um nach oben zu kommen. Auf dem Tennisplatz versucht er, lässig zu sein.

Markus Söder war 13 Jahre alt, als er zum ersten Mal Tennis spielte. Sein Vater Max Söder, Maurermeister aus der Nürnberger Westvorstadt, hielt nicht viel von Sport, schon gar nicht von Tennis. Wenn er schon Sport treiben wolle, riet ihm der Vater, solle er lieber einen Kasten Bier in den Keller tragen. Sein erster Schläger war einer von Intersport für 20 D-Mark. Zur Konfirmation bekam Markus Söder erstmals einen besseren geschenkt, einen Völkl-Schläger aus Carbon. Seine Mutter zahlte ihm heimlich Trainerstunden beim ATV Nürnberg, und so lernte er alles, was man als Tennisspieler können muss: Vorhand, Rückhand, Aufschlag, Volley und Smash, auch den Unterschied zwischen Topspin und Slice. Nach der Schule ging er auf den Tennisplatz, spielte gegen andere Jungs und schaute Mädchen in ihren Tennisröckchen hinterher. Als er gut genug war, spielte er mit der Vereinsmannschaft in der Bezirksliga und wurde von einem Kroaten trainiert, »dem Jugo«, der ihn mit Brad Gilbert verglich, einem amerikanischen Tennisprofi, der in den Achtzigerjahren für seine hässliche Art, Tennis zu spielen, gefürchtet war. Gilbert spielte bodenständiges Tennis, ohne spektakuläre Schläge, quälte aber seine Gegner mit Psychotricks und unangenehmen Schlägen und gewann.

Söder fand das interessant: Ein Mann, der die Hässlichkeit seines Spiels zu einer speziellen Form von Cleverness erhob.

Gilbert war zwar nie die Nummer eins, aber die Besten seiner Zeit hat er alle mal geschlagen: John McEnroe, Jimmy Connors, Boris Becker, Andre Agassi. Nach dem Ende seiner Karriere schrieb er darüber ein Buch, das er Winning Ugly nannte, hässlich gewinnen, und als Ratgeber für »mentale Kriegsführung im Tennis« verkaufte. Er beschreibt darin, wie er die Großen zur Verzweiflung trieb, zum Fluchen, zum Schlägerwerfen, ja zu dem Entschluss, die Karriere zu beenden, aus Scham, gegen ihn verloren zu haben. »Wenn ich gegen Spieler wie ihn verliere«, zitiert Gilbert John McEnroe, »was soll ich noch auf dem Platz?«

Das kam an. Winning Ugly wurde ein Bestseller, weltweit.

Auch Markus Söder hat das Buch gelesen.

Vor dem Spiel


»Wenn das Match beginnt, hat es schon längst begonnen.«

Brad Gilbert, Winning Ugly

An einem Februarmorgen im Jahr 2020 sitze ich in der Tennishalle des 1. FC Nürnberg und warte auf Markus Söder. Wir sind zum Tennisspielen verabredet, zum zweiten Mal.

Das erste Mal ist ziemlich genau zwei Jahre her, gleiche Zeit, gleicher Ort, ein Morgen Anfang März, ebenfalls die Tennishalle des 1. FC Nürnberg, und doch liegen zwischen diesen beiden Tagen Welten. Damals war Markus Söder noch nicht Ministerpräsident, sondern lediglich designiert, er war noch nicht CSU-Vorsitzender, sondern lediglich Vorstandsmitglied, er stand überall kurz davor: die Spitze zu stürmen, die neue Nummer eins zu werden. Aber den letzten Machtkampf mit Horst Seehofer, der bis zuletzt alles daransetzte, Söders Aufstieg zu verhindern, hatte er noch nicht gewonnen.

Als ich damals zur Tennishalle lief, rief mich seine Pressesprecherin an und wollte wissen, wie lange ich noch brauchen würde. Es überraschte mich, weil ich absolut pünktlich war, der Anruf kam zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin, und ich war vielleicht noch zwei Minuten entfernt. Aber ich fühlte mich ertappt. Söder war offenbar schon da und wartete auf mich. Ich bekam ein schlechtes Gewissen und war, noch bevor das Match auf dem Tennisplatz begonnen hatte, in der Defensive.

Über Markus Söder heißt es, dass er immer schon da ist, wo seine Gegner erst hinkommen wollen. Als Landesvorsitzender der Jungen Union stand er im Ruf, auf jedem Schrebergartenfest der Erste zu sein und im Zweifel auch noch das Fass Bier selbst mitzubringen. Später, als bayerischer Minister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, verteilte er fast täglich neue Förderbescheide, lud Kommunalpolitiker zu Heimatempfängen ein oder bedachte sie mit Ehrungen. Wenn es darum ging, Mehrheiten in der Partei zu organisieren, war er nicht einzuholen, die entscheidenden Leute hatte er schon angerufen, bevor andere es tun konnten. Der »Immer-da-Söder« hieß er, der es stets schafft, allen zuvorzukommen.

Nur diesmal nicht; das hatte ich mir fest vorgenommen.

Wir sind wieder um 11 Uhr verabredet, wie vor zwei Jahren, aber diesmal bin ich weit vor der vereinbarten Zeit da, um mich nicht noch einmal überholen zu lassen.

Aber diesmal versucht er nicht einmal, pünktlich zu sein.

Am Tag zuvor hatte sich wieder einer seiner Pressesprecher gemeldet, um zu erfahren, was ich von Söder wollte, außer ein bisschen Tennis mit ihm zu spielen und ihn dabei fotografieren zu lassen, was er bei unserer ersten Begegnung auf dem Platz nicht zulassen wollte. Ich sagte seinem Sprecher, ich würde ihn darüber hinaus gern zu einer Revanche herausfordern.

Damals haben Söder und ich nämlich ein Match gespielt, das er gewann, wenn man es tatsächlich ein Match nennen will: Denn mehr als zwei Aufschlagspiele wollte Söder nicht spielen, bis es entweder 1 : 1 oder 2 : 0 für den einen oder den anderen stand. Das war seine Idee.

Ein ganzes Match war ihm zu lang, ein ganzer Satz ebenfalls. Nach zwei Aufschlagspielen führte Söder 2 : 0, er spielte überraschend fehlerfrei dafür, dass er, wie er sagte, zuletzt kaum auf dem Platz gestanden habe. Keinen einzigen Doppelfehler machte er, auch keinen leichten Fehler, weder mit der Vorhand noch mit der Rückhand. Ans Netz ging er nie, er wartete auf meine Fehler.

Ich verlangte schon damals eine Revanche. »Noch einmal zwei Aufschlagspiele«, rief ich Söder über das Netz hinweg zu. »Wenigstens einen Tiebreak!« Aber er schüttelte den Kopf. Ich würde jetzt ja ohnehin gewinnen, wegen meiner besseren Kondition.

»Ich schenke Ihnen das Spiel«, rief er demonstrativ großzügig.

Tennisspieler teilen ihre Gegner gern in zwei Kategorien ein: auf der einen Seite die Spieler, die alles beherrschen, die technisch perfekt und vielseitig sind, die eigentlichen Stars, die man für ihr Spiel respektiert, ja verehrt; auf der anderen Seite die sogenannten Schüttler, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie jeden Ball zurückschlagen, egal wie. Bei ihnen kommt es weniger auf die Schönheit der Schläge an, sie strampeln sich ab während des Spiels, und was sie vor allem brauchen, ist Zähigkeit und Kondition.

Es ist deshalb nicht unbedingt freundlich gemeint, wenn ein Tennisspieler dem anderen Tennisspieler eine »bessere Kondition« bescheinigt. Im Gegenteil.

Aber jetzt, zwei Jahre später, beginnt ja alles von vorn, von Null, auch konditionell.

Ich hoffe bis zuletzt auf eine Revanche.

Es ist Viertel vor zehn, als Markus Söder endlich die Tennis­halle des 1. FC Nürnberg betritt, gefolgt von einer Boygroup älterer Männer, unter denen auch der langjährige stellvertretende Vorsitzende der Tennisabteilung des 1. FC Nürnberg ist, der Söder nicht nur den Herrn Ministerpräsidenten nennt, sondern »unseren Landesvater«. Söder hat einen breiten, leicht schwankenden Gang, ein Baumstamm auf Beinen. der auch seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten nicht eleganter geworden ist.

Er trägt einen Trainingsanzug des 1. FC Nürnberg, schwarz, streifenfrei, nur mit dem rot-weißen Vereinswappen auf der linken Brust, dazu schwarze Allzweckschuhe, die auch gut zu einem schwarzen Anzug passen würden. Es ist, als versuche er selbst auf dem Tennisplatz noch so viel Ministerpräsident wie möglich zu bleiben, gerade er, der vor seiner Zeit als bayerischer Regierungschef für seinen Hang zu allerlei Verkleidungen bekannt war.

Bevor er Ministerpräsident wurde, war die Prunksitzung des Fastnacht-Verbandes Franken in Veitshöchheim bei Würzburg sein wichtigster Termin, das größte bayerische Fernsehereignis mit über vier Millionen Zuschauern; mehr Menschen auf einen Schlag konnte er für den Rest des Jahres kaum erreichen. Der Aufwand, den er dafür betrieb, war außergewöhnlich groß. Ein Maskenbildner, den er eigens vom Nürnberger Staatstheater engagierte, verwandelte ihn in jeweils mehrstündigen Sitzungen in die Person seiner Wahl. »Man muss sich schon Mühe geben«, sagte Söder, als ich ihn auf seine aufwendigen Verkleidungen ansprach, sonst sei das wie im Film »Das Leben des Brian«, nur Klamauk.

Mal ging er als Shrek, mal als Homer Simpson, mal als Marilyn Monroe, als Eisbär »Flocke« aus dem Nürnberger Zoo oder als Punk im schwarzen Muskelshirt mit der Aufschrift: »Hast Du mal nen Euro«, ein Kostüm, mit dem er es 2012 sogar auf die Titelseite des Wall Street Journal schaffte. Im Fasching 2018 schließlich, dem letzten, bevor er Ministerpräsident wurde, trat er als Prinzregent Luitpold auf. Seitdem kommt er unverkleidet. Er ist jetzt, auch im Fasching, nur noch er selbst.

Als ich ihn das erste Mal zum Tennis traf, hatte er sich dafür sein »Wimbledonshirt« herausgesucht. So nannte er das grün-violett gestreifte Poloshirt, das er bei einem Besuch des Tennisturniers aller Tennisturniere in Wimbledon gekauft hatte.

Er kam als Tennisstar verkleidet, als Wimbledonspieler.

In dieser Zeit schien er offenbar zu glauben, er müsse, was Weltläufigkeit betrifft, noch etwas beweisen. Sein Rivale Horst Seehofer reiste damals...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2020
Zusatzinfo mit Farb-Abb.
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Blick hinter die Kulissen • Christian Wulff • claudia roth • eBooks • Hobbys • Kevin Kühnert • Markus Söder • Reportagen • Sahra Wagenknecht • Selbstversuch • Spitzenpolitiker privat
ISBN-10 3-641-25272-5 / 3641252725
ISBN-13 978-3-641-25272-4 / 9783641252724
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