Zweisam. Dreisam. Einsam? (eBook)
240 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-26263-1 (ISBN)
In der Zeit nach der Familiengründung kommt die Zweisamkeit als Paar häufig zu kurz. Quälender Zeit- und Schlafmangel, unerfüllbare Erwartungen an sich selbst oder auch schwierige Familienkonstellationen führen zu vermehrten Konflikten. Hierdurch fühlen sich Elternteile häufig einsam, verlassen und unverstanden, wodurch Paare in handfeste Krisen geraten können.
Deshalb haben die Psychologinnen Micaela und Ulrike Peter diesen paartherapeutischen Ratgeber geschrieben. Er zeigt Eltern, wie sie trotz der Strapazen und Veränderungen des Elternseins eine lebendige Beziehung führen und Mann und Frau bleiben können. Auf emphatische Weise brechen die Autorinnen mit geltenden Tabus über das Elternsein und zeigen mit zahlreichen Übungen, Fragebögen und Leitfäden hilfreiche Wege zurück zur partnerschaftlichen Liebe auf.
Micaela Peter ist als Psychologische Psychotherapeutin für Paar-, Familien-, Trauma- und Verhaltenstherapie sowie Business- und Gesundheitscoach seit 20 Jahren in eigener Praxis und als sachverständige Gutachterin am Familiengericht tätig. Sie betreibt den Podcast »Elternliebe«. Zudem berät sie internationale Konzerne zum Thema gesundheitsgerechte Führung und trainiert deren Führungskräfte in ihrer persönlichen Entwicklung.
»Wahrhaftig zu lieben bedeutet, die Komfortzone
seiner eigenen Perspektive zu überschreiten.«
Micaela Peter und Ulrike Peter
Kapitel 1
Wieder zweisam sein
Meine Frau, ihr Kind und ich
Eigentlich hat es bereits im Kreißsaal begonnen. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er sich so fehl am Platz gefühlt. Schrecklich unnütz und komplett hilflos. Neben ihm seine stöhnende, von Wehenschmerzen gepeinigte, animalisch schreiende Frau. Er war definitiv der Letzte, der ihr jetzt würde helfen können. Wie auch? Mit Atmen? Bereits im Geburtsvorbereitungskurs war ihm unmissverständlich klar geworden, welch nutzlose Veranstaltung ein Hechelkurs mit Vätern war. Ein erbärmlicher Versuch, etwas zu verbinden, was die Natur in Jahrtausenden der Evolution wohl offensichtlich zu Recht getrennt hatte: Männer und Frauen bei der Geburt. Diese Hebamme hatte es wohl generell nicht so mit Männern. Vor versammelter Mannschaft bügelte sie ihn schroff und verächtlich ab. Nur weil er gefragt hatte, ob es denn im Kreißsaal ein Fenster gebe. »Zum Rauchen müssen Sie schon vor die Tür gehen.« Danke, Botschaft verstanden. Hier geht’s gar nicht um mich. Ich bin hier nur der Depp, der zwar brav mitlaufen, aber ansonsten einfach nur die Klappe halten soll.
Keiner der immer mal wieder hereinschneienden Ärzte sprach mit ihm über den Geburtsablauf, die garstige Hebamme schon gar nicht. Vielmehr vermittelte sie ihm in jeder Sekunde das Gefühl, dem einzig wichtigen Menschen hier im Raum, der Mutter, die wertvolle Luft zum Atmen zu rauben. Es waren 26 Grad Wohlfühltemperatur im komplett abgedunkelten, natürlich fensterlosen Zimmer. Schon zwölf Stunden Quälerei im Kreißsaal, davor bereits 30 Stunden Schlafmangel. Nichts ging voran, der Muttermund noch immer beharrlich verschlossen. Sein Kampf gegen die Müdigkeit erwies sich als aussichtslos, für einen taumeligen Moment nickte er weg. »Dein Mann könnte dir ja vielleicht mal ein Glas Wasser besorgen, wenn er ausgeschlafen hat«, kam prompt die Quittung. Jule dagegen war ganz begeistert von ihr: »Weißt du, Schatz, in so einem Moment braucht man eine Löwin, die für einen kämpft. Ohne sie hätte der Arzt über meinen Kopf hinweg einen Kaiserschnitt angeordnet, und wir hätten nie diese wunderbare Erfahrung einer natürlichen Geburt erlebt. «
Wenn sie »wir« sagte, konnte sie ihn gar nicht meinen, denn er hatte die Geburt überhaupt nicht miterlebt. Als die Herztöne des Kindes plötzlich dramatisch abflachten, rauschte ein fliegendes OP-Kommando in den Kreißsaal, nahm Jule samt Bett in seine Gewalt und verfrachtete sie beeindruckend schnell in den Operationssaal. Ihn hatten sie unbeachtet in seinem Sessel sitzen lassen, als hätte er nichts mit der Sache zu tun. Er hätte ja eh nur gestört. Das stechende Gefühl dieses Augenblicks ist er seither nie mehr so richtig losgeworden. Im Gegenteil, es hat sich immer weiter verstärkt, inzwischen ganze 18 Monate lang. Selbstverständlich ist die Kleine Papis Prinzessin. Er liebt sie über alles, war vom ersten Moment an hin und weg von ihr und ging ganz in dem berührenden und stolzen Gefühl auf, ihre Tochter sei etwas ganz Besonderes und Wunderbares. Ja, die kleine Lilly war der lebende Beweis ihrer Liebe, dachte er, und die würde von nun an nur noch größer und schöner werden.
Von wegen. Von Anfang an hat er nie so richtig dazugehört. Und inzwischen beschleicht ihn dieses besorgniserregende Gefühl, dass sich das auch nicht mehr verändern wird. In der ersten Zeit war Jule immer fix und fertig, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam. Sie drückte ihm die Kleine in den Arm, noch bevor er die Türschwelle überschritten hatte. Gleichzeitig machte er natürlich alles irgendwie falsch, sogar das Kuscheln. »Nicht so, sie kann doch ihr Köpfchen noch gar nicht allein halten, du willst ihr doch nicht das Genick brechen … Schatz, zieh das Fläschchen nicht immer raus, sonst schluckt sie Luft und quält sich wieder die ganze Nacht.«
Ganz schlimm war es bei Besuchen anderer Mütter nach dem Babyschwimmkurs. Fünf Frauen, fünf Babys, ein gemeinsames Feindbild: Der tölpelhafte Mann, der keine leise Ahnung davon hat, was die Mutter den ganzen Tag leistet, während er gemütlich seiner Jobroutine nachgeht. Und dann erwartet er abends auch noch wie selbstverständlich ein Abendessen. Hahaha. Zu Beginn hatte er brav die humorvolle und souveräne Rolle gespielt, ab und an war es auch amüsant. Doch irgendwann war es nicht mehr lustig, denn er kapierte, dass es sich keineswegs um Spaß handelte. Er war selbst dann noch der Undankbare, als er sich längst angewöhnt hatte, mittags warm in der Kantine zu essen, um sich zu Jules Entlastung am Abend mit selbst geschmierten Broten zu begnügen. Hätte sie auch nur den Hauch einer Ahnung, wie ungenießbar dieses Kantinenfutter für ein Schlemmermaul wie ihn ist, sie würde es als ultimativen Liebesbeweis erkennen.
Früher haben sie abends immer zusammen gekocht. Oft asiatisch. Sich vom Tag erzählt. Gelacht. Davon konnte keine Rede mehr sein. Während der Stillzeit waren Knoblauch und scharfe Gewürze tabu. Nun sind es die restlichen, beharrlichen Pfunde, die zum Wohlbehagen noch verloren werden müssen. Und so verläuft jetzt jeder Abend gleich: mit kalten Schnittchen, ermüdender Glotze und dem Ohr stets am Babyfon. Bis 22 Uhr ist Jule bereits mehrfach eingenickt, kurz darauf verschwindet sie ins Bett. Zumindest gibt es dann noch den entkräftet gehauchten Gute-Nacht-Kuss, oft die einzige Berührung am Tag. Die Wochenenden sind inzwischen ausnahmslos von den Interessen und Annehmlichkeiten einer Anderthalbjährigen bestimmt. Er trottet stets brav mit.
Der Babyflohmarkt letzte Woche war der Tiefpunkt. Die Halle stank säuerlich nach Stillkissen und Babykotze. Dutzende Mütter verscherbelten Tonnen von Kinderspielzeug, während sie sich in ausschweifende Geschichten vertieften, die nur Mütter von Babys erleben und interessieren. Er wunderte sich: Wo waren all die anderen Väter? Vielleicht im Fußballstadion, mit Freunden unterwegs oder beim Sport? Er war offensichtlich der einzige Volltrottel hier. Dummerweise ließ er sich am Abend dazu hinreißen, diese Gedanken laut auszusprechen: Er habe die Schnauze voll davon, immer nur ausgegrenzt zu werden, alles drehe sich nur noch ums Kind, so habe er sich das Familienleben nicht vorgestellt … Armageddon.
Jule schien fast zu kollabieren. Er war sich nicht sicher, ob sie auf ein Geständnis, eine Geliebte zu haben, vielleicht sogar milder reagiert hätte. Von jetzt auf gleich mutierte er zum väterlichen Totalreinfall. Sie habe ja schon immer Zweifel an seinem Kinderwunsch gehabt. Und jetzt, wo sie auf ihn angewiesen sei, gehe es ihm plötzlich nur noch um sich. Wie könne man nur so egoistisch sein? »Glaubst du eigentlich, es ist ein Zuckerschlecken, den ganzen Tag nichts als Mutter zu sein? Du hast ja schließlich noch deinen Job. Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich hier den ganzen Tag stemme? Und dann soll ich abends frisch und fröhlich sein, wenn du nach Hause kommst?« War das die Basis ihrer Beziehung? Sollte sie das gewesen sein, die gute alte Zeit als Paar? Hatte sie wirklich dieses Bild von ihm, so wenig Vertrauen? In seiner Gekränktheit war er kurz versucht zu kontern, schluckte es aber Gott sei Dank doch hinunter. Wann hatte sie sich das letzte Mal Mühe gegeben, attraktiv für ihn zu sein? Wann hatten sie sich zuletzt in den Arm genommen, sind zusammen eingeschlafen? Vom Liebesleben ganz zu schweigen. Das gehört längst der Vergangenheit an, scheint in weite Ferne gerückt.
Auch wenn sie es nie ausspricht, er merkt ihr dieses Gefühl der Befreiung an, wenn die Kleine endlich schläft und keiner mehr an ihr hängt und zieht. Sie hat sich fast unmerklich ihre kleine eigene Ecke auf der Couch erobert, Botschaft: Bloß nicht kuscheln. Endlich wieder Zeit für mich. In Jogginghose und Sweater. Scheiß auf chic. Aber es gibt Ausnahmen. Auf dem Weg zum Kinderspielplatz ist sie neuerdings wie ausgewechselt. Als er kürzlich ein Selfie von ihr und Lilly auf der Schaukel bekam, konnte er es zunächst kaum glauben: Jule im Stiftrock, der Nagellack passend zur Mütze, unter der die frisch geföhnten Haare lebendig heraussprangen. Sie sah aus wie ein Mädchen von den Champs-Élysées, das sich auf einen Kreuzberger Spielplatz verlaufen hat. Im Hintergrund spielte Dennis aus der Krippengruppe, daneben wohl sein Vater? Der arbeitet nur noch auf halber Stelle, damit sich die Eltern die Betreuung teilen können. Bislang kannte er ihn nur aus Jules begeisterten Erzählungen, die Geschichten über den TeilzeitSuper-Daddy Stefan hängen ihm zum Hals raus. »Das ist so toll, wie viel Zeit er mit Dennis verbringt. Du müsstest die beiden mal zusammen sehen, da geht einem echt das Herz auf, die sind total eins. Stefan hat die Ruhe weg …« Blablabla. Total eins: Das kann man von ihm und seiner kleinen Prinzessin nun wirklich nicht behaupten. Zugegeben, er ist oft überfordert, wenn er sich mit der Kleinen beschäftigen will. Puppen anziehen und kämmen, das ist nicht so sein Ding. Und natürlich rennt sie dann früher oder später zu Mama. Manchmal steigt dann richtig Wut in ihm auf – auf sich selbst, die Situation, Jule und sogar auf die Kleine. Das erschreckt ihn am meisten.
Hat Jule am Ende mit ihrer Kritik und ihren Zweifeln Recht? Vielleicht ist er wirklich zu egoistisch, nicht aufopfernd genug für einen guten Vater? Hat er sich das alles vielleicht viel zu lange schöngeredet? Fest steht: Er kann und will nicht mehr. Er hat es satt, immer das fünfte Rad am Wagen zu sein, immer alles falsch zu machen, eigentlich nur ein Störfaktor in der sonst so gut geölten Mutter-Kind-Maschine zu sein. Vielleicht ist es ganz gut,...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität |
Sozialwissenschaften ► Soziologie | |
Schlagworte | Beziehung • Beziehungsprobleme • Beziehungsratgeber • eBooks • Eheberatung • Einsamkeit • Eltern • Elternschaft • Elternsein • Eltern werden • Eltern wieder Liebespaar • Familienalltag • Familienkonflikte • Gesundheit • Konflikt • Paarberatung • Paarbeziehung • Paartherapie • Partnerschaft • Psychologie • Ratgeber |
ISBN-10 | 3-641-26263-1 / 3641262631 |
ISBN-13 | 978-3-641-26263-1 / 9783641262631 |
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