Kurzschlusspolitik (eBook)

Wie permanente Empörung unsere Demokratie zerstört
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99648-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kurzschlusspolitik -  Henrik Müller
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- Wie die rasante Beschleunigung der Politik unsere Gesellschaft spaltet - Warum unser politisches System in Gefahr ist und wie wir es retten können - In Zeiten von Trump, Brexit, AfD und Gelbwesten ein hochaktuelles BuchDie Welt ist aus den Fugen geraten. Innerhalb der westlichen Demokratien findet eine Polarisierung und Radikalisierung statt, die noch vor wenigen Jahren undenkbar erschien. Henrik Müller sucht in diesem Buch nach Ursachen und Folgen der globalen Verunsicherung. Anhand aktueller politischer Debatten macht er deutlich, dass Entscheidungen zunehmend öffentlich und unter großem Druck fallen. Und dass die rasante Beschleunigung politischer Prozesse eine Gefahr für Wirtschaft und Gesellschaft ist. Dabei greift er auf eigene Forschungsergebnisse zurück und bietet auch Lösungen an. Denn schließlich geht es darum, die Empörungsspirale zu durchbrechen und gleichzeitig die Freiheit des öffentlichen Wortes zu retten.

Henrik Müller, geboren 1965 in Rinteln/Weserbergland, studierte Volkswirtschaft in Kiel, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und promovierte in Hamburg. Nach einer Karriere im Journalismus, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift manager magazin, ist er heute Professor für Wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund. Seine wöchentliche Spiegel-Online-Kolumne 'Müllers Memo' erreicht eine große Leserschaft. 2002 wurde er mit dem Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.

Henrik Müller, geboren 1965 in Rinteln/Weserbergland, studierte Volkswirtschaft in Kiel, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und promovierte in Hamburg. NNach einer Karriere im Journalismus, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift manager magazin, ist er heute Professor für Wirtschaftspolitischen Journalismus an der TU Dortmund. Seine wöchentliche Spiegel-Online-Kolumne "Müllers Memo" erreicht eine große Leserschaft. 2002 wurde er mit dem Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Hamburg.

1 Turbodemokratismus und Unsicherheit


Warum die westlichen Demokratien von Krisensymptomen geplagt sind

Wenn Sie an die jüngere Vergangenheit zurückdenken, welche politische Entwicklung hat Sie persönlich besonders verstört? Die Flüchtlingskrise von 2015? Die folgende Welle von Rechtspopulismus und Ausländerfeindlichkeit, vielerorts in Europa, nicht nur in Deutschland? Die Verschiebungen im deutschen Parteienspektrum und insbesondere der unaufhaltsame Niedergang der SPD? Das Gewürge um den Austritt der Briten aus der Europäischen Union? Donald Trump und das tägliche Chaos, das aus dem Weißen Haus in den Rest der Welt vordringt? Die Einmischung der russischen Regierung in westliche Wahlkämpfe und unsere Meinungsbildung? Die latent weiterschwelende Eurokrise?

Dieses Buch ist der Versuch, gedankliche Ordnung in die neue Unordnung zu bringen. Wir kommen aus einer Ära der relativen Ruhe. Die Verhältnisse waren nicht perfekt, keinesfalls, aber sie schienen doch halbwegs stabil, in Deutschland sowieso, aber auch in Europa, im Westen und im großen Rest der Welt. Umso verstörender wirken jetzt all die Umbrüche um uns herum. Wohin führt das alles? Was kommt als Nächstes? Können wir etwas dagegen tun?

Wir leben in nervösen Zeiten. Politische Blockaden und lautstarke Konfrontation, spontane Massendemonstrationen und gewalttätige Proteste, internationale Verwerfungen und innereuropäischer Streit, dazu eine wacklige wirtschaftliche Lage und ein weitreichender technologischer Wandel – der Westen gibt wahrlich kein gutes Bild ab. Tagtäglich presst der endlose Nachrichtenstrom neue Erregungswellen in unser Bewusstsein. Ein Festival der Aufregung und Selbstdarstellung, aufgeführt von Figuren, deren persönliche Stabilität und Redlichkeit, also ihre prinzipielle Eignung für öffentliche Ämter, zumindest Fragen aufwerfen. Ganze Gesellschaften durchleben inzwischen wilde Stimmungsschwankungen. So entsteht der Eindruck, die Grundlagen unseres Zusammenlebens seien ins Rutschen geraten.

Unsicherheit ist das Lebensgefühl dieser Epoche. Was eigentlich überraschend ist. Denn in vielerlei Hinsicht ist das Leben heute so risikoarm wie wohl noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Doch der Kontrast zwischen persönlichem Erleben und öffentlichem Tumult ist so groß, dass hergebrachte Gewissheiten nicht mehr zu gelten scheinen. Unübersehbar werden die westlichen Demokratien von Krisensymptomen geplagt. Ihre Fähigkeit zur Selbststeuerung – und damit ihre Zukunftsfähigkeit – ist infrage gestellt.

Längst ist die Suche nach den Schuldigen im Gange. Wer ist verantwortlich für die Verfallsprozesse? Zu den üblichen Verdächtigen gehören: die Eliten in Politik, Verwaltung und Wissenschaft, die, inkompetent oder verblendet, auf jeden Fall selbstbezogen, so sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass sie die große Mehrheit der einfachen Leute vergessen haben; die Topmanager in Großkonzernen und ihre gierigen Finanziers, die sich selbst die Taschen vollmachen und ansonsten um nichts und niemanden kümmern; die Populisten, die in den vergangenen Jahren in einem Land nach dem anderen mit Hass und Verschwörungstheorien die öffentliche Debatte vergiftet haben; die Journalisten, die, elitenhörig und faktenblind, Bilder einer nicht existierenden Realität zeichnen und, absichtlich oder schlicht ignorant, die Wahrheit verschweigen; soziale Medien wie Facebook, Twitter oder WhatsApp, die aus reiner Profitgier ganze Gesellschaften in Aufruhr versetzen und das Tor für Fake News und Propagandisten aus dem In- und Ausland öffnen, weshalb die Bürger nicht mehr zwischen Wahr und Falsch unterscheiden können. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Solche Schuldzuweisungen tragen nicht weit. Sie verschleiern die tiefer liegenden Ursachen eher, als dass sie sie erhellen. Die Prämisse dieses Buchs lautet: Wir sind Zeugen eines rapiden Strukturwandels der Politik. Diese Veränderungen haben diverse Gründe: ökonomische, soziale, psychologische, vor allem aber mediale. Der politische Strukturwandel lässt sich nur begreifen, wenn wir anerkennen, dass wir es mit einem Zerfall der Öffentlichkeit zu tun haben – und wenn wir versuchen, die Mechanismen offenzulegen, die Politik, Medien und Wirtschaft heute prägen.

Zerstört der Kapitalismus die Demokratie?
Oder ist es umgekehrt?


Vor einigen Wochen habe ich einen Report nachgelesen, den ich Anfang 2008 mit einem Kollegen geschrieben hatte: »Zerstört der Super-Kapitalismus die Demokratie?«[1] Es war eine Titelgeschichte in der Zeitschrift Manager Magazin, bei der ich damals arbeitete. Auf dem Cover war eine Heuschrecke zu sehen, die vor einem ehrwürdigen Parlamentsgebäude lauert. Der Artikel erschien ein halbes Jahr vor dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers, die den Startpunkt zur größten Finanzkrise seit den 1930er-Jahren markierte, gefolgt von einer tiefen Rezession. Natürlich wussten wir damals nicht genau, was kommen würde. Aber dass etwas in Schieflage geraten war, das war offensichtlich. Robert Reich, Professor in Berkeley und einst Arbeitsminister unter US-Präsident Bill Clinton, hatte gerade den Begriff »Superkapitalismus« geprägt,[2] das Pendant zum deutschen »Turbokapitalismus«. Gemeint ist das Gleiche: das unbedingte Streben nach immer höheren Gewinnen und Aktienkursen, das der realen Wirtschaft allmählich die Luft abschnürte, insbesondere weil zu wenig investiert wurde und die Löhne kaum noch stiegen.

Der Turbokapitalismus, das war unser zentrales Argument, gefährde die Demokratie, weil er krisenanfällig sei und für Verunsicherung und frustrierende Verteilungsergebnisse sorge. »Stabile Volksherrschaft basiert auf prosperierender Volkswirtschaft«, schrieben wir. »Umgekehrt: Wenn große Teile der Bevölkerung das Gefühl haben, ihr Wohlstand schwinde, dann lockert sich die Verankerung demokratischer Institutionen im Volk.«

Doch als dann die Wirtschaftskrise nach dem Lehman-Crash im Herbst 2008 mit voller Wucht ausbrach, zeigte sich das demokratische System enorm widerstandsfähig. Zunächst jedenfalls. Regierungen, Parlamente und Notenbanken schalteten auf Krisenmodus und wendeten einen kompletten Systemkollaps ab. Die technokratischen Eliten zeigten, wozu sie imstande waren. Der Turbokapitalismus mochte versagen – doch die demokratischen Staaten und ihre Institutionen waren stabil und handlungsfähig genug, um die Lage im Griff zu halten. Sicher, hier und da wurden in den folgenden Jahren neue, teils linkspopulistische Parteien groß, etwa in Spanien und Griechenland. Aber insgesamt hielt das System. Immer noch stellten etablierte Parteien die Regierungen. In Deutschland blieb Angela Merkel im Amt. In den USA zog sogar erstmals ein Afroamerikaner ins Weiße Haus ein, der »Hope« und »Change« predigte. Barack Obama war die personifizierte Hoffnung auf Emanzipation und fortschreitende Demokratisierung, das Gegenteil von antidemokratischem Furor. Unsere düsteren Vorhersagen schienen sich als falsch zu erweisen.

Es dauerte einige Jahre, dann ging es Schlag auf Schlag. 2016 stimmten die Briten in einem Referendum gegen die weitere EU-Mitgliedschaft. Nach vier Jahrzehnten wollten sie als Nation »die Kontrolle zurückerlangen« – eine Entscheidung mit unüberschaubaren Risiken, ein Sprung ins Ungewisse, wider alle Vernunft. Kurz darauf wählten die Amerikaner einen Reality-TV-Star zum Präsidenten, der versprach, seine Mitbewerberin ins Gefängnis zu werfen, eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen und die Wirtschaft gegen ausländische Konkurrenten abzuschotten. Bis dahin unvorstellbar. Im Jahr darauf zerstörten in Frankreich zwei Männer und eine Frau das Parteiensystem der Fünften Republik, indem sie neuartige Bewegungen auf die Beine stellten: In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2017 holten die Nationalpopulistin Marine Le Pen (Front National) und der Linksdemagoge Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise) fast die Hälfte der Stimmen. Am Ende gewann der Zentrist Emmanuel Macron, auch er getragen von einer Bewegung (En Marche!); nur anderthalb Jahre später wurde er von der nächsten Bewegung eingeholt, den »Gilets jaunes« (»Gelbwesten«).

In Deutschland zog 2017 die AfD als drittstärkste Partei in den Bundestag ein, ein »gäriger Haufen«, so Parteichef Alexander Gauland, der die anderen Parteien in der Zuwanderungspolitik vor sich hertrieb. 2018 kam in Italien eine Regierung ins Amt, die von einer breiten Mehrheit aus Links- (Cinque Stelle) und Nationalpopulisten (Lega) getragen wurde und sich vor allem auf eines einigen konnte: die EU und ihre Regeln abzulehnen. Bei den Europawahlen im Frühjahr 2019 erstarkten dann die Rechtspopulisten weiter und setzten die konservativen Parteien derart unter Druck, dass das tradierte EU-Machtzentrum aus Christ- und Sozialdemokraten seine gemeinsame Mehrheit verlor – mit ungewissem Ausgang.

Diese politischen Verschiebungen mögen die Spätfolgen der schockierenden Erfahrung der großen Rezession von 2008/09 sein, als Banken gerettet und Privatleute in die Insolvenz geschickt wurden, die in den folgenden Jahren auch noch sinkende oder stagnierende Einkommen[3] und den Abbau sozialstaatlicher Leistungen hinnehmen mussten. Hinzu kam die zeitweise unkontrollierbare Flüchtlingszuwanderung des Jahres 2015, ein für viele Bürger verstörendes Ereignis. Und doch, zwischenzeitlich hatte sich noch etwas verändert: die öffentlichen Räume.

Abschalten ist keine Lösung


Die sozialen Medien à la Facebook, YouTube, Twitter & Co. haben einen wahrhaft revolutionären Wandel angestoßen. Zuvor wurde die Öffentlichkeit von Profis gesteuert: von...

Erscheint lt. Verlag 3.2.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte AfD • Bildung • Bolsonaro • Brexit • Bullshit • Bürgerrechte • Debatten • Demokratie • Demonstration • Diskurs • Donald Trump • Empörung • Europa • Fake News • Gelbwesten • Identität • Klimawandel • Krise der Demokratie • Medien • Meinungsfreiheit • Parteien • Partizipation • Populismus • Protestwähler • Rechtsstaat • Repräsentation • Social Media • Turbodemokratismus • Unsicherheit • Wahlsystem • Wirtschaftswachstum • Wohlstand • Zuwanderung
ISBN-10 3-492-99648-5 / 3492996485
ISBN-13 978-3-492-99648-8 / 9783492996488
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