Krieg und Kriegsvermeidung (eBook)

Theoretisch-praktische Schriften
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
160 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-7415-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Krieg und Kriegsvermeidung -  Lutz Unterseher
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Im Mittelpunkt von Analysen und Konzepten, die in den letzten drei Jahrzehnten entstanden sind, steht die Idee der 'Vertrauensbildenden Verteidigung'. Diese erscheint theoretisch fundiert und in praxistaugliche Lösungen umgesetzt. Die Idee einer Umrüstung auf betont defensiven Schutz mit der Perspektive weitgehender Abrüstung lag auch der Militärreform Gorbatschows zu Grunde und trug wesentlich zur Überwindung des Kalten Krieges bei. Sie ist heute aktueller denn je. Im weiteren Kontext des Diskurses über eine Verteidigung, die nicht provoziert, stehen kritische Sondierungen: Sind die angeblich 'neuen' Kriege wirklich neu, oder diente deren Thematisierung der Legitimierung von Militärinterventionen der 'zivilisierten' Staaten? Welche Schwächen kennzeichnen solche Interventionen? Ist Krieg ewiges Menschenschicksal? Welche Bestimmungsgründe sind für Kriegsentscheidungen relevant? Welche Kriegsszenarien müssen wir fürchten?

I

Gegen die herrschenden Strömungen

Bewegung, Bewegung!
Zur Kritik eingefahrener Vorstellungen vom Krieg

– erschienen in Sicherheit und Frieden, 2/1987 –

Dieser Beitrag gründet sich auf die altfränkische Überzeugung, dass militärische Maßnahmen, die zwecks Abschreckung, also Kriegsverhinderung, angedroht werden, notfalls auch durchführbar sein müssen.

Wie es begann

Vor dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland gab es unter den Militärplanern alternative Vorstellungen über die künftige Verteidigung und damit auch einen Krieg in Mitteleuropa. Die Position der überwiegenden Mehrheit ist durch das Stichwort „Himmeroder Denkschrift“ zu kennzeichnen (Rautenberg/Wiggershaus 1977); Minderheitsmeinung war im Wesentlichen die des Obersten a.D. Bogislaw von Bonin (Brill 1986).

Dieser pommersche Generalstäbler entwickelte – in offenbar naivem Glauben an den neu-alten Primat der Politik – eine Verteidigungskonzeption, die folgende drei Kernaussagen der damaligen Adenauer-Regierung sinngemäß zu berücksichtigen beanspruchte:

Erstens: Die „Soffjets“ stehen vor der Tür!

Zweitens: Wir können uns auf die Verbündeten verlassen!

Drittens: „Wiedervereinigung“ ist das oberste Ziel deutscher Politik!

Für von Bonin folgten aus diesen Prämissen die Notwendigkeit des schnellen Aufbaus einer deutschen Verteidigung aus noch tauglichen alten Kadern, das Erfordernis einer betont defensiven Struktur, um die Sowjetunion nicht zu provozieren und die Perspektive der Wiedervereinigung offenzuhalten, sowie die Möglichkeit, alliierte mobile Reserven als Teil der Abwehr einzuplanen, zumindest solange die deutschen „Schildkräfte“ noch relativ schwach sein würden.

Konkret sah das Konzept ein grenznah ansetzendes, lückenloses und gestaffeltes Verteidigungssystem von etwa 50 bis 70 Kilometern Tiefe vor, das sich im Wesentlichen auf panzerabwehrstarke Spezialverbände (mit hoher sekundärer Resistenz gegen Infanterieangriffe) sowie auf relativ kleine mobile Reserven, vor allem Panzerverbände und Artillerie, stützen sollte, die für besonders gefährdete Räume als doppelte Sicherung vorgesehen waren.

Auf taktischer Ebene beanspruchte von Bonin für seine Defensivstruktur hohe Widerstandskraft: bedingt zum einen durch Auflockerung gut getarnter, gedeckter Stellungen und zum anderen durch beträchtliche Flexibilität ‚vor Ort‘, d.h. die Möglichkeit der begrenzten Verdichtung (Bonin 1954).

Die militärische Philosophie war offenbar: Durch zäh-flexible, lückenlose Resistenz lassen sich auch massivste Vorstöße eines panzerstarken Angreifers – kumulativ – so sehr zermürben und fesseln, ja teilweise schlagen, dass der Verteidiger zum Schutz gegen drohende Durchbrüche mit relativ knappen operativ beweglichen Eingreifverbänden auskommen kann, was die willkommene politische Nebenwirkung hat, die Verteidigung in ihrem Gesamtaufzug möglichst wenig provokativ halten zu können.

Der hier – notgedrungen – nur kurz skizzierte Bonin-Plan ist aus vielerlei Gründen zurückgewiesen worden. Wir lassen dahingestellt, ob – wie gelegentlich behauptet – die westlichen Verbündeten ihn der Bundesregierung ausgeredet haben, und es tut an dieser Stelle auch nichts zur Sache, ob die illusionslose – nicht gegnerische (!) – Haltung von Bonins gegenüber der Inneren Führung viel zur Ablehnung seines Planes beigetragen hat. Von Belang ist in diesem Zusammenhang nur die militärische bzw. militärpolitische Kritik jener Offiziere, die damals obsiegten.

General Heusinger, der Vorgesetzte von Bonins im Amt Blank, hielt im Rückblick den „so genannten Bonin-Plan“ für militärisch äußerst riskant, „weil ein Durchbruch der russischen Panzermassen bei entsprechender Schwerpunktbildung auch durch einen von Bonin geplanten Sperrgürtel nicht zu verhindern gewesen wäre“ (zit. n. Brill: 155f).

Und weiter: „Eine Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland wäre damit allein von einer erfolgreichen Gegenoffensive der Alliierten abhängig gewesen. Ob diese dazu bereit gewesen wären, nachdem die deutschen Kräfte im Sperrgürtel überrannt waren, erscheint mir sehr zweifelhaft! Ich hatte hierfür nur allzu deutliche Hinweise.“ Zudem: „Die Deutschen wären mit diesem Plan zu Hiwis der Alliierten geworden. Die von uns angestrebte Gleichberechtigung wäre nicht erreicht! Wir hätten nur die Waffen für eine begrenzte Aufgabe erhalten und keinerlei Mitwirkung bei der militärischen Entschlussfassung und Führung erreicht.“

Heusinger meinte ferner, dass der Boninsche „Sperrgürtel … bereits in Friedenszeiten eine erhebliche Belastung und Unruhe bei der Bevölkerung ausgelöst“ haben würde. „… mit großen Sperr- und Sprenganlagen hätte er versehen sein müssen … und das zu einem Zeitpunkt, wo man eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht für unmöglich hielt. Die Demarkationslinie wäre damals schon zur Grenzlinie geworden.“

General de Maizière, im Amt Blank einer der jüngeren Stäbler, gab – ebenfalls im Rückblick – folgende militärische Kritik der Mehrheitsfraktion zu Protokoll:

„Soweit ich mich erinnere, sah das operative Konzept von Bonins einen durchlaufenden Panzerabwehr- und hindernisstarken Sperrriegel an der Grenze zur DDR vor. Es basierte also auf dem Gedanken einer statischen Verteidigung. Das deutsche operative Denken hat sich aber immer auf den Grundsatz der operativen Beweglichkeit gestützt. In der neueren Militärgeschichte haben statische Verteidigungsriegel, ja sogar ausgebaute Festungslinien, das zu verteidigende Gebiet nicht vor dem Zugriff eines Angreifers bewahren können.

Sperrriegel – sie mögen noch so feuerstark sein – können durch eine Feuerkonzentration des Angreifers auf engem Raum örtlich immer zerschlagen werden. Luftlandetruppen sind in der Lage, einen Riegel in der Luft zu überspringen und von hinten zu öffnen. Richtig verstandene Verteidigung heißt flexibles Reagieren auf den Angriffsplan des Gegners unter Festhalten bestimmter Geländeräume und rechtzeitige Konzentration der eigenen Kräfte zum Gegenangriff an selbst gewählten operativen und taktischen Schwerpunkten“ (zit. ebd.: 157f).

Der Bonin-Plan, in der Ausarbeitung vom Juli 1954, war bis 1986 „streng geheim“. Die Kritiker, sie waren übrigens für diese Klassifizierung mitverantwortlich, haben den Plan von Anfang an verfälscht dargestellt und dann gemeinschaftlich an ihrer Version festgehalten. Von einem sichtbar-massiven Befestigungsgürtel, schmal und deswegen leicht zu durchstoßen oder zu überspringen, kann zum Beispiel bei genauer Kenntnis des Konzeptes nicht die Rede sein! Und auch das Etikett „Statik“ erscheint so nicht begründet: Vielmehr ging es um eine argumentativ wohlfundierte Akzentverlagerung – von starken operativen Elementen hin zu flexibler taktischer Widerstandskraft.

Neben der absichtlichen Verfremdung der ungeliebten Alternative fällt ein etwas sonderbarer Umgang mit den „Lehren der Geschichte“ auf: Mit der Totschlagsformel „Statik funktioniert nicht“ wird die Einsicht in die Erfolge tiefgestaffelter, flexibler Verteidigung (mit Anlehnung an aufgelockerte, „unsichtbare“ Befestigungssysteme) zugedeckt – als hätte es die leistungsstarke Abwehr der Finnen im Winterkrieg 1939/40 und deren abschreckende Androhung im Jahre 1944 nie gegeben, als seien die gelungenen Verteidigungsschlachten von Alam Halfa (1942) und Kursk (1943) usw. Märchen.

Was die Kritiker bei ihren intellektuellen Anstrengungen getrieben hat? Da ist zum einen das Misstrauen gegenüber den Verbündeten, und da entwickelt sich zum anderen – in der Perspektive des baldigen NATO-Beitritts – ein recht kräftiges militärisches Statusinteresse. Etwa nach dem Motto: Mitspracherecht gibt es nur, wenn man über möglichst viele „ordentliche“ Großverbände mit Gegenangriffsfähigkeit verfügt. Nur dann wird man wieder respektiert.

Für den Aufbau solcher Kräfte ist durchaus einige Zeit zu veranschlagen, so nah ist die rote Gefahr nun auch wieder nicht, und die Perspektive baldiger Wiedervereinigung erscheint so vage, dass man sich über die möglicherweise negativen Auswirkungen des Aufbaus provokativer Streitkräfteelemente nicht allzu große Sorgen macht.

So wird im Wesentlichen die Strukturkonzeption der „Himmeroder Denkschrift“ von 1950 mit ihrem starken Akzent auf schweren, (gegen)angriffsfähigen Großverbänden beibehalten.

Dies gilt freilich nicht für die damit verbundene militärische Abschreckungsphilosophie, die eine Androhung weitreichender Operationen gen Osten vorsah. Ganz wie von Bonin wollte man auf bundesdeutschem Territorium vorne verteidigen und ggf. nur die Integrität des eigenen Gebietes wiederherstellen, allerdings mit – milde ausgedrückt – etwas doppeldeutigen Mitteln.

In den Worten von General Uhle-Wettler: „Die offensive Konzeption Himmerods ist … längst aufgegeben, de facto war sie wohl schon tot, noch bevor der erste Soldat Ende 1955 seine Uniform anzog. … Ein Gegenschlag, wie er in Himmerod skizziert wurde, könnte … den umfassenden Atomkrieg auslösen. … Mit der offensiven Konzeption fiel jedoch nicht die dazugehörende Heeresstruktur. … So haben wir von 1955 bis heute mit zunehmender Ausschließlichkeit ein Heer entwickelt, das am besten für weitreichende Angriffsoperationen in offenem Gelände geeignet wäre, indessen aber in zentraleuropäischem Gelände die (Vorne-)Verteidigung durchführen soll“ (Uhle-Wettler 1980: 75).

Anders ausgedrückt: Politisch war und ist nur eine Vorneverteidigung legitimierbar, die kalkulierte großzügige Raumaufgabe ebenso...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2019
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Vergleichende Politikwissenschaften
Schlagworte Abrüstung • Frieden • Militärinterventionen • Umrüstung • Vertrauensbildende Verteidigung • Waffen
ISBN-10 3-8288-7415-0 / 3828874150
ISBN-13 978-3-8288-7415-2 / 9783828874152
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