Ich bin Linus (eBook)

Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00664-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich bin Linus -  Linus Giese
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Ein Satz, der wie eine Selbstverständlichkeit klingt - «Ich bin Linus» -, doch er teilt sein Leben in ein Davor und Danach. Auf beeindruckende Weise erzählt Linus Giese, warum er einunddreißig Jahre alt werden musste, um laut auszusprechen, dass er ein Mann und trans ist und warum sein Leben heute vielleicht nicht einfacher, aber sehr viel glücklicher ist. «Wer verstehen will, welche verschlungenen Wege es manchmal sein können, auf denen sich die eigene Identität entdecken lässt, wer verstehen will, wie sich eine Person immer wieder neu finden kann, wer verstehen will, was es heißt, trans zu sein, dass das nicht nur im Singular, sondern im Plural existiert, dass es ein ganzes Spektrum gibt, wie sich als trans Person leben, denken und lieben lässt - all denen sei dieses Buch ans Herz gelegt.» (Carolin Emcke) Eigentlich ahnt er es seit seinem sechsten Lebensjahr. Doch aus Sorge darüber, wie sein Umfeld reagieren könnte und weil ihm Begriffe wie trans, queer, nicht-binär fehlen, verschweigt Linus lange, wer er wirklich ist. Mit dem Satz «Ich bin Linus» beginnt im Sommer 2017 sein neues Leben, das endlich nicht mehr von Scham, sondern Befreiung geprägt ist. Offen erzählt Linus Giese von seiner zweiten Pubertät, euphorischen Gefühlen in der Herrenabteilung, beklemmenden Arztbesuchen, bürokratischen Hürden, Selbstzweifeln, Freundschaft und Solidarität, von der Macht der Sprache und digitaler Gewalt. Seit seinem Coming-Out engagiert sich Linus für die Rechte von trans Menschen. Vor allem im Netz, aber nicht nur dort, begegnet ihm seither immer wieder Hass. Doch Schweigen ist für ihn keine Option. «Linus Giese erzählt seine Geschichte so offen, mutig und spannend, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Ich sage das nicht oft, aber: Hören Sie diesem Mann zu.» (Margarete Stokowski)

Linus Giese ist studierter Germanist und arbeitet seit November 2017 als Blogger, Journalist und Buchhändler in Berlin. Auf buzzaldrins.de schreibt er über Bücher und auf ichbinslinus.de über seine Transition, zudem hat er mehrere Texte für den Tagesspiegel, die taz und das Onlinemagazin VICE veröffentlicht. Twitter: 10.800 Follower*innen.

Linus Giese ist studierter Germanist und arbeitet seit November 2017 als Blogger, Journalist und Buchhändler in Berlin. Auf buzzaldrins.de schreibt er über Bücher und auf ichbinslinus.de über seine Transition, zudem hat er mehrere Texte für den Tagesspiegel, die taz und das Onlinemagazin VICE veröffentlicht. Twitter: 10.800 Follower*innen.

Starbucks


Es war Mittwoch, der 4. Oktober 2017, als ich das erste Mal den Namen sagte, den ich mir schon so lange für mich überlegt hatte: Linus.

«Linus» war meine Antwort auf die Frage eines Baristas nach meinem Namen, den er auf den Kaffeebecher schreiben wollte. Ich stand in einem Café am Frankfurter Hauptbahnhof, als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte: Das hier ist der richtige Moment und der richtige Ort, um zu sagen, dass ich Linus heiße.

Und dass ich ein Mann bin.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie der Barista aussah. Ich habe mir sogar gemerkt, was ich damals bestellte: einen Pumpkin Spice Latte mit Sahne und einem extra Schuss Kaffee. In den folgenden Monaten war ich noch viele weitere Male dort, weil ich den Wunsch hatte, diesen einen Moment zu wiederholen. Es war jedoch immer so leer, dass ich nie wieder nach meinem Namen gefragt wurde.

Manchmal wird mir bei diesem Gedanken ganz flau im Magen, weil mir dann bewusst wird, wie sehr unser Leben von Zufällen abhängt. Wie wäre mein Leben weitergegangen, wäre ich damals nicht nach meinem Namen gefragt worden? Hätte ich dann einfach an einem anderen Tag und in einem anderen Moment den Mut aufgebracht?

Manchmal frage ich mich auch, warum ich meinen Namen beim ersten Mal einer fremden Person offenbaren musste: Sagt man so etwas nicht eher der besten Freundin oder der eigenen Mutter? Ich glaubte aus irgendeinem Grund, es einem Fremden erzählen zu müssen. Vielleicht, weil ich wusste, dass ich von einem Menschen, der mich nicht kennt, nicht in Frage gestellt werden würde? An diesem Ort und in diesem Moment war ich Linus, und das wurde ohne Nachfragen oder Skepsis hingenommen.

Bist du dir denn sicher? Aber du bist doch eine Frau! Das kommt für uns alle sehr überraschend! Du bist doch viel zu alt für so etwas! Wir glauben dir nicht! Du irrst dich! Du darfst das nicht sein! Das bist du nicht! Tu uns das nicht an! Das waren einige der Antworten, vor denen ich mich fürchtete.

Ich kann mich noch sehr genau an die Tage und Wochen erinnern, die diesem Moment im Starbucks vorausgegangen waren. Zwei Monate zuvor hatte ich mit Stefan auf einer Parkbank mitten in Frankfurt gesessen. Er war der Erste, mit dem ich darüber sprach, dass ich glaubte, ein Junge zu sein. Ich war damals schon einunddreißig Jahre alt, doch ich sagte immer: «Ich glaube, dass ich ein Junge bin» – es kam mir nie in den Sinn, dass ich eigentlich schon längst ein erwachsener Mann sein müsste. Ich denke, das liegt daran, dass mir meine Kindheit entgangen ist. Sie wurde mir vorenthalten. Ich wollte noch einmal ein Junge sein, um all das nachholen zu dürfen, was ich verpasst hatte und nicht erleben durfte.

Vielleicht steckte damals noch ein kleiner Peter Pan in mir, der alles Mögliche wollte, nur niemals erwachsen werden. Heute weiß ich, dass ich diese verpasste Kindheit nicht nachholen kann – doch ich kann mir Dinge, die ich verpasst habe, Stück für Stück zurückholen.

«Ich halte dich für einen Jungen, und ich freue mich auf den Tag, an dem ich ‹er› sagen und deinen Namen kennenlernen darf», schrieb mir Stefan in einer Nachricht kurz vor meinem Coming-out. Auch heute halte ich mich noch oft für einen Jungen, von dem ich hoffe, dass er irgendwann zu einem Mann heranwachsen wird – damals war das für mich alles noch kaum vorstellbar.

Wenn ich die Geschichten von anderen trans Menschen lese, bin ich oft fasziniert davon, wie sicher manche bereits als Kinder und Jugendliche bei der Antwort auf die Frage waren, wer sie sind und was sie sich wünschen. Als ich aufwuchs, fehlten mir Begriffe wie trans, genderqueer oder nichtbinär. Identität war für mich nichts Wandelbares, sondern – ganz im Gegenteil – etwas, das für immer und unverrückbar feststand. Felsenfest. In Stein gemeißelt.

Der Tag, an dem ich zum ersten Mal Linus sagte, war der Tag, an dem sich mein Leben in ein Davor und ein Danach teilte. Auch wenn das wie ein Klischee klingt, es ist wahr. Zurück ließ ich ein Leben, das eng wie ein Korsett gewesen ist – und trat in eines, in dem ich mir zum ersten Mal erlaubte, über meine Identität, meine Sexualität und mich selbst nachzudenken.

Was wünsche ich mir? Was brauche ich? Was gefällt mir? Was tut mir gut? Was würde ich gerne ausprobieren? Wer bin ich eigentlich?

Als ich den Becher, auf dem mein Name stand, ausgetrunken hatte, fuhr ich damit zurück in das Zimmer nach Mühlheim, in dem ich damals zur Untermiete lebte, machte ein Foto und lud es auf meinem Facebook-Profil hoch. Dazu schrieb ich den Satz: «Tolles Gefühl: bei Starbucks zum ersten Mal den Namen laut aussprechen, den ich mir schon so lange für mich wünsche.» Danach machte ich das Handy aus, klappte meinen Laptop zu und legte mich auf den Fußboden meines kleines Badezimmers, weil ich vor lauter Angst kaum noch Luft bekam. All das, was mich der Barista nicht gefragt hatte, fragten mich jetzt vielleicht meine Freund*innen. Vielleicht würden sie sich auch von mir abwenden, mich beschimpfen, mir die Freundschaft kündigen? Und was würde passieren, wenn mein Chef davon erfuhr? Oder meine Kolleg*innen? Würde ich vielleicht entlassen? Gemobbt? Abgelehnt? Verstoßen? Oder auch einfach nur seltsam beäugt?

Mit meinem Coming-out verlor ich das Privileg, zu den «Normalen» zu gehören – ich war plötzlich anders und davon abhängig, ob ich von anderen immer noch akzeptiert oder gemocht wurde.

Es dauerte lange, bis ich mich zum ersten Mal wieder online traute – und einen Großteil der Kommentare unter meinem Foto las ich erst Wochen und Monate später. Natürlich gab es Fragen, natürlich gab es Irritationen – manche übergingen die Neuigkeiten auch einfach schweigend. In den Wochen und Monaten nach meinem Coming-out kam es zu Konflikten und Zerwürfnissen, Freundschaften zerbrachen. Vieles von dem, was ich mir ausgemalt hatte, trat in ganz unterschiedlichen Varianten und Abstufungen ein. Doch nichts davon war so gravierend, wie ich es befürchtet hatte.

Meine größte Angst war, dass jemand sagen könnte: Das, was du dir wünscht, ist falsch – du bist ekelhaft, und ich deshalb alles wieder rückgängig machen müsste. Und tatsächlich gibt es immer wieder Menschen, die mir genau das sagen oder auch schreiben – doch mittlerweile verunsichert mich das nicht mehr. Ich sage dann: So bin ich eben – ich bleibe hier, ich bleibe sichtbar, ich möchte mich für dich nicht ändern. Was willst du dagegen machen?

Ich sage oft, dass dieser Mittwoch im Oktober der Tag meines Coming-outs war. Doch eigentlich stimmt das so nicht. Bei Wikipedia steht, dass man unter einem Coming-out ein «absichtliches, bewusstes Öffentlichmachen» versteht. Mich irritiert an dem Begriff, dass er etwas Einmaliges suggeriert: Aber trans Menschen haben oft nicht nur ein singuläres Coming-out, sondern müssen sich immer und immer wieder outen. Ich zeigte meinen Becher meinen Freund*innen auf Facebook, doch nicht alle meine Freund*innen sind auf Facebook. In einem Artikel las ich, ein Coming-out sei wie Duschen: Du musst es fast täglich tun. Wie sage ich es alten Freund*innen? Wie sage ich es neuen Freund*innen? Wie sage ich es Verwandten? Wie sage ich es dem Arbeitgeber, den Kolleg*innen? Und wann sage ich es meinem Date? Ich oute mich beim Arztbesuch, bei Behördenterminen, im Gespräch mit der Krankenkasse – und eine lange Zeit habe ich mich auch jedes Mal geoutet, wenn ich ein Paket bei der Post abholen musste, das an meinen alten Namen adressiert war.

Mein Leben ist ein andauerndes Coming-out – ich muss mich immer wieder erklären. Ich tue das seit drei Jahren. Wenn ich sage, dass ich ein trans Mann bin, gibt es darauf ganz unterschiedliche Reaktionen: Am angenehmsten ist mir das unaufgeregte Verständnis. Doch es gibt auch peinlich berührtes Schweigen, Unsicherheit, Überforderung, Neugier oder übergriffige Nachfragen. Hattest du schon die OP? Wie ist dein Zeitplan für die Umwandlung? Bist du dir sicher, dass du nicht einfach nur eine burschikose Frau mit kurzen Haaren bist? Und die häufigste Frage: Seit wann weißt du denn, dass du trans bist?

In vielen Lebensgeschichten von trans Menschen fällt irgendwann ein Satz wie Ich wusste schon als Kind, dass ich trans bin oder Ich wusste schon immer, dass ich ein Mann bin. Ich sage das auch manchmal, weil es tatsächlich vieles einfacher macht – vor allem im Gespräch mit anderen Menschen. Doch ich bin mir nicht immer sicher, ob es wirklich stimmt. Ich wusste schon als Kind, dass ich gerne Badeshorts trug, kurze Haare mochte und lieber mit einer Turtles-Figur spielen wollte als mit einer Barbie. Ich wusste auch als Kind schon, dass ich einen Penis haben wollte und – genauso wie mein Vater und mein Bruder – gerne im Stehen gepinkelt hätte. Doch wusste ich als Kind bereits, dass ich ein Junge bin? War mir als Kind bereits klar, dass ich kein Mädchen bin? Ich weiß es nicht. Als Jugendlicher wusste ich dann, dass ich mich oft seltsam fremd mit mir selbst fühlte, dass ich unsicher und ängstlich war. Als ich durch Zufall anfing, das Online-Tagebuch eines trans Manns zu lesen, dachte ich oft: Das bin doch ich, das möchte ich auch, das würde mich endlich glücklich machen. Doch es dauerte dann noch weitere sechzehn Jahre, bis ich mein erstes Coming-out hatte.

Blicke ich zurück, kommt mir mein Leben oft wie ein großes und verschlungenes Durcheinander vor. Es war ein langer Weg, bis ich endlich zu mir selbst gefunden habe. Ich...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2020
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Blutbuch • Geschlecht • Geschlechtsangleichung • Geschlechtsidentität • Geschlechtsumwandlung • Identität • LGBT • LGBTQ • Queer • Trans • Transfrau • Transgender • Transident • Transition • Transmann • Transsexualität • Transsexuell
ISBN-10 3-644-00664-4 / 3644006644
ISBN-13 978-3-644-00664-5 / 9783644006645
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