One-Way-Ticket nach Lissabon (eBook)

Das Jahr, in dem ich noch mal ganz von vorn anfing
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00360-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

One-Way-Ticket nach Lissabon -  Agnes Johanna Flügel
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Mit 50 noch einmal neu anfangen? Die spannende Geschichte einer Frau, die eine Midlife Crisis in eine Midlife Chance verwandelt. Der Tod des Vaters ist nur der Beginn einer Folge von Ereignissen, die Agnes Flügel erst in eine Krise und dann nach Portugal katapultieren. Dabei schien alles perfekt: Agnes hatte ihre Träume verwirklicht, das Businessleben gegen das Imkern getauscht und war mit ihrem Mann aufs Land gezogen. Doch das Leben hat andere Pläne, und ihre heile Welt zerbricht. Was tun, wenn man plötzlich vor dem Nichts steht? Agnes erinnert sich an alte Sehnsüchte und beschließt: 'Wenn schon ganz unten, dann wenigstens da, wo es schön ist'. Kurzentschlossen reist sie nach Lissabon und wagt in der Stadt am Tejo den Sprung ins Ungewisse.

Agnes Johanna Flügel ist studierte Kulturwissenschaftlerin und Imkerin aus Leidenschaft. Fu?r ihren Traum von einem sinnvollen Leben in und mit der Natur gab sie ihren Job als Redakteurin bei einem Online-Dienst auf und zog aus Hamburg aufs schleswig-holsteinische Land, wo sie seit 2009 ihre «Honigmanufaktur Flu?gelchen» betreibt. Ihr Buch «Die Honigfrau» erschien 2011. Seit Anfang 2018 lebt sie hauptsächlich in Lissabon, betreibt «Flu?gelchen» gemeinsam mit einer Werkstatt fu?r Menschen mit Behinderung und begleitet als systemischer Coach Organisationen und Menschen in Veränderungsprozessen. www.one-way-ticket-lissabon.de

Agnes Johanna Flügel ist studierte Kulturwissenschaftlerin und Imkerin aus Leidenschaft. Für ihren Traum von einem sinnvollen Leben in und mit der Natur gab sie ihren Job als Redakteurin bei einem Online-Dienst auf und zog aus Hamburg aufs schleswig-holsteinische Land, wo sie seit 2009 ihre «Honigmanufaktur Flügelchen» betreibt. Ihr Buch «Die Honigfrau» erschien 2011. Seit Anfang 2018 lebt sie hauptsächlich in Lissabon, betreibt «Flügelchen» gemeinsam mit einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und begleitet als systemischer Coach Organisationen und Menschen in Veränderungsprozessen. www.one-way-ticket-lissabon.de

Der Anruf


In der Nacht hatte es geschneit. Eine dünne Schneedecke überzuckerte die Wiese vor dem Haus. Nur die Maulwurfshügel ragten wie kleine Vulkane aus der weißen Landschaft hervor. «Wie schön das aussieht!», flüsterte ich, als ich durch die Fenster der Haustür in den Vorgarten spähte. Blaumeisen, Rotkehlchen und ein viel zu großer Buntspecht stritten sich um die Meisenknödel, die ich ein paar Tage zuvor in die Äste gehängt hatte. Im Unterholz hüpfte ein Zaunkönig von Ast zu Ast. Bewegungslos verharrte ich hinter der Scheibe und beobachtete das geschäftige Treiben. Vom Strohdach hingen lange Eiszapfen, die in der Morgensonne schmolzen. Tropfen für Tropfen hing einen Moment lang an der Spitze und funkelte wie ein wunderschöner Kristall, bevor er zu Boden fiel und mit den anderen Tropfen eine schmutzig braune Pfütze bildete. «Mal sehen, ob die Zeitung schon da ist», überlegte ich, zog die erstbeste Jacke über, die griffbereit über dem Treppenpfosten hing, und schlüpfte in meine Gummistiefel. In unserem entlegenen Winkel bestimmte das Wetter, wann und ob die Zeitung kam. War es gut, steckte sie bereits im Morgengrauen in der Zeitungsrolle. Bei Sturm oder gar Glätte schlug sich der Bote erst am späten Vormittag zu uns durch. Meistens auch gar nicht. Ich kniff die Augen zusammen, starrte Richtung Auffahrt und entdeckte das Fähnchen unseres amerikanischen Alu-Briefkastens. Leuchtend rot hob es sich von den dunklen Baumstämmen des Wäldchens auf der anderen Straßenseite ab. Der Zeitungsbote hatte es also bis zu uns heraus geschafft. Ich verließ das Haus und sog die frische Luft ein.

«Mist, da ist schon wieder ein Loch im Zaun!», fluchte ich, als ich auf der vereisten Auffahrt Richtung Tor schlitterte und die Spuren der Rehe im Schnee sah, die kreuz und quer über das Grundstück verliefen. Ich stoppte an einem der Beete und inspizierte die Pflanzen, die wir erst im Herbst gepflanzt hatten. Den Blumen, die sich gerade aus der Erde wagten, fehlten bereits die Köpfchen. Nur kahle Stängel ragten einsam aus dem schneematschigen Boden. Anfangs hatte ich mich über das Wild gefreut, das in dieser Gegend in Herden über die riesigen Felder zog und uns regelmäßig besuchte. Wer konnte schon von sich behaupten, anstelle von Gartenzwergen einen kapitalen Zehnender im Vorgarten stehen zu haben oder die Brunftkämpfe der Hirsche vom Sofa aus beobachten zu können? Manchmal versteckte sich sogar eine Ricke mit ihrem Kitz im Gras hinter den Himbeer- und Johannisbeersträuchern. Nachdem sich die Rehe jedoch über meine Gemüsebeete hergemacht hatten und nichts von dem, was ich wochenlang auf der Fensterbank vorgezogen hatte, jemals zur Blüte kam, änderte ich meine Meinung, und wir zäunten unser Grundstück ein. «Jetzt ist Schluss. Dieses Jahr bleibt es bei Löwenzahn und Gänseblümchen. Ich pflanze nix mehr», seufzte ich enttäuscht und stapfte gen Auffahrt.

Vor knapp zehn Jahren hatten mein Mann und ich uns mit diesem Haus unseren Traum vom Leben auf dem Lande erfüllt. Hier in der Einsamkeit hatte ich den Ort gefunden, an dem ich mich nach einem stressigen Berufsalltag in Hamburg mit Konkurrenzkämpfen, Mobbing und Kündigungswellen in immerwährender Harmonie wähnte. Unser Grundstück war meine Bannmeile. Mein biologisch-dynamischer Schutzwall vor den Herausforderungen des Lebens und meine Bastion für Geborgenheit.

Das dünne Eis auf den Wasserpfützen splitterte unter meinen Füßen. Die Morgensonne, die orangefarben zwischen den Stämmen des Wäldchens funkelte, blendete mich, und schützend hielt ich meine Hand vor die Augen. An ein paar Ästen sprossen zarte Blättchen. Bald würde der ganze Wald grün getupft sein. Ich liebte diese Zeit des Jahres, wenn die Natur unmerklich den Neubeginn startete und dann im Frühling plötzlich explodierte.

Der morsche Holzpfosten, an dem der silberne Briefkasten hing, knirschte bedenklich, als ich am Griff des festgefrorenen Deckels zog. Endlich gab die Klappe nach. Zwei Ohrenkneifer flitzten erschrocken in den dunklen Teil der Röhre. Ich griff die Zeitung und das Gemeindeblatt, klemmte mir beides unter den Arm und wünschte den Ohrenkneifern ein schönes Wochenende. Dann knallte ich den Deckel zu. Während ich mich zum Gehen abwandte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie der Pfosten samt Kasten in Zeitlupe nach hinten kippte und mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden landete. «Oh nein, auch das noch!», entfuhr es mir. Bei der Witterung würden wir den Pfosten nicht so einfach in den gefrorenen Boden bekommen. «Ach, Rudi macht das schon», beruhigte ich mich und nahm mir vor, gleich nach dem Frühstück bei meinem «Mädchen für alles» vorbeizugehen. In meinem Hofladen gab es noch ein paar andere Sachen, die vor dem Beginn der Saison von ihm repariert werden mussten. Ohne Rudi war ich aufgeschmissen. Im Dorf wurde er nur «Schuppen-Rudi» genannt, da er einem im Handumdrehen einen Schuppen in den Garten stellte, wenn man nicht auf ihn aufpasste. Getreu seinem Motto: Stauraum braucht man immer. Ich schmunzelte, als ich an meinen tatkräftigen Nachbarn dachte, und strich der Holzbiene, die auf meinem Firmenschild thronte, im Vorbeigehen über den Rücken. Ich war zwar nicht abergläubisch, hoffte aber dennoch, dass das Glück brachte. Schaden konnte es jedenfalls nicht.

Mein Blick schweifte über die Bienenstöcke, die auf der Wiese nebeneinanderstanden. «Euch besuch ich nach dem Frühstück», murmelte ich in Richtung der Bienenstöcke. Sofern sie den Winter überstanden hatten, waren auch bei den Bienen die Frühjahrsvorbereitungen in vollem Gange. Weiße Schneehäubchen schmückten die grün gestrichenen Kästen. Das neue Bienenjahr begann. Bis jetzt sah es so aus, als hätten meine Immen den Winter überstanden. Das war nicht selbstverständlich. Immer öfter hörte ich von Verlusten bei befreundeten Imkern, und auch ich hatte bereits Bienenvölker verloren. Der letzte Rundgang hatte mich optimistisch gestimmt. Aus jedem Bienenstock war ein sanftes Summen gedrungen, als ich mein Ohr darangehalten hatte. Die Chancen standen gut, dass das so blieb, sofern das Wetter mitspielte. «Hoffentlich wird dieses Frühjahr nicht wieder so feucht und kalt», dachte ich, schlang fröstelnd die Arme um meinen Körper und ging schneller. «Im Frühling brauchen die Bienen vor allem Pollen für ihre Brut», predigte ich in meinen Seminaren und verteilte Flyer mit Bienenweidepflanzen an meine Kunden und Seminarteilnehmer. Aber wenn das Thermometer nicht über 12 Grad kletterte und die Bienen wegen niedriger Temperaturen nicht ausfliegen konnten, nützte der bienenfreundlichste Garten nichts.

Unter dem Vordach trampelte ich ein paarmal auf der Fußmatte auf der Stelle, um den Schnee von meinen Schuhen abzuschütteln, und verstaute sie dann im hölzernen Schuhhaus vor der Eingangstür. Die Wärme des bullernden Kaminofens zog bis in den Flur hinein. Ich zog die Jacke aus, hängte sie über den Treppenpfosten und ging ins mollige Wohnzimmer. Im Vorbeigehen warf ich die Zeitung auf das Sofa und stellte mich vor den Ofen, um meine kalten Füße und klammen Hände zu wärmen. Langsam kehrte das Blut in meine Finger zurück, und auch meine Zehen tauten auf. Ich ließ mich in die weichen Polster unseres Sofas fallen, schnappte mir die Eckernförder Zeitung und überflog die Schlagzeilen. Die Welt hatte an diesem Wochenende mal wieder nichts Schönes zu berichten. In Amerika machte sich ein narzisstischer Immobilien-Hai auf den Weg ins Weiße Haus, und auch sonst frustrierten mich die Meldungen über Kriege, Attentate und andere Katastrophen. Je älter ich wurde, desto dünnhäutiger wurde ich. Eigentlich fühlte ich mich besser, wenn ich nicht wusste, was alles so geschah, und war froh, dass die Welt hier noch in Ordnung schien. Ich legte die Zeitung zur Seite, holte meinen Laptop hervor und las den Text, den ich am Abend zuvor geschrieben hatte: «Der Sturm aus Osten hatte zugenommen. Seit dem Nachmittag riss er so heftig am Reetdach, dass das Gebälk bei jeder Böe bedrohlich ächzte. Das tiefhängende Reetdach und die niedrigen Decken schluckten das letzte Tageslicht, das an diesem Dezembernachmittag durch die Scheiben fiel. Mit klammen Fingern entzündete Teresa ein paar Talgkerzen …»

Die Zeilen gefielen mir, und ich nahm mir vor, später weiter an meinem Historienroman zu feilen. Im Frühling und Sommer würde ich keine Zeit mehr dafür haben. So oft wie möglich zog ich mich daher in meinen Bauwagen zurück und beschäftigte mich mit Storyboards, Charakteren und Plots. Ich kam nur langsam voran, schrieb Zeilen, die ich kurz darauf wieder löschte, und auf meinem Nachttisch stapelten sich Schreibratgeber, über deren Lektüre ich meistens einschlief. Mit neuem Mut klappte ich meinen Laptop zu und schaltete das Radio ein. Beschwingt von der Folkloremusik aus einem entlegenen Winkel Europas, pendelte ich zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her und deckte den Tisch für unser «Landfrühstück». Diese Tradition existierte seit unserem Einzug. Damals hatte der Mai unseren Schritt von Hamburg nach Schleswig-Holstein mit wochenlangem Sonnenschein belohnt. Stundenlang saßen wir am üppig gedeckten Tisch auf der Wiese vor unserem Haus, lauschten dem Summen der Bienen und freuten uns über unser Glück. Unsere Frühstückszeremonie gab es noch immer, allerdings hatte die Frequenz abgenommen. Meine Imkerei war seit ihrer Gründung so gewachsen, dass ich ständig zu tun hatte, und auch mein Mann blieb immer öfter in Hamburg. Die Momente, in denen wir unser Landparadies gemeinsam genossen, konnten wir mittlerweile an einer Hand abzählen. Wenn ab April die Urlauber an die Küste zogen, hatte mein Hofladen Hochsaison, und im Herbst tingelte ich bis zum Heiligabend von Markt zu Markt. Da blieb...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2020
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 50 • Abenteuer • Abenteuerlust • buch für frauen • Ehekrise • Enttäuschung • Honigfrau • Lebenskrise • Liebeskummer • Midlife • Midlifecrisis • Neuanfang • Neustart • Portugal • Scheidung • Scheitern • Sehnsucht • Wechseljahre
ISBN-10 3-644-00360-2 / 3644003602
ISBN-13 978-3-644-00360-6 / 9783644003606
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