Sie hat Bock (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
224 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7010-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sie hat Bock -  Katja Lewina
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Katja Lewina hat Bock, und sie schreibt darüber. Wäre sie ein Mann, wäre das kein Ding. So aber ist sie: »Schlampe«, »Nutte«, »Fotze«, »Hoe« ... Seit #metoo werden die Rufe nach der potenten Frau laut und lauter. Aber hat eine, die ihr sexuelles Potenzial jenseits von »stets glatt rasiert und gefügig« lebt, in unserer Gesellschaft tatsächlich einen Platz? Lewina führt die Debatte über weibliches Begehren fort und erforscht entlang ihrer eigenen erotischen Biografie, wie viel Sexismus in unserem Sex steckt. Kindliche Masturbation, Gynäkolog*innenbesuche, Porno-Vorlieben oder Fake-Orgasmen: Kein Thema ist ihr zu intim. Und nichts davon so individuell, wie wir gern glauben. Aber die Krusten unserer Sozialisation lassen sich abkratzen! Und so ist Sie hat Bock mehr Empowerment als Anprangern, mehr Anleitung zur Potenz als Opferdenke. Denn nach der Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten und Tabus ist es an der Zeit, den Weg zur Selbstermächtigung einzuschlagen. »Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben, im Leben und beim Sex.« Katja Lewina »Es kribbelt zwischen den Beinen, Schweißausbrüche, lachen und schämen. Was will man bitte mehr? Es ist so gut geschrieben! Ich liebe es.« Charlotte Roche

KATJA LEWINA wurde 1984 in Moskau geboren, studierte Slawistik sowie Literatur- und Religionswissenschaften. Sie arbeitete als freie Lektorin und im Künstler*innenmanagement. Heute ist sie freie Autorin für namhafte Medien. Bei DuMont erschienen die SPIEGEL-Bestseller >Sie hat Bock< (2020), >Bock. Männer und Sex< (2021) und >EX< (2022).

Ein Trinkspruch

(… den ich mit Blick auf ein volles 100-Milliliter-Glas Wodka schreibe; wer Lust hat, kippt es hinterher mit mir zusammen weg.)

»Ficken ist Frieden«. Die alte Frau hatte es in bunten Farben auf eine Pappe geschrieben, die sie vor ihrer Brust hielt. Dazu krächzte sie: »Das Wichtigste, das Wichtigste!«, wie etwas, das mit letzter Kraft gerade noch so gesagt werden musste. Die ist doch völlig bescheuert, fand ich. Ich war neunzehn, vor Kurzem erst in Berlin gestrandet und auf meinem ersten Streifzug zum Sale bei H&M an der Gedächtniskirche – ich musste es also wissen. Die Stadt war voller Verrückter, das hatte ich schon eine halbe Stunde nach meiner Ankunft verstanden. Aber diese eine schien einen besonders schlimmen Hau wegzuhaben. Warum sonst würde sie in ihrem Alter das Wort »Ficken« benutzen? Überhaupt in der Öffentlichkeit? Und dann noch als Frau? In ihr vereinten sich so viele Widersprüche und Peinlichkeiten, dass meine Beine von allein in Galopp verfielen, nur, um schnell aus dieser Fremdscham-Zone herauszukommen. Und dann endlich bei H&M Spitzen-Push-ups zu shoppen. Ich war ja jung, ich durfte an Ficken denken. Wobei, eigentlich sollte ich mehr nach Ficken aussehen, es so wahnsinnig wild treiben durfte ich es im Gegensatz zu den Jungs nicht. Ich wollte schließlich keine Schlampe sein. Eine Ungerechtigkeit? Vielleicht. Aber was sollte man gegen Naturgesetze schon ausrichten? Die Alte aber hatte völlig ihre Contenance verloren, jede Würde, die ihr hätte noch bleiben können, nachdem sie das Alter der Fickbarkeit schon vor Jahrzehnten verlassen hatte. Sie machte sich lächerlich. Und überhaupt: Ficken war nicht Frieden. Ficken war Ficken. Was sonst.

Es gibt nicht vieles, das ich aus meinem Leben erinnere, denn Gott oder ein übereifriger Zufall hat schon bei meiner Entstehung geahnt: Besser ein Sieb als ein Gedächtnis, mit möglichst großen Löchern – sie wird es bitter nötig haben. Aber an Helga Goetze (so hieß die alte Frau, das habe ich grade im Internet nachgeguckt) erinnerte ich mich selbst dann noch, als ich schon längst in einer Kleinstadt in Brandenburg lebte und Push-ups von H&M gleich nach ungebetenen Männerhänden das Letzte waren, das ich an meine Brüste lassen wollte. Es waren fast fünfzehn Jahre vergangen, seit ich sie das erste Mal gesehen hatte. Ich hatte studiert, ein paar Beziehungen gegen die Wand gefahren, Kinder bekommen. Vor allem aber hatte ich jegliche Bestrebungen aufgegeben, im Namen der Ehre meine Beine zusammenzuhalten. Gefällig zu sein. Und verführerisch. Wenn Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln die Schenkel spreizen durften im Namen ihrer dicken Eier, dann wollte ich das genau so. Meine Schamlippen (verdammt sein soll er, dieser Name, aber dazu später) brauchten schließlich auch gebührenden Platz. Ich hatte aufgehört, allen 47 Stellen meines Körpers, die eine anständige Frau gefälligst zu enthaaren hat, zu Leibe zu rücken (es sei denn, um es mir selbst zu besorgen, aber auch dazu später mehr). Nun war ich haarig wie ein Kerl, und vermutlich fickte ich genauso wie einer. Nicht, weil mir plötzlich ein Schwanz gewachsen wäre oder ich es nur noch mit Strap-On machen würde (obwohl er mir zugegebenermaßen wirklich gut stünde). Sondern weil ich keine Lust mehr hatte, mich immer und immer wieder nehmen zu lassen. Stattdessen nahm ich selbst. Ich sagte, was ich wollte und mit wem. Und weil es mich selbst überraschte, dass das so einfach ging (dass ich das offensichtlich schon immer gekonnt hatte!), fing ich an, darüber zu schreiben. Warum ich keinen Bock habe, mich auf einen einzigen Mann zu beschränken zum Beispiel, oder über Tage, an denen ich nichts anderes mache, als zwischen meinen Beinen rumzuspielen. »Welt!«, schrieb ich also voller Euphorie. »Es ist der Wahnsinn, was da alles geht!« Die Welt schrieb sogar zurück. Ungefähr so: »Iiiiiiiihhh, ist das eklig! Kann die mal bitte die Fresse halten?« Klar, erst hab ich ein bisschen geweint, dann aber zum Glück kapiert: Je mehr sich die Leute von einem Thema angekotzt fühlen, desto mehr sollte man ihnen davon zu riechen geben. Damit sie sich daran gewöhnen. Damit sie sich damit entspannen können. Helga Goetze hatte es genauso gemacht. Hielt Slipper shoppenden Perlenketten-Mütterchen, wichtigen Typen im Trenchcoat und eben ahnungslosen Mädchen ihr »Ficken« vor die Nase. Es war pure Nächstenliebe. Danke, Helga.

Nächstenliebe war es auch, die mich für den Playboy einen Essay über mein Geschlechtsorgan schreiben ließ. Immer wieder war ich mit Typen in der Kiste gelandet, die keine Ahnung zu haben schienen, wie eine Frau untenrum so funktionierte. Das lag sicher nicht an mangelndem Willen. Sondern daran, dass weibliche Sexualität etwas ist, über das man im Laufe der Jahrtausende verdammt viel Bullshit verbreitet hat. Und dieser Bullshit ist hartnäckiger als Nagelpilz. Er hält sich auf dem Schulhof, im Aufklärungsunterricht, in den Gesichtern unserer Eltern, in der Bravo. In den Serien und Pornos, die wir gucken. In unseren Betten. Er bestimmt unser Begehren, was wir schön finden und was richtig. Wer was darf und wer was nicht. Davon nehme ich mich selbst nicht aus. Auch ich war lange Zeit der Meinung, dass ich als Frau nicht so viel Bock haben sollte wie ein Mann. Dass meine Vulva besser klein und unauffällig ist wie die von einem vorpubertären Mädchen. Dass es völlig natürlich ist, wenn ich öfter blase, als ich geleckt werde. Dass irgendwas in mir kaputt sein muss, wenn ich nicht komme, nur weil ein Schwanz in mir drinsteckt. Und irgendwo hakt es ganz sicher immer noch bei mir.

Der Text wurde recht gut, aber leider konnte ich ihn nicht so ausführlich werden lassen, wie ich wollte – sonst hätten ja die ganzen barbusigen Mädchen keinen Platz mehr im Heft gefunden. Also fragte ich jetzt, das junge Magazin der Süddeutschen Zeitung, ob die nicht eine Kolumne über all die komischen Dinge haben wollten, die viele von uns über weibliche Sexualität so glauben. Schließlich gibt es viel dazu zu sagen. Und noch mehr, weil Sex nach wie vor Grauzone ist. Nebel. Wir können mit absurd vielen Menschen schlafen, zu jedem einzelnen Porno des Internets wichsen und ganze Bibliotheken über Sex-Techniken leerlesen – und trotzdem sind Gedanken wie »Sie wollte meine Zunge in ihrem Mund, also will sie auch meinen Penis in ihrer Vagina« oder »Er hat eklige Dinge mit mir getan, aber ich bin bestimmt selbst daran schuld« für viele von uns so normal wie der morgendliche Gang zur Toilette. Für den einen deutlich angenehmer als für die andere, das sicher. Aber was sein muss, muss sein. Und vor allem: Bloß nicht drüber sprechen. Genauso wenig wie darüber, dass man keinen hochbekommt oder sich beim Sex so verkrampft, dass nichts und niemand in einen reinpasst. Dass man sich mit etwas angesteckt oder Schiss hat, die eigene Vulva sei zu groß oder der Penis zu klein. Dass Geschlechtsteile Flüssigkeiten absondern oder man Lust auf komische Sachen hat. Dass man überhaupt Lust auf Sex hat. Oder gar keine. Dass man sich fragt, ob man es im Bett bringt oder was das Gegenüber von einem will. Viele von uns schämen sich für so ziemlich alles, was mit ihrem Unterleib zusammenhängt. Das gilt natürlich für Männer wie für Frauen. Die Frauen hat das Patriarchat aber ganz besonders gefickt. Und genau dagegen wollte ich schreiben.

Wir tauften die Kolumne Untenrum. Nicht als Reminiszenz an Margarete Stokowski (obwohl die schon sehr vieles sehr treffend gesagt hatte), sondern weil uns verdammt noch mal kein anderes Wort einfallen wollte, das die Gesamtheit von weiblichen Geschlechtsorganen, ihrer Sexualität und den gesellschaftlichen Umgang damit so treffend beschrieb wie eben dieses. Woche für Woche nahm ich mir ein neues Thema vor, ich inhalierte Bücher, recherchierte Studien und Umfragen und soff unzählige Weinflaschen leer. Nicht nur, weil mit einem Glas Wein die abendliche Arbeit besser flutscht. Sondern auch, weil meine russischen Gene nach irgendetwas verlangten, mit dem ich meine Wut runterspülen konnte. Denn so vieles von dem, was ich las, war fucking ungerecht. Anderes wiederum hatte ich schlicht nicht gewusst (und warum zum Teufel hatte man mir das vorenthalten?). Hatte ich mich schon vorher klar als Feministin positioniert, war mein Bekenntnis mit fortschreitender Arbeit auf 120 Pro gestiegen. Frauen hatten nämlich nicht nur seit Einführung des Vaterrechts vor Tausenden von Jahren so wenig Zugang zu Geld, Macht und anderen wichtigen Ressourcen, dass man sich schon fragen könnte, wie sie bis hierher überhaupt überleben konnten – sie hatten offensichtlich noch nicht mal Kontrolle über ihren eigenen Unterleib und noch viel weniger darüber, was Kerle sich alles über ihn ausdachten.

Und schließlich entstand aus der Kolumne dieses Buch1. »Sie hat Bock« enthält nicht nur viele der Untenrum-Texte in einer überarbeiteten und erweiterten Version, sondern auch einen Haufen anderer Geschichten, die all die Zeit darauf warteten, erzählt zu werden. Alles, worüber ich schreibe, habe ich selbst erlebt. Wenn wir wirklich über Sex reden wollen, müssen wir zuallererst unsere eigenen Hosen runterlassen, denn nur durch das Persönliche wird das Politische überhaupt erst greifbar. Weil aber die Personen, die in meinen Geschichten vorkommen, lieber selbst entscheiden sollen, ob sie von ihren Eskapaden berichten oder nicht, habe ich Namen und Umstände so weit verändert, dass niemand erkannt werden kann.

Jeder dieser Texte kann gut für sich allein stehen, alle zusammen aber ergeben sie Über-...

Erscheint lt. Verlag 18.2.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alte weiße Männer • Autonomie • Begehren • bücher über Beziehungen • Bücher über Frauen • bücher über Liebe • Bücher über Sex • buch zu offener Gesellschaft • casual sex • Charlotte Roche • Empowerment • Feminismus • Feuchtgebiete • Fifty Shades of Grey • Frauen • Frauenrechte • Fremdgehen • Gender • Geschlechterrollen • Geschlechterverhältnisse • Gesellschaftskritik • Gleichberechtigung • Jungfräulichkeit • Kolumne • Körper • Liebe • Lust • Machtverhältnisse • margarte stokowski • #metoo • metoo • Metoo-Debatte • Mutter • neue Sachbücher • Offene Beziehung • offener Umgang mit Sexualität • Paardialoge • Porno • potente Frau • Potenz • Queer • Scham • Scheide • Sexismus • Sexualisierte Gewalt • Sexualität • sexuelle Freiheit • sich nicht mehr schämen • Sophie Passmann • Tabu • Ungleichheit • untenrum • Vagina • Vulva • weiblicher Körper • zu seiner Sexualität stehen
ISBN-10 3-8321-7010-3 / 3832170103
ISBN-13 978-3-8321-7010-3 / 9783832170103
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