Willkommen im 21. Jahrhundert (eBook)
208 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32167-8 (ISBN)
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert« (2020).
Joschka Fischer, geboren 1948 in Gerabronn. Von 1994 bis 2006 Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/07 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind bisher erschienen: »Risiko Deutschland« (1994), »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« (1998), »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September« (2005), »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September« (2009), »I am not convinced« (2011), »Scheitert Europa?« (2014), »Der Abstieg des Westens« (2018), »Willkommen im 21. Jahrhundert« (2020).
Einleitung – Trump und die Folgen
Fast zwei Jahrzehnte ist das 21. Jahrhundert jetzt alt, und die konkreten Konturen seiner neuen Weltordnung werden in unseren Tagen ganz praktisch erlebbar und bestimmen unsere Zukunft: der Aufstieg Chinas, die Verlagerung der weltpolitischen Zentralachse weg vom Nordatlantik hin zum Pazifik und zu Ostasien, eine zunehmend konfuse Weltmacht USA, welche die Lasten der globalen Führung nicht mehr tragen will und schon gar nicht die einer globalen Ordnungsmacht, andererseits aber an seiner globalen Führungsrolle unter nationalistischen Vorzeichen festhält, zahlreiche Konflikte entlang der eurasischen Hauptachse zwischen Pazifik und Europa, eine frustrierte und ökonomisch ineffiziente nukleare Weltmacht Russland und ein stagnierendes Europa, Nationalismus gegen internationale Zusammenarbeit.
Dreißig Jahre nach dem magischen Jahr 1989 sollten wir Europäer nicht noch einmal denselben Fehler machen: die Radikalität und die dramatischen Auswirkungen einer historischen Zäsur zu unterschätzen. Nur dass es diesmal den Westen und nicht den Osten betrifft. Ein Megabeben namens Trump zertrümmert das westliche Bündnis in Verbindung mit zwei anderen Megabeben, dem Aufstieg Chinas zur globalen Nummer eins und der digitalen Revolution, die ebenfalls kaum einen Stein auf dem anderen lassen wird. Es sind drei Revolutionen auf einmal, vor denen die Welt und damit auch Europa heute stehen und die der Alte Kontinent allein bewältigen muss, ohne Schutz und Deckung durch den großen Bruder USA. Ganz im Gegenteil ist dessen Rückzug aus der globalen Verantwortung die größte Herausforderung für die Europäer.
Die Welt heute macht einen verunsicherten und verunsichernden Eindruck. Stabilität und Berechenbarkeit werden zur Mangelware, bewährte Allianzen und Garantien werden infrage gestellt oder gar umgekehrt und zwischen den Mächten und Staaten hat ein chaotischer Wettbewerb um die jeweils eigene Positionierung in einer zunehmend undurchschaubarer werdenden Weltordnung begonnen, in der vieles, ja vielleicht alles im Umbruch ist. Schlimmer noch, diese verunsichernde Unruhe geht zuerst und vor allem von den beiden ganz großen Mächten der Gegenwart aus, deren Aufgabe es eigentlich sein sollte, kraft ihrer Größe und Macht für globale Stabilität zu sorgen – von China und den USA –, und das ist eine sehr schlechte Nachricht. Vor allem der offensichtliche Widerspruch in der Politik der USA, einerseits die Rolle der Ordnungsmacht loszuwerden und andererseits an der Nummer eins unter nationalistischen Vorzeichen festhalten zu wollen, birgt ein erhebliches Chaospotenzial, welches das gesamte globale System in Mitleidenschaft ziehen wird, ganz besonders aber Europa, das in einem hohen Maße von den USA abhängig ist – sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und digital.
Wenn diejenigen, die kraft ihrer Stärke und Größe eigentlich Stabilitätsgaranten der globalen Ordnung sein sollten, das genaue Gegenteil dessen sind und an erster Stelle zum globalen Chaos beitragen, dann verheißt das für die neue Ordnung der Welt eine längere Phase der Unordnung und erhöhten Risikos. Einer der Hauptverursacher für diese globale Instabilität werden dabei für eine längere Übergangsphase die USA sein, solange sich die alte Nummer eins nicht entschieden hat, in welche Richtung sie geopolitisch im 21. Jahrhundert gehen will, und darüber einen neuen innenpolitischen Konsens erzielt hat – und das wird dauern. Eines aber, das ist heute schon absehbar, wird nicht funktionieren: die Nummer eins bleiben zu wollen, ohne die Rolle einer globalen Ordnungsmacht zu übernehmen, denn das ist ein Widerspruch in sich. Die Frage, die sich heute nicht beantworten lässt, ist dabei, ob es sich um einen Widerspruch nur unter Trump handelt oder ob dieser auch in die Zeit nach ihm hinüberreichen wird, denn die Wählerschaft von Trump wird mit diesem nicht abtreten, und der Widerspruch zwischen Isolationismus und der internationalen Rolle der USA wird bleiben. Ob sich dieser innere Konflikt in den USA zwischen einer isolationistischen Wählerschaft und den mehr imperial denkenden und kalkulierenden Eliten in einem neuen globalen Engagement der USA unter einem anderen Präsidenten auflösen lässt, ist aus heutiger Sicht nicht zu entscheiden. Wenn man die gegenwärtige Innenpolitik der USA verfolgt, so spricht nicht sehr viel für diese internationalistische Variante. Wie auch immer, die USA unter Trump werden sich stark verändern und die alte Zeit eines gemütlichen Transatlantismus wird nicht zurückkehren, das lässt sich schon heute prognostizieren.
Chinas Aufstieg an sich ist ein die globale politische und wirtschaftliche Ordnung erschütterndes Faktum des frühen 21. Jahrhunderts. Je mehr sich das Land seiner wachsenden Stärke bewusst werden wird, desto hegemonialer werden sein Auftreten und seine Ansprüche. Vor allem in Ost- und Südostasien droht China mit wichtigen regionalen Nachbarn, vor allem aber mit der alten Führungsmacht USA, in Konflikt zu geraten. Die Zeiten von Deng Xiaoping sind vorbei, in denen China nach der Devise »Den Kopf unten halten und weiterarbeiten« seine Modernisierung vorantrieb. Zunehmend treten in Peking Fragen des nationalen Prestiges zulasten einer pragmatischen Haltung in den Vordergrund, und Prestige hat sich im Umgang mit aufsteigenden Mächten immer als das große Risikopotenzial erwiesen – siehe das Deutsche Reich unter dem zweiten Wilhelm.
Die USA unter Trump wiederum wollen sich, wie weiland Gulliver im Land der Liliputaner, brachial aus den vermeintlichen Fesseln des von ihnen in der Vergangenheit selbst geschaffenen Systems einer auf Regeln basierenden globalen Ordnung befreien, die über Jahrzehnte hinweg ihre Vorherrschaft erfolgreich abgesichert und das Land zu einer unvergleichlichen Supermacht gemacht hat. Dies führt zur faktischen Aufkündigung tradierter Bündnissysteme und Regeln der Zusammenarbeit und zu einer tiefen Verunsicherung traditioneller Bündnispartner, ja mehr noch, zur Erschütterung regionaler Ordnungen, wie sie aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen waren und jahrzehntelang Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand gesichert hatten.
Diese brachiale Zertrümmerung der tradierten Pax Americana durch Trump wird allerdings ihren Preis für die Supermacht und die mit ihr verbundenen Alliierten haben, der nicht gering ausfallen wird. Trumps Außenpolitik entbehrt jeglicher kalkulierender Vernunft, wie die gescheiterten Atomgespräche mit Nordkorea, aber auch die Lage im Nahen Osten zeigen. Donald Trump, der 45. Präsident der USA, ist tatsächlich eine Revolution! Es fällt schwer, sich diese Tatsache einzugestehen, aber dieser Mann stellt die Welt, vor allem die westliche, gerade auf den Kopf, ohne dabei zu wissen oder gar auch nur ansatzweise zu überschauen, was er tut. Aber er tut es! Und das allein zählt. Man kann ihm vieles vorwerfen, aber nicht, dass er seine Wahlversprechen nicht einlösen würde.
Trump im Nahen Osten: Der Iran erweist sich dort, trotz seiner massiven wirtschaftlichen Probleme, als der Gewinner der chaotischen amerikanischen Außenpolitik. Trumps offener Verrat an den Kurden der YPG in Nordsyrien, den wichtigsten Waffenbrüdern der USA im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS), wird das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten weltweit nachhaltig erschüttern und die Situation im Nahen Osten weiter verschärfen. Wladimir Putin und Russland streichen die Prestigegewinne ein, der Iran aber konsolidiert seinen Einfluss am Boden. Unter George W. Bush und durch seinen unseligen Krieg im Irak händigten die USA dieses für die Region so überaus wichtige arabische Land, das traditionell das Gegengewicht zum Iran gebildet hatte, an den Iran aus, wofür amerikanische Soldaten starben und amerikanische Steuerzahler Unsummen bezahlten. (Der Irak bildet die entscheidende Landbrücke zwischen dem Iran und Syrien/Libanon bis hin zu deren Mittelmeerküsten – der sogenannte schiitische Halbmond.) Unter Donald Trump schienen die USA nun nicht mehr zu wissen, was sie wollen: die regionale Hegemonie an Teheran zu überantworten oder volle Konzentration auf den Iran. Dieses geopolitische Dilettieren des amerikanischen Präsidenten ist hochgefährlich.
Dies wird gegenwärtig unverhüllt im Norden Syriens sichtbar. Angesichts der türkischen Invasion und des amerikanischen Verrats bleibt den Kurden nichts anderes übrig, als sich Assad zuzuwenden, der dank Trump und des Nichteingreifens seines Vorgängers Barak Obama, auch dank der fast völligen Abwesenheit Europas, und mit der Unterstützung Irans und Russlands als der Sieger im syrischen Bürgerkrieg feststeht. Ein weiterer Gewinner dürfte der IS sein.
Der Vorschlag der deutschen Verteidigungsministerin zur Einrichtung einer humanitären Schutzzone unter UN-Mandat kam viel zu spät. Putin und Erdogan waren sich bereits einig, sodass dieser Vorschlag lediglich gut gemeint, aber nicht durchdacht war. Warum sollte Europa, jenseits der Frage nach seinen militärischen Fähigkeiten, zu so später Stunde denn noch in den syrischen Krieg eingreifen? Mit welchem Ziel? Welcher Strategie? Was sollte politisch erreicht werden? Fragen, die nicht beantwortet wurden. Und so bleibt der Eindruck zurück, dass die Initiative der deutschen Verteidigungsministerin eher als Beispiel dafür taugt, wie Europa es nicht machen...
Erscheint lt. Verlag | 5.3.2020 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Außenpolitik • China • Demokratie • Der Abstieg des Westens • Eurasien • Europa • Geopolitik • Pazifismus • Politik • Russland • Trump • Weltordnung |
ISBN-10 | 3-462-32167-6 / 3462321676 |
ISBN-13 | 978-3-462-32167-8 / 9783462321678 |
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