Beute, Ernte, Öl (eBook)

Wie Energiequellen Gesellschaften formen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
432 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-18276-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Beute, Ernte, Öl - Ian Morris
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Was haben Ölplattformen mit unseren Wertvorstellungen zu tun?
Die meisten Menschen heutzutage halten Demokratie und Gleichberechtigung der Geschlechter für eine gute Sache und sprechen sich gegen Gewalt und Ungleichheit aus. Aber bevor sich solche Auffassungen und die damit verbundenen Wertvorstellungen allmählich im 19. Jahrhundert herausbildeten, galten 10000 Jahre lang genau gegenteilige grundsätzliche Annahmen und andere Werte. Woran liegt das? An unseren Energiequellen, sagt Ian Morris in seinem neuen großen Wurf, diese formen unsere Gesellschaft wie nichts sonst. Was kommt auf die Menschheit nach dem Ende der fossilen Ära zu? In seiner Bedeutung vergleichen führende Historiker »Beute, Ernte, Öl« mit Jared Diamonds »Kollaps« und Steven Pinkers »Gewalt«.

Ian Morris, gebürtiger Brite, ist seit zwanzig Jahren Professor für Geschichte und Archäologie an der University of Chicago und der Stanford University. Seine Arbeiten sind preisgekrönt und werden gefördert u.a. von der Guggenheim Foundation und der National Geographic Society. Von 2000 bis 2006 leitete er Ausgrabungen auf dem Monte Polizzo, Sizilien, eines der größten archäologischen Projekte im westlichen Mittelmeerraum.? Sein Buch »Wer regiert die Welt?« (2011) wurde ein Bestseller.

Einführung

Stephen Macedo

Ian Morris’ elftes Buch Wer regiert die Welt?, das 2011 erschien, wurde als »genial«, »scharfsinnig« und »überwältigend« beschrieben. Es war ein in seiner Breite und Belesenheit beeindruckendes Werk, das obendrein noch packend geschrieben war. Morris gibt darin einen Überblick über 15000 Jahre Menschheitsgeschichte und fragt, warum sich Ost und West unterschiedlich entwickelt haben und warum die einen Kulturen aufstiegen, während die anderen untergingen. Am Ende wirft er die Frage auf, was die Zukunft bringen könnte, angesichts der zahlreichen Gefahren für die Menschheit – »Staatsversagen, Hungersnot, Seuchen, Klimawandel und Migration« –, die als unbeabsichtigtes Nebenprodukt die gewaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung begleiten, von der so viele Menschen profitieren.

Das vorliegende Buch ist ein Nachfolger zu Wer regiert die Welt?, in dem Morris ein weiteres Mal den ehrgeizigen Versuch unternimmt zu erklären, wie die rohen materiellen Kräfte unsere Kulturen, Werte und Überzeugungen prägen, darunter auch die Wertvorstellungen, die Menschen in den vergangenen 20000 Jahren entwickelt haben. Es basiert auf den beiden Tanner Lectures on Human Values, die Ian Morris im Oktober 2012 in Princeton hielt.

Morris’ These lässt sich wie folgt umreißen. Einige menschliche Grundwerte entstanden vor rund 100000 Jahren: »Fairness, Gerechtigkeit, Liebe und Hass, Selbstschutz und die gemeinsame Vorstellung, dass manche Dinge heilig sind«. Diese zentralen Anliegen (Kapitel 2), die sich in der einen oder anderen Form in jeder Kultur wiederfinden, wurden durch die »biologische Evolution unserer großen, schnellen Gehirne« (Kapitel 5) möglich. Morris erklärt außerdem, dass einige dieser Werte in gewissem Maße »bei unseren nächsten Verwandten unter den Menschenaffen« zu beobachten sind, eine These, die der Primatologe Frans de Waal bereits in einer früheren Tanner Lecture vertreten hat. 1

Die Menschen haben jedoch entscheidende Vorteile gegenüber anderen intelligenten Tierarten, und diese ermöglichen die Erfindung und ständige Weiterentwicklung der Kultur. Wir schaffen komplexe Wertsysteme, Normen, Erwartungen und kulturelle Muster, die Kooperation ermöglichen und unsere Überlebenschancen in einer sich verändernden Umwelt verbessern. Wie die biologische Evolution lässt sich die kulturelle Entwicklung verstehen als »Konkurrenzkampf, der sich in Millionen winzigen Experimenten abspielt« – der kulturellen Entsprechung von zufälligen Mutationen in der Biologie. Dabei »setzen sich diejenigen Eigenschaften durch, die in einer bestimmten Umgebung gut funktionieren, und ersetzen andere, die weniger gut funktionieren« (Kapitel 2).

Morris entwickelt eine Makrogeschichte der menschlichen Werte, die parallel zu drei aufeinanderfolgenden Phasen der menschlichen Entwicklung verläuft. Die Gestalt, die die menschliche Kultur in diesen drei Phasen annimmt, wird durch immer produktivere Formen der Energiegewinnung definiert: Wildbeuterei, Landwirtschaft und die Nutzung fossiler Energie. Morris stellt die These auf, dass diese Formen der Energiegewinnung die Formen der menschlichen Gesellschaft und damit der menschlichen Werte »bestimmen« oder zumindest deren Möglichkeiten »einschränken«. Jedes Zeitalter gelangt schließlich zu den Werten, die es braucht, weil sich erfolgreichere Formen der gesellschaftlichen Organisation durchsetzen und ihre Mitbewerber überflügeln. Diese funktionalistische Darstellung sieht menschliche Werte als »Produkt der evolutionären Anpassung, das heißt, Menschen passen ihre Werte an das sich verändernde gesellschaftliche Umfeld an, um ihre Wirksamkeit zu maximieren« (Kapitel 2).

Morris’ zentrale These ist, dass in jeder historischen Phase, von der Wildbeuterei über die Landwirtschaft bis zum Zeitalter der fossilen Energie, »die Form der Energiegewinnung ausschlaggebend war für die Größe und Dichte der Bevölkerung, dass sie die jeweils am besten funktionierende Form der gesellschaftlichen Organisation vorgab und dass diese ihrerseits bestimmte Werte erfolgreicher und attraktiver machte als andere« (Kapitel 5). Daher entwickelten frühe Gesellschaften von Jägern und Sammlern egalitäre Gesellschaftsstrukturen sowie Werte, die das Teilen in den Vordergrund stellten und Ungleichheit nur in geringem Umfang tolerierten, während sie zugleich relativ gewalttätig waren. Agrargesellschaften waren dagegen tendenziell stärker hierarchisch aufgebaut und weniger gewalttätig, weil sie auf diese Weise optimal funktionierten. Und die Fossilenergiegesellschaften, die im 18. Jahrhundert entstanden und zu denen wir gehören, sind ausgesprochen egalitär, was Politik und die Geschlechter angeht, sie tolerieren eine ungleiche Verteilung des Reichtums und sind weit weniger gewalttätig als alle früheren Gesellschaften.

Das ist eine grobe Vereinfachung von Morris’ Darstellung. Daneben betont Morris, dass auch technische Innovation und Geografie mit darüber entscheiden, welche Gesellschaften eine Vormachtstellung erlangen und wie das geschieht. Leser von Wer regiert die Welt? sind mit der Argumentation bereits vertraut: Innovationen in der Seefahrt machen beispielsweise den Zugang zum Meer zum Vorteil und ermöglichen den Aufstieg der großen europäischen Seefahrernationen.

In seiner Darstellung bezieht sich Morris auf einen großen Wissensschatz, und er entwickelt seine Argumentation mit außergewöhnlicher Klarheit und Witz.

Auf fünf kompakte Kapitel von Ian Morris folgen die Anmerkungen von drei herausragenden Wissenschaftlern und einer der bekanntesten Romanautorinnen der Welt.

Richard Seaford ist Professor für Altgriechische Literatur an der University of Exeter und Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu antiker griechischer Literatur, Religion und Philosophie sowie zum Neuen Testament. Nach Ansicht von Seaford ist Morris »ganz in der deterministischen Quantifizierung gefangen«, weshalb er mit seinen drei großen Phasen der menschlichen Entwicklung die Vielfalt der menschlichen Werte und kulturellen Formen vernachlässige. Nach Ansicht von Seaford bringt die Landwirtschaft nicht überall dieselben Werte hervor, und er führt das antike Athen als Gegenbeweis für Morris’ Determinismus an. Genau wie Jonathan Spence weist er auf die Tatsache hin, dass historische Dokumente in der Regel nicht auf die Sicht marginalisierter Völker eingehen, zumindest solange diese selbst nicht organisiert sind. Seaford fragt sich, warum Morris das gelegentliche Murren der Bauern nicht als Hinweis auf das Fortbestehen eines politisch machtlosen Egalitarismus ernst nimmt, der Zweifel daran aufkommen lässt, dass die bäuerlichen Gesellschaften die Ungleichheit akzeptiert oder gar für gut befunden haben könnten.

Seaford schließt mit einer Bemerkung zu Morris’ These, wonach jedes Zeitalter die Werte bekommt, die es braucht. Er wirft Morris vor, mit seinen Überlegungen zur historischen Entwicklung näher an den Vorstellungen der »Herrschenden« zu sein als an den Werten, die unser Zeitalter benötigt. Vor allem wirft er Morris vor, mit seinem Bezug auf die Evolutionstheorie und seiner Betonung von »Wettbewerb, Quantifizierbarkeit, Konsens und Effizienz« die Leitgedanken der kapitalistischen Wirtschaftsordnung allzu unkritisch übernommen zu haben. Wenn die Menschheit überleben soll, dann benötigt sie nach Ansicht von Seaford einen kritischeren und aufgeklärteren Umgang mit den von Morris benannten menschlichen Grundwerten: »Fairness, Gerechtigkeit, Liebe und Hass, Selbstschutz und die gemeinsame Vorstellung, dass manche Dinge heilig sind« (Kapitel 6).

Da sich Ian Morris in Wer regiert die Welt? mit der relativen Entwicklung und den künftigen Entwicklungschancen Chinas und des Westens auseinandergesetzt hat, passt es gut, dass unser zweiter Diskussionsteilnehmer Jonathan D. Spence ist, ehemaliger Sterling Professor für Geschichte an der Yale University und einer der führenden Experten zur Geschichte des modernen China. Wie die anderen Kommentatoren bewundert Spence die »formidablen Forscherqualitäten« von Morris, meldet jedoch gleichzeitig Vorbehalte an. Die Zahlen seien zwar erhellend, doch die Leser könnten davon profitieren, wenn er einen Eindruck vermittelte, ›wie es sich anfühlte‹, im Fruchtbaren Halbmond oder in den ›glücklichen Breiten‹ zu leben. Nach Ansicht von Spence war das Leben in diesen Regionen deutlich schwieriger, als diese Etiketten vermuten lassen. Wie Seaford bemängelt Spence, dass Morris mit seinen sehr allgemeinen Entwicklungsphasen eine gewaltige Vielfalt von menschlichen Erfahrungen zusammenfasst, die sich nur durch sehr viel detailliertere Beschreibungen verstehen ließen. Spence schließt mit einem Hinweis auf die Umwälzungen der vergangenen Jahre, zum Beispiel die Informationstechnologie und den »Cyberkrieg«.

Unsere dritte Diskussionsteilnehmerin ist Christine M. Korsgaard, Inhaberin des Arthur-Kingsley-Porter-Lehrstuhls für Philosophie an der Harvard University und vielleicht die führende kantianische Moralphilosophin der Welt. Sie ist Autorin zahlreicher Veröffentlichungen zur Moralphilosophie und ihrer Geschichte, zur praktischen Vernunft, Normativität, Handlungstheorie und Identität sowie zur ethischen Beziehung zwischen Menschen und anderen Tieren. Korsgaard äußert Zweifel, dass Morris moralische Werte angemessen behandelt. In ihrem Beitrag unterscheidet sie zwischen »positiven Werten«, die konkret in bestimmten Gesellschaften vorherrschen, und »wahren moralischen Werten«, die wir leben sollten. Sie vertritt die Auffassung, »positive Werte erfüllen nur dann...

Erscheint lt. Verlag 27.1.2020
Übersetzer Jürgen Neubauer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Foragers, Farmers and Fossil Fuels. How Human Values Evolve
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Archäologie • eBooks • Eine kurze Geschichte der Menschheit • Ende der fossilen Ära • Frühgeschichte • Geschichte • Gesellschaftlicher Zusammenhalt • Jäger und Sammler • Margaret Atwood • Peak oil • Sachbuch-Bestenliste • sapiens • Wertesystem • Yuval Harari
ISBN-10 3-641-18276-X / 364118276X
ISBN-13 978-3-641-18276-2 / 9783641182762
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