Mein Kind, sein Smartphone und ich (eBook)

Warum es so wichtig ist, die neue Generation zu verstehen
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-26216-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Kind, sein Smartphone und ich -  Jean M. Twenge
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Sie sind zwischen 1995 und 2005 geboren und damit die erste Generation, die schon im Jugendalter ein Smartphone besitzt. Sie verbringen Stunden in sozialen Netzwerken und mit dem Schreiben von Kurznachrichten, sehen ihre Freunde aber seltener von Angesicht zu Angesicht. Sie sind toleranter, drehen sich jedoch mehr um sich selbst. Sie werden langsamer erwachsen und haben ein höheres Sicherheitsbedürfnis. Anhand von zahlreichen Interviews zeichnet die Psychologin Dr. Jean M. Twenge ein erhellendes Bild dieser neuen Generation und verdeutlicht, warum es für uns alle wichtig ist, sie zu verstehen. Denn sie werden es sein, die unser aller Zukunft prägen.

Dieses Buch erschien bereits 2018 unter dem Titel »Me, my Selfie and I« im Mosaik Verlag.

Dr. Jean M. Twenge ist Professorin für Psychologie an der San Diego State University. In Langzeitstudien erforscht sie dort die Entwicklung von Generationen. Ihr Buch »Generation Me« über die Millenials war 2006 in den USA ein großer Erfolg. Sie lebt mit ihrem Ehemann und drei Töchtern in San Diego, USA.

KEINE EILE
Erwachsen werden – aber langsam


An einem hellen Herbstnachmittag komme ich an einer Highschool in der Nähe von San Diego an und gehe zu dem Raum, wo Psychologie unterrichtet wird. Der Lehrer erinnert die Schüler daran, dass sie am kommenden Montag eine Prüfung haben und sagt ihnen, heute sei für sie ein »Arbeitstag«, um ihre Notizen und ihr Lernpensum zu organisieren. Wir rücken zwei Tische in den überdachten Durchgang vor dem Klassenzimmer, und der Lehrer kontrolliert die Einverständniserklärungen der Eltern.

»Azar«, sagt er, und ein Mädchen mit langen dunklen Haaren streckt die Hand in die Höhe und sagt: »Ja!«

Azar strahlt ungebrochene Begeisterung für alles aus. Sie spricht in dem schnellen Singsang, den viele südkalifornische Teens bevorzugen. »Haben Sie Spy gesehen? Der ist ja soo toll«, schwärmt sie. Als ich sie frage, ob sie derzeit im Radio einen Lieblingssong hat, meint sie: »Ja. ›Wildest Dreams‹ von Taylor Swift, ›Blank Space‹ von Taylor Swift, und ›Bad Blood‹ von Taylor Swift.« »Du magst also Taylor Swift?«, will ich wissen. »Na ja, das würde ich so nicht sagen – ich habe mir nur all ihre Songs gemerkt«, ist ihre Antwort. Als ich sie frage, was sie gerne liest, meint sie: »Harry Potter ist mein Leben – ich liebe ihn.« Sie erzählt mir, dass sie noch keinen Führerschein hat, weshalb ihre Mutter sie zur Schule fährt.

Angesichts ihrer Fixierung auf Taylor Swift und ihrer Liebe zu Harry Potter sowie der Autofahrten, die ihre Mutter für sie macht, könnte man annehmen, dass Azar 14 Jahre alt ist. Tatsächlich ist sie 17.

Azar wird nur langsam erwachsen, sie braucht länger, um die Verantwortung und die Freuden des Erwachsenwerdens anzunehmen. Man möchte glauben, sie sei eine Ausnahme. Bei all den Pornos im Internet, sexy Halloween-Kostümen für junge Mädchen, den Jungen aus der siebten Klasse, die Aktfotos von ihren Klassenkameradinnen haben wollen, und weiteren frühreifen Trends, die Aufmerksamkeit erregen, denken viele Leute, dass Kinder und Teens heute schneller erwachsen würden als früher. »Die Kindheit ist vorbei. Sie haben Zugang zu dieser Welt der Erwachsenen und glauben, daran teilhaben zu müssen«, beklagte sich jüngst der Schulleiter einer Middleschool aus Brooklyn. Viele glauben, dass die Teenager tatsächlich schneller als je zuvor in Richtung Erwachsensein streben. Aber stimmt das wirklich?

(Nicht) Ausgehen und (nicht) miteinander rummachen


Als ich am Freitagabend an die Tür des gepflegten Vorstadthauses klopfe, öffnet die 14-jährige Priya. Sie ist eine hübsche indischstämmige Amerikanerin mit langen Haaren und Haarspangen. Sie hat vor einigen Monaten ihr erstes Jahr an der Highschool in einem Vorort am nördlichen Stadtrand von San Diego begonnen. Ihre Mutter bietet mir ein Glas Eiswasser an, als wir an ihrem Esszimmertisch sitzen, neben Priyas Schulbüchern und ihrem pinkfarbenen Taschenrechner. Mit ihren Leistungskursen hat Priya bereits eine ziemliche Arbeitslast zu schultern. Ich frage sie, was sie mit ihren Freunden zum Zeitvertreib anstellt. »Manchmal machen wir Pläne und gehen einen Film anschauen oder so was … oder wir gehen mal abends zum Essen aus«, meint sie. Das sind aber keine elternfreien Beschäftigungen. »Meistens kommt ein Elternteil mit, oder auch zwei, das hängt davon ab, wie viele wir sind«, berichtet sie. »Das macht schon Spaß – mit Eltern und Kindern.« Sie suchen sich einen Film aus, den alle gerne sehen möchten, und Eltern und Kinder gehen gemeinsam – genauso wie damals, als die Kinder noch in der Grundschule waren.

Deutsche Jugendliche und ihre Beziehung zu den Eltern

Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge sagten im Jahr 2013 drei von vier 15-jährigen Jugendlichen in Deutschland (75 Prozent), es falle ihnen leicht, mit ihren Vätern zu reden. Noch 2009 war es nur etwas mehr als jeder zweite (ca. 54 Prozent).5

Ich treffe Jack, 15, nach einem anstrengenden Schultag und einem Lauftraining an seiner Vorstadt-Highschool in Minneapolis, wo er im zweiten Jahr ist. Wir haben uns schon vorher ein paar Mal persönlich getroffen, als ich in Minnesota war – er ist weiß, ein ernsthafter junger Mann mit dunklen Haaren und einem scheuen Lächeln, der sehr eng mit seiner gleichfalls sportlichen Familie verbunden ist. Als ich ihn frage, welchen Film er zuletzt gesehen hat, erzählt er von zweien, die er mit seinen Eltern und seiner Schwester gesehen hat. Das weckt meine Neugierde, und ich will wissen, ob er auch mit seinen Freunden Filme anschaut. »Wo hängst du am liebsten mit deinen Freunden ab, und was macht ihr normalerweise zusammen?«, frage ich. »Meistens gehen wir laufen oder so«, sagt er. »Wir haben einen Pool bei uns zu Hause, und wir gehen schwimmen, oder ich gehe zu meinen Freunden nach Hause.« Ich frage, ob er auch auf Partys geht, und er erzählt von einer Sommerparty bei einem Freund zu Hause, wo sie Volleyball gespielt haben; die Eltern seines Freundes waren die ganze Zeit anwesend. Zu einem typischen Wochenende gehört für ihn meist, dass er läuft und etwas mit seiner Familie unternimmt. »Gehst du auch mal ohne deine Eltern irgendwo hin?«, will ich wissen. »Na ja, zu Footballspielen … aber auch nicht wirklich«, meint er.

Häufigkeit, wie oft Acht-, Zehnt- und Zwölftklässler pro Woche ohne ihre Eltern ausgehen. Quelle: Monitoring the Future, 1976–2015

Priya und Jack sind typische Beispiele für die Teens der Generation Selfie: Sie gehen wahrscheinlich weniger ohne ihre Eltern aus. Dieser Trend begann schon mit den Millennials, beschleunigte sich dann mit der Generation Selfie. Die Zahlen sind erstaunlich: Schüler aus der 12. Klasse gehen 2015 weniger oft aus als Achtklässler noch im Jahre 2009. 18-Jährige gehen heute weniger aus als 14-Jährige noch vor sechs Jahren.

Die Teens der Generation Selfie erleben also mit geringerer Wahrscheinlichkeit die Freiheit, ohne ihre Eltern außer Haus zu sein – dieses erste, reizvolle Gefühl der Unabhängigkeit, ein Erwachsener zu sein, diese Zeiten, wenn Teenager ihre eigenen Entscheidungen treffen, seien sie nun gut oder schlecht.

»Wir gehen auf den Christkindlesmarkt oder zur Feuerzangenbowle im Winter oder gehen mal zusammen ins Kino. Wir haben auch teilweise ähnliche Interessen, und dann ist es einfach schön, was gemeinsam zu unternehmen.«6

Katrin, 21 Jahre, Deutschland

Man vergleiche das mit den Siebzigern, als die Babyboomer-Teens aufwuchsen. Bill Yates hat unlängst ein Buch mit Fotografien von Jugendlichen veröffentlicht, die er auf einer Rollerskating-Bahn außerhalb von Tampa, Florida, in den frühen 1970er Jahren aufgenommen hat. Auf einem Foto steht ein Jugendlicher ohne Shirt mit einer großen Flasche Pfefferminzschnaps, die im Gürtel seiner Jeans steckt. Auf einem anderen Foto posiert ein Junge, der wie ein Zwölfjähriger aussieht, mit einer brennenden Zigarette im Mund. Mehrere Fotos zeigen küssende Paare. Wie Bill Yates meinte, war die Skatebahn ein Ort, an dem die Kinder von ihren Eltern loskamen und sich ihre eigene Welt erschaffen konnten, wo sie trinken, rauchen und auf den Rücksitzen ihrer Autos knutschen konnten. Die Fotos zeigen die normale Palette der Siebzigerjahre mit Karohosen, breiten Gürteln und langen Haaren. Am meisten beeindruckte mich aber, wie erwachsen schon die Jüngsten aussahen – nicht physisch, sondern in ihrer frechen und sorglosen Unabhängigkeit, die sie ausstrahlten. Sie blicken mit dem Selbstbewusstsein derjenigen in die Kamera, die ihre eigene Entscheidung treffen – auch wenn die Eltern es nicht für die richtige Entscheidung halten und es, objektiv gesprochen, auch nicht die richtige Entscheidung ist. Das sind die Babyboomer, groß geworden zu einer Zeit, als die Eltern froh waren, wenn ihre Kinder aus dem Haus waren, als zum wirtschaftlichen Erfolg noch kein Hochschulabschluss benötigt wurde.

Auch das Küssen auf der Skatebahn ist heute weniger verbreitet. Die Teens der Generation Selfie verabreden sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit. Im Vergleich zu den Highschool-Babyboomern und ihren Kollegen aus der Generation X gehen nur halb so viele ältere Highschoolschüler der Generation Selfie zu Rendezvous. In den frühen Neunzigerjahren haben sich fast drei Viertel aller Zehntklässler zuweilen für ein Date verabredet, um das Jahr 2010 herum machten das nur ungefähr die Hälfte.

Das erste Stadium, das bei der Generation X noch »mögen« hieß (»Oh, er mag dich!«), bezeichnet die Generation Selfie nun als »reden« – eine ironische Wortwahl für eine Generation, die doch das Schreiben dem Sprechen am Telefon vorzieht. Nachdem ein Paar eine Weile miteinander »geredet« hat, könnten sie sich persönlich treffen, ein Date haben. Emily, 14, aus Minnesota, erzählt, dass ein paar ihrer Freundinnen zu »Dates« gegangen sind. Ich fragte sie, was sie denn gewöhnlich dabei täten. »Vielleicht gehen sie nach Hause zum anderen. Oder sie gehen auch zusammen shoppen«, meinte sie. »Normalerweise ist es das Mädchen, das shoppen geht, und der Junge geht einfach mit.« Ich lachte und erklärte ihr, dass das immer noch so ist, wenn man älter wird.

Prozentsatz der Acht-, Zehnt- und Zwölftklässler, die sich verabreden. Quelle: Monitoring the Future, 1976–2015

Chloe, 18, aus Ohio, hat zwei Liebesbeziehungen gehabt. In beiden, sagt sie, sei ungefähr ein Drittel ihrer Kennenlern-Gespräche über Textnachrichten und Social Media gelaufen (das war der Teil des »Redens«), die anderen beiden Drittel erfolgten bei persönlichen Treffen. Es könnte also sein, dass...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2021
Übersetzer Nikolaus Palézieux
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel iGen
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Digitalisierung • eBooks • Eltern-Kind-Beziehung • Generation Z • Gesellschaft • Helikoptereltern • Instagram • Jugendliche • Kinder • Social Media • youtube
ISBN-10 3-641-26216-X / 364126216X
ISBN-13 978-3-641-26216-7 / 9783641262167
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