Worüber wir nicht sprechen sollen - es jetzt aber trotzdem tun (eBook)

Ein Manifest über den weiblichen Körper

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
304 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-25537-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Worüber wir nicht sprechen sollen - es jetzt aber trotzdem tun -  Nimko Ali
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Wie fühlt sich eine Vagina nach der Geburt an? Woher weiß ich, dass ich wirklich einen Orgasmus hatte? Wie lerne ich meinen Körper nach einem Missbrauch wieder lieben? Die britische Frauenrechtsaktivistin Nimko Ali spricht aus, worüber immer noch schamerfüllt geschwiegen wird. Denn bei allem Fortschritt in Sachen Feminismus und Emanzipation ist es erschreckend, mit welcher Unwissenheit und Verachtung die weibliche Anatomie immer noch betrachtet wird, sofern sie nicht straff, ordentlich bedeckt, verschönert und enthaart ist. Ali hat hierzu mit vielen Frauen von Äthiopien bis London gesprochen und vereint deren Stimmen in einem Buch. Ihre Sammlung intimer und unzensierter Lebensgeschichten räumt auf mit den Mythen rund um den weiblichen Körper und ist ein Aufruf, Erfahrungen zu teilen und die gesellschaftlichen Tabus zu brechen, die Frauen zur Passivität und zum Schweigen verurteilen. Bewegend, kraftvoll und direkt: ein Manifest über die großartige Vielfalt weiblicher Sexualität, über Unwissenheit, Diskriminierung und die Notwendigkeit über all das zu sprechen.

Nimko Ali ist eine britische Feministin, Frauenrechtsaktivistin, Rednerin und Mitbegründerin von »The Five Foundation«, einer weltweiten Organisation, die sich gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) einsetzt. 2019 wurde sie für ihr Engagement mit dem UN-Frauenrechtspreis ausgezeichnet.

1. Periode


»Eigentlich wissen wir noch gar nicht wirklich, was genau die Menstruation ist.«

G. Stanley Hall

»Die halbe Welt menstruiert einmal monatlich zu irgendeinem Zeitpunkt, aber niemand weiß, wann genau wer an der Reihe ist. Ist das nicht seltsam?«

Margaret Cho

Weltweit haben zu jedem beliebigen Zeitpunkt 334 Millionen Frauen und Mädchen ihre Periode, heißt es. Was sich erst mal wie eine einzige blutige Superparty anhört, stellt sich in Wirklichkeit doch für jede Frau, von Chelsea Clinton über die Herzogin von Sussex bis zu einem Mädchen in Zentralafrika, sehr unterschiedlich dar. Und trotzdem ist uns eines gemeinsam: Irgendwann haben wir alle zum ersten Mal unsere Periode. Die Menstruation macht uns alle gleich. Ob du nun im Weißen Haus sitzt oder in einem windigen Zelt in einem Flüchtlingscamp – wenn du unerwartet zum ersten Mal deine Tage bekommst, dann herrscht erst mal Ausnahmezustand.

In diesem Kapitel spreche ich mit Frauen aus der ganzen Welt über ihre erste Periode und darüber, was diese Erfahrung mit ihnen gemacht hat. Eigentlich hatte ich vor, ganz konkret über den blutigen Part der Sache zu reden, denn nur darum geht es ja angeblich – aber dann habe ich gemerkt, wie tiefgehend und persönlich diese Erfahrung sein kann. Wie sehr diese ersten Tropfen das Leben und die Welt einer Frau verändern. Von dem kenianischen Mädchen, dessen Periode den Beginn ihres Frauseins und das Ende ihrer Unschuld markiert, bis zu meiner überorganisierten finnischen Freundin, deren erste Blutung sich in Form von präzisen Eiswürfeln präsentierte. Klar wussten wir alle, dass es irgendwann so weit sein würde. Aber es gab doch ziemliche Unterschiede. Manche konnten es kaum erwarten, andere fürchteten sich eher davor. Es gibt Frauen, die noch nie menstruiert haben. Hier in diesem Kapitel geht es ausschließlich um die allererste Blutung. Denn sie hat mein Leben verändert und auch das vieler anderer Frauen, denen ich begegnet bin.

Ich weiß nicht mehr, ob ich Sommerferien hatte oder ob es einfach ein Samstag war, jedenfalls war ich an jenem Nachmittag, als meine Periode losging, zu Hause; ich war 14, und es war ein warmer Tag. Eins weiß ich dafür noch genau: Ich habe geschrien wie am Spieß und dachte Jetzt sterbe ich, und das, obwohl die Frau vom Always-Schulprojekt zum Thema Pubertät uns in der achten Klasse alles über die Periode erzählt hatte, auch darüber, wie wir »gar nicht mehr zu bremsen« sein würden in unserem »Ganz-wir-selbst-Sein« und vermutlich auch darin, eifrige Käuferinnen von Always-Produkten zu werden. Sie händigte damals jeder von uns eine Binde und einen Tampon aus (sollten wir die Sachen dann gleichzeitig verwenden, oder wie?) und meinte, wir sollten beides zusammen mit einer frischen Unterhose in einem extra Mäppchen aufbewahren – für den Tag der Tage, »denn schließlich weiß man nie, wann einen die Eierstöcke damit überraschen, dass man nun eine Frau ist«. Sie versäumte es allerdings, uns vorzuführen, wie gut die Binde oder der Tampon die mysteriöse blaue Flüssigkeit, die wir aus der Fernsehwerbung kannten, dann tatsächlich zurückhalten würden. Sie erklärte auch nicht, warum wir sehr wahrscheinlich einen überwältigenden Drang verspüren würden, augenblicklich Wasserski zu fahren, Fallschirm zu springen oder rollerbladen zu gehen, wie wir es ebenfalls aus der Fernsehwerbung kannten. Kurz: Ich war bestens vorbereitet. Ich wusste haargenau, was zu tun sein würde. Unter einer Bedingung: dass ich meine Periode in der Schule bekäme.

Aber natürlich ging es stattdessen zu Hause los. Quasi als eine Art Metapher für die generelle Kompromisslosigkeit meiner Periode.

Wäre ich heute 14 und würde meine Periode bekommen, dann würde ich dem Ereignis mit Sicherheit einen eigenen Instagram Account widmen (Nimko Alis Tal der Morgenröte, oder wie wär’s mit Nimko Alis Sonne geht auf?), aber im Jahre 1996 brüllte ich nur: »Mum, ich sterbe!« Nicht, dass ich Schmerzen gehabt hätte; es war einfach nur dieses helle Rot, das mich ausrasten ließ. Nicht so ein Rot wie das Rot des EU-Reisepasses, den wir nicht mehr haben dürfen. So tief war es nicht, nicht so tief wie mein immer noch anhaltender Brexit-Schmerz. Es war eher das Rot der Londoner Busse. Schockierend genug, dass mir die Luft wegblieb, aber auch interessant genug, um genauer hinzusehen. Denn das haben wir doch alle getan, nicht wahr? Den Tampon angestarrt oder die gruselige Unterhose. Wir wollen es sehen, es anfassen, vielleicht sogar probehalber mal dran schnuppern. Schließlich kommt das Zeug aus uns selbst heraus; das machte es zwar irgendwie auch ein bisschen eklig, aber eben auch okay. Es ist ein Teil von uns.

Ich konnte also nicht zu meinem vorbereiteten extra Mäppchen greifen, sondern musste stattdessen Mums riesige Binden verwenden, die reinsten Matratzenauflagen. Damit lief ich nicht nur wie ein Sumo-Ringer durch die Gegend, die Dinger rutschten auch noch völlig unkontrolliert in meiner Unterhose herum und knisterten wie Pommestüten. Nachts tat mir alles weh, und ich war stinksauer, vor allem auf die bescheuerte Always-Frau. »Nicht mehr aufzuhalten« in unserem »Ganz-wir-selbst-Sein« – sehr witzig.

Irgendwie fühlte ich mich von meinem eigenen Körper übers Ohr gehauen. In der sechsten Klasse (der letzten Klasse der Grundstufe) hatte meine Freundin Jamie ihre Periode beziehungsweise ihren »Wechsel« bekommen, wie unsere Lehrerin es nannte. »Wechsel?!« War das nicht etwas, worüber alte Frauen über 30 herumjammerten? Ich kapierte gar nichts mehr. Die Klasse wurde damals jedenfalls gebeten, nett zu Jamie zu sein, und es hieß, sie sei in dieser Woche vom Sportunterricht befreit. Das war ja wohl der Hammer! Mein zehn Jahre altes Hirn folgerte daraus nur eins: Dass ich einfach nur den »Wechsel« bekommen musste – was auch immer das sein sollte –, um endlich nicht mehr zum verhassten Sportunterricht zu müssen.

Es gab aber noch einen Grund, aus dem ich glaubte, meine Periode würde bestimmt in der Schule losgehen. Der Gedanke kam mir eines Tages in der achten Klasse im Englischunterricht. Meine beste Freundin, die noch nie einen Tag gefehlt hatte, hatte am Morgen nicht wie üblich an der Bushaltestelle gestanden. IPhones oder Facebook gab es damals noch nicht, also hatte ich keine Ahnung, was los war. Aber dann sah ich sie vom Klassenzimmer aus durch das Schultor kommen. Ich war total erleichtert, sie zu sehen, konnte mir aber einfach nicht vorstellen, warum sie so spät dran war. Die Mittagspause schien Lichtjahre entfernt, und während wir Von Mäusen und Menschen lasen, malte ich mir eine Million Gründe für ihr Zuspätkommen aus. Hatte sie vielleicht einen Arzttermin gehabt? Nein, das hätte sie mir gesagt. War jemand gestorben? Wohl kaum, dann wäre sie gar nicht gekommen. Oder vielleicht – nein, das konnte nicht sein! –, vielleicht hatte ja Jason von Take That doch auf ihren Fanbrief geantwortet und ihr seine unsterbliche Liebe gestanden, und mir blieb jetzt nur noch der Keyboarder?! Das musste es sein! Der Gedanke fesselte mich dermaßen, dass ich, als der Lehrer mich nach dem Namen der Figur fragte, die sich um Lennie kümmert, mit »Gary Barlow« antwortete.

Beim Mittagessen erzählte meine Freundin dann, dass sie ihre Periode bekommen hatte. Ich musste unbedingt herausbekommen, ob sie ihr Spezialmäppchen benutzt hatte, aber das hatte sie wohl nicht. Sie war noch mal heimgegangen, um sich umzuziehen; ihre Mum hatte schon vorgesorgt und Binden für sie bereitgelegt. So ganz war mir zwar nicht klar, was so toll daran sein sollte, die Periode zu bekommen, aber ich gab mein Bestes, möglichst begeistert zu wirken. »Hatten sie Flügel?«, fragte ich. »Mhm«, meinte meine Freundin, schon ganz alter Hase, »aber Joanna hat gesagt, ich soll nächstes Mal lieber Tampons benutzen, weil ihr die Binden immer halb den Rücken hochrutschen.« Ich riet ihr, nicht auf Joanna zu hören. Wer sich mit so viel Gel seinen Pony ins Gesicht klatscht, kann keinen Schimmer haben von der Komplexität des Frauseins. (Hartes Urteil, aber ich konnte Joanna einfach nicht ausstehen. Ich weigerte mich auch, sie Jo zu nennen – auf die Ebene würden wir nie kommen. Sie gehörte einfach zu den Leuten, die nicht wissen, wo die Grenze ist. Beim Mittagessen nahm sie einem Sachen vom Tablett, im Unterricht stellte sie einem blöde Fragen, wenn man gerade total konzentriert war, und jetzt gab sie auch noch meiner besten Freundin schlechte Ratschläge. Ich meine, wer macht so was?)

Mal abgesehen von dem Albtraum, dass ich glaubte zu sterben, kann ich mich auch noch gut daran erinnern, wie meine Mum damals meine Großmutter anrief. »Nimko hat ihre Periode bekommen«, brüllte sie vor Stolz platzend in den Hörer. Meine Großmutter wohnte damals gleich ums Eck, also spurtete sie direkt los. Bevor ich kapierte, was überhaupt Sache war, stürmte sie schon die Treppe hoch, wo ich wie Camille darniedergestreckt auf dem Totenbett in meinem Zimmer lag. (Oh ja, ich kostete die Sache voll aus.) Gran wehte herein, mit ihrem süßlichen, vertrauten Duft nach Cremes und Parfüms in ihrer so eigenen Mischung, und küsste mich auf die Stirn. Ich weiß noch, wie geborgen ich mich fühlte, als sie mir liebevoll die Haare aus dem Gesicht strich, und wie ich dachte, diesmal vielleicht doch noch nicht sterben zu müssen. Die Erleichterung war allerdings von kurzer Dauer, denn die Angst vor dem unmittelbar bevorstehenden Tod wurde schnell abgelöst durch ein machtvolles Gefühl der Scham. Minuten nachdem meine Großmutter erfahren hatte, dass meine Eierstöcke in Aktion getreten waren, plante sie schon ein...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2021
Übersetzer Kristin Lohmann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel What we're told not to talk about (but what we're doing anyway): Women's voices from London to Ethiopia
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alte weiße Männer • #blacklivesmatter • BlackLivesMatter • Das Schweigen brechen • eBooks • female empowerment • Feminismus • Inspiration • Margarete Stokowski • Menstruation • Motivation • Neuerscheinugnen 2021 • Positives Denken • Psychologie • Selbstermächtigung • Selbstversorger • Selbstversorgung • Selbstwert • Sex • sex life • Sheila Liz • Sophie Passmann • Untenrum frei • weiblicher Körper
ISBN-10 3-641-25537-6 / 3641255376
ISBN-13 978-3-641-25537-4 / 9783641255374
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