Umkämpftes Asyl (eBook)

Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
248 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-450-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Umkämpftes Asyl - Patrice Poutrus
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Beide deutsche Staaten nahmen das Recht politisch Verfolgter auf Asyl 1949 in ihre Verfassungen auf. Doch was bedeutete das konkret?
Patrice Poutrus untersucht die Entwicklung des Asylrechts in Deutschland von der Nachkriegszeit über die Grundgesetzänderung von 1993 bis in die Gegenwart. Welche Konsequenzen ergaben sich aus dem sogenannten Asylkompromiss für das Anerkennungsverfahren, die Aufnahme von Geflüchteten und die europäische Migrationspolitik? Poutrus zeigt, dass es in der Asylrechtdebatte stets um grundlegende Fragen der politisch-moralischen Orientierung der deutschen Gesellschaft geht. Das Buch ist eine unentbehrliche Lektüre für all jene, die die Konflikte um Asyl und Flucht in den historischen Zusammenhängen verstehen möchten.

Jahrgang 1961, Dr. phil., Zeithistoriker und Migrationsforscher, zahlreiche Veröffentlichungen zur DDR-Geschichte und zur Migrationsgeschichte, Beiträge u. a. in: »Handbuch Staat und Migration vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart« (Hg. Jochen Oltmer), Berlin / Boston 2016, »Politische Migration, Realpolitik und interkulturelle Begegnung«, (Hg. Marco Hillemann u. a.), Berlin 2017, »Migration, Memory, and Diversity: Germany from 1945 to the Present« (Hg. Cornelia Wilhelm), New York / Oxford 2017.

Jahrgang 1961, Dr. phil., Zeithistoriker und Migrationsforscher, zahlreiche Veröffentlichungen zur DDR-Geschichte und zur Migrationsgeschichte, Beiträge u. a. in: "Handbuch Staat und Migration vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart" (Hg. Jochen Oltmer), Berlin / Boston 2016, "Politische Migration, Realpolitik und interkulturelle Begegnung", (Hg. Marco Hillemann u. a.), Berlin 2017, "Migration, Memory, and Diversity: Germany from 1945 to the Present" (Hg. Cornelia Wilhelm), New York / Oxford 2017.

Einleitung: Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart


Am 28. Juni 1993 wurde mit einer Grundgesetzänderung der sogenannte »Asylparagraph« Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 reformiert und der neuformulierte Artikel 16a trat in Kraft. Diesem Ereignis waren vier Jahrzehnte andauernde hitzige, öffentliche Debatten vorausgegangen. Dieses Buch ist eine zeithistorische Darstellung der Vorgeschichte, des Verlaufs und der Folgen der Verfassungsreform des Asylrechts in Deutschland und behandelt Entwicklungen von den Nachkriegsjahren bis in die Gegenwart. Es wird gefragt, warum ausgerechnet der knappe Satz »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« zu einem so großen Verfassungskonflikt im vereinten Deutschland geführt hat. Und wieso prägt der gefundene politische Kompromiss die politische Kultur der Berliner Republik, des vereinten Deutschlands, bis in die Gegenwart? In der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik hatte es bis zum Inkrafttreten des neuformulierten Asylrechts bereits 38 andere Grundgesetzänderungen gegeben. Allerdings haben nur wenige Verfassungskonflikte, etwa die Wiederbewaffnung und die Notstandsgesetzgebung, zu einer vergleichbaren, bis in die Gegenwart anhaltenden politischen Mobilisierung und polarisierten Auseinandersetzung geführt wie der sogenannte Asylkompromiss von 1993.

Ungeachtet dieser Tatsache hat die Thematik Asylpolitik und Flüchtlingsaufnahme in der bundesdeutschen Zeitgeschichte – und durchaus im Unterschied zu den gegenwartsbezogenen Sozial- und Kulturwissenschaften1 – bisher keine ausführliche Betrachtung gefunden. Gleiches gilt für die seit der Jahrtausendwende erschienenen großformatigen Gesamtdarstellungen zur deutschen Geschichte, die eine interessierte Leserschaft außerhalb des Fachpublikums der Geschichtswissenschaft suchen. Mit bemerkenswerter Übereinstimmung wird in den darin enthaltenen Bänden oder Kapiteln zur Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg davon ausgegangen, dass die Aufnahme von politisch Verfolgten erst ab den späten 1970er Jahren beziehungsweise mit der Ankunft einer vermeintlich unkontrollierbaren Masse von Asylbewerbern zu einem Problem der bundesdeutschen Rechts- und Innenpolitik wurde und diese Problemlage nach der Deutschen Einheit die oben erwähnte Lösung fand.2

Im Gegensatz zu dieser weitverbreiteten Auffassung gehe ich in meiner Darstellung davon aus, dass sich die außerordentliche Mobilisierung der politischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik beim Thema Asyl nicht allein aus den oft genug tragischen Schicksalen der vielen ausländischen Flüchtlinge erklären lässt. Auch die mit der Aufnahme verbundenen tatsächlichen oder vermeintlichen Herausforderungen für den bundesrepublikanischen Sozialstaat beziehungsweise die bundesdeutsche Gesellschaft liefern dafür keine hinreichende Erklärung. Der Komplex Flüchtlings- und Asylpolitik war vielmehr von Beginn an mit fundamentalen Fragen nach den politisch-moralischen Grundlagen der deutschen Gesellschaft verbunden. Für die einen stellte eine offene Flüchtlings- und Asylpolitik die Garantie für eine grundsätzliche Abkehr von der rassistisch geprägten Vergangenheit und insbesondere vom Nationalsozialismus dar. Für die anderen war eine solche Position undenkbar, weil sie einen Bruch mit dem Paradigma des »Nichteinwanderungslandes« bedeutete und als Aufgabe der historischen, kulturellen und ethnischen Identität der Deutschen verstanden wurde. Diese konfliktträchtige Konstellation existierte seit dem Beginn der politischen Debatten um das Asylrecht im Grundgesetz und prägt diese bis in die Gegenwart. In diesem Sinne argumentiere ich in dem vorliegenden Buch, dass die Auseinandersetzung um Flucht und Asyl als zentraler Aspekt der Geschichte der politischen Kultur des geteilten Nachkriegsdeutschlands betrachtet werden sollte, und dass der »Asylkompromiss« dementsprechend ein emblematischer Bestandteil des schwierigen deutschen Vereinigungsprozesses war. Zugespitzt formuliert gehe ich davon aus, dass die Revision von Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 zu Artikel 16a im Juni 1993 ein weiterer Gründungsakt der Berliner Republik war. Der daraus entstandene gesellschaftliche Konsens, dass in der Bundesrepublik weiterhin ein grundsätzlich liberales Asylrecht Verfassungsrang besitzt, das indes nur innerhalb restriktiver Begrenzungen angewendet wird, zerbrach allerdings unter dem Eindruck der Europa und die Bundesrepublik erreichenden Fluchtbewegungen der Jahre 2014 und 2015.

Der Schwerpunkt dieser weitgehend chronologischen Darstellung von Asylpolitik und Asylpraxis in Deutschland liegt auf der Entwicklung in der alten Bundesrepublik bis zur deutschen Einheit. Dazukommend wird die Asylgewährung in der DDR in einem eigenen Kapitel dargestellt, da mir dies für eine plausible Erklärung der Verhältnisse im vereinten Deutschland nach 1989 unbedingt erforderlich erscheint. Daran schließen sich eine knappe Darstellung der von den Sozialwissenschaften gut untersuchten Entwicklung hin zur Verfassungsänderung von 1992/93 und ein Ausblick auf die folgenden Entwicklungen bis ins Jahr 2018 an.

Da es sich bei diesem Buch um eine Überblicksdarstellung handelt, habe ich jene Fälle beziehungsweise Gruppen von im Nachkriegsdeutschland Asylsuchenden ausgewählt, deren Aufnahme in der alten Bundesrepublik wie auch der DDR eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit erhielt oder denen von den politisch Verantwortlichen eine besondere politische Bedeutung beigemessen wurde. Das Buch liefert somit einen Beitrag zur Fortentwicklung der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft abseits der weithin gepflegten Aufstiegs- und Erfolgsnarrative der (west-)deutschen Nachkriegsgeschichte.3 Gegenüber solchen beruht diese Arbeit auf einem alternativen Verständnis von Zeitgeschichte, das den Wandel von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis hin zur Deutschen Einheit als eine dynamische Konfliktgeschichte betrachtet. Allerdings erschöpft sich diese Darstellung nicht allein im Herausarbeiten struktureller Konfliktpotenziale und konkreter Konfliktfälle in der deutschen Nachkriegsgeschichte von Flucht und Asyl. Vielmehr geht es darum, zu zeigen, wie es im wiedererstehenden Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland – und dies durchaus im Kontrast zur diktatorisch regierten DDR – gelang, die aus kultureller oder sozialer Differenz resultierenden Konflikte um die Aufnahme ausländischer Flüchtlinge und Asylsuchender unter den Bedingungen des Kalten Krieges schrittweise einzuhegen beziehungsweise zu entschärfen. Daran anschließend stelle ich dar, unter welchen inneren und äußeren Bedingungen sich dieser Trend zur Liberalisierung letztlich umkehrte und zum Asylkompromiss von 1993 führte, wieso die Konflikte um Flucht und Asyl in der Berliner Republik, dem vereinten Deutschland, virulent blieben und schließlich zur humanitären und politischen Krise des Jahres 2015 führten.

In Anlehnung an die Arbeiten des französischen Historikers Gérard Noiriel geht es mir darum, den Wandel der politischen Kultur in der alten Bundesrepublik auf dem Feld der Asylpolitik und anhand der Asylgewährung zu erklären. Noiriel hat in den 1980er und 1990er Jahren beispielhaft dargelegt, wie Einwanderung den französischen Nationalstaat dazu zwang, Kriterien zur Exklusion und Inklusion zu entwickeln. Dabei wurden vielfältige Regulierungsmechanismen geschaffen, die die Handlungsoptionen sowohl von Einwanderern als auch von Einheimischen prägten. Dieser Forschungsansatz ist für meine Arbeit so bedeutsam, weil sich damit die gesellschaftlichen Wirkungen politisch-administrativen Handelns auf dem Feld der Migrationspolitik untersuchen lassen.4 Indem Noiriel den Prozess der Nationsbildung und die zentralstaatlichen Kontrollmechanismen aus der Perspektive der Migrationsgeschichte – also von den Grenzen her – beschreibt, gelingt es ihm, eine sozial- und politikgeschichtliche Verbindung zur jüngeren Nationalismusforschung herzustellen und auf diese Weise die Migrationsgeschichte aus der Position einer Minderheitengeschichte herauszulösen. Die Bedeutung sowohl des sozialen Phänomens als auch des politischen Themas Migration erschöpft sich keineswegs im vermeintlichen Abschluss des Nationsbildungsprozesses am Ende des 19. Jahrhunderts.5 Anhand der Geschichte von Flucht und Asyl im Nachkriegsdeutschland kann meines Erachtens deshalb auch verständlich gemacht werden, dass sich der von Noiriel offengelegte Prozess der Nationalisierung von Staaten bis in die jüngste Zeitgeschichte, der Geschichte der beiden deutschen Staaten und des vereinten Deutschlands, fortsetzt – und dies bis in die Gegenwart.

Da mit der Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und der Gewährung von Asyl immer zugleich die Herausforderung verbunden war und ist, neu zu bestimmen, was als Gesellschaft und als Gesellschaftsziel des modernen Staates verstanden werden soll, wird in diesem Buch der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der Flüchtlings- und Asylpolitik in beiden Staaten Nachkriegsdeutschlands nachgegangen. Angeregt wurde ich dazu auch durch die vergleichende Untersuchung von Christiane Harzig über Einwanderung und Politik in Schweden, den Niederlanden und Kanada.6 In ihrer Untersuchung stützt sich Harzig...

Erscheint lt. Verlag 29.5.2019
Reihe/Serie Politik
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Maße 140 x 140 mm
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte asyldebatte • Asylrecht • BRD • DDR • Emigranten • Erich Honecker • Flüchtlinge • Grundgesetz • Helmuth Kohl • Menschenrechte • Migration • Nachkriegsdeutschland • Politisches Asyl • Verfassung • Vertragsarbeiter
ISBN-10 3-86284-450-1 / 3862844501
ISBN-13 978-3-86284-450-0 / 9783862844500
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