Zehn Schritte Richtung Nanette (eBook)

Meine kleine Geschichte
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00300-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zehn Schritte Richtung Nanette -  Hannah Gadsby
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Die ZEIT sprach vom «besten Comedyprogramm aller Zeiten», auf Netflix war ihre Show ein riesiger Erfolg - die australische Komikerin Hannah Gadsby ist eine Sensation. Ihr Buch berührt und bewegt nachhaltig. Sie stellt sich die Frage: Was macht ein Comedian, wenn die Realität nicht mehr zum Lachen ist? Hannah Gadsby hat sich entschieden, aufzuhören mit Comedy und stattdessen zu erzählen, was nach der Pointe wirklich passiert. Gadsby wuchs in Tasmanien auf, wo Homosexualität noch bis 1997 unter Strafe stand. Lange Zeit hat sie mit einigem Erfolg aus ihrer Außenseiterposition als lesbisches Landei Kapital geschlagen, dabei aber die eigene Verletzlichkeit aus dem Blick verloren. Im Buch erzählt sie ? noch immer mit Humor ?, wie sie sich in einem schmerzhaften Prozess ihren Traumata gestellt hat, um schließlich Frieden mit sich zu schließen, nicht aber mit der Gesellschaft. Denn sie rechnet auch ab mit den frauenfeindlichen Traditionen in Kunst, Gesellschaft und Politik. Ihr Buch ist klug, heilsam, stimmt nachdenklich und ist lebensverändernd.

Hannah Gadsby hat mit ihrer vielfach preisgekrönten Show Nanette aufgehört als Comedienne. Die Netflix-Ausstrahlung von Nanette und die Auszeichnung mit einem Emmy hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Mit der darauffolgenden Show Douglas, die nach ihrem Hund benannt war, reiste Gadsby um die Welt. Vor diesen Erfolgen wuchs Gadsby in Tasmanien auf, studierte Kunstgeschichte und tourte in Australien und Großbritannien als Stand-up-Comedienne. Sie produzierte Dokumentarfilme zu Kunstthemen und vieles anderes mehr als nur Comedy, aber so viel erst mal dazu.

Hannah Gadsby hat mit ihrer vielfach preisgekrönten Show Nanette aufgehört als Comedienne. Die Netflix-Ausstrahlung von Nanette und die Auszeichnung mit einem Emmy hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Mit der darauffolgenden Show Douglas, die nach ihrem Hund benannt war, reiste Gadsby um die Welt. Vor diesen Erfolgen wuchs Gadsby in Tasmanien auf, studierte Kunstgeschichte und tourte in Australien und Großbritannien als Stand-up-Comedienne. Sie produzierte Dokumentarfilme zu Kunstthemen und vieles anderes mehr als nur Comedy, aber so viel erst mal dazu.

Einleitung


Genau genommen ist dies mein zweites Buch. Aber ich würde mir nicht die Mühe machen, das erste zu suchen, denn davon gab es gerade mal ein einziges Exemplar, und ausgerechnet das habe ich verloren. Für die literarische Welt stellt das keinen großen Verlust dar, mein erstes Buch war nämlich ziemlich schlecht. Obwohl, vielleicht sollte ich nicht zu hart zu mir sein, die Geschichte hat schon einen gewissen Charme, wenn man bedenkt, dass ich gerade mal sieben Jahre alt war, als ich sie schrieb. Betrachtet man sie als eigenständiges Werk, ist sie allerdings sehr übel. Allein der Titel ist schlecht:

Wie Siffin Soffon sich mit einem Drachen anfreundete. Teil eins

Ich habe schon im Titel gespoilert. Ich Trottel. Wer sollte ein Buch lesen, wenn von vornherein klar ist, dass Siffin Soffon und der Drache, egal wie dramatisch die erzählerischen Wendungen auch sein mögen, am Ende ziemlich gut miteinander auskommen werden?

Offensichtlich hatte ich eine Serie epochalen Ausmaßes geplant, als ich «Teil eins» hinzufügte, auch wenn ich den zweiten Band leider nie geschrieben habe. Trotzdem hätte man annehmen können, dass ich den Leser mit einem Cliffhanger zurücklasse, um ihm Appetit auf den zweiten Teil zu machen, aber nein, der erste Teil endet damit, dass Siffin Soffon gemeinsam mit seinem neuen Drachenfreund zum Abschied vom schönen Strand der «Holiday Island» winkt. Eigentlich ist es also nicht weiter verwunderlich, dass ich den zweiten Band nie geschrieben habe, ich konnte mir ja nicht einmal einen Namen für eine Insel ausdenken, der über den Zweck hinausging, für den ich die Insel erfunden hatte. Hier lag eindeutig ein Mangel an Ideen vor.

Möglich wäre noch, dass jemand das Buch lesen will, um herauszufinden, wer dieser Siffin Soffon ist, aber auch hier kann mein Werk nur enttäuschen, da ich es wohl nicht für nötig hielt, die zentrale Figur meiner Geschichte zu beschreiben. Die angefügten Zeichnungen hätten Aufschluss geben können, würden sie nicht zusätzlich zur Verwirrung beitragen. Siffin Soffon beginnt seine epische Reise als sorgfältig, wenngleich sehr kindlich gezeichnete kleine rote Ziege, doch kaum freundet er sich mit dem Drachen an, besteht er nur noch aus faul dahingekrakelten orangen Schnörkeln, weil ich vermutlich nicht nur die Lust am Zeichnen, sondern auch den roten Stift verloren hatte. Glücklicherweise kann ich jedoch mit Insiderinformationen aufwarten, dass Siffin Soffon nämlich weder eine rote Ziege noch ein oranger Schnörkel war, es handelte sich vielmehr um einen imaginären Freund meines älteren Bruders, Hamish. Laut Hamish war Siffin Soffon ein winziger Footballspieler, der mit seiner besten Freundin Kinnowin in der Kloschüssel lebte.

Als das einzige Exemplar meines wirklich schlechten Buchs kürzlich zu mir zurückfand, brach eine Welle von Erinnerungen über mich herein, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass ich sie noch hatte. Ich spreche nicht von unterdrückten Erinnerungen, die auf einen Schlag auftauchten, sie arbeiteten sich eher langsam in mein Bewusstsein vor, als wären sie nie weg gewesen.

Die Buchdeckel, zwei rote Pappquadrate, die von Malerkrepp zusammengehalten wurden, waren über die Jahre verblasst und weich geworden, dagegen sah der schlecht gewählte Titel so aus, als wäre er erst gestern schlecht aufgebracht worden. Als ich das Buch in den Händen hielt, wusste ich plötzlich wieder, wie wütend mein siebenjähriges Ich geworden war, als mir bewusst wurde, dass die letzten sechs Wörter des Titels gar nicht mehr auf den Deckel passen würden. Die Selbstvorwürfe brannten so heiß in mir, als wären seither keine fünfunddreißig Jahre vergangen. Beim Durchblättern entdeckte ich am Ende das Lob der stellvertretenden Direktorin neben einem Aufkleber des rosaroten Panthers, der sich um einen riesigen Stift schlingt, aus dessen Spitze die Wörter «Gut gemacht!» hervorquellen. Ich erinnerte mich daran, wie liebevoll ich mit dem Finger um den Aufkleber gefahren war, fast platzend vor Stolz, und wie es mich geärgert hatte, dass das Lob nur von der stellvertretenden Direktorin kam, und ich mich gefragt hatte, was zur Hölle ich tun müsste, um die Aufmerksamkeit der Direktorin selbst zu erregen. Auch die Erinnerungen kamen zurück, wie meine Lehrerin darauf bestanden hatte, meine Geschichte für mich abzuschreiben, weil ich noch keinen Füller benutzen durfte, und wie sie dann darauf bestanden hatte, dass ich sie der ganzen Klasse vorlas, und wie alle aus meiner Klasse mich und mein Buch GEHASST hatten. Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Es war schließlich ein ziemlich schlechtes Buch.

Die Rückkehr meines literarischen Debüts wühlte viele, viele Erinnerungen auf, die weit über das Objekt an sich hinausgingen, unter anderem die emotionale Achterbahnfahrt, die mein Bedürfnis, die Geschichte zu schreiben, überhaupt erst ausgelöst hatte. Ich war nämlich wie besessen von Hamishs imaginären Freunden und zunehmend verzweifelt gewesen, weil sie nicht mit mir befreundet sein wollten. Ich wusste nicht, was «imaginär» bedeutete, sondern ging davon aus, dass Hamish coole Freunde hatte, die einfach nicht mit mir sprechen wollten, was zu vielen Tränen bei meinen Toilettengängen führte. Mir fiel wieder ein, dass ich, nachdem mir erklärt worden war, dass Hamishs Freunde in seiner Vorstellung lebten, fragte, ob ich mir Siffin Soffon dann auch vorstellen dürfe, und ich, als Hamish verneinte, wieder in Tränen ausbrach, weshalb Hamish mir den absolut inakzeptablen Kompromiss anbot, mich doch mit Kinnowin anzufreunden. Ich lehnte ab, weil ich nur Siffin Soffon wollte, den ich als kleine rote Ziege vor mir sah und mir eingeredet hatte, dass ich ihn manchmal auf den Rohren trippeln hören konnte. Für Kinnowin interessierte ich mich nicht, ich kannte sie doch kaum, ich wusste ja nicht mal, wie sie aussah.

Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich versucht hatte, meine eigenen unsichtbaren Freunde zu erfinden und auf meinem Pferd, Sergeant, durchs Haus galoppiert war, während ich mit meinem guten Freund Mr Dog sprach, einem Hund, den ich offenbar nach guter, alter Holiday-Island-Manier benannt hatte. Das war kein Moment des Triumphs, weil ich mir dabei so unfassbar albern vorkam, schließlich wusste ich ja, dass es meine Freunde nicht gab. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte ich sie mir außerdem so groß vorgestellt, dass ich aus diesem Grund immer noch niemanden hatte, mit dem ich auf dem Klo hätte sprechen können. Ich bin mir nicht sicher, wie ich meinen nächsten Schritt beschreiben soll, weil ich es für unmöglich halte, etwas zu töten, das es gar nicht gibt, deshalb sage ich einfach mal, dass ich Sergeant und Mr Dog übelst geghostet habe. Damals fühlte es sich gerecht an, dabei wollte ich sie eigentlich nur aus dem Weg schaffen, um noch mal mein Glück mit Siffin Soffon zu versuchen.

Nachdem ich überflüssigerweise also ein unsichtbares Pferd und einen unsichtbaren Hund geopfert hatte, offenbarte Hamish mir, dass ich zu spät dran war. Seine Freunde waren fort. Als ich ihn löcherte, wo sie denn jetzt steckten, antwortete er mir sehr ernst, sie seien im Himmel, um Gott zu helfen. Ich vergötterte Hamish von Kindesbeinen an bis tief ins Erwachsenenalter, und oft hatte ich das schmerzliche Gefühl, dass er seine Macht über mich maßlos ausnutzte. Aber wenn ich an Vorfälle dieser Art zurückdenke, bin ich mir sicher, dass das auf diesen kleinen Jungen einfach nicht zutreffen kann, der nicht bloß glaubte, dass Gott die Unterstützung von winzigen Footballspielern brauchte, sondern selbst so hochgradig einsam war, dass er sich Freunde ausdenken musste, um jemanden zu haben, mit dem er reden und auf den er kacken konnte. Dieser Junge hatte eindeutig eigene Probleme.

Während sich all diese Erinnerungen so wunderbar anschaulich zurückmeldeten, sagte mir die Geschichte an sich rein gar nichts. Sie war mir so wenig vertraut, dass das Ende eine völlige Überraschung gewesen wäre, hätte ich es nicht schon im Titel vorweggenommen. Ein weiterer, verblüffender Punkt des sehr schlechten Buchs, an dessen Schöpfung ich mich nicht erinnern konnte, war der große Anteil an Gewalt, Blutrünstigkeit und Tod, ganz zu schweigen davon, wie nüchtern mein siebenjähriges Ich die splatterigsten Details beschrieben hatte. Dafür hätte ich eher einen Therapieplatz verdient gehabt als einen Aufkleber mit dem rosaroten Panther.

Trotz der fremdartigen Handlungen mit all ihren Enthauptungen, den Folterungen und anderen blutigen Dingen kam mir die Geschichte an sich bekannt vor, weil sich dieser erste Teil wie eine kaum verfremdete Autobiografie liest. Siffin Soffon hasste Kleider, träumte davon, ein Hund zu sein, und liebte das Essen. Aber das Erstaunlichste an meinem sehr schlechten Buch ist, dass es sich liest wie eine Blaupause meiner Zukunft, eine Beschreibung dessen, wie sich die erwachsene Hannah aus dieser sonderbaren, kindlichen kleinen Autorin entwickeln würde. Ganz wie mein Leben waren die Abenteuer des Siffin Soffon geprägt von Unfällen, Isolation und Verbannung, und sein Überleben – genau wie sein Verderben – fußte wie bei mir auf maßlosem, blindem Vertrauen und einer passiven Akzeptanz der äußeren Umstände, egal wie trostlos sie auch sein mochten.

Zehn Schritte Richtung Nanette, das man wohl als sehr späte Fortsetzung verstehen könnte, ist dagegen eine eher traditionelle Autobiografie. Sie beginnt mit meiner Geburt und endet mit einer Deadline des Verlags. Sie erzählt zwei Geschichten – die von meinem eher ungewöhnlichen Start ins Leben und die von meiner eher ungewöhnlichen Entscheidung, mein Comedyleben zu beenden. Ich habe...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2022
Übersetzer Ulrike Brauns
Zusatzinfo Mit 10 s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Australien • Biografie • Coming of Age • Homosexualität • Insel • Lesbisch • Memoire • Stand-Up-Comedian • Tasmanien
ISBN-10 3-644-00300-9 / 3644003009
ISBN-13 978-3-644-00300-2 / 9783644003002
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