Zweite Chance (eBook)

Mein Weg aus dem Gefängnis in den Profifußball
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
208 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32045-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zweite Chance -  Daniel Keita-Ruel
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Die Geschichte eines Jungen vom Bolzplatz, der eine zweite Chance bekam und sie nutzte. Wie die meisten Jungs, die in seinem Viertel aufwachsen, hat Daniel Keita-Ruel nur einen Traum: Profifußball. Ausverkaufte Stadien, wichtige Tore, teure Autos ... Obwohl es erst so aussieht, als würde ihn sein Weg direkt zum Ziel führen, findet er sich, ein paar falsche Abzweigungen später, im Gefängnis wieder. Schon während seiner Jugend ist er der Beste. Für Borussia Mönchengladbach schießt er Tore wie am Fließband. Doch dann kommt seine Karriere ins Stocken und zurück in Wuppertal beginnt ein dunkles Kapitel. Mit alten Freunden begeht er mehrere Überfälle. Als er im Gefängnis landet, scheint die Sache klar: Das war es mit dem Profifußball. Doch die Zeit hinter Gittern wird zum Wendepunkt für ihn. Er erlebt schreckliche Dinge, trainiert in seiner Zelle, schreibt Briefe mit den Menschen, die zu ihm halten - und er merkt, worauf es wirklich ankommt. Als Freigänger erhält er schließlich eine neue Chance: In der Oberliga beginnt seine zweite Karriere, er spielt jedes Jahr eine Liga höher, schießt immer mehr Tore, und im Sommer 2018 wechselt er - in die Zweite Bundesliga.

Daniel Keita-Ruel, Jahrgang 1989, wurde in Wuppertal-Elberfeld geboren und früh als großes Fußballtalent erkannt. Nach einigen Jahren im Gefängnis gelang ihm schließlich doch der Sprung in den deutschen Profifußball.

Daniel Keita-Ruel, Jahrgang 1989, wurde in Wuppertal-Elberfeld geboren und früh als großes Fußballtalent erkannt. Nach einigen Jahren im Gefängnis gelang ihm schließlich doch der Sprung in den deutschen Profifußball.

Kapitel 1 Payback


Mein erstes Spiel in der Zweiten Liga. Zwei Tore. Und dieses unglaubliche Gefühl, auch mal was zurückzahlen zu können.

Möglicherweise gibt es wichtigere Termine für den deutschen Fußball. Für mich allerdings nicht: Am 4. August 2018 haben sich in Fürth bei schweineheißen 33 Grad im Sportpark Ronhof 8450 Zuschauer gegen das Freibad und für den Besuch eines Fußballspiels entschieden. Es geht um den Auftakt der Zweitligasaison, Spielvereinigung Greuther Fürth gegen den SV Sandhausen. Es gibt vermutlich unattraktivere Begegnungen im deutschen Profisport, allerdings fallen mir gerade keine ein. An diesem Tag aber spielt das keine Rolle. Glücklich und angespannt wie ein junges Rennpferd sitze ich in der Kabine und höre die letzten Anweisungen an die Mannschaft, die von Minute zu Minute lauter und aufgeregter klingen. Ich könnte tanzen vor Freude und genieße jede Sekunde. Die Informationen und Appelle unseres Trainers Damir Burić rauschen an mir vorbei. Ich bin im Tunnel, wie es so schön heißt. An diesem Tag werde ich mein erstes Spiel in der Zweiten Bundesliga machen. Ich schaue mich in der Kabine um, ein unglaubliches Durcheinander aus achtlos ausgezogenen Aufwärm-Trikots, Wasserflaschen und Massageliegen, Fußballschuhe klackern, Tapebänder reißen. Das ist deswegen so gut zu hören, weil die rund 20 Männer, die sich gerade in der Kabine befinden, überwiegend schweigen, die Köpfe gesenkt, die Augen geschlossen. Bis auf Damir Burić natürlich, der vor uns steht, sich so groß wie möglich macht und mit eindringlichen Worten versucht, uns heiß zu machen für den Kampf, der uns in ein paar Minuten auf dem Rasen bevorsteht. Die Atmosphäre ist eine Mischung aus Feldlazarett und Geisterbeschwörung. Würde man die Adrenalinschwaden sehen, die wir ausdünsten, könnte man eine »Twilight«-Folge im Nebel drehen. Das hier ist purer positiver Stress, Action, Leben: Es toppt alles, was ich bisher sportlich erlebt habe. Das hier ist jetzt wirklich Profifußball. Und ich bin mittendrin. Endlich.

Im Sommer 2018 bin ich von der Spielvereinigung Greuther Fürth verpflichtet worden, aus der Dritten Liga von Fortuna Köln. Ich bin die einzige Neuverpflichtung, die an diesem ersten Spieltag bei Greuther Fürth in der Startelf steht. Die letzte Saison verlief nicht gerade ideal für meinen neuen Verein, man konnte sich so gerade noch vor dem Abstieg retten. Die ganze Stadt fiebert dem Auftakt der neuen Saison entgegen, dieses Jahr soll es besser laufen, obwohl die Zweite Liga mit den abgestiegenen Traditionstruppen vom FC Köln und dem HSV so stark sein wird wie nie zuvor. Schon beim Aufwärmen habe ich die neugierigen Blicke des Publikums, meines Publikums, gespürt. Klar, die Leute wollen wissen, was der Neue draufhat: Daniel Keita-Ruel, die Nummer 10 auf dem Trikot, ein paar Jahre Gefängnis auf dem Buckel. Jeder hier im Stadion hat davon gehört, darüber gelesen – Profifußball ist ein gläsernes Geschäft.

Doch nicht nur das fränkische Publikum ist gekommen, um sich den Neuen anzuschauen. Auch meine besten Freunde und meine Familie sind nach Fürth gereist, um den vorläufigen Höhepunkt meines Comebacks als Fußballer live zu erleben. Nach all diesen Irrungen und Wirrungen in meinem Leben waren an diesem heißen Augusttag immer noch Menschen durchs halbe Land gereist, um mir beim Kicken zuzusehen. In den letzten Tagen vor dem Spiel schickten mir zudem viele Leute ermutigende SMS oder Nachrichten auf WhatsApp, schrieben mir, dass sie stolz auf mich sind und immer an mich geglaubt haben. Klar, auch ein paar der Luschen waren darunter, die sich in meiner Zeit im Gefängnis unsichtbar gemacht hatten und jetzt plötzlich wieder so taten, als seien sie schon immer meine besten Freunde gewesen. Wenn an den miesen Zeiten etwas Gutes gewesen sein soll, dann das: Die Spreu hat sich vom Weizen getrennt. Ich weiß jetzt, auf wen ich zählen kann, wenn es mal nicht läuft.

Schließlich ist da noch meine Mutter, der ich so viel Kummer bereitet habe und die auch in schwierigen Zeiten immer bedingungslos zu mir gehalten hat. Am Abend vor dem Spiel haben mir ihre Blicke gezeigt, wie glücklich sie war. Höchste Zeit, ihr etwas zurückzugeben für all die Liebe, die sie mir gegeben hat, und die Kraft, die ich auf meinem Weg zurück in die Welt so dringend brauchte. Gerade heute will ich sie nicht enttäuschen, den wichtigsten Menschen in meinem Leben; ich will, dass sie stolz auf mich sein kann. Ich möchte auch meinen Freunden auf der Tribüne zeigen, was ich kann, will meine überwiegend jüngeren Mitspieler von mir überzeugen und dem Fürther Publikum beweisen, dass es sich in Zukunft auf mich und meine Tore verlassen kann. Das sind alles in allem eine Menge Menschen, die ich an diesem Tag glücklich machen möchte. Keine Überraschung also, dass jede Faser meines Körpers vibriert. Ich muss da jetzt raus und diese unbändige Motivation in mir in Bewegung umsetzen, bevor ich platze.

Der Trainer hat seine Ansprache inzwischen beendet, wir bleiben noch zwei, drei Minuten auf unseren Plätzen sitzen, jeder mit seinen eigenen Ritualen beschäftigt. Ich ziehe mir meine Kopfhörer über die Ohren und drehe auf, laut, sehr laut. Hip-Hop von meinem Freund Jigzaw, danach bin ich bereit: »Sie werfen mich ins kalte Wasser, kein Thema, denn ich kann schwimmen/ Aufgeben keine Option, bin da, nur um zu gewinnen.«

An diesen Tag im August 2018 erinnere ich mich, als sei er gestern gewesen. Der Jubel der Zuschauer beim Einlaufen der Mannschaften, unser gemeinsames Einschwören im Kreis kurz vor dem Anpfiff. Ich schaue mich im Stadion noch einmal um und sehe meine Mutter und meinen engsten Freundeskreis gemeinsam auf der Haupttribüne. Sie winken mir zu, ich nicke entschlossen, dann ertönt der Anpfiff – jetzt bin ich offiziell Spieler der Zweiten deutschen Bundesliga.

Allerdings einer, der noch nichts gewonnen hat, nicht mal einen erbärmlichen Zweikampf. Und bis zum Halbzeitpfiff wird sich daran wenig ändern. Wir kommen schwer ins Spiel, Sandhausen erweist sich als kompakte Truppe, ohne allzu viel zu riskieren. Wir kommen in den ersten 23 Minuten nicht mal richtig vor das Tor des Gegners, dann: Trinkpause. Aufgrund der heißen Temperaturen wird uns solch eine Pause zweimal im Spiel verordnet, damit wir nicht dehydrieren. Innerlich muss ich darüber grinsen: Auf den Bolzplätzen früher gab’s so was nicht – ich erinnere mich noch an meine erste Zeit im Verein in Wuppertal, da hielt man es noch für schädlich, überhaupt während eines Spiels Wasser zu trinken …

Ohne Tore auf beiden Seiten gehen wir in die Halbzeit. Damir Burić kommt zu mir, legt mir die Hand auf die Schulter: »Bleib locker. Deine Situationen werden noch kommen – mach auf dem Platz einfach genau das, was dir Spaß macht.« Ich nicke. Na hoffentlich.

Zehn Minuten nach der Pause kommen meine Chancen immer noch nicht, sondern erst mal nur der Sandhäuser Klingmann, und zwar in unseren Strafraum. Er nimmt eine verunglückte Abwehraktion meines Mitspielers Caligiuri auf und haut den Ball aus kurzer Entfernung ins Tor. 0:1. Unsere Unsicherheit ist jetzt mit den Händen zu greifen. Erstes Spiel in der Saison, gleich eine Heimniederlage? Gegen eine Mannschaft, die du eigentlich zu Hause schlagen musst. Burić reagiert: Mit Reese und Green gehen zwei Offensivkräfte raus, dafür unterstützen mich vorne nun die Kollegen Atanga und Steininger. Merkwürdig – mit dem Gegentor scheint sich meine mentale Bremse gelöst zu haben. Ich gehe jetzt mit Wucht in jeden noch so aussichtslosen Zweikampf mit den hochgewachsenen Ochsen in der Sandhäuser Defensive, laufe stur immer wieder den Torwart und die Innenverteidiger an. Wenn Willen und reine Energie Tore schießen könnten, wäre ich jetzt schon knapp vor dem Hattrick. Ich versuche, meine Mitspieler mitzureißen, ich laufe, laufe, laufe so wie damals im Gefängnis, als ich kaum Möglichkeiten hatte zu trainieren und aus Mangel an Optionen einfach in der Zelle auf der Stelle gesprintet bin, bis mich die Kräfte verließen. So langsam dreht sich das Spiel, Sandhausen kriegt keinen geordneten Spielaufbau mehr hin, immer dynamischer bringen wir unsere Angriffe vor das Tor des Sandhäuser Keepers.

Zwölf Minuten vor dem Ende dann dieser Moment, auf den jeder Mittelstürmer wartet – und für den ich Fußball spiele. Mein Mitspieler Tobias Mohr setzt sich auf der linken Seite gegen zwei Gegenspieler durch und flankt den Ball hoch auf den zweiten Pfosten in den Strafraum. Ich sehe den Ball durch den Strafraum segeln und mache intuitiv ein paar Schritte weg von meinem Gegenspieler. Mit einem Spreizschritt springe ich in den Ball, berühre ihn leicht – und sehe, wie er am Torhüter vorbeifliegt, den Innenpfosten berührt und hinter die Linie fällt. Tor! Ausgleich! Erstes Spiel, erster Treffer. Ich schreie die Erleichterung und die Freude zu gleichen Teilen hinaus in die Welt, nackte Ekstase, für den Bruchteil einer Sekunde ist so ein Tor das reine Glück. Mir tut jeder leid, der noch nie Fußball gespielt hat und nicht nachvollziehen kann, was in einem Fußballer vorgeht, der gerade ein Tor erzielt hat. Meine Mannschaftskameraden stürmen auf mich zu und begraben mich unter sich, auch die Fans sind aus dem Häuschen. Es dauert ein paar Sekunden, bis wir uns alle wieder gesammelt haben und uns gegenseitig noch einmal pushen.

Okay, Ausgleich, gut und schön. Feiern können wir nach dem Spiel, aber dazu muss jetzt erst einmal gewonnen werden. Noch ein Tor muss her. Noch...

Erscheint lt. Verlag 16.1.2020
Zusatzinfo 15 farbige Fotos
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Biografie • Bundesliga • Fußball-Star • Fußball-Talent • Ghetto • Greuther Fürth • Integration • Knast • Nachwuchsförderung • Raubüberfall • True Crime
ISBN-10 3-462-32045-9 / 3462320459
ISBN-13 978-3-462-32045-9 / 9783462320459
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