Lesen gefährdet die Dummheit (eBook)

Gedanken zur Toleranz

Robert Schlepütz (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491162-5 (ISBN)

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Lesen gefährdet die Dummheit -
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Der Sammelband »Lesen gefährdet die Dummheit. Gedanken zur Demokratie« enthält die wichtigsten grundlegenden Texte zur Demokratie. Mit klassischen Texten von Platon, Aristoteles, Cicero, Augustinus von Hippo, Thomas von Aquin, Marsilius von Padua, Machiavelli, Montesquieu, Rousseau, John Locke, Immanuel Kant, Alexis de Tocqueville, John Stuart Mill, Jean Louis de Lolme, Walt Whitman und vielen mehr. Anregende Lektüre und perfektes Geschenk für alle klugen Köpfe.

Tolérance
Toleranz


(Enzyklopädische Ordnung: Theologie, Moral, Politik)

Die Toleranz ist im allgemeinen die Tugend jedes schwachen Wesens, das dazu bestimmt ist, mit Wesen zusammen zu leben, die ihm gleichen. Dem Menschen, der durch seine Intelligenz so erhaben ist, sind zugleich durch seine Irrtümer und seine Leidenschaften so enge Grenzen gesetzt, daß man ihm den anderen gegenüber nicht genug von jener Toleranz und jener Hilfe einflößen kann, deren er selbst so sehr bedarf und ohne die man auf der Erde nur Unruhen und Streitigkeiten sehen würde. In der Tat hat man diese sanfteren versöhnlichen Tugenden aber geächtet, gereichten zahlreiche Jahrhunderte den Menschen mehr oder weniger zur Schande und zum Unglück; und hoffen wir nicht, daß wir ohne sie unter uns Ruhe und Wohlstand jemals wiederherstellen können!

Man kann zweifellos mehrere Quellen unserer Zwietracht feststellen. Wir sind in dieser Hinsicht leider nur zu fruchtbar. Da sich aber vor allem in Fragen der Gesinnung und der Religion die verheerenden Vorurteile besonders zwingend und scheinbar mit mehr Recht durchsetzen, ist dieser Artikel auch dazu bestimmt, sie zu bekämpfen. Wir begründen zunächst auf den evidentesten Prinzipien die Richtigkeit und Notwendigkeit der Toleranz und entwerfen dann auf Grund dieser Prinzipien die Pflichten der Fürsten und Herrscher. Wie traurig ist freilich die Aufgabe, den Menschen Wahrheiten beweisen zu müssen, die so klar und bedeutsam sind, daß man seine Natur abgelegt haben muß, um sie nicht zu erkennen! Wenn es aber sogar in unserem Jahrhundert noch Menschen gibt, die ihre Augen der Evidenz und ihr Herz der Menschlichkeit verschließen, wie könnten wir dann in unserem Werk darüber feiges und sträfliches Stillschweigen bewahren? Nein. Wie immer es auch um den Erfolg bestellt sein mag, wagen wir zumindest, die Rechte der Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu fordern, und versuchen wir noch einmal, dem Fanatiker seinen Dolch zu entreißen und dem Abergläubischen seine Augenbinde abzunehmen. […]

Ziehen wir also den folgenden Schluß: Wenn überall Intoleranz herrschte, so würde sie alle Menschen gegeneinander bewaffnen und auf Grund der verschiedenen Anschauungen immer wieder Kriege heraufbeschwören; denn selbst wenn man annähme, daß die Ungläubigen nicht Verfolger aus religiösen Prinzipien wären, so wären sie es doch zumindest aus politischen und eigennützigen Gründen. Da die Christen diejenigen, die ihre Vorstellungen nicht annehmen, nicht dulden können, so würde man sehen, wie sich mit Recht alle Völker gegen sie verbündeten und den Untergang dieser Feinde des Menschengeschlechts beschlössen, die unter dem Schleier der Religion nichts Unrechtmäßiges darin erblicken würden, es zu peinigen und zu unterjochen. In der Tat stelle ich die Frage: Was hätten wir einem Fürsten in Asien oder in der Neuen Welt vorzuwerfen, wenn er den ersten Missionar, den wir zu ihm schickten, um ihn zu bekehren, aufhängen ließe? Besteht die höchste Pflicht des Herrschers nicht darin, Frieden und Ruhe in seinen Staaten zu sichern und aus ihnen jene gefährlichen Menschen wohlweislich zu verbannen, die zuerst ihre Schwäche unter scheinheiliger Sanftmut verbergen, dann aber, sobald sie die Macht dazu haben, barbarische und aufrührerische Lehren zu verbreiten suchen? Mögen die Christen es also sich selbst zuschreiben, wenn die anderen Völker, denen ihre Lehren bekannt sind, sie nicht dulden wollen, wenn sie in ihnen nur die Mörder Amerikas oder die Ruhestörer Indiens sehen und wenn ihre heilige Religion, die sich auf der Erde verbreiten und Früchte tragen soll, wegen ihrer Ausschreitungen und ihres Wütens mit Recht von ihnen verworfen wird.

Übrigens erscheint es uns unnütz, den Intoleranten die Prinzipien des Evangeliums entgegenzuhalten, das nur die Prinzipien der natürlichen Billigkeit verbreitet und entwickelt, ihnen die Lehren und das Vorbild ihres erhabenen Meisters, der immer nur Milde und Nächstenliebe verkündete, ins Gedächtnis zurückzurufen und ihnen das Verhalten jener ersten Christen vor Augen zu führen, die nur den Segen zu erteilen und für ihre Verfolger zu beten verstanden. […] Man sieht wohl ein, daß wir in einem Artikel eine so reichhaltige Materie nur flüchtig behandeln können: So haben wir jetzt, nachdem wir die Prinzipien, die uns am allgemeinsten und am einleuchtendsten erschienen, ins Gedächtnis zurückgerufen haben, nur noch die Aufgabe zu erfüllen, die Pflichten der Herrscher gegenüber den religiösen Sekten, welche die Gesellschaft spalten, kurz zu umreißen. […]

Allgemeine Regel: Achtet unverbrüchlich die Rechte des Gewissens in allem, was die Gesellschaft nicht beunruhigt. Spekulative Irrtümer sind für den Staat belanglos; Verschiedenheit in den Anschauungen wird immer unter Wesen herrschen, die so unvollkommen sind wie der Mensch; die Wahrheit bringt Ketzereien hervor wie die Sonne Schlacken und Flecken. Verschlimmert also nicht ein unvermeidliches Übel, indem ihr es mit Feuer und Schwert auszurotten sucht; bestraft Verbrechen, aber habt Mitleid mit dem Irrtum und verleiht der Wahrheit niemals andere Waffen als Sanftmut, Vorbildlichkeit und Überzeugungskraft. In Dingen der Änderung des Glaubens wirken Ermunterungen stärker als Strafen; letztere haben immer nur zerstörerisch gewirkt.

Diesen Prinzipien wird man die Nachteile, die sich aus der Vielzahl der Religionen ergeben, und die Vorteile der Einheitlichkeit des Glaubens in einem Staate entgegensetzen. Wir antworten darauf zunächst mit dem Verfasser des Geistes der Gesetze: »Diese Ideen von der Einheitlichkeit machen unfehlbar auf die gewöhnlichen Menschen tiefen Eindruck, weil sie darin eine Art Vollkommenheit finden, die darin nicht zu entdecken unmöglich ist: gleiche Gewichte in der öffentlichen Ordnung, gleiche Maße im Handel, gleiche Gesetze im Staate, gleiche Religion in allen seinen Teilen. Aber ist das immer und ausnahmslos angebracht? Ist das Übel, etwas zu ändern, immer weniger groß als das Übel, etwas zu ertragen? Und würde die Größe des Genies nicht vielmehr darin bestehen, zu erkennen, in welchen Fällen die Einheitlichkeit und in welchen Fällen die Verschiedenheit angebracht ist?«[1] Warum soll man denn Anspruch auf eine Vollkommenheit erheben, die mit unserer Natur unvereinbar ist? Es wird unter den Menschen immer verschiedene Meinungen geben; die Geschichte des menschlichen Geistes ist dafür ein kontinuierlicher Beweis, und das trügerischste Vorhaben wäre, die Menschen zur Einheitlichkeit in ihren Anschauungen bringen zu wollen. Dennoch, sagt ihr, erfordere das politische Interesse, daß man diese Einheitlichkeit schafft, daß man mit Bedacht jede Meinung verbannt, die zu den im Staate anerkannten Meinungen im Widerspruch steht; das heißt, man muß den Menschen darauf beschränken, nur noch ein Automat zu sein, nur Meinungen zu lehren, die in seinem Geburtsort gelten, ohne jemals zu wagen, sie zu prüfen und auszuloten, und die barbarischsten Vorurteile, etwa solche, wie wir sie bekämpfen, untertänig zu achten. Aber wie viele Übel und welche Zwietracht hat die Vielzahl der Religionen in einem Staate zur Folge! Euer Einwand verwandelt sich in einen Beweis gegen euch, da die Intoleranz selbst ja die Quelle dieser Übel ist; denn wenn die verschiedenen Parteien einander duldeten und nur in der Vorbildlichkeit, der Schicklichkeit der Sitten, der Liebe zu den Gesetzen und zum Vaterland miteinander zu wetteifern suchten, wenn das der einzige Beweis wäre, den jede Sekte zugunsten ihres Glaubens vorbrächte, so würden im Staate trotz der Verschiedenheit der Anschauungen bald Eintracht und Friede herrschen, so wie in der Musik Dissonanzen den Zusammenklang des Ganzen nicht beeinträchtigen.

Man beharrt indes auf seinem Standpunkt und behauptet, der Wechsel der Religion habe oft Umwälzungen in der Regierung und im Staate zur Folge. Darauf antworte ich wieder, daß das, was an dieser Bezichtigung so abscheulich ist, allein zu Lasten der Intoleranz geht; denn wenn die Neuerer geduldet oder nur mit den Waffen des Evangeliums bekämpft würden, so würde der Staat nicht unter dieser geistigen Gärung leiden. Aber die Verteidiger der herrschenden Religion erheben sich wütend gegen die Sektierer, bringen die Inhaber der Gewalt gegen sie auf, veranlassen sie zu blutigen Erlassen, säen in allen Herzen Zwietracht und Fanatismus und legen dreist ihren Opfern die Unruhe zur Last, die allein sie gestiftet haben.

Was die betrifft, die unter dem Vorwand der Religion nur versuchen, die Ruhe der Gesellschaft zu stören, Aufruhr zu schüren und das Joch der Gesetze abzuschütteln, so unterdrückt sie mit Strenge, wir sind nicht ihre Apologeten; aber verwechselt mit diesen Schuldigen nicht diejenigen, die nur Gedankenfreiheit verlangen sowie die Freiheit, sich zu dem Glauben zu bekennen, den sie für den besten halten, und die im übrigen als treue Untertanen des Staates leben!

Aber, werdet ihr wieder einwenden, der Fürst sei doch der Verteidiger des Glaubens; er müsse ihn in seiner ganzen Reinheit erhalten und sich mit Entschiedenheit all denen widersetzen, die ihm Abbruch tun; wenn Vernunftgründe und Ermahnungen nicht fruchteten, so trüge er nicht umsonst das Schwert, sondern vielmehr deshalb, um den, der unrecht tut, zu strafen und die Aufrührer zu zwingen, in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Was willst du denn, du Barbar? Deinen Bruder umbringen, um ihn zu retten? Aber hat Gott dich mit dieser schrecklichen Aufgabe betraut? Hat er in deine Hände die Sorge für seine Rache gelegt? Woher weißt du, daß er geehrt sein will wie die Teufel? Geh, Unglücklicher, dieser Friedensgott mißbilligt deine gräßlichen Opfer; sie sind nur...

Erscheint lt. Verlag 25.3.2020
Reihe/Serie Lesen gefährdet die Dummheit
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Andersdenkende • Aristoteles • Debatte • Debatten-Kultur • Demokratie • Freiheit • Georg Friedrich Wilhelm Hegel • Immanuel Kant • Klassiker • Platon • Politik
ISBN-10 3-10-491162-2 / 3104911622
ISBN-13 978-3-10-491162-5 / 9783104911625
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