Gezähmt und ungezähmt

Von großen und von kleinen Tieren
Buch | Hardcover
272 Seiten
2019 | 1. Auflage
Malik (Verlag)
978-3-89029-520-6 (ISBN)
22,00 inkl. MwSt
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»Jahrhundertelang haben Menschen es als Beleidigung empfunden, wenn sie als ›Tiere‹ bezeichnet wurden. Dieses Buch zeigt, was für ein Kompliment das in Wahrheit ist.« Donna Leon
Warum werden Oktopusse bei einem Blind Date rot? Weshalb sind Hummeln optimistisch und Tüpfelhyänen emanzipiert? Und lachen Ratten wirklich, wenn sie gekitzelt werden? Die befreundeten Naturforscherinnen und Bestsellerautorinnen Sy Montgomery und Elizabeth Marshall Thomas versammeln in ihrem Band spannende und skurrile Episoden über große und kleine, pelzige und gefiederte, wilde und zahme Tiere. Sie berichten von Begegnungen mit Elefanten, der Aufzucht verwaister Kolibri-Jungen und dem Zusammenleben mit eigensinnigen Katzen. Erkunden, warum wir zu manchen von ihnen eine besondere Beziehung aufbauen und andere uns nicht geheuer sind. Und halten uns mit ihren klugen Einblicken in die geheimnisvolle Welt der Tiere zugleich einen Spiegel vor.

Von den renommierten Autorinnen der Bestseller »Rendezvous mit einem Oktopus« und »Das geheime Leben der Hunde«
Neue faszinierende Einblicke in das Wesen und Denken unserer Tiere
Liebevoll illustriertes Geschenk für alle Tierfans

Montgomery, Sy Sy Montgomery, geboren 1958 in Frankfurt am Main, ist eine vielfach ausgezeichnete amerikanische Naturforscherin, Drehbuchautorin und Verfasserin zahlreicher Sachbücher, unter anderem des Bestsellers »Rendezvous mit einem Oktopus«. Ihre Recherchen führten sie in die entlegensten Gebiete der Welt: zu den rosa Delfinen im Amazonas und den Schneeleoparden im Altai-Gebirge. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrem Hund und acht Hennen in New Hampshire. Marshall Thomas, Elizabeth Elizabeth Marshall Thomas, geboren 1932 in Boston, ist eine renommierte Anthropologin und Verhaltensforscherin. Während ihrer jahrzehntelangen Karriere beschäftigte sie sich mit Hunden und Wölfen, Katzen und Elefanten und unternahm mehrere Forschungsreisen in Afrika. Sie veröffentlichte unzählige Bücher, unter anderem »Das geheime Leben der Hunde«. Gemeinsam mit zwei Hunden und drei Katzen lebt sie in New Hampshire.

Vorwort

Teil 1 Tiere und Menschen
Tiere als Lehrer und Heiler
Wenn die Chemie stimmt
Gibt es einen sechsten Sinn?
Donner
Das Denken der Tiere
Krakenliebe
Buschfleisch
Cecil, der Löwe
Ausgesetzte Tiere
Eine Ehrenbezeigung gegenüber Kriegstieren
Fehlgeschlagene Kommunikation
Angst vor der Dunkelheit
Angst vor Schlangen
Die Geister in unserer Mitte

Teil 2 Vögel
Vögel mit Rhythmus im Blut
Puffin M
Das unverwüstliche Huhn
Migration der Greifvögel
In Federn gehüllte Luftblasen

Teil 3 Hunde und Katzen
Haustiere mit Behinderungen
Hundezucht
Hunde-Winzlinge
Wie man am besten einen Hund erzieht
Katzenvandalismus
Katzen auf der Spur
Schlafende Hunde
Verwilderte und streunende Katzen
Wenn ein Hund stirbt

Teil 4 Wildtiere
Bären
Der » Hund «, den wir von Herzen hassen
Der Weiße Hai
Rotwildfütterung
Der Löwe
Klippschliefer
Das Weihnachtshermelin
Eine Maus
Pinkfarbene Delfine
Glückliche Ratten: verspielt, kitzlig und optimistisch

Teil 5 Winzlinge
Schnecken
Würmer: demütig und überschwänglich
Amphibien
Summ summ summ! Bienchen summ herum!
Bärtierchen

Teil 6 Tierische Fähigkeiten
Verstoßene Akrobaten
Mehr als Schall und Rauch
Im Schnee
Musik für Tiere
Trinkfreudige Tiere
Können Tiere träumen?
Einblick in die Wildnis
Unterschiedliche Informationen
Weiß jemand, wie spät es ist?
Der Oktopus, die Intelligenzbestie

Dank
Abbildungsnachweis

"Jahrhundertelang haben Menschen es als Beleidigung empfunden, wenn sie als 'Tiere' bezeichnet wurden. Dieses Buch zeigt, was für ein Kompliment das in Wahrheit ist." Donna Leon

"Jahrhundertelang haben Menschen es als Beleidigung empfunden, wenn sie als ›Tiere‹ bezeichnet wurden. Dieses Buch zeigt, was für ein Kompliment das in Wahrheit ist."

VorwortSieht man von in Transsylvanien spielenden Schauerromanen ab, hört man kaum jemals von einer dauerhaften Freundschaft, die durch einen Biss begründet wurde. Doch genau so kamen die Naturschriftstellerinnen Sy Montgomery und Elizabeth Marshall Thomas zusammen – die beiden außergewöhnlichen und ein bisschen schrulligen Bilderstürmerinnen, deren Essaysammlung uns hier vorliegt.Liz und Sy lernten sich vor mehr als dreißig Jahren kennen, einige Monate oder sogar nur Wochen nachdem Sy nach Hampshire umgezogen war, und zwar ganz in Liz’ Nähe. Als Journalistin schrieb Sy häufig über Wildtiere und saß bald an ihrem ersten Buch über Großaffen und die Frauen, die sie erforschten. Liz hatte klassische ethnologische Werke über das Leben bei den San (Buschmännern) verfasst, einer Kultur der Jäger und Sammler in der Kalahari, aber auch Romane, die in der Steinzeit angesiedelt sind. Als scharfsinnige Tierbeobachterin hatte sie zudem die US-amerikanische Wissenschaftlerin Katy Payne bei ihren Bioakustik-Forschungen an Elefanten unterstützt. So kam es, dass Sys Ehemann, der Schriftsteller Howard Mansfield, in der lokalen Zeitung auf einen Artikel über Liz stieß und Sy ermunterte, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Wenig später führte Sy ein Interview mit Liz über die Kommunikation unter Elefanten, über die man damals erst wenig wusste.Kaum saßen Sy und Liz beisammen, hatten die beiden Frauen, die heute noch in Nachbarorten wohnen, ihre gemeinsame Vorliebe für die Natur und Tierwelt entdeckt. Mag sich das Gespräch anfangs auch um Elefanten gedreht haben, wandte es sich dann unausweichlich einer Vielzahl anderer Spezies zu, darunter Frettchen – genau genommen den Frettchen, die Sy als Haustiere hielt. Liz wollte sie persönlich kennenlernen. Sy ließ sich nicht lange bitten und nahm Liz mit zu sich nach Hause, wenngleich sie zu bedenken gab, dass der Zeitpunkt ungünstig sei. Denn eben erst war Sy von einem sechsmonatigen Aufenthalt in Australien zurückgekehrt, und die Tiersitterin war, wie sich herausgestellt hatte, auf Frettchen allergisch gewesen. Das hieß, dass die kleinen Marder nicht sehr an Menschen gewöhnt waren. Es kam, wie es kommen musste: Eins der Tiere bohrte seine spitzen Zähne in Liz’ Fleisch. Sogleich entschuldigte sich Sy und versuchte dieses Verhalten zu erklären, bis sie merkte, dass das gänzlich unnötig war. Liz gab ihr nachdrücklich zu verstehen, dass ihr das überhaupt nichts ausmache. »Es störte sie wirklich nicht, von einem Frettchen gebissen zu werden«, sagt Sy. Und schlagartig wurde ihr klar: »Wir sind Seelenverwandte.«Seit jenem Tag in New Hampshire sind Liz und Sy zusammen nach Costa Rica geflogen, wo sie für Bat Conservation International Fledermäuse mit Spezialnetzen einfingen; in Maine folgten sie Elchkühen mit ihren Kälbern zu Fuß in die Wälder; und in jüngster Zeit beobachteten sie zusammen mit einem weiteren illustren »Nachbarn«, dem Paarhuferexperten Richard D. Estes, die Gnuwanderungen in Tansania. Liz und Sy sind einander in ihrem Leben und in ihrem Denken eng verbunden. Ebendeshalb taucht jede der beiden auch in den Büchern der anderen auf. Sy hat einen »Gastauftritt« in Liz’ bahnbrechendem Bestseller Das geheime Leben der Hunde – als die beiden in der Hauptstadt von Costa Rica auf ihre Souvenirjagd verzichten, um bei sengender Hitze nach einer Hündin zu suchen. In Sys Das glückliche Schwein ist wiederum Liz die Heldin, wenn sie überlegt, wie sie Sys verstörten und kränkelnden Hund Tess während Sys Abwesenheit trösten kann und der Hündin schließlich einen alten Arbeitsmantel von Sy bringt, in den sich Tess kuscheln kann. »Ich glaube, seit wir uns kennen, habe ich Liz in fast jedem meiner Erwachsenenbücher zitiert oder eine Episode mit ihr erzählt, und sie hat mich in jedem Sachbuch erwähnt, das sie seit Meine Freunde, die Buschmänner und Warrior Herdsmen geschrieben hat. Wir lesen auch mit kritischem Blick unsere jeweiligen Manuskripte gegen und sprechen fast täglich miteinander.«Die hier gesammelten Essays wurden größtenteils aus ihrer gemeinsamen Kolumne im Boston Globe übernommen, jener Zeitung, über die ich mit diesen bemerkenswerten Frauen in Kontakt gekommen bin. Dort arbeitete ich als Redakteurin und Autorin ab Ende der Achtzigerjahre, als Sy regelmäßig für unser Wissenschaftsressort schrieb. Liz wiederum hatte ich für meine dortige Kolumne »Animal Beat« mehrmals interviewt. Als ich irgendwann erfuhr, dass sie befreundet waren, wollte ich die Dritte im Bunde sein. Andere einzubeziehen liegt glücklicherweise in der Natur der beiden. Ja, es ist sogar ein wesentliches Charakteristikum ihrer Arbeit und ihres Lebens. Irgendwelche reflexartigen Ausgrenzungen – ob auf wissenschaftlicher oder persönlicher Ebene – haben sie stets abgelehnt. Doch so lieb die beiden auch sind, ihre Skepsis hat etwas ziemlich Schroffes. Sie sind gewissermaßen die bittersüße Variante der Naturschriftstellerinnen.Und ihr Prinzip der Einbeziehung ist in der Tat sehr weit gefasst – es macht auch vor Artengrenzen nicht halt. Ikonoklastisch, detailliert und ungewöhnlich kenntnisreich beschreiben Liz wie auch Sy, auf welch mannigfaltige Weise wir Menschen uns von den nicht menschlichen Tieren abzugrenzen versuchen – durch unsere Sprache, unsere Klassifikationen, unsere Erwartungshaltung. Die beiden entlarven so manche weitverbreitete Hypothese hinsichtlich der Überlegenheit des Menschen als Irrtum, und das tun sie gerne auch mit Humor. Als ich Liz 1993 zum ersten Mal interviewte, unterhielten wir uns über die klammheimliche Macht der Sprache, althergebrachte Vorstellungen vom »anderen« zu verstärken. Wie kommt es, dass wir Menschen »Liebe« erfahren können, doch nicht menschlichen Tieren nur zugestehen, dass sie »sich paaren«? Warum »wirft« eine Hündin Welpen und gebiert sie nicht wie eine Frau ein Baby? Manche Leser nahmen Anstoß daran, dass Liz die Beziehung zwischen zwei ihrer Huskys, die sich sehr zugetan waren, als Ehe bezeichnet hatte.Liz war damals eine Pionierin. »Wenn wir Wunder ausschließen wollen«, sagte sie, sei das Bewusstsein etwas, »das wir durch unsere lange Geschichte als Säugetiere erworben haben«.»Sind wir die einzigen Lebewesen, die denken, lieben und fühlen?«, wollte ich wissen.Sie schnaubte verächtlich. In ihrem damals gerade erschienenen Buch Das geheime Leben der Hunde hatte sie geschrieben, dass »Gedanken und Gefühle einen evolutionären Wert haben«. Anders ausgedrückt: Die Fähigkeit zu lernen bedeutet einen effektiveren Umgang mit den Unwägbarkeiten des Lebens. Wie damals beharrt Thomas auch heute noch darauf, es sei reine Überheblichkeit, wenn die Menschen glauben, sie seien die einzigen Säugetiere mit einem Bewusstsein, die einzigen, die Liebe oder Mitgefühl empfinden können oder Moralvorstellungen haben.Ob sie mit einer solchen Einstellung nicht zu weit gehe, hakte ich nach. Für Leute, die so dachten, hatte sie nur eine Antwort übrig: »Quatsch.«In demselben Interview sprach ich Liz auch darauf an, was für hohe Wellen ihr schmales Büchlein geschlagen hatte. »Tja«, meinte sie und schenkte mir ihr breites Lächeln, das ich so an ihr mag, »ich hatte bei diesem Buch keinen künstlerischen Anspruch, sondern es sollte messianisch sein!«Sy teilt mit ihr diese Weltsicht, die das menschenzentrierte Überlegenheitsdenken hinterfragt. Das hat sie oft in ihren Texten und auch persönlich zum Ausdruck gebracht. In einem Gespräch mit ihr, das ich mitschnitt, fragte ich sie einmal danach. Auch Sy brachte die Evolution ins Spiel und dass wir Menschen unsere Gefühle und unsere Moral unseren tierischen Mitgeschöpfen verdanken. Unseren Freundeskreis nur auf Menschen zu beschränken sei so absurd, als wollten wir unsere Ernährung lediglich auf ein einziges Nahrungsmittel beschränken: »Die Vorstellung, wir dürften nur Freunde von einer Spezies haben, wo es doch Tausende und Abertausende gibt … das ist verrückt. Als würde jemand sagen: ›Ich esse nur noch ein einziges Lebensmittel. Ich ernähre mich ausschließlich von Nachos und nehme nie wieder etwas anderes zu mir.‹ Das wäre doch irrsinnig!«Nun, diese Nachos bringen uns zurück zu jenem lang zurückliegenden Frettchenbiss. Liz hat den Zwischenfall nicht aus Großzügigkeit heruntergespielt. Vielmehr hatte sie Verständnis, weil sie die Situation aus der Perspektive des anderen Lebewesens sah. Und dieses Verständnis, das die Grundlage für Sys und Liz’ Liebe zu ihren Mitgeschöpfen ist, schließt ein tiefes und wohlwollendes Verständnis für ihre Mitmenschen ein. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Und es zeigt sich in seiner Einzigartigkeit auch in der vorliegenden Essaysammlung.Mit ihrem Leben, ihrem Werk und ihrer bemerkenswerten Freundschaft reißen Liz und Sy künstliche Grenzen ein und bringen uns unseren Mitgeschöpfen näher. Sie helfen uns, Zusammenhänge zu erkennen. Dazu fällt mir ein Zitat von Helen MacDonald aus ihrem wunderbaren Buch H wie Habicht ein: »Das Wilde ist aus der Geschichte des Menschen gemacht.« Wenn das stimmt, können wir uns glücklich schätzen, dass wir diese Texte von Sy Montgomery und Elizabeth Marshall Thomas lesen dürfen und mit ihrer Hilfe vielleicht zu besseren Menschen werden – indem wir das Wilde zu dem machen, was es für uns sein sollte: etwas Seelenverwandtes.– Vicki Constantine CrokeTeil 1 Tiere und MenschenIn dem entzückenden Retro-Diner in Peterborough, wo sich die Bewohner aus unserer Ecke von New Hampshire gern zum Lunch treffen, bestelle ich jedes Mal das Gleiche: das »fleischlose Sandwich«. Ich finde es kurios, dass ein Restaurant eine seiner Speisen – ein Baguette mit Käse, Tomaten und Salat – nach dem benennt, was sie nicht enthält. (Es hat ja auch keine »sauerkrautfreie Götterspeise« oder »ungezuckerte Würstchen« im Angebot.)Die Betonung des Umstands, dass in Käse kein Fleisch steckt, kommt einem so absurd vor, als würde man sämtliche Tierarten außer einer als »nicht menschliche Tiere« bezeichnen. Anscheinend wird der Mensch immer separat betrachtet.Aber warum eigentlich? Zwar sind Menschen die Einzigen, die diese Sätze lesen werden. Ebenso trägt niemand außer ihnen Hüte. Doch daneben ist die Liste der Merkmale, die wir früher als Beleg für die Einzigartigkeit unserer Spezies angeführt haben – vom Gebrauch von Werkzeug bis hin zur Kriegführung –, nicht nur rapide im Schrumpfen begriffen, sondern wirkt zusehends weniger beeindruckend, wenn wir sie mit den Besonderheiten anderer Tiere vergleichen. Spinnen können ihre Beine nachwachsen lassen. Kraken können Form und Farbe verändern. Die Metamorphose lässt Insekten und Amphibien von einer Lebensform zu einer anderen wechseln. Dagegen verblassen die Fähigkeiten des Menschen!Was uns unter anderem zur Veröffentlichung dieser Essaysammlung bewogen hat, war unser Anliegen, die Menschen in die Tierwelt zurückzubringen und die Tiere in der Welt der Menschen zu verorten – wo wir alle hingehören.Überlegen Sie mal: Seit unsere Spezies existiert, sind wir Menschen entwicklungsgeschichtlich betrachtet noch bis vor wenigen Augenblicken Jäger und Sammler gewesen. Wir waren unmittelbar und in jeder Hinsicht auf unsere Beobachtung der natürlichen Umgebung – der realen Welt – angewiesen, egal ob es um Nahrung und Obdach, Kleidung und Medizin oder auch Kunst, Religion und Inspiration ging. Innerhalb der Welt der Natur hat unsere Art die »Gesamtheit all dessen, was wir unter Kultur verstehen« – so der US-amerikanische Humanökologe Paul Shepard –, hervorgebracht. Und wie man heute weiß, sind die Menschen keineswegs die einzigen Tiere mit Kultur, was auch in den folgenden Essays deutlich werden wird.Wie sehr unterscheiden wir uns von anderen Spezies? Der Mensch ist mit den Menschenaffen so eng verwandt, dass wir sogar Bluttransfusionen von Schimpansen bekommen können. Neunzig Prozent unseres Erbguts teilen wir mit allen anderen Höheren Säugetieren (und vierzig Prozent mit der Banane!). Nicht einmal das Wort Person bezieht sich explizit auf Mensch. Person stammt von der Bezeichnung prosopon für Maske im griechischen Theater ab und findet in diesem Sinne seine Verwendung im christlichen Mysterium der Dreifaltigkeit, der »drei Personen Gottes« (Vater, Sohn und Heiliger Geist): Person bezeichnet hier lediglich eine der vielen Masken, die Gott auf dieser Welt trägt – tierische und menschliche. In etlichen Kulturen, besonders in indigenen Gemeinschaften, weiß man seit Langem um diese Wahrheit. Tiere erscheinen in den Schöpfungsgeschichten vieler dieser Stämme als die ersten Menschen.Und überall auf der Welt taucht dieses Motiv in Mythen und Sagen auf: Tiere nähren und inspirieren uns. In Russland, der Türkei, Liberia, Indien, Chile und Griechenland stoßen wir auf Geschichten, in denen Tiere Menschenbabys an Kindes statt annehmen und in ihrer Welt großziehen. Wir lesen von Affenjungen, Gazellenmädchen und sogar einem Straußenknaben. Diese Mythen – von den Zwillingen Romulus und Remus, die von einer Wölfin gesäugt wurden und später Rom gründeten, bis hin zu Bonbibi, dem zur Göttin gewordenen Waisenmädchen in den Sundarbans, das sein Überleben einer Hirschkuh verdankt – sind unsere Anerkenntnis der Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier und auch der besonderen Kräfte, die jenen Menschen zuteilwurden, die von unseren Tierverwandten aufgezogen worden sind.Zuweilen jagen uns unsere tierischen Mitgeschöpfe Angst ein oder stoßen uns ab. Aber auch das kann lehrreich sein und verrät uns häufig mehr über uns selbst als über das Furcht auslösende Gegenüber. Auf welche – teils verblüffende – Art und Weise wir mit anderen Lebewesen interagieren, wird in den folgenden Essays beleuchtet. Doch sie alle bestätigen, was wir sowohl durch die Evolution als auch durch unsere Schöpfungsmythen wissen: dass Menschen und Tiere zusammengehören und dass wir ohne unsere Mitgeschöpfe keineswegs vollkommen sind.– SyTiere als Lehrer und Heiler– Sy –Meinen Vater himmelte ich buchstäblich an. Er war General und hatte den Todesmarsch von Bataan überlebt. Als Kind bekam ich Ärger in der Sonntagsschule, weil ich sagte, dass ich ihn ebenso sehr liebte wie Jesus. Als mein Dad an Krebs starb, fiel meinem Mann nur eines ein, um meinen Kummer zu lindern: Er besorgte mir ein kleines, kränkliches Ferkel.All meine Liebe hatte meinen Vater nicht heilen können. Aber dieses Schweinchen konnte ich mit meiner Liebe ins Leben zurückholen. Dazu brauchte es nichts weiter als ein bisschen Zuwendung, ein Entwurmungsmittel und Futter. Na ja, eine ganze Menge Futter. Aber das Schweinchen dankte es uns auf seine Weise und wuchs zu einem ziemlich großen Schwein heran. So wurde Christopher Hogwood (wir benannten ihn nach dem berühmten britischen Dirigenten, denn wir lieben beide Alte Musik) nicht nur ein geschätztes Familienmitglied, sondern auch mein Lehrer und Heiler.Tiere sind schon seit Jahrtausenden anerkannte Mentoren des Menschen. »Die Tiere sind großartige Schamanen und wunderbare Lehrer«, betonte der US-amerikanische Mythologe Joseph Campbell. Ihm zufolge könne jedes Tier »ein Bote sein … oder ein persönlicher Wächter, der Warnungen überbringt oder Schutz bietet«. Bei den nordamerikanischen Oglala sucht sich ein Mensch, der auf Visionssuche geht, ein Tier als Lehrer. Das kann ein Bär sein, denn Bären wissen um die Heilkräfte von Pflanzen. (Mittlerweile ist wissenschaftlich erwiesen, dass Bären Pflanzen als Medizin benutzen, etwa Weidenrinde als Schmerzmittel.) Es kann auch ein Adler sein, denn Adler sehen alles, was um sie herum vorgeht (tatsächlich können Adler aus mehr als drei Kilometer Entfernung Tiere erspähen, die nicht größer als Kaninchen sind).Heutzutage lesen sich Interessierte das an, was Ureinwohner schon immer gewusst haben. Es wurden in letzter Zeit so viele Werke über die Heilerqualitäten von Tieren geschrieben, dass dabei fast schon ein eigenes literarisches Genre entstanden ist. Doch auch wenn das Thema altbekannt ist, halten diese Geschichten immer wieder Überraschungen bereit – weil uns Tiere auf unendlich viele Weisen retten, anleiten, trösten und mental stärken können.In Lissa Warrens The Good Luck Cat führt eine Katze die US-amerikanische Autorin aus ihrem Jammertal. Die Heldin des Buchs, eine verschmitzte, kaum mehr als drei Kilo schwere Siamkatze namens Ting, gehörte ursprünglich Warrens Vater, der sie sich als Gefährtin für seinen Lebensabend zugelegt hatte. Als ihr geliebter Dad plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt, wird die von ihrem Dad vergötterte Ting für Warren und ihre Mutter zur Verkörperung des Verstorbenen. Doch dann wird auch bei Ting ein schweres Herzleiden diagnostiziert. Der Untertitel der Geschichte, How a Cat Saved a Family, and a Family Saved a Cat (Wie eine Katze eine Familie und eine Familie eine Katze gerettet hat), verrät allerdings nur einen Teil der Handlung, denn es gibt noch eine weitere Wendung: Nachdem Warren mit ihrer Arbeit an diesem Buch begonnen hat, wird erst ihr linkes Bein gefühllos, dann ihr linker Arm und ihr Gesicht … In den darauffolgenden Kapiteln, die eigentlich gar nicht geplant waren, schildert sie, wie Tings Heilkräfte erneut ins Spiel kommen.In einem ganz anderen Memoir, H wie Habicht, wendet sich die britische Autorin Helen MacDonald nach dem Tod ihres Vaters nicht einer niedlichen schnurrenden Katze zu, sondern »dem Bastardnachkommen einer glühenden Fackel und eines Sturmgewehrs«. So bezeichnet sie einen Habicht, einen der unersättlichsten und unberechenbarsten Vögel, die man in der Falknerei kennt. Das junge Weibchen Mabel, das sie sich beschafft, ist das exakte Gegenteil eines trauernden Menschen: Vor Leben überbordend, war der rotäugige Räuber »ein Feuer, das meinen Schmerz wegbrannte«. Doch irgendwann treibt der ungestüme Habicht die Autorin in eine Art Wahn, sodass sie sich aus der Welt der Menschen zurückzieht und in eine andere, ältere und wildere Welt eintritt, bis sie erkennt, dass sie dort nicht hingehört.Auch die US-Amerikanerin Elisabeth Tova Bailey verlässt die Menschenwelt, doch ist es bei ihr eine seltsame, kräftezehrende Krankheit, die sie dorthin entführt. Die aktive, mitten im Leben stehende Frau in den Dreißigern wird von einem seltenen Pathogen befallen und kann nicht mehr auf eigenen Beinen stehen. Ans Bett gefesselt und aller Energie beraubt, »fühlte sich jeder Augenblick wie eine endlose Stunde an«, schreibt sie. Dann bekommt sie einen Topf mit Stiefmütterchen geschenkt, und darin haust auch eine Landschnecke.In ihrem früheren, gesunden Leben hätte sie keinen Gedanken an eine Schnecke verschwendet. Doch in ihrem schönen Buch Das Geräusch einer Schnecke beim Essen erzählt sie, wie ihr ihre Krankheit die Geduld gab, das Geheimnisvolle und Zauberhafte an der Schnecke zu erkennen und schätzen zu lernen. Dabei macht sie einige wirklich wissenschaftliche Entdeckungen, aber auch einige ganz persönliche – etwa dass »meine Schnecke die Details ihrer Welt genauso bewusst wahrnahm wie ich die meine«.Dann geschieht etwas, was den Zauber bricht. Als es Bailey besser geht, merkt sie, dass sie nicht mehr genügend Geduld hat, ihre Schnecke zu beobachten. Sie kehrt in die große, lärmende Welt der Menschen zurück, allerdings bereichert durch ihren kurzen Blick auf eine langsamere, sanftere Welt, die neben der unseren existiert.Nach der Vorstellung der Oglala geht bei der Visionssuche der Geist des Tierlehrers in den Körper des Menschen ein, sodass das Tier fortan einen Teil seiner Stärke ausmacht. Und die Oglala haben recht: Tiere werden ein Teil von uns, sie stärken und erneuern uns – und sie geben uns die Kraft, andere zu stärken und zu erneuern, indem wir ihre Geschichten weitererzählen.Wenn die Chemie stimmt– Sy –Ich musste einmal eine deprimierende Niederlage einstecken. Das Einzige, was es mir unmöglich machte, im offenen Meer mit Kraken zu schwimmen, war ein fehlendes Taucherzertifikat. Es war auch das Einzige, was es mir unmöglich machte, Kraken im offenen Meer überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Aber nach eineinhalb Tagen intensiven Tauchtrainings war ich zu tief getaucht und hatte meinen Ohren zu schnell zu viel Druck zugemutet, sodass mir schwindlig und schlecht wurde. Ich musste das Training abbrechen. Wegen des Schwindels sah ich mich zudem außerstande, mit dem Auto heimzufahren.In meiner Verzweiflung legte ich mich auf die Decke, die zum Schutz vor den schmutzigen Pfoten unseres Border Collies auf unserem Autorücksitz ausgebreitet ist. Als ich Sallys Geruch einatmete, kam ich zur Ruhe. Eine halbe Stunde später hatte sich meine Benommenheit so weit gelegt, dass ich wieder fahrtüchtig war.Wir Tierfreunde wissen schon lange, dass Haustiere unser Wohlbefinden steigern können, was auch immer das Leben für uns bereithält, ob Krankheit, Trauer oder strotzende Gesundheit. Zahlreiche Untersuchungen haben eine erstaunliche Wirkungsbreite nachgewiesen. So dürfen sich Katzenbesitzer über ein dreißig Prozent geringeres Herzinfarktrisiko freuen. Das Beobachten von Fischen im Aquarium senkt den Blutdruck. Und wer einen Hund streichelt, stärkt sein Immunsystem. Heute kann die Wissenschaft außerdem erklären, worauf die Heilkräfte unserer Tiergefährten basieren: Unsere Haustiere sorgen für gravierende biochemische Veränderungen in unserem Gehirn.»Diese wissenschaftliche Erkenntnis bestätigt eine Wahrheit, um die das Herz schon immer gewusst hat«, schreibt die US-Amerikanerin Meg Daley Olmert in ihrem Buch Made for Each Other, der Zusammenfassung einer mehr als zwanzigjährigen Arbeit über die Biologie der Bindungen zwischen Mensch und Tier. Dabei verweist sie auf ein bestimmtes Neuropeptid: Oxytocin, ein im Gehirn produziertes Hormon, von dem man schon lange weiß, dass es bei Säugetieren die Mutter-Kind-Bindung stärkt.Wenn bei einer angehenden Mutter die Wehen einsetzen, steigt der Oxytocinspiegel in ihrem Gehirn und sorgt für die Gebärmutterkontraktionen, die die Geburt einleiten. Sobald das Kind auf der Welt ist, regt allein schon der Anblick, der Geruch oder der Gedanke an das Baby den Milchfluss bei der Mutter an (weshalb sich so manche frischgebackene Mutter die Bluse ruiniert). Dass dies in gleicher Weise auf Tiermütter zutrifft, weiß man seit Tausenden von Jahren: Auf einem altägyptischen Grabbild sieht man, wie ein kniender Mann eine Kuh melkt, deren Kalb an ihrem Vorderbein angebunden ist.Entgegen der ursprünglichen Annahme tut das Oxytocin aber nicht nur bei werdenden oder jungen Müttern seine Wirkung. Ja, es beschränkt sich nicht einmal auf das weibliche Geschlecht oder Säugetiere oder überhaupt Wirbeltiere. Selbst bei Kraken – die ihre Jungen nicht nur nicht säugen, sondern sogar sterben, wenn ihr Nachwuchs aus den Eiern schlüpft – gibt es eine Variante von Oxytocin, das sogenannte Cephalotocin.Oxytocin ist für eine ganze Reihe physiologischer Veränderungen verantwortlich. Es kann Atmung und Pulsschlag verlangsamen, den Blutdruck senken und die Ausschüttung von Stresshormonen unterbinden, dadurch fördert es Gelassenheit, Wohlbefinden und Konzentrationsfähigkeit. Und das sind wesentliche Voraussetzungen für enge soziale Bindungen – egal ob zu einem Kind, einem Partner oder einem weniger Nahestehenden –, was auch und gerade Nicht-Artverwandte einschließt.In einer in Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie sprühten japanische Wissenschaftler Hunden entweder Oxytocin oder Salzlösung in die Nasenlöcher. Danach wurden die Hunde zu ihren Haltern zurückgebracht. Obwohl die Halter nicht mit ihren Hunden interagieren durften, zeigten diejenigen Tiere, die Oxytocin eingeatmet hatten, ihren Herrchen oder Frauchen gegenüber sehr viel mehr Zuneigung. Die statistische Auswertung belegte, dass die mit Oxytocin behandelten Hunde mit weitaus höherer Wahrscheinlichkeit zu ihren Haltern aufschauten, an ihnen schnupperten und leckten und Pfötchen gaben als diejenigen, die nur die Salzlösung bekommen hatten.Oxytocin ist nicht der einzige Neurotransmitter, der durch die Gegenwart unserer Tiergefährten in unseren Gehirnen freigesetzt wird. Südafrikanische Forscher haben festgestellt, dass sich bei Männern wie Frauen die Oxytocinwerte im Blut verdoppelten, wenn sie ihre Hunde streichelten und mit ihnen redeten. Dabei wurde zudem mehr Beta-Endorphin ausgeschüttet – ein natürliches Schmerzmittel, das auch für das »Runner’s High« verantwortlich ist – sowie das als »Glückshormon« bekannte Dopamin. Auch solche neurochemischen Stoffe haben entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden. Eine spätere und größer angelegte Untersuchung der University of Missouri ergab, dass das Streicheln und Hätscheln eines Hundes bei den Versuchspersonen einen rapiden Anstieg von Serotonin bewirkte – jenes Neurotransmitters, dessen Ausschüttung man oft durch Verabreichung von Antidepressiva anzuregen versucht. So ist es nicht verwunderlich, dass tiergestützte Therapien bei traumatisierten Kindern, bei Autisten und Menschen auf Drogenentzug oder mit posttraumatischer Belastungsstörung erfolgreich zum Einsatz kommen. Mithilfe von Haustieren kann die Chemie des Gehirns normalisiert werden.»Indem wir nachweisen, was bei der Interaktion mit Haustieren wirklich passiert«, so Rebecca Johnson, die die Untersuchung in Missouri geleitet hat, »können wir dazu beitragen, dass tiergestützte Therapien als medizinisch wirksame Maßnahme anerkannt werden« – die dann ebenso wie Medikamente verschrieben werden können und deren Kosten die Krankenkassen übernehmen.Bei allen Tieren scheint es unmittelbar unter der Haut Zellen zu geben, die die Oxytocinausschüttung im Gehirn anregen. Sanfte Berührungen – ob beim Striegeln eines Pferds oder beim Sex mit dem Partner – haben also eine große Wirkung. Doch es genügt sogar schon, wenn man an jemanden denkt, den man gernhat, sei es Mensch oder Tier. Bei einer kleinen im Oktober 2014 veröffentlichten Studie des Massachusetts General Hospital zeigte man Frauen Bilder von ihren Haustieren und machte dabei MRT-Aufnahmen von ihren Gehirnen – tatsächlich leuchteten dieselben Stellen auf, wenn man ihnen später Fotos ihrer Kinder zeigte.Und das Beste daran ist: Die Chemie funktioniert wechselseitig. Wir bewirken bei unseren Tieren die gleichen physiologischen Veränderungen wie sie bei uns. Als ich damals auf der Decke in unserem Auto lag und Sallys tröstlichen Geruch einatmete, fiel mir ein, was meine beste menschliche Freundin Liz Thomas einst gegen die Angst und Verzweiflung eines anderen Border Collies namens Tess – Sallys geliebter Vorgängerin – unternommen hatte. Ich war nicht da, weil ich mich um meine todkranke Mutter kümmerte, als Tess, eine Rettungshündin mit Trennungsängsten, eine Art Schlaganfall erlitt. Zum ersten Mal in ihrem Leben musste sie eine Nacht eingesperrt beim Tierarzt verbringen. Doch Liz wusste, wie sie ihr helfen konnte. Sie fuhr zu mir nach Hause, holte meine Arbeitsjacke und legte sie Tess im Tierkrankenhaus in ihren Käfig. Tess erschnupperte meinen Geruch, und sogleich klappten sich ihre Ohren ein und die Angst schwand aus ihrem Gesicht. Dann stieß sie einen Seufzer aus und entspannte sich.Gibt es einen sechsten Sinn?– Liz –Gibt es so etwas wie übersinnliche Wahrnehmung? Die meisten Wissenschaftler bezweifeln das, und das aus gutem Grund. Entsprechende Experimente konnten keinerlei Nachweis dafür erbringen. Bei einem hielten sich beispielsweise zwei Personen isoliert voneinander in unterschiedlichen Räumen auf, dann deckte die eine Karten von einem Stapel auf, die die andere mittels übersinnlicher Kräfte zu erraten versuchte. Die Resultate waren enttäuschend. Trotzdem hatte ich vier Erlebnisse mit übersinnlicher Wahrnehmung, und alle basierten auf starken Emotionen, wie sie sich beim Betrachten von Karten nicht unbedingt einstellen. Dreimal war ein Hund im Spiel, der möglicherweise als Mittler fungierte. Sehen Sie es mir also bitte nach, wenn ich Ihnen diese Geschichten erzähle.In einer dunklen Nacht wurde ich versehentlich in dem Museum, in dem ich arbeitete, eingesperrt. Ich mochte das Museum nicht: Damals war ich jung, lebte noch bei meinen Eltern und fürchtete mich vor den mumifizierten Leichen, die, wie ich wusste, im Keller aufbewahrt wurden. Auf einmal gingen die Lichter aus. Erschrocken tastete ich mich durch die pechschwarze Finsternis zur Tür, doch sie war abgeschlossen! Ich hörte Schritte – die Mumien waren mir auf den Fersen! In meiner Panik probierte ich alle anderen Türen, bis ich eine fand, die sich öffnen ließ, und stürmte in die Nacht hinaus. Wir wohnten gleich nebenan, und meine Mutter stand angsterfüllt vor dem Haus. Sie hatte plötzlich das Gefühl gehabt, dass mir irgendetwas Schreckliches zugestoßen war, und war hinausgegangen, um nachzusehen. Mir hatte keine Gefahr gedroht – die Schritte waren die des Hausmeisters gewesen, der abschließen wollte. Aber ich hatte noch nie zuvor solche Angst gehabt, und das hatte meine Mutter irgendwie gespürt.Bei einem anderen Erlebnis übertrug sich die Panik entweder durch unseren Hund Ruby, als unser anderer Hund Sheilah getötet wurde, oder durch Sheilah selbst, als sie Todesqualen litt. Es geschah in unserer Auffahrt, als Sheilah von einem Laster mit Schlepperrechen überrollt und mitgezogen wurde, was niemand außer Ruby bemerkte.Zu diesem Zeitpunkt war ich gut zwanzig Kilometer entfernt auf dem Weg zu einem Stoffgeschäft und dachte darüber nach, was für eine Patchworkdecke ich machen wollte, als mir plötzlich ein Schreck in die Glieder fuhr und ich spürte, dass zu Hause etwas Furchtbares, eine Katastrophe geschehen war. Ich versuchte mich abzulenken und an den Stoff zu denken, aber die Beklemmung ließ mich nicht los. Schließlich machte ich kehrt und raste nach Hause zurück, wo ich Sheilahs Leiche auf dem Rasen liegen sah. Man hatte sie tot auf der Straße aufgefunden. Später folgte ich mit Pearl, einer anderen Hündin, die schnüffelnd die Fährte aufnahm, den Schleifspuren. Bei jeder ihrer grausigen Entdeckungen stellten sich ihr die Haare auf. Auf diese Weise erfuhr ich, was passiert war.Ein anderer Fall ereignete sich, als mein Mann und ich zusammen mit zwei Hunden in einer Wohnung lebten. Damals war Violet, das jüngere der beiden Tiere, noch nicht ganz stubenrein, und weil wir ausgehen wollten, überlegte ich, sie auf dem Balkon zu lassen. Gedanklich spielte ich durch, wie ich sie auf den Balkon brachte und dort aussperrte, unternahm aber keinerlei Anstalten, es tatsächlich zu tun – denn das wäre ausgesprochen unfreundlich gewesen. Die Möglichkeit war mir nur so in den Sinn gekommen. Mein Mann befand sich im selben Zimmer und machte gerade ein Nickerchen. Da öffnete er verschlafen die Augen und sagte: »Lass sie nicht da draußen.«Er dachte, er hätte gehört, wie wir auf den Balkon gegangen waren, wie die Tür geschlossen wurde und ich dann allein wieder ins Zimmer eingetreten war. Hatte ich ihm das übermittelt – oder kam es von Violet? Möglicherweise Letzteres. Nach Ansicht mancher Wissenschaftler denken Tiere in Bildern. Ich denke zwar normalerweise in Worten, diesmal aber hatte ich mir visuell vorgestellt, was ich zu tun erwog. Dabei bewegten mich keinerlei Emotionen – anders als Violet, sofern sie meine Gedanken mitbekommen hatte.Müssen Emotionen eine gewisse Stärke haben, um außersinnlich wahrgenommen werden zu können? An einem schönen Sommertag wartete ich mit unserem Hund Sundog draußen vor einem Geschäft, in dem mein Mann etwas besorgte. Sundog und ich saßen auf der Motorhaube unseres Autos und genossen die Sonne, als mich plötzlich und ohne ersichtlichen Grund eine niederschmetternde Traurigkeit überkam. Sundog neben mir war ebenfalls sofort alarmiert, er setzte sich auf und schaute, jeden Muskel angespannt, mit aufgestellten Ohren und weit geöffneten Augen zu dem Geschäft – als wüsste er, dass dort drin irgendetwas geschah.Nach einer Weile kam mein Mann heraus, mit schlurfenden Schritten und hängendem Kopf. Er hatte gerade erfahren, dass der Ladeninhaber den Rettungswagen gefahren hatte, der vor vielen Jahren zu der Unfallstelle gerufen worden war, an der unsere damals halbwüchsige Tochter schwer verunglückt war. Die Erinnerung daran ging ihm sehr nahe, und anscheinend hatte sich seine Stimmung auf Sundog (und auch auf mich) übertragen.Unsere Tochter hatte den Unfall überlebt, war fortan jedoch körperbehindert. Inzwischen war sie erwachsen. Wir lebten in New Hampshire, sie in Texas, Sundog kannte sie kaum; und als sich der Unfall ereignete, war der Hund noch gar nicht geboren. Alles, was er empfinden konnte – so er überhaupt etwas empfand –, war der Kummer meines Mannes. Und was sich so blitzartig auf mich übertragen hatte, war ebendieser Kummer, aber auch nicht mehr – ich hatte in diesem Moment keinerlei Assoziationen zu meiner Tochter oder ihrem Unfall.Möglicherweise waren all das rein zufällige Begebenheiten, und keine davon ist ein Beweis für eine übersinnliche Wahrnehmung. Aber es lässt sich, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt, immerhin eins sagen: Falls es außersinnliche Wahrnehmung gibt, haben andere Tiere sie auch.Donner– Liz –Der Sommer beschert uns Gewitter und damit auch Donner. Wie den meisten Hundehaltern unter uns sicherlich schon aufgefallen ist, haben unsere vierbeinigen Freunde wenig für Donner übrig. Ich hatte einmal eine Hündin, die vor ihrer Zeit bei mir ein tüchtiger Schlittenhund gewesen war und ihre Tage in einem Dorf im Norden Kanadas am Ende einer Kette zubrachte. Was Angst und Schrecken bedeuteten, wusste sie ziemlich gut, zumal der frühere Besitzer seine angeketteten Tiere immer verprügelt hatte, wenn er betrunken war. Doch trotz allem, was sie durchgemacht hatte, zeigte sie niemals Angst – außer wenn es donnerte. Dann flüchtete sie ins Badezimmer, verkroch sich hinter der Toilette und zitterte so stark, dass ihre Zähne klapperten.Die Hündin unserer Nachbarn war einmal allein zu Hause, als ein Gewitter aufzog, und als ihre Besitzer heimkamen, konnten sie sie nirgendwo finden. Während es weiter blitzte und donnerte, durchsuchten sie das ganze Haus und riefen nach ihr, bis sie eine Pfote aus einem Korb mit Wäsche hervorlugen sahen. Die Hündin war hineingeklettert und hatte sich unter dem Kleiderhaufen vergraben. Meiner Erfahrung nach verstecken sich Hunde in Schränken oder Nischen, decken sich aber nicht zu. Daher überraschte es mich, das zu hören, und es verdeutlicht wohl, wie verängstigt diese Hündin gewesen sein musste.Meine Hunde fürchteten sich weder vor Bären noch vor anderen Tieren, nicht einmal vor Stinktieren und Stachelschweinen – trotz einiger leidvoller Erfahrungen. Eine unserer Hündinnen bemerkte einmal, dass eine Flamme unseres Gasherds, den niemand beaufsichtigte, die Küchengardinen in Brand gesetzt hatte, und sie erkannte die drohende Gefahr. Doch sie rannte nicht weg oder versteckte sich, sondern baute sich vor den Flammen auf und bellte so laut und hartnäckig, bis wir schließlich auftauchten, um nach dem Rechten zu sehen. Die Rauchmelder hatten nicht angeschlagen – wer weiß, wie weit sich das Feuer noch ausgebreitet hätte, bis der Alarm losgegangen wäre? Diese tapfere Hündin hatte also unser Haus und all seine Bewohner gerettet. Aber sogar sie fürchtete sich vor Gewittern.Hunde zu beruhigen, wenn der Donner grollt, empfinde ich als schwierige Aufgabe. Sie lassen sich streicheln und tätscheln, und man kann ihnen gut zureden, aber sie glauben einem nicht – als würden sie sich fragen, ob man wirklich so begriffsstutzig ist und nicht kapiert, was da vor sich geht. Mir kam es vor, als fürchteten sich alle Hunde vor Donner, als wäre das irgendwie in ihrer DNA angelegt und als könnten sie einfach nicht verstehen, dass ihnen der Krach eigentlich nichts anhaben kann.Das dachte ich jedenfalls, bis wir einen Chihuahua in unsere Familie aufnahmen. Er war damals zwei Jahre alt, wog vier Kilo und stammte aus dem Tierheim. Sogar unsere Katzen sind größer als er. Wenn wir im Freien sind, bleibt er stets in unserer Nähe, und wenn wir abends schlafen gehen, kriecht er gern zu mir unter die Decke. Man sieht dann von ihm nur eine kleine Beule im Bett, wenn er da so zusammengerollt liegt und friedlich schlummert.Eines Tages, kurz nachdem wir ihn zu uns geholt hatten, zog ein Gewitter auf. Es war direkt über uns, und ich dachte schon, er würde sich fürchten und ich müsste ihn beruhigen, bis der Spuk vorüber war. Doch stattdessen rannte er zur Tür, schaute in den Himmel hinauf, bellte zornig und fletschte die Zähne.Da bekam es der Donner mit der Angst zu tun und verstummte augenblicklich. Ein paar Minuten später hörten wir ihn wieder, doch nur noch aus weiter Ferne. Das quittierte unser kleiner Chihuahua mit erneutem Bellen und Knurren, diesmal allerdings weniger laut. Er wusste, dass er den Donner in die Flucht geschlagen hatte.Dieser kleine Hund kann es mit allen Problemen aufnehmen, besonders mit denen am Himmel. Einmal nahm er Anstoß an einem niedrig fliegenden Flugzeug, das zu einem nahe gelegenen Flugplatz unterwegs war. Kläffend und knurrend rannte er hinaus, woraufhin das Flugzeug schnell das Weite suchte. Wir vermuten, dass es die anderen Flugzeuge warnte, denn jetzt trauen sich keine Tiefflieger mehr her. Wenn sie über unser Haus fliegen, dann nur noch ganz hoch. Der kleine Hund sorgt dafür, dass sie auch dort bleiben, dann geht er wieder seinen eigenen Geschäften nach.Vor dem Einschlafen denke ich oft, was für ein mutiges Kerlchen er doch ist. Ich spüre seinen warmen kleinen Körper in meinen Kniekehlen und höre seine leisen Atemzüge. Er mag klein sein, aber das macht nichts. Wir wissen, dass wir bei ihm gut aufgehoben sind.

Erscheinungsdatum
Übersetzer Gerlinde Schermer-Rauwolf, Robert A. Weiß
Zusatzinfo Mit Schwarz-Weiß-Illustrationen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Tamed and Untamed. Close Encounters of the Animal Kind
Maße 138 x 220 mm
Gewicht 512 g
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Afrika • Asien • Australien • Bestseller • Bücher • Bücher • Das geheime Leben der Hunde • Donna Leon • einfach Mensch sein • Füttern • Füttern • Haustier • Hund • Illustrationen • Instinkt • Katze • Naturbuch • Naturforscher • OCTOPUS • Oktopus • Peter Wohlleben • Reisebericht • Rendezvous mit einem Oktopus • Seelenleben • Tamed and Untamed • The Soul of an Octopus • Tier • Tier Buch • Tierbücher für erwachsene • Tierbücher für erwachsene • Tierlexikon • Verhalten • Verhaltensforscher • Vom magischen Leuchten des Glühwürmchens bei Mitternacht • von Tieren lernen • Wilde Tiere
ISBN-10 3-89029-520-7 / 3890295207
ISBN-13 978-3-89029-520-6 / 9783890295206
Zustand Neuware
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