Klar im Kopf (eBook)

Warum ich aufgehört habe, mir das Leben schönzutrinken
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
272 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-25133-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Klar im Kopf -  Kristi Coulter
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Für die moderne Frau ist Alkohol der weiche Insta-Filter, den sie über ihr Leben legt. Ein Drink in der Hand lässt sie verwegen wirken - doch eigentlich trinkt sie sich nur das Patriarchat schön. Auch die amerikanische Journalistin Kristi Coulter hat getrunken. Bis sie erkannte, dass Alkohol das Öl in den Motoren von auffallend vielen Frauen ist. Das, was uns leise und sanft zum Schnurren bringt, wenn wir eigentlich laut brüllen sollten. Warum nicht die Kraft der Klarheit nutzen, um am System zu rütteln? In dieser Sammlung unwiderstehlicher feministischer Essays erzählt Kristi Coulter von einem Leben im Wandel und ihrem neuen, klaren Blick auf die Welt. Ideale Lektüre für alle Frauen, die wirklich etwas gegen das Patriarchat unternehmen und nicht nur schicke Slogans durch die Gegend tragen wollen. Traut euch, klar im Kopf zu sein!

Kristi Coulter hat einen Abschluss in Kreativem Schreiben von der University of Michigan. Ihre Arbeiten sind unter anderem in The Awl, Marie Claire, Vox und Quartz erschienen. »Klar im Kopf« ist ihr Debüt. Sie lebt in Seattle, Washington.

Enjoli

Ich trinke seit Kurzem nicht mehr und kämpfe mich durch den ganzen Alkohol um mich herum. Am Anfang habe ich ihn tunlichst gemieden. Ich habe Partys und Happy Hours und Verabredungen im Restaurant abgesagt. Aber auch als Einsiedlerin muss man Lebensmittel einkaufen und arbeiten gehen, und selbst das stellt jetzt einen Gefahrenbereich dar. Es ist Sommer, und bei Whole Foods haben sie im ganzen Laden Roséflaschen verteilt. Rosé passt hervorragend zu Fisch! Und zu Erdbeeren! Und auch zu veganem Proteinpulver! (Okay, das mit dem Proteinpulver habe ich mir ausgedacht.) Im Büro befindet sich in jedem Schreibtisch in meiner Nähe eine Flasche Wein oder Schnaps, falls jemand zu faul sein sollte, die fünfzehn Meter zu einer der gut ausgestatteten Gemeinschaftsbars zu gehen, die wir auf unserem Stockwerk eingerichtet haben. Auf dem Heimweg von der Arbeit fahre ich an Werbeplakaten für Fluffed Marshmallow Smirnoff und Iced Cake Smirnoff und nicht einfach Cinnamon, sondern Cinnamon Churros Smirnoff vorbei. Eine örtliche Apotheke, und zwar genau die, die drei Monate in Folge mein Rezept vergeigt hat, hat Selbstbedienungszapfhähne für Bier installiert, und junge Männer stehen mit ihren leeren Behältern bis zu den Produkten für Augen- und Ohrenpflege Schlange.

In der Arbeit leite ich gerade zusammen mit einem Kollegen einen Lehrgang für Führungskräfte. Um uns ihre volle Aufmerksamkeit zu sichern, stecken wir die Teilnehmer in Luxusrefugien und sperren sie den ganzen Tag in Besprechungszimmer, manchmal sogar bis in den Abend hinein. Die Leute werden dann so wepsig, dass die spätabendliche Szenerie an der Bar schon legendär geworden ist. Die Führungskräfte, die den ganzen Tag darauf konzentriert waren, wer den Längeren hat, singen am Ende Karaoke und umarmen sich. Ich habe mich die ganze Woche entschuldigt. Dadurch wirke ich etwas zugeknöpft, ich weiß, aber ich bin einfach noch nicht so weit, in einem Raum voller betrunkener Alphamännchen so zu tun, als würde ich mich amüsieren. Das funktioniert bis zu der obligatorischen, von der Firma gesponserten Weinprobe. Ich hatte vorgehabt, mich mit meinem Zitronenwasser durch den Raum zu arbeiten, dafür zu sorgen, dass ich gesehen werde, und dann die Fliege zu machen, bevor es zu schmuddelig wird (was jedes Mal passiert). Am Cateringstand werden sechs unterschiedliche Weine und vier Biersorten präsentiert, aber als ich um ein Club Soda bitte, ernte ich nur einen verwirrten Blick. Dann eben nur ein Glas Wasser. Der Barkeeper verzieht entschuldigend das Gesicht. »Gibt es im Foyer nicht einen Wasserspender?«

Schon. Aber der ist kaputt. Mit leeren Händen mische ich mich eine Viertelstunde unter die Leute und lehne wohlmeinende Angebote ab, mir etwas von der Bar zu holen. Nach dem fünften wird mir bewusst, dass ich gleich in Tränen ausbreche, wenn mir noch einmal jemand Alkohol anbietet. Ich gehe und fange trotzdem an zu heulen. Später bestelle ich mir zur Aufmunterung einen Becher Vanilleeis beim Zimmerservice, und der Kellner sagt: »Das wird sehr gerne mit einem Schuss Bourbon darüber genommen – möchten Sie sich das auch gönnen?«

In diesem Sommer wird mir klar, dass jeder um mich herum beschickert ist. Langsam dämmert mir auch, dass die Frauen noch einmal doppelt so beschickert sind. Ich suche Zuflucht bei einer Nachmittagsvorführung von Magic Mike. Ein paar Frauen trinken Sekt mit Strohhalm und stoßen darauf an, dass sie sich Zeit für ihre Mädelstreffen nehmen können. »Das haben wir uns verdient!«, juchzen sie. Im Nagelstudio ist eine Babyparty im Gange. Bis auf die werdende Mutter trinken alle Wein, und zwar nicht wenig. »Zum Glück gibt es Plätze wie diesen, wo wir unter uns sein können«, sagt eine Frau im gelben Kleid. »Bis zum Abendessen bin ich sicher verkatert«, sagt eine andere Frau. »Aber das ist es doch wert. Wie oft hat man schon die Gelegenheit, einen Nachmittag ohne die Kinder zu verbringen?« Die Standardeinstellung für solche Treffen lautet »Drinks«, und zwar alkoholische. Mir fällt ein, dass ich einen Gegenvorschlag anbringen könnte, Kaffee, Tee, Schinkenbrote oder einen Spaziergang. Aber allein die daraufhin folgenden Fragen vorwegzunehmen – oder das vorsichtige Ausbleiben von Fragen –, raubt mir die Energie, die ich nicht schon allein damit verbraucht habe, durch den Tag zu kommen. Immerhin bin ich wie fast alle Frauen in meinem Leben Alkoholikerin. Mit der Frage »Wollen wir nicht stattdessen einen Smoothie bestellen?« würde ich genauso Aufsehen erregen, als hätte ich mir ein gigantisches Kruzifix um den Hals gehängt. Warum ist dir das bloß früher nie aufgefallen?, frage ich mich. Du warst zu stramm, lautet die Antwort. Doch in diesem Sommer sehe ich es. Alkohol ist das Öl in unserem Motor, er lässt uns weiter sanft schnurren, obwohl wir doch eigentlich einen ganz anderen Radau veranstalten sollten.

In diesem Sommer trage ich auf dem Bauernmarkt einmal unpraktische (aber süße, sooo süße) Schuhe und stolpere. Mein Handy hat einen Sprung, meine Lieblingsjeans hat Blutflecken an den Knien, und ich habe mir beide Handflächen zerkratzt. Natürlich poste ich alles auf Facebook, sobald ich mich abgewischt habe. Drei Frauen, die nicht wissen, dass ich nicht mehr trinke, kommentieren gleich darauf:

»Wein. Sofort.«

»Gibt es dort Wein zu kaufen?«

»Unbedingt Wein. Und vielleicht neue Schuhe.«

Habe ich erwähnt, dass das alles an einem Vormittag passiert? An einem Wochentag? Das ist nicht so ein Nachtclub-Bauernmarkt. Und die Frauen sind nicht die gebeutelten, geknechteten Wesen, von denen man sich vorstellen kann, dass sie trinken, um den Tag durchzustehen. Das sind ziemlich coole Chicks, über die man sich gerne lustig macht, weil sie nur Luxusprobleme haben. Warum müssen die denn trinken?

Weil coole Chicks immer noch Frauen sind. Und es ist nicht leicht, eine Frau zu sein, weil es nicht zumutbar ist, eine Frau zu sein. Und wenn es nicht zumutbar ist, zu sein, was man ist, dann trinkt man vielleicht ein wenig. Oder auch viel.

In dem Jahr, bevor ich aufhöre zu trinken, werde ich gebeten, in der Firma, in der ich arbeite, als »Die Frau« bei einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. (Genau so wurde es angekündigt: »Wir brauchen eine Frau.«) Drei Typen und ich sollen Sommerpraktikanten etwas über Unternehmenskultur erzählen. Im Publikum sitzen auch zwei Praktikantinnen, und als die Fragerunde beginnt, sagt eine: »Angeblich soll es hier für Frauen gar nicht so leicht sein, erfolgreich zu sein. Wie war das denn für Sie?«

Die Frage ist sicher an mich als »Die Frau« gerichtet. »Sie müssen nur zäh sein und brauchen Durchhaltevermögen und eine dicke Haut, dann machen Sie Ihren Weg«, antworte ich. »So war es jedenfalls bei mir.«

Ich erwähne nicht, dass sie sich mit Zwischenbemerkungen, Unsichtbarkeit, Mikroaggressionen, dem Mangel an Vorbildern sowie einer lebenslangen Selbstkonditionierung herumschlagen muss. Meine Aufgabe auf diesem Podium besteht darin, die Firma gut aussehen zu lassen, und so lasse ich ein paar Dinge weg. Insbesondere die Tatsache, dass ich jeden Abend mindestens eine Flasche Wein trinke, um den Tag zum Verschwinden zu bringen.

Aber sie ist eine Frau. Sie hat wahrscheinlich gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen, bevor sie gelernt hat, die Zeilen an sich zu lesen. Sie dankt mir und setzt sich wieder hin.

»Da muss ich widersprechen«, sagt der Typ neben mir. »Für Frauen ist diese Firma wunderbar.«

Mir bleibt der Mund offen stehen.

Der Typ neben ihm nickt. »Auf jeden Fall«, sagt er. »In meinem Team habe ich zwei Frauen, und sie kommen mit allen hervorragend aus.«

Natürlich, denke ich. Das nennt man Tarnung.

Typ Nr. 1 redet weiter. »Eine Frau aus meinem Team hat letztes Jahr ein Kind bekommen. Nach dem Mutterschutz ist sie wiedergekommen, und es klappt wirklich gut. Wir unterstützen Mütter sehr.«

Typ Nr. 3 springt ein, nur um sicherzustellen, dass das Thema zu hundert Prozent von Männern abgedeckt wird. »Unsere Firma ist eine Meritokratie«, sagt er. »Und Leistung hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.« Er lächelt mich an, und ich erwidere seinen Blick. Mehr als schweigendes Elend kann ich nicht bieten, aber sein Lächeln lässt etwas nach. Ich habe seine Selbstgefälligkeit zumindest angekratzt.

Die Organisatorin des Podiums und ich schäumen im Anschluss vor Wut. »Solche Drecksäcke«, sagt sie. »Verdammte Ganoven.«

Was soll man als Mädchen tun, wenn ein Haufen Kerle einem gerade vor Publikum widersprochen hat, als man erzählt hat, wie es ist, man selbst zu sein? Ich könnte mit jedem einzeln sprechen und ihm sagen, was das für ein Gefühl war. Ich könnte es der Organisatorin des Podiums sagen. Deshalb sollten Sie niemals nur eine von uns da oben hinsetzen. Ich könnte mir ein Superheldinnenkostüm schneidern und den Rest meines Lebens der Rache an Mansplainern auf der ganzen Welt widmen.

Stattdessen trommle ich ein paar Freundinnen zusammen, und wir verbringen drei Stunden in einer hippen Bar, trinken Rye Manhattan, essen Tapas und reden über die neuesten miesen Sachen, die nicht geschlechterblind sind und die wir bei Meetings, auf Geschäftsreisen und bei Mitarbeitergesprächen erlebt haben. Sie trinken auf mich, weil ich mich für die Gruppe einsetze. Als wir fertig und ausreichend betäubt sind, fahren wir mit einem Uber nach Hause und denken: Wie weit wir doch gekommen sind! Bereiten den Weg für bessere Jobs. Bekommen mit zweiundvierzig das erste Kind, wenn wir uns endlich sicher genug fühlen, um in Mutterschutz zu gehen. Planen...

Erscheint lt. Verlag 18.11.2019
Übersetzer Elke Link
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Nothing good can come from this
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alkohol • Drogen • eBooks • Feminismus • Gesundheit • Klarheit • Nüchtern • Psychologie • Trinkende Frauen • Weiblicher Alkoholismus
ISBN-10 3-641-25133-8 / 3641251338
ISBN-13 978-3-641-25133-8 / 9783641251338
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