Unter Druck (eBook)

Wie Deutschland sich verändert

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490895-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unter Druck -  Jana Simon
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Die deutsche Wirtschaft wächst, die Welt bewundert Deutschland für seine Kraft, Stabilität und Weltoffenheit. Zugleich schrumpft die Mittelschicht, der Reichtum ist ungleicher verteilt als noch vor zwei Jahrzehnten. Jeder sechste Deutsche ist armutsgefährdet, die sozialen Aufstiegschancen sind so gering wie in kaum einem anderen westlichen Land. Die rechtspopulistische AfD erzielt bei Wahlen zweistellige Ergebnisse und sitzt nun im Bundestag. Ein großer Teil der Deutschen steht unter erheblichem Druck. Was bedeutet das für das Leben Einzelner und für das ganze Land? Anhand verschiedener Lebensgeschichten zeichnet die Journalistin Jana Simon ein differenziertes Bild Deutschlands, das die politische, soziale und wirtschaftliche Wucht der Veränderungen eindrücklich wiedergibt. Einige Protagonisten sind: der frühere EZB-Direktor Jörg Asmussen, der heute Investmentbanker ist; ein Polizist aus Thüringen; eine alleinerziehende Krankenschwester; eine »Influencerin« und der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland.

Jana Simon schreibt für die »ZEIT« über IS-Rückkehrer, die AfD und globale Friedensvermittler und hat den Fall Dieter Wedel, dem mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorwerfen, mit aufgedeckt. Bekannt ist sie für ihre einfühlsamen Porträts und Reportagen, die durch ihre Intensität beeindrucken. Von 1998 bis 2004 war sie Reporterin beim »Tagesspiegel«. Seit 2004 ist Simon Autorin bei der »ZEIT« in Berlin. Für ihre Reportagen erhielt sie zahlreiche Preise, u.a. den Theodor-Wolff-Preis, den Axel-Springer-Preis und den Deutschen Reporterpreis 2015, 2018 und 2020. Vom medium magazin ist sie in der Kategorie »Reportage« zur Journalistin des Jahres 2018 gewählt worden. Ihr Buch »Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf« (2013) war ein Bestseller. 

Jana Simon schreibt für die »ZEIT« über IS-Rückkehrer, die AfD und globale Friedensvermittler und hat den Fall Dieter Wedel, dem mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorwerfen, mit aufgedeckt. Bekannt ist sie für ihre einfühlsamen Porträts und Reportagen, die durch ihre Intensität beeindrucken. Von 1998 bis 2004 war sie Reporterin beim »Tagesspiegel«. Seit 2004 ist Simon Autorin bei der »ZEIT« in Berlin. Für ihre Reportagen erhielt sie zahlreiche Preise, u.a. den Theodor-Wolff-Preis, den Axel-Springer-Preis und den Deutschen Reporterpreis 2015, 2018 und 2020. Vom medium magazin ist sie in der Kategorie »Reportage« zur Journalistin des Jahres 2018 gewählt worden. Ihr Buch »Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf« (2013) war ein Bestseller. 

Die Idee, an Personen dranzubleiben und ihren jeweiligen Lebensweg über einen längeren Zeitraum zu reportieren, ist ein Glücksfall.

Jana Simon gelingt es, diesen gesellschaftlichen Wandel in nuancierten Lebensbildern glaubwürdig, subjektiv zugespitzt, abzubilden.

Jana Simon ist eine großartige – und bedrückende Langzeitbeobachtung zugleich gelungen, die auch wegen ihrer eindringlichen und einfachen Sprache bewegt.

Jana Simon [...] ist dran geblieben an einer Zeit, die ein wenig frei dreht und man bekommt mögliche Erklärungsmuster an die Hand. Ich empfehle dieses Buch.

Jana Simon gelingt mit ›Unter Druck‹ eine soziologische Tiefenbohrung in alle Schichten unserer Gesellschaft, und was sie dort sichtbar macht, ist intensiv und packend.

eine hervorragende Beobachterin

Jana Simons Buch ist dokumentarische Literatur und Sozialforschung im besten Sinne. [...] Deutschland spricht, aber nur wenige vermögen zuzuhören wie Jana Simon.

Der Autorin gelingt etwas nahezu Unmögliches. Sie beschreibt die Menschen und ihre Haltungen unaufgeregt, präzise und nie verletzend.

Auf diesem Weg entsteht ein Sog, den analytische Sachbücher nicht erreichen.

Vorwort


In der Biographie jedes Einzelnen spiegelt sich die Welt. Und in jeder Biographie spiegelt sich die Wirklichkeit eines Landes. »Dieser Maßstab hat mich schon immer fasziniert – der Mensch, der einzelne Mensch. Denn im Grunde passiert alles dort«, schreibt die weißrussische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch »Secondhand-Time«.

Anhand von Lebensgeschichten zeichne ich ein Bild Deutschlands der Gegenwart und der Entwicklung der vergangenen Jahre. Ein Biographiengewebe, in dessen Mittelpunkt sechs Menschen stehen, die an sehr verschiedenen, aber aus meiner Sicht entscheidenden Stellen der deutschen Gesellschaft wirken. Es sind Porträts von Frauen und Männern: die alleinerziehende Krankenschwester Bożena Block, die junge Influencerin Lisa Banholzer, der einstige EZB-Direktor und heutige Investmentbanker Jörg Asmussen, der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland, der Polizist Thomas Matczak und die Familie Reichenbach, die mit der Last des Eigenheims, der Erhaltung ihres Mittelklassestatus und den Auswirkungen des Dieselskandals kämpft. Es sind Beschreibungen von Einzelschicksalen. Subjektive Beobachtungen, die keinen Anspruch darauf erheben, repräsentativ zu sein. Trotzdem kann man meiner Meinung nach Übertragbares aus ihnen herauslesen. Wie in einem Brennglas verdeutlichen diese Biographien die Veränderungen in Deutschland, versinnbildlichen die Umbrüche in gemeinhin wichtigen Bereichen wie Gesundheit, Rente, Bildung, Europa, Migration, Geldpolitik, Rechts- und Linksextremismus, Populismus, Wirtschaft, Globalisierung, Terror, Innere Sicherheit, Islamismus, und Digitalisierung, und wie diese sich im Alltag eines jeden Einzelnen und in der gesamten Gesellschaft auswirken. Nahaufnahmen einer verunsicherten Nation.

Manche Gesprächspartner, wie Thomas Matczak, Jörg Asmussen und Alexander Gauland, kenne ich schon länger und habe immer wieder über sie geschrieben. Bożena Block, Lisa Banholzer und Familie Reichenbach kamen später hinzu, sie alle stammen aus verschiedenen sozialen Schichten, Milieus, Berufen und Generationen. Einige habe ich über viele Jahre hinweg immer wieder gesprochen, andere kürzer, aber dennoch sehr intensiv.

Etwas eint alle meine Gesprächspartner in diesem Buch, sie empfinden Druck, auf vielfältige und unterschiedlich ausgeprägte Weise. Manche erwähnen ihn in fast jedem Satz, bei anderen ergibt er sich eher aus der Gesamtbetrachtung. Und Alexander Gauland tritt in einer Zwitterrolle auf, er selbst ringt darum, in die erste Reihe der Politik zu gelangen, zugleich setzen er und seine Partei ein ganzes Land unter Druck.

Es gibt keinen Tag, an dem ich oder meine Gesprächspartner festmachen könnten, wann diese schleichende Veränderung Deutschlands begann, der steigende Druck, die allmähliche Zersetzung der Gemeinschaft. Wann habe ich den Druck selbst zum ersten Mal gespürt? Vielleicht in der Finanzkrise 2008/2009? Ganz sicher jedoch 2010 und 2011 in den USA, als ich für sieben Monate mit meiner Familie in Los Angeles lebte. Die Vereinigten Staaten erschienen damals von der Finanz- und Immobilienkrise ausgezehrt, in Downtown Los Angeles erhoben sich jeden Morgen hinter unserem Haus hunderte Obdachlose vom Asphalt, die in Zelten auf der Straße hausten. Aber von meinen amerikanischen Freunden und Bekannten nahm sie kaum einer wahr, und vor allem mochte niemand über sie sprechen. Als würden sie allein durch das Verschweigen verschwinden.

Im Januar 2011 berichtete ich für die Zeit aus Tucson, Arizona, über das Attentat auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords. Es war der erste Anschlag auf einen US-Bundespolitiker nach dem Angriff auf Ronald Reagan 1981. Zuvor war Giffords bedroht worden, sie hatte sich für eine Reform des Gesundheitswesens ausgesprochen. Ich sprach mit einem der Gründer der Tucsoner Tea Party. Er hielt Demokraten schlicht für verrückt. Sein demokratischer Gegenspieler machte die Tea-Party-Anhänger für das Attentat verantwortlich. Beide Seiten standen sich vollkommen unversöhnlich gegenüber. Im Prinzip nahmen sie das vorweg, was heute tägliche Normalität ist in den Nachrichten und in der Wirklichkeit.

Damals hatte ich das Gefühl, dass in den Vereinigten Staaten, eine Gemeinschaft wie ich sie kannte, nicht mehr existierte. Eine Gesellschaft in Auflösung.

Als ich im Sommer 2011 nach Deutschland zurückkehrte, wirkte das Leben in Berlin im Vergleich zu Los Angeles geradezu harmonisch entspannt. Ich dachte, wenn es stimmt, dass Entwicklungen aus den Vereinigten Staaten mit ein wenig Zeitverzögerung nach Europa kommen, kann man sich nur fürchten.

Und sie kamen. Sichtbar wurden die Verschiebungen in Deutschland aber erst nach und nach. Ein Jahr ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben – 2013, das Ausgangsjahr dieses Buches, dem die Griechenlandrettung, die Eurokrise, der Kriegsausbruch in Syrien und die Entdeckung des rechtsextremen NSU-Terror-Trios vorausgegangen waren. Das Jahr, in dem der Ukraine-Konflikt eskaliert, der NSU-Prozess anfängt und sich die AfD gründet.

In diesem Jahr treffe ich den fast achtzigjährigen Horst Wilde in seiner Berliner Wohnung, aus der er nach 41 Jahren ausziehen muss, weil die Miete nach einer »energetischen Sanierung« und den Modernisierungsmaßnahmen das Fünffache kostet. Ich spreche mit den Angehörigen eines NSU-Opfers, die jahrelang als Täter verdächtigt wurden. Polizeibeamte hatten sich bei den Befragungen der Familien als Journalisten und Privatdetektive ausgegeben. Erstmals ziehen deutsche Islamisten in den Syrienkrieg.

Ende 2014/Anfang 2015 beginnen die Menschen in Dresden, auf die Straße zu gehen und gegen eine »Islamisierung des Abendlandes« zu demonstrieren und Journalisten wie mich als Vertreter einer »Lügenpresse« zu beschimpfen. Wie tief Journalisten verabscheut werden, erfahre ich zum ersten Mal leibhaftig im Frühjahr 2015 in Montabaur. Ich bin von der Zeit-Redaktion zum Wohnort des Todespiloten der Germanwings-Maschine geschickt worden. Als ich dort ankomme, ist die Stimmung bereits aggressiv. Reden mag fast niemand mehr. Die Straße zum Elternhaus des Kopiloten ist gesperrt, weil zu viele Übertragungswagen und Reporter dorthin drängen. Kollegen rufen jeden einzelnen der ehemaligen Mitschüler des Piloten an.

Ich besuche den ehemaligen Grundschullehrer des Kopiloten in seinem Wohnzimmer. Ein niederländisches TV-Team ist auch schon da. Es bittet den Gastgeber darum, mit ihnen gemeinsam eine Bild-Zeitung kaufen zu gehen: Die Fernsehleute brauchen Schnittbilder, und Bild hat das aussagekräftigste Titelblatt, das erklären sie ihm aber nicht. Die Beobachtung der Szene bereitet Unbehagen. Der Lehrer schaut ein wenig verunsichert zu seiner Frau. Die ist nicht begeistert. Sie sagt: »Wir lesen die Bild-Zeitung nicht. Das ist für uns die Lügenpresse.« Sie meint es nicht böse, aber es klingt so. Noch vor kurzem hätte in einem Gespräch wie diesem keiner eine »Lügenpresse« erwähnt.

Heute vergeht kaum ein Interview, bei dem ich nicht gefragt werde, wer mich bezahlt und wer eigentlich bestimmt, was ich schreibe und was gedruckt wird. Journalisten als Lakaien der Mächtigen, die sich von der Wirklichkeit und der Suche nach Wahrheit verabschiedet haben? Leider tragen Journalisten auch ihrerseits einiges zu diesem Bild bei. Das Misstrauen zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und beschränkt sich nicht nur auf Ostdeutschland.

Seitdem ist der Druck stetig gestiegen. Die Ankunft der Flüchtlinge 2015, eine weitere Zäsur, führt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Und durch den Aufstieg der AfD verschieben sich die Grenzen des Sagbaren, die Gräben reichen nun immer tiefer.

Gegenüber von meiner Berliner Wohnung ziehen 2016 mehrere osteuropäische Obdachlose unter das U-Bahn-Viadukt. Jeden Morgen kann ich ihnen Auge in Auge beim Kochen, Essen und Verrichten ihrer Notdurft zuschauen. Ab und zu entfachen sie auch ein Feuer. Es ist fast wie in Los Angeles. Über den Umgang mit ihnen zerstreiten sich die Mieter des Hauses. Die einen halten das Elend nicht mehr aus und wollen die Obdachlosen möglichst in ihre Heimatländer vertreiben, die anderen wollen am liebsten Decken und Matratzen spenden. Kommuniziert wird irgendwann nur noch über Aushänge im Hausflur.

Im Herbst 2017 werde ich schließlich bei einer Kunstaktion des Zentrums für politische Schönheit, das im dörflichen Nachbargarten des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Miniaturformat aufstellt, von einer sehr aufgebrachten Menge aus zornigen Anwohnern und AfD-Anhängern fast verprügelt. Die Wütenden gehen auf die Künstler los. Die hatten sich zuvor monatelang als harmlose Mieter und Nachbarn ausgegeben. Die Künstler provozieren und die, die sich angesprochen und getäuscht fühlen, reagieren.

Es ist das erste Mal, dass ich abgesehen von Handgemengen bei Demonstrationen im vereinten Deutschland leibhaftige Gewalt erlebe – aus politischen Gründen. Szenen aus einem gespaltenen Land: Keine Seite findet für die andere noch Worte, so bleiben nur Taten. Und zwischen die Fronten zu geraten ist gefährlich.

An welchen Stellen ist der zunehmende Druck noch spürbar? Vielleicht daran, dass Heimat nicht mehr unbedingt dort ist, wo man geboren und aufgewachsen ist oder sich wohl und zu Hause fühlt, sondern dort,...

Erscheint lt. Verlag 24.4.2019
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abstieg • AfD • Demokratie • Deutschland • Europa • Flüchtlinge • Gauland • Gesundheit • Globalisierung • Innere Sicherheit • Islamismus • Jana Simon • Lebensgeschichte • Migration • Mittelschicht • Rechtsextremismus • Rechtspopulismus • Terror • Zeitdiagnose
ISBN-10 3-10-490895-8 / 3104908958
ISBN-13 978-3-10-490895-3 / 9783104908953
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