Seit 200 Jahren ohne Verfassung (eBook)

1976: Indianer im Widerstand
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
172 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11457-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Seit 200 Jahren ohne Verfassung -  Claus Biegert
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
1976 - alle Welt feiert Amerika. Neun Meter hoch ist die Torte, die Kalifornien dem zweihundertsten Geburtstag der Verfassung backt; Wasserhydranten werden mit dem Sternenbanner neu lackiert; die Indianer aber feiern nicht mit. Die politisch bewußten Indianer des Jahres 1976 wissen, daß dies 200 Jahre ohne elementare Grundrechte sind, daß weder Selbstentfaltung noch Selbstbestimmung gewährt wurde. Seit dem Zusammenstoß am Wounded Knee 1973 sind die Indianer der Vereinigten Staaten in eine neue Phase ihrer Auseinandersetzung mit dem Staat der Weißen geraten. Sie kämpfen ebensosehr um das Recht auf eigenständige Entwicklung wie um die Gewährung aller individuellen Rechte. Das vorliegende Buch des deutschen Journalisten Claus Biegert ist das Ergebnis längerer Aufenthalte und intensiver Beschäftigung mit Geschichte und Schicksal der Ureinwohner, vor allem mit der Bewegung politisch bewußter Indianer, die sich auf eine ganz andere Verfassung als die der Bill of Rights, nämlich auf die Verfassungen ihrer Nationen berufen. Er schreibt im Vorwort seines erstmals 1976 erschienenen Buches: «200 Jahre ohne Verfassung. Die Ureinwohner Amerikas kämpfen inzwischen nicht mehr um Bürgerrecht und Chancengleichheit - welche sie nach fast vollzogener Assimilation noch rechtzeitig als Fallen des ?american way of life? entlarvten. Sie kämpfen schlicht ums Überleben in einer Zeit, in der Indianermord vielerorten noch immer ein Kavaliersdelikt ist, in einem Land, in dem Rassismus und Kommunistenhetze die öffentliche Meinung bestimmen, in einem System, das ein Volk kriminalisiert, weil es um seine Identität kämpft.»

Claus Biegert wurde 1947 geboren. Von 1970-1972 war er Redakteur und Fernsehkritiker bei der Münchner Abendzeitung. Seitdem arbeitet er als freier Journalist, überwiegend für Rundfunk und Verlag. Seine Arbeit führte ihn mehrfach in die USA und nach Kanada.

Claus Biegert wurde 1947 geboren. Von 1970–1972 war er Redakteur und Fernsehkritiker bei der Münchner Abendzeitung. Seitdem arbeitet er als freier Journalist, überwiegend für Rundfunk und Verlag. Seine Arbeit führte ihn mehrfach in die USA und nach Kanada.

Solange der Fluß fließt …


Vom Beginn der Kolonialisierung bis zum Massaker am Wounded Knee


«Warum wollt Ihr mit Gewalt nehmen, was Ihr durch Freundlichkeit erlangen könnt? Warum wollt Ihr uns zerstören, die wir Euch mit Nahrung versorgen? Was könnt Ihr durch Kriege erreichen? Wir können unsere Nahrungsmittel verbergen und in die Wälder rennen; dann werdet Ihr verhungern, weil Ihr Euren Freunden Unrecht getan habt. Warum seid Ihr so argwöhnisch? Wir sind unbewaffnet und bereit, Euch zu geben, wonach Ihr fragt, wenn Ihr in freundlicher Weise kommt und nicht mit Schwertern und Gewehren, als ob Ihr Krieg mit einem Feind führen wolltet … Entfernt Eure Gewehre und Schwerter, den Grund unseres Argwohns, oder Ihr könntet alle in dieser Weise sterben.»

Powhatan an Captain Smith, 1609

 

Denn es ist viel leichter, sie zu unterwerfen, als sie zu zivilisieren, da sie ein rohes, barbarisches und nacktes Volk sind …

Edward Waterhouse, amtliche Veröffentlichung über den Zustand der Kolonie, London 1622

Am 12. Dezember 1492 entdeckten die Eingeborenen am Strand von San Salvador einen fremden Mann namens CHRISTOPH COLUMBUS. Der spanische Edelmann hingegen behauptete, er habe sie entdeckt. Um sich seine Geldgeber daheim in Europa warmzuhalten, die ihn gen Indien entsandt hatten, nannte er die ihm unbekannten Menschen INDIANER. Er bezeichnete sie «als ein liebenswertes Volk ohne Gier, mit der süßesten und fröhlichsten Sprache der Welt», und er folgerte: «Mir scheint, daß diese Leute recht geschickt sind und recht gute Sklaven abgeben würden.»

Viele fügten sich nicht in ihr Schicksal: Zwischen 1494 und 1496 verringerte sich die indianische Bevölkerung auf der Insel – der heutigen Dominikanischen Republik und Haiti – von etwa 500000 auf 300000. 1521 waren es noch 20000. 1548 schließlich kaum 500.

1537 löste Papst Paul III. die Frage, wo jene Heiden in der Skala der Lebewesen einzureihen seien, indem er die Indianer per Bulle zu «wirklichen Menschen» erklärte.

Um 1600 zogen die Spanier plündernd weiter gen Norden; Ponca de Leon nahm Florida, De Soto erkundete den Südosten und Coronado den Südwesten des Nordkontinents. Sie sahen sich als VOLLSTRECKER DES CHRISTENTUMS, verbrannten so auch die heiligen Kultgegenstände der Pueblovölker und tauschten deren demokratisches System gegen ihr feudalistisches aus.

Allein, 1680 gelang es El Popé, einem Medizinmann vom Taos Pueblo, die voneinander unabhängigen Pueblos zu einem gemeinsamen Aufstand gegen die verhaßten Unterdrücker zu vereinen. Die Aktion war von Erfolg: 500 Spanier fielen, der Rest wurde vertrieben, die Indianer konnten sich für 12 Jahre ihrer wiedergewonnenen Freiheit erfreuen, dann kamen die alten Feinde zurück. Einzig die Hopi blieben frei von spanischer Herrschaft.

Die Nachfrage nach Sklaven und Dienern lösten die Kolonisten aus der Alten Welt ab 1619 durch Import aus Afrika.

***

Gute hundert Jahre später trafen die ENGLÄNDER ein: 1607 im heutigen Virginia, und, durch einen Navigationsfehler, 1620 in Massachusetts. Verunsichert durch das Neuland müssen sie derart hilflos gewirkt haben, daß die Powhatan, wie auch die Massachusetts und Wampanoag ihnen über den ersten Winter halfen: sie teilten die Stammesvorräte mit ihnen, zeigten ihnen, wie und wo man Fische fangen konnte, und als das Frühjahr kam, gaben sie ihnen Mais zur Aussaat und brachten ihnen bei, wie man ihn pflanzte und kultivierte.

Die englischen Kolonialisierungsmethoden waren subtiler: Um den Frieden so lange zu sichern, bis Jamestown stand, setzten Captain Smith und seine Virginia-Siedler dem Powhatan-Häuptling Wahunsonacook eine goldene Krone auf dem Kopf und verliehen ihm den Königstitel. Als ihren König brachten sie ihn so weit, daß er sein Volk für sie arbeiten ließ. Widerstandsbewegungen in den Reihen der Powhatan wurde geschickt vorgebeugt, indem der Brite John Rolfe Wahunsonacooks Tochter Pocahontas heiratete. (Er nahm sie später mit heim nach England, wo sie 1617 starb.)

DER ENGLISCH-INDIANISCHE FRIEDE jener Tage hielt bis zu des Königs Tod. Die Siedler hatten 15 Jahre nach der Landung bereits so viel Wald gerodet, daß die Indianer nicht mehr bereit waren, freiwillig weiter zurückzuweichen. Dreißig Stämme erhoben sich 1622, um die Engländer zurückzujagen in das Meer, aus dem sie gekommen waren. Doch sie unterschätzten die Waffen ihrer Gegner, und der Stamm der Powhatan wurde von achttausend auf weniger denn tausend dezimiert.

DIE FROMMEN PILGERVÄTER weiter nördlich verhielten sich nicht besser. In den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts notierte der Puritaner Cotton Mather nach der Vernichtung der Pechots voll Befriedigung: «Die Wälder waren fast gänzlich gereinigt von diesen schädlichen Kreaturen, um Platz zu machen für ein besseres Gewächs.» Die Neu-England-Kolonie wuchs und wuchs.

Die Expansion fand ihre Unterstützung in Epidemien, hauptsächlich POCKEN, die unter den Eingeborenen verheerende Wirkung hatten, und denen ganze Dörfer zum Opfer fielen. Bis 1630 reduzierten sie die Indianer von Massachusetts von 10000 auf 1000 und die Huronen von 30000 auf 10000.

***

Die FRANZOSEN, seit 1608 entgültig im Land, gründeten Quebec und arrangierten sich mit den Indianern vorerst ohne Aggression. Intensiver Pelzhandel verlangte ein gutes Verhältnis. Jedoch – die Freundschaft mit den Algonkinstämmen und den Huronen trug ihnen die Feindschaft mit den Irokesenvölkern ein, die es wiederum mit den Engländern hielten.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann das Mächtegerangel um die Vorherrschaft auf dem noch nicht kartografierten Kontinent zwischen den drei europäischen Kolonialmächten ENGLAND, FRANKREICH und SPANIEN. Ein jeder nutzte Stammesfehden geschickt für sich, schloß indianische Bündnisse und spielte im passenden Moment die Indianer gegeneinander aus.

1754 vereinigte PONTIAC von den Ottawa mehrere Stämme im Gebiet der Großen Seen, um die Engländer über die Allegheny-Berge zurückzutreiben, doch die Übermacht war zu stark, sein Bündnis mit den Franzosen zu schwach. Die Briten setzten diesmal sogar bakteriologische Waffen ein. Die Idee stammte von seiner Excellenz General Jeffrey Amherst. 1752 schrieb er an seine Untergebenen: «Sie täten gut daran, die Indianer mit Laken zu infizieren, auf denen Blatternkranke lagen, oder sich aller sonstigen Mittel zu bedienen, die dazu beitragen können, diese verfluchte Rasse auszurotten.»

Immerhin eroberten Pontiac und seine Krieger acht von zehn britischen Forts. Nach Frankreichs Abtritt von der politischen Szene (Frieden von Paris 1763) kämpfte er noch zwei Jahre allein weiter, bevor er seinen panindianischen Widerstandsplan aufgab und mit den Engländern widerwillig Frieden schloß.

Eine Generation später erkannte TECUMTAH (Tecumseh) von den Shawnee die Gefahr der weißen Invasion und entschloß sich zu einem Bündnis mit den Stämmen des Mittelwestens und Südens. Der Traum endete mit Tecumtahs Tod im Krieg von 1812 in Kanada, wo er mit den Engländern gegen die Amerikaner gekämpft hatte.

Im Friedensvertrag von 1783 erhielten die 13 Kolonien von den Engländern ihre Unabhängigkeit und das gesamte Gebiet östlich des Mississippi. Die Fünf, später SECHS NATIONEN DER IROKESEN (Iroquois), des mächtigsten und politisch höchstentwickelten aller östlichen Stammesverbände, sahen all ihre Friedensstrategien gescheitert. Um nach den Jahren des Blutvergießens ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren, ergaben sie sich schließlich. Die meisten flohen nach Kanada, ein Teil entkam nach Westen.

Die Landnahme ging weiter. Egal, welcher Nationalität sie angehörten, die Besetzer zweifelten nie an ihrer Theorie der Überlegenheit der weißen Rasse und der westlichen Zivilisation über die Weltanschauung und Wertvorstellungen der Indianer. Wegbereiter von CHRISTENTUMund KAPITALISMUS folgten im Windschatten der Pioniere. Mittlerweile besaßen die Amerikaner die uneingeschränkte Herrschaft von Küste zu Küste.

Mit dem 19. Jahrhundert begann das schwärzeste Kapitel indianischer Geschichte. Der Strom der Siedler riß jetzt nicht mehr ab. Zusätzlich kamen noch DER WHISKEY, DIE EISENBAHN UND DIE BÜFFELJÄGER. Letztere putzen zwischen 1830 und 1883 den Bisonbestand von 75 Millionen Tieren restlos weg. «Die Büffeljäger haben in den letzten zwei Jahren mehr dazu beigetragen, das Indianerproblem zu lösen, als die gesamte US-Armee in den letzten dreißig Jahren», lobte bei der Inspektion der von Kadavern übersäten Prärie darauf ein General, der Sheridan hieß.

Das Jahrhundert der Indianerkriege hatte begonnen.

Verbittert wehrten sich in Ohio die Miami unter Little Turtle. Black Hawk von den Sauk and Fox kämpfte gemeinsam und vergeblich mit den Winnebago, Pottawotamie und Kickapoo gegen die Siedlerschwemme in Illinois. Der Völkermord wurde mit klingender Münze belohnt: Ein gefangener oder getöteter Indianer – Krieger, Frau oder Kind – brachte 100 Dollar ein; die SKALPPRÄMIE war inzwischen von 20 auf 50 Dollar pro Stück gestiegen.

1829 wurde ANDREW JACKSON, ein alter Indianerkämpfer, Präsident der Vereinigten Staaten. In seiner ersten Botschaft an den Kongress empfahl er, die sogenannten «FÜNF ZIVILISIERTEN STÄMME» im Süden...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2018
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Ethnologie Völkerkunde (Naturvölker)
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Atomtests • Bedrohung • Benjamin Franklin • Irokesen • Nordamerika • Technologieabbau
ISBN-10 3-688-11457-4 / 3688114574
ISBN-13 978-3-688-11457-3 / 9783688114573
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich