Mafia. 100 Seiten -  Petra Reski

Mafia. 100 Seiten (eBook)

Reclam 100 Seiten

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
100 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961392-5 (ISBN)
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Ikonografische Mafia-Filme wie Der Pate fesseln mit dunkler Faszination. Die Realität allerdings ist gnadenlos. Autobomben, erdrosselte Kinder, tödliche Ehrenkodizes, Wirtschaftskriminalität. Demgegenüber oft korrumpierte oder hilflose Staatsdiener, die entweder selbst Teil des Systems sind oder mit dem Leben bezahlen. Petra Reski, Autorin vieler erfolgreicher Bücher und Reportagen über die Mafia, bündelt in diesem Band noch einmal ihr Wissen und beantwortet in Diskussionen häufig gestellte Fragen. Am Ende macht sie vor allem eins deutlich: Die Mafia ist nicht allein ein italienisches Phänomen und keineswegs so weit weg, wie wir glauben.

Petra Reski, geb. 1958 in Unna, ist eine der wichtigsten deutschen Stimmen im Diskurs über die Mafia. Seit 1989 veröffentlichte sie zahllose Bücher, Reportagen und zuletzt auch Romane. Bekannt wurde sie 2008 mit 'Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern'. Sie erhielt 2010 den Emma-Journalistinnenpreis und 2014 den 'Premio letterario Arte Lario.it'.

Petra Reski, geb. 1958 in Unna, ist eine der wichtigsten deutschen Stimmen im Diskurs über die Mafia. Seit 1989 veröffentlichte sie zahllose Bücher, Reportagen und zuletzt auch Romane. Bekannt wurde sie 2008 mit "Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern". Sie erhielt 2010 den Emma-Journalistinnenpreis und 2014 den "Premio letterario Arte Lario.it".

Anstelle eines Vorworts
Wie ich zur Mafia kam
Ein ganz spezieller Familiensinn
Wie alles anfing
Italiens Schicksalsjahre 1992–1993
Die Mafia in Deutschland. Oder wie die "deutsche Spur" im Sande verlief
Das Schweigen der Lämmer – oder warum es der Mafia in Deutschland so leicht gemacht wird
Mafiapropaganda
Zehn Mafiamythen
Die Mafia heute oder: The survival of the fittest

Im Anhang Lektüretipps

Ein ganz spezieller Familiensinn


In der Struktur der Mafia ist die famiglia die kleinste Zelle. Bei der kalabrischen Mafia, der ’Ndrangheta, gehören nur Blutsverwandte zum Clan – und das ist auch der Grund dafür, dass es bei der ’Ndrangheta die wenigsten Abtrünnigen gibt: Blutsverwandte verraten einander nicht so leicht. Cosa Nostra hingegen, die sizilianische Mafia, baut nicht allein auf Blutsverwandtschaft auf, sondern vor allem auf einer Art Wahlverwandtschaft: Aufgenommen wird nur derjenige, der die nötige kriminelle Energie mitbringt – der also als fähig betrachtet wird, einen Mord mit der nötigen Kaltblütigkeit auszuführen oder einen sauberen Bankraub hinzulegen.

Hinter dem viel beschworenen Familiensinn der Mafia verbirgt sich also vor allem Pragmatismus und ein feines Gespür für die Schwächen der anderen – die sie stets für sich nutzt. Im katholischen Italien war und ist die Familie diese Schwäche: Jeder Italiener hat Verständnis dafür, dass die Familie geschützt werden muss.

Die Familie ist in Italien ein hoher Wert – den zu pervertieren die Mafia nicht zögert: Denn mit dem »amoralischen Familismus« geht auch die primitive Rechtsvorstellung des »Auge um Auge, Zahn um Zahn« einher – und damit die Blutrache.

Daher wundert es auch nicht, dass die Mafia stets sofort vorwurfsvoll von Sippenhaft spricht, sobald ein Mitglied des Clans angeklagt wird. Zu beobachten war das auch zur Zeit des Duisburger Mafiamassakers, als die Mafia in Deutschland vorübergehend in Bedrängnis geraten war, weil die bis dahin vertrauensseligen Deutschen plötzlich aufgeschreckt waren und vermuteten, dass sich die Mafia hierzulande nicht lediglich auf sechs tote Kalabresen beschränke: Daraufhin gingen einige (dubiose) italienische Unternehmer in Deutschland zum Angriff über: »Wollen Sie jetzt etwa alle Italiener in Sippenhaft nehmen?«, hieß es.

Mafiosi sind Meister darin, sich als Opfer zu stilisieren, der Vorwurf der »Sippenhaft« wird von ihnen in Italien stets erfolgreich strapaziert – etwa als Ninetta Bagarella, die Ehefrau des Bosses Totò Riina über ihre Kinder einst an die Tageszeitung La Repubblica schrieb: »Sie werden beschuldigt, als Kinder von Vater Riina und Mutter Bagarella geboren worden zu sein, eine Erbsünde, die durch nichts getilgt werden kann. Warum kann man meine Kinder nicht wie Jugendliche betrachten, die so normal sind wie andere auch?«

Allerdings unterscheidet sich der Familiensinn der Mafia von dem normaler süditalienischer Familien dadurch, dass ihr Amoralismus auch nicht vor den eigenen Familienmitgliedern haltmacht: Das höchste schützenswerte Gut ist nicht der Erhalt der Blutsfamilie, sondern der Mafiafamilie. Ihr wird alles geopfert, zur Not sogar die eigenen Kinder.

Die Mutter des Mafiosos Enrico Incognito sah zu, als ihr Sohn von seinem Bruder erschossen wurde, um zu verhindern, dass Enrico zur Justiz überlaufen würde. Und Rita Atria, ein junges sizilianisches Mädchen, das in einer Mafiafamilie aufgewachsen war, wurde von seiner Mutter verstoßen, nachdem es sich entschlossen hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.

Ritas Vater und ihr Bruder waren von der Mafia ermordet worden, auf diese Weise wollte sie die beiden rächen. Mit ihrer Schwägerin lebte sie im Zeugenschutzprogramm in Rom unter falschem Namen. Der Antimafia-Staatsanwalt Paolo Borsellino wurde ihnen zum väterlichen Freund. Kurz nachdem Paolo Borsellino im Sommer 1992 ermordet wurde, nahm sich Rita das Leben. Sie wurde achtzehn Jahre alt.

Ihren Grabstein in Partanna schmückte der Satz »Die Wahrheit lebt«. Ritas Mutter zertrümmerte diesen Grabstein mit einem Hammer, wenige Monate nach dem Selbstmord ihrer Tochter.

Ich habe mein erstes Buch über Rita Atria geschrieben, eine Staatsanwältin gab mir damals eine Kopie von Ritas Tagebuch. Darin stand der bemerkenswerte Satz: »Bevor du anfängst, gegen die Mafia zu kämpfen, musst du dein eigenes Gewissen prüfen – erst wenn du die Mafia in dir besiegt hast, kannst du gegen die in deinem Freundeskreis kämpfen. Denn die Mafia, das sind wir selbst und unsere falschen Verhaltensweisen.«

Um Rita verstehen zu können, bin ich in ihr Heimatdorf Partanna gefahren, südöstlich von Trapani bei Palermo. Ich bezog ein Zimmer in dem einzigen Gasthof des Ortes. Alle im Dorf wussten, dass ich wegen Rita gekommen war. Aber wenn ich jemanden nach ihr fragte, taten alle so, als hätte sie nie existiert. Ritas Mutter bedauerte keineswegs, ihre Tochter verstoßen zu haben, sie bereute auch nicht, den Grabstein zertrümmert zu haben. Der Verrat an der Familie musste getilgt werden.

Im Dorf hatten alle Verständnis für dieses Verhalten, einschließlich des Pfarrers. Ritas Mutter jammerte und klagte, ohne das Wort Mafia ein einziges Mal in den Mund zu nehmen. Nachts träumte ich von ihr: Die Metallglieder des Fliegenvorhangs klirrten, und sie kam durch das Fenster in mein Zimmer im Gasthof geflogen und versuchte mich zu erwürgen. Tagsüber hingegen erinnerte sie mich an meine Großmutter, die für den Erhalt ihrer Familie alles getan hätte.

Damit der Bestand der Mafiafamilie garantiert wird und möglicherweise auch Herrschaftswechsel legitimiert werden können, verhalten sich Mafiosi oft dynastisch und heiraten untereinander: Wer nicht in einer Mafiafamilie aufgewachsen ist, gilt als wenig vertrauenswürdig und wird misstrauisch beäugt: Wer nicht mit den Werten der Mafia aufgewachsen ist, könnte sich im entscheidenden Moment auf die falsche Seite stellen.

Aus diesem Grunde hegte Ritas Mutter ein großes Misstrauen gegenüber ihrer Schwiegertochter Piera Aiello. Die Ehefrau ihres Sohnes war zwar im gleichen Dorf aufgewachsen, stammte aber nicht aus einer Mafiafamilie. Und nicht nur das: Pieras Vertrauen in den italienischen Staat war so groß, dass sie ihrem Mann sogar angekündigt hatte, eine Ausbildung als Polizistin absolvieren zu wollen. Er lachte über den für ihn so absurden Plan. Und wurde kurz danach vom gegnerischen Clan ermordet.

Letztlich bewahrheiteten sich für Ritas Mutter ihre schlimmsten Befürchtungen: Nachdem erst ihr Mann und dann ihr Sohn von der Mafia ermordet worden waren, entschloss sich ihre verhasste Schwiegertochter Piera, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Und kurz danach folgte ihre Tochter Rita dem Beispiel ihrer Schwägerin.

Nach dem Selbstmord von Rita Atria lebte Piera Aiello stets unter fremdem Namen an einem unbekannten Ort. Sie blieb im Antimafiakampf zwar stets engagiert, zeigte der Öffentlichkeit jedoch nie mehr ihr Gesicht. Erst im Jahr 2018 entschloss sie sich, aus dem Schatten ihrer Vergangenheit heraus zu treten: Piera Aiello zog als Abgeordnete der Fünfsterne-Bewegung in das italienische Parlament ein.

Die Perfidie der Mafia-Erziehung besteht darin, dass sie auf den ersten Blick lediglich Werte zu transportieren scheint, die auch von normalen süditalienischen Familien geteilt werden: Respekt vor den Älteren, Gehorsam, Zugehörigkeitsgefühl und Verschwiegenheit. (»Schmutzige Wäsche wird zu Hause gewaschen.«) Mafiakinder lernen von klein auf, die Welt in »wir« und »die anderen« zu unterteilen. Ihr Vater ist nichts anderes als ein Soldat im Krieg mit »den anderen«. Deshalb ist es auch normal, wenn er seinem Sohn zum zehnten Geburtstag eine Pistole schenkt. Wenn er ihn mit vierzehn auffordert, ein Pferd zu erschießen, ist dies der erste Schritt auf dem Weg, ein gehorsamer und kaltblütiger Diener der Mafia zu werden – und sich unter den »normalen« Mitschülern als »Auserwählter« zu fühlen.

Es war die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria, die als erste versucht hat, diesen Kreislauf zu durchbrechen, als sie einem untergetauchten Mafioso das Vormundschaftsrecht über seine Kinder entzog. Diese Entscheidung ist deshalb als revolutionär zu bezeichnen, weil in Italien bislang das ungeschriebene Gesetz galt, dass die Familie heilig und unantastbar ist: Auch wenn der Vater ein international gesuchter Mafioso ist, werden seine Qualitäten als Vater nicht angezweifelt. Nicht einmal von den Ermittlungsbehörden. Die Staatsanwälte von Reggio Calabria haben dieses ungeschriebene Gesetz mit dem Hinweis gebrochen, dass die Erziehungsziele eines Mafiosos ganz gewiss keine seien, die sich günstig auf die Entwicklung der Kinder auswirkten. Die Kinder von Mafiosi lebten in einem »permanenten Zustand der Sklaverei«. Es handele sich bei dieser Entscheidung allerdings erst um einen Teilsieg: »Wir haben noch weitere Probleme zu lösen«, schrieben die Staatsanwälte, »etwa das der Ehefrauen der Mafiosi, die ja zu allererst die Mafiakultur auf ihre Kinder übertragen. Aber wir geben nicht auf.«

Namen und Protagonisten
Vito Ciancimino

Mafiaboss, Christdemokrat und einstiger Bürgermeister von Palermo, wegen Mafiabeihilfe zu 13 Jahren Haft verurteilt, starb 2002.

 

Giulio Andreotti

Italienischer Christdemokrat und siebenfacher italienischer Ministerpräsident. Wegen Mafiabegünstigung angeklagt und im Mai 2003 verurteilt. Seine Unterstützung der Mafia bis zum Jahr 1980 wurde als bewiesen und gleichzeitig als verjährt beurteilt.

 

Rita Atria

Tochter eines sizilianischen Mafiabosses, die sich nach der Ermordung ihres Vaters und ihres Bruders entschloss, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, daraufhin von ihrer Mutter verstoßen wurde und sich nach der Ermordung des Staatsanwalts Paolo Borsellino 1992 aus dem Fenster stürzte.

 

Silvio...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2018
Reihe/Serie Reclam 100 Seiten
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Blutrache • Camorra • Corleone • Cosa Nostra • Der Pate • famiglia • Geldwäsche • Giovanni Falcone • Kronzeuge • Maxiprozess • ’Ndrangheta • Neapel • Omertà • Organisiertes Verbrechen • Palermo • Paolo Borsellino • Schutzgeld • Sizilien • Strage di Capaci • Totò Riina
ISBN-10 3-15-961392-5 / 3159613925
ISBN-13 978-3-15-961392-5 / 9783159613925
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