Der NSU Prozess (eBook)
2000 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-112-6 (ISBN)
Annette Ramelsberger ist Gerichtsreporterin der Süddeutschen Zeitung, Wiebke Ramm schreibt seit 2011 als freie Journalistin über bedeutsame Strafprozesse in ganz Deutschland, Tanjev Schultz arbeitet dort als politischer Redakteur und Rainer Stadler beim Magazin der Süddeutschen Zeitung. Für dieses Buch haben die vier Autoren ihre Mitschriften aus dem Prozess von mehr als 3000 Seiten verarbeitet, verdichtet und editiert - nicht zuletzt um spätere Missverständnisse und Legendenbildung zu verhindern. Denn bisher ist es an deutschen Gerichten nicht vorgesehen, ein offizielles Protokoll zu erstellen, auch nicht bei einem politisch so brisanten und historisch einmaligen Verfahren wie dem NSU-Prozess.
Annette Ramelsberger ist Gerichtsreporterin der Süddeutschen Zeitung, Wiebke Ramm schreibt seit 2011 als freie Journalistin über bedeutsame Strafprozesse in ganz Deutschland, Tanjev Schultz arbeitet dort als politischer Redakteur und Rainer Stadler beim Magazin der Süddeutschen Zeitung. Für dieses Buch haben die vier Autoren ihre Mitschriften aus dem Prozess von mehr als 3000 Seiten verarbeitet, verdichtet und editiert – nicht zuletzt um spätere Missverständnisse und Legendenbildung zu verhindern. Denn bisher ist es an deutschen Gerichten nicht vorgesehen, ein offizielles Protokoll zu erstellen, auch nicht bei einem politisch so brisanten und historisch einmaligen Verfahren wie dem NSU-Prozess.
Tag 2
14. Mai 2013
Manfred Götzl, Richter. Beate Zschäpe, André Eminger, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben, Carsten Schultze, Angeklagte. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Wolfgang Heer, Anja Sturm, Verteidiger von Beate Zschäpe. Nicole Schneiders, Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Thomas Bliwier, Sebastian Scharmer, Anwälte der Nebenklage.
(Verteidiger Heer bittet darum, ihm das Wort zu erteilen.)
Götzl Mir ist noch nicht klar, um was es gehen soll, Herr Rechtsanwalt Heer. Können Sie kurz sagen, um was es geht?
Verteidiger Heer Ich beabsichtige nicht, immer um das Wort zu bitten.
Götzl Doch, das werden Sie aber müssen.
Verteidiger Heer Da haben wir einen Dissens.
Götzl Aber ich habe die Sitzungsgewalt.
Verteidiger Heer Mein Antrag ist vorrangig vor allen anderen Anträgen. Es geht um den Sitzungssaal.
Anwalt Bliwier Wenn Sie dem Kollegen das Wort erteilen, würde ich das ausdrücklich beanstanden und es begründen.
Götzl Dann wird Rechtsanwalt Bliwier das Wort erteilt.
Verteidiger Heer Das beanstande ich.
Anwalt Bliwier Die Verteidigung scheint sich das Ziel gesetzt zu haben, die Verlesung der Anklage zu verhindern. Ich habe das Gefühl, dass insbesondere die Verteidigung von Ralf Wohlleben nur darauf abzielt, die Verlesung der Anklage zu verhindern. Das hat sich schon am ersten Sitzungstag gezeigt, als Wohllebens Anwälte einen 40-minütigen Antrag verlesen haben. Das Gericht wird aufgefordert, dem entgegenzutreten. Es liegen keine unaufschiebbaren Anträge mehr vor. Auch in diesem Prozess gilt das Beschleunigungsgebot. Das Gericht möge anordnen, dass die Vertreter des Generalbundesanwalts nun die Anklage verlesen.
Verteidiger Klemke Offensichtlich will man Stimmung machen gegen die Verteidigung, uns mundtot machen. Offensichtlich sind noch nicht genug Kanzleischeiben eingeworfen worden. (In seiner Kanzlei in Cottbus waren ein paar Wochen vor Beginn des NSU-Prozesses Steine durchs Fenster geflogen.)
Bundesanwalt Diemer Der Einfallsreichtum der Verteidigung ist unerschöpflich, die Formulierungskunst auch.
Götzl Das Wort hat Herr Rechtsanwalt Heer.
Verteidiger Heer Wir beantragen, die Verhandlung auszusetzen und in einem größeren Saal neu zu beginnen. Die Sicht von der Zuschauerempore ist unzureichend, das auf die Wand projizierte Bild der Nebenkläger ist zu klein, die Gesichter sind nicht erkennbar. Dagegen sind die Computer und die Unterlagen der Verteidiger von Beate Zschäpe von der Richterbank aus voll einsehbar. Bei sorgfältiger Organisation und Vorbereitung des Prozesses hätten sich andere Örtlichkeiten finden lassen. Die Eignung des Sitzungssaals lebt von der Hoffnung, dass nicht alle Nebenkläger an der Sitzung teilnehmen und nicht noch weitere hinzukommen. Dabei gibt es noch rund 70 Verletzte des Nagelbombenattentats von Köln, die nebenklageberechtigt sind.
(Zschäpes Verteidiger beantragen zudem, das Akkreditierungsverfahren für Journalisten zu überprüfen, das bereits einmal neu aufgelegt wurde, nachdem das Bundesverfassungsgericht gerügt hatte, ausländische Medien seien nicht angemessen berücksichtigt worden.)
Verteidigerin Sturm Es gibt substanziierte Anhaltspunkte, dass auch das zweite Verfahren mangelhaft war, Al-Dschasira wurde als türkisches Medium eingereiht, es gibt eine Verwechslung von Hörfunk und Fernsehen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist verletzt. Es wäre unserer Mandantin nicht zuzumuten, dass die Verhandlung wiederholt und die Anklage zweimal verlesen werden muss. Bisher hat die Verteidigung noch keine Einsicht in die Unterlagen nehmen können. Dafür aber bräuchten wir mindestens zwei Tage – und für diese zwei Tage möge die Verhandlung unterbrochen werden.
Bundesanwalt Diemer Ich fordere, die Hauptverhandlung fortzusetzen und den Antrag der Verteidigung abzulehnen. Dieser Antrag wird abgelehnt werden, so wie alle anderen davor abgelehnt wurden.
Anwalt Scharmer Das Bundesverfassungsgericht hat die Durchführung der Verhandlung in diesem Saal A101 nicht beanstandet. Eine weitere Unterbrechung ist nicht nötig. Von den 70 Nebenklägern sind nach der ersten Verschiebung des Prozesses um drei Wochen nur noch 26 gekommen. Nun, nach der weiteren Unterbrechung um eine Woche, sind nur noch sieben im Saal.
(Ralf Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders stellt nun einen Antrag auf Aussetzung und Einstellung des Verfahrens. Ihr Kollege Klemke bringt eine Besetzungsrüge gegen das Gericht an. Die Sitzung wird für eine Pause unterbrochen. Dann kehrt das Gericht wieder zurück.)
Götzl Herr Rechtsanwalt Heer, die beiden Richterinnen, die Ihnen am nächsten sitzen, haben erklärt, sie könnten nichts von Ihren Unterlagen und Ihrem Computerbildschirm erkennen. Aber Sie können gern in die zweite Reihe rücken.
Verteidiger Heer Natürlich setze ich mich nicht an den Katzentisch da hinten. Ich möchte direkt neben meiner Mandantin sitzen.
Götzl Das Wort Katzentisch verbitte ich mir.
Verteidiger Heer Warum unterbrechen Sie mich?
Götzl Sie unterbrechen mich.
Verteidiger Heer Sie sind unhöflich. Ich lasse mich nicht unterbrechen, wenn ich das Wort habe.
(Richter Götzl weist die Anträge der Verteidiger zurück. Es bleibt beim Sitzungssaal A101. Verteidiger Heer meldet sich erneut.)
Götzl Worum geht es, Herr Rechtsanwalt Heer?
Verteidiger Heer Das sage ich Ihnen, wenn Sie mir das Wort erteilen.
Götzl Dann erteile ich Ihnen das Wort nicht.
Verteidiger Heer Es ist eine Gegenvorstellung.
Götzl Zu unserem Beschluss?
Verteidiger Heer So ist es, Herr Vorsitzender. Ich beantrage eine dienstliche Erklärung des Herrn Vorsitzenden, wo die Zeugen sitzen werden, und eine Skizze.
(Götzl deutet auf den einzigen freien Fleck in der Mitte des Saals.)
Bundesanwalt Diemer Der Antrag der Verteidigung von Frau Zschäpe ist unbegründet, die Öffentlichkeit ist in ausreichender Weise hergestellt. Es gibt keinen Grund, in einen anderen Sitzungssaal auszuweichen. Es muss nicht jeder Zutritt haben. Die Verlegung in eine Mehrzweckhalle oder in ein Stadion birgt die Gefahr eines Schauprozesses. Man muss auch nicht jede Pore im Gesicht eines Zeugen sehen. Ich beantrage, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen.
(Pause.)
Götzl Die Anträge der Verteidigung auf Umzug in einen größeren Sitzungssaal werden zurückgewiesen. Strafprozesse finden in der, aber nicht für die Öffentlichkeit statt. Es muss kein Saal gewählt werden, in dem alle Interessierten Platz haben. Die Verhandlung wird auch nicht ausgesetzt, damit die Verteidiger die Presseakkreditierung überprüfen können. Es gibt keine Anzeichen für eine Verletzung der Öffentlichkeit des Verfahrens.
Dann kommen wir jetzt zur Verlesung der Anklage.
Bundesanwalt Diemer (verliest die ersten 35 Seiten der 488 Seiten starken Anklageschrift des Generalbundesanwalts Harald Range)
1. Die deutsche Staatsangehörige Beate Zschäpe, geboren am 2. Januar 1975, ledig,
2. den deutschen Staatsangehörigen André Eminger, geboren am 1. August 1979 in Erlabrunn, verheiratet,
3. den deutschen Staatsangehörigen Holger Gerlach, geboren am 14. Mai 1974 in Jena, ledig
4. den deutschen Staatsangehörigen Ralf Wohlleben, geboren am 27. Februar 1975 in Jena, verheiratet,
5. den deutschen Staatsangehörigen Carsten Schultze, geboren am 6. Februar 1980 in Neu Delhi/Indien, ledig,
klage ich an, jeweils unter Beschränkung der Strafverfolgung gemäß der Paragrafen 154, 154 a StPO (Strafprozessordnung)
1. die Angeklagte Beate Zschäpe in Nürnberg, Zwickau und in anderen Orten ab einem unbekannten Zeitpunkt nach dem 26. Januar 1998, spätestens jedoch ab dem 18. Dezember 1998 bis zum 4. November 2011,
1.1 durch 27 rechtlich selbständige Handlungen gemeinschaftlich mit den am 4. November 2011 verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos handelnd
a) in zehn Fällen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen einen Menschen getötet zu haben, davon in einem Fall durch dieselbe Handlung versucht zu haben, einen Menschen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten, und dabei zugleich eine andere Person mittels einer Waffe und einer das Leben gefährdenden Behandlung durch einen hinterlistigen Überfall mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben,
b) in zwei Fällen durch Sprengstoff eine Explosion herbeigeführt und durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen verursacht zu haben und jeweils durch dieselbe Handlung, in einem Fall in 22 tateinheitlichen Fällen, eine andere Person mittels eines...
Erscheint lt. Verlag | 17.10.2018 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Politische Systeme | |
Schlagworte | Annette Ramelsberger • Banküberfall • Beate Zschäpe • Deutschland • Gerichtsreportage • Michèle Kiesewetter • München • Nationalsozialismus • Nationalsozialistischer Untergrund • Neonazi • NSU • Rainer Stadler • Rechtsradikalismus • Sprengstoffanschlag • Strafprozess • Süddeutsche Zeitung • Süddeutsche Zeitung Magazin • Tanjev Schultz • Terror • Terrororganisation • Uwe Böhnhardt • Uwe Mundlos • Zwickau |
ISBN-10 | 3-95614-112-1 / 3956141121 |
ISBN-13 | 978-3-95614-112-6 / 9783956141126 |
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