Ich möchte gern in Würde altern, aber doch nicht jetzt (eBook)

Erwachsensein für Profis

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31677-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich möchte gern in Würde altern, aber doch nicht jetzt -  Lisa Ortgies
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»Ein kluger Blick auf die Middle-Ager« NDR. Eines Morgens erwacht Lisa Ortgies im »Emergency Room«. Allerdings in einem echten. Denn bei einem New-York-Besuch erleidet sie einen Herzinfarkt und wird in ein Krankenhaus gebracht, das der TV-Serie verdammt ähnlich sieht. Wie kann das sein - mit fünfzig? Anlass genug für einen Blick nach vorn, zurück und um sich herum, auf ihre Altersgenossen. Wie leben wir eigentlich, wir Middle-Ager? Irgendwann sind wir erwachsen geworden, ohne es zu merken, und jetzt stehen wir mitten im Leben und haben genauso viele Fragen wie in der Pubertät. Passe ich in die Skinny Jeans? Was spricht gegen ein drittes Kind? Oder für einen zweiten Mann? Wie sehe ich aus bei meinen Versuchen, jung zu bleiben? Noch nie hatte eine Generation so viele Möglichkeiten, sich selbst auszuprobieren - und das macht es nicht leichter ... Lisa Ortgies erzählt von Männern und Frauen, die alles richtig machen wollen, aber manchmal plötzlich vor der Entscheidung »alles« oder »richtig« stehen.

Lisa Ortgies, geboren 1966, arbeitete nach der Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule für verschiedene Zeitschriften und das NDR Kulturmagazin. Sie war Kolumnistin bei EMMA und moderiert seit zwanzig Jahren die Sendung frauTV im WDR Fernsehen. 2014 wurde ihr der Luise-Büchner-Preis für Publizistik verliehen.

Lisa Ortgies, geboren 1966, arbeitete nach der Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule für verschiedene Zeitschriften und das NDR Kulturmagazin. Sie war Kolumnistin bei EMMA und moderiert seit zwanzig Jahren die Sendung frauTV im WDR Fernsehen. 2014 wurde ihr der Luise-Büchner-Preis für Publizistik verliehen.

Wir Middleager


Plötzlich wieder in der Pubertät

Mir kann keiner was vormachen. Ich mir selbst leider auch nicht mehr: Meine Kindheit ist vorbei. Meine Jugend auch. Danach muss ich irgendwann erwachsen geworden sein, aber ich kann nicht mehr nachvollziehen, wann und wie das passiert ist. Zumindest behandeln mich meine Kinder wie eine Erwachsene, aber hinter dem bisschen Respekt verbirgt sich vielleicht auch nur die Angst davor, dass ich ihre Smartphones beschlagnahme. Wenn ich nicht weiterweiß, verstecke ich die Dinger. Dass ich nicht weiterweiß, kommt vielleicht sogar häufiger vor als vor 30 Jahren. Vielleicht ist es erwachsen, sich das einzugestehen.

Sollten mich solche Fragen überhaupt noch beschäftigen? Müsste ich nicht längst drei neue Projekte angeschoben haben und nebenbei Flüchtlinge integrieren? Wo komme ich her, wo will ich hin und woher kommt diese Verunsicherung, verdammt noch mal, dieses ständig Unentschiedene, die chronische Empfindlichkeit, bei jedem Anlass. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit Wechseljahren, mein Hormonstatus ist top! Da fällt mir ein: Vielleicht doch noch ein drittes Kind …? Man liest ja dauernd in der Zeitung von diesen Frauen im Enkelkinderalter, die von ehrgeizigen Fortpflanzungsmedizinern befruchtet werden. Da wäre ich sogar noch früh dran.

Bin ich die Einzige, die sich mit 50 Jahren mehr Fragen stellt als mit 15, unter anderem die eine, als Überschrift über allen anderen: Sollte ich in meinem Alter nicht bedeutend souveräner sein? Weise, klar und stilsicher, über den Dingen schwebend – eine Inspirationsquelle für andere?

Sollten wir alle in unserem Alter nicht bedeutend souveräner sein? Vorbilder für die Generation nach uns? Ein Role-Model für würdevolles Älterwerden?

Wir sind die erste Generation, deren Idole nicht älter werden, sondern immer straffer. Wir haben keine Vorbilder für die Lebensphase Ü40. Wir blicken nach vorn, in die Mienen (oder auch Minenfelder) von Meg Ryan, Nicole Kidman, Dieter Bohlen oder Mickey Rourke. Die uns nicht viel sagen können, weil sonst die Nähte hinterm Ohr reißen.

Angesichts der ersten unübersehbaren Spuren und Wunden des Alters greifen viele zu einem Strohhalm, den sie für Selbstironie halten. Vor allem Frauen geben ihren Körper schnell der Lächerlichkeit preis. Um zu vermeiden, dass jemand anders zuerst darüber lacht, nehme ich an … Dabei hat niemand vor zu lachen. Aber die tiefe Verunsicherung angesichts des Reifeprozesses, der vor uns allen liegt, treibt eben seltsame Blüten: weibliche Comedians, die auf der Bühne das »Welkfleisch« an ihren Oberarmen zum Schaukeln bringen oder über Brüste witzeln, die sich in den Knien verfangen.

Sie machen all die Witze über Frauen, die Männer nicht mehr machen dürfen, weil sie sonst bei #metoo landen und ihren Ruf, ihren Job oder ihre Freunde verlieren.

Haben Sie umgekehrt schon mal einen Atze Schröder über seine eigenen Problemzonen herziehen hören? Männer machen sich sehr selten über ihren eigenen Körper lustig, nicht mal Rainer Calmund. Der ist fast stolz auf seine zentnerschwere Gemütlichkeit.

Liegt es an mir, dass ich über selbstentblößende »Bindegewebs-Witze« nicht lachen kann? Dass sogar etwas wie »Fremdscham« hochkommt? Habe ich vielleicht doch »irgendwie ein Problem« mit meinem Körper? Das schreibt zumindest die Freundin, die mir den Wechseljahre-Comedy-Zusammenschnitt geschickt hat.

Hat sie vielleicht recht? Schließlich gehört es für uns, die Generation der psychologisch Durchgenudelten, zum guten Ton, sich ständig selbst zu hinterfragen. Und zu verbessern.

Unser Weg in die zweite Lebenshälfte führt über Laufbänder, vorbei an Weizengras- und Chiasamenfeldern, an Bikramyogastudios, an Kletterwänden, Paarberatungspraxen und buddhistischen Retreatzentren. Oder lieber gleich zurück in ein früheres, besseres Leben (in Rückführungssessions); und endet angeblich in einer Selbsterneuerung. Oder in einem Neuanfang. Hauptsache was anderes als einfach nur älter. Die Haut wölbt sich, die Arterien gehen zu, die Knochen werden spröde – trotzdem oder gerade deshalb sind wir immer bereit für etwas Brandneues, total Aufregendes, noch nie Dagewesenes, für jedes erdenkliche körperliche oder mentale Abenteuer. Wir sind die erste Generation, die ihr Lebensgefühl an dem von Teenagern misst. In manchen Fällen also mit den eigenen Kindern in Konkurrenz tritt. Mit dem Wettbewerbsnachteil, dass es für Experimente keine Zeit mehr gibt: Ab jetzt werden unsere Eskapaden nicht mehr als Jugendsünden abgehakt.

Das wiederum macht noch unsicherer. Und empfänglicher für jede Form der Lebensberatung. Ständig sollen wir aussortieren, im Kleiderschrank wie im eigenen Unbewussten. Wir müssen immer bereit sein, Gewohntes loszulassen oder uns neu zu erfinden. Warum eigentlich? Und wer oder was waren wir bisher, wenn wir nun unbedingt und so schnell wie möglich Verdrängtes hochholen, den Körper entschlacken und alte Muster loswerden müssen? Mentaler Sondermüll? Lebende Provisorien? Kann mir jemand erklären, wie man im Leben einen Zentimeter weiterkommen soll, wenn man sich in einem permanenten Übergangszustand befindet?

Wie erkennen wir uns selbst wieder und woran erkennen uns die anderen? Uns Mittelalte. Erwachsene. Teilen wir überhaupt dieselben Lebenserfahrungen, wenn die einen in der Jugend gegen Atommüllendlager demonstriert haben, während die anderen windsurfen waren? Haben wir wirklich Einfluss auf die Gesellschaft oder warum wählen so viele AfD und pochen wieder auf evolutionäre Unterschiede zwischen Mann und Frau. Warum können wir uns nicht mal auf etwas einigen und dabei bleiben?

Männer und Frauen ab 40 finden kaum zueinander, weil ihre Individualität sie scheinbar so verschieden macht. Im Vergleich zu den mittelalten Vorgängergenerationen möchten wir sowieso wahnsinnig ungern auf irgendetwas festgelegt werden. Das betrifft mitunter mögliche Partner, eventuelle Kinder, den Job, die nächste Wahl oder das richtige Essen – aber vor allem die eigene Alterskohorte.

Der grau melierte, vollbärtige Mittfünfziger in Skinny-Jeans und bunten Vans-Schuhen, der mir im Enthaarungsstudio um die Ecke den letzten Termin vor der Nase wegschnappt, würde mir was husten, wenn ich uns beide in eine Generation packen würde. Das Longboard, mit dem er mich auf der Straße überholt hat, trägt er unterm Arm. Keine Frage: Er sieht schnuckelig aus. Das gebe ich beleidigt zu, obwohl ich als nur etwas jüngere Frau nicht in sein Beuteschema passe. Wahrscheinlich auch dann nicht, wenn ich ebenfalls ein Longboard unterm Arm tragen würde, und erst recht nicht mit grauen Haaren.

Männer altern anders als Frauen, jedenfalls in der allgemeinen Wahrnehmung. Das ist natürlich Quatsch und widerspricht der Statistik: Unter den Mittelalten gibt es zum Beispiel mehr übergewichtige Männer als Frauen. Generell gleichen sich die Alterungsprozesse an: Östrogenmangel auf der einen und Testosteronmangel auf der anderen Seite. Oder Erektionsprobleme versus Scheidentrockenheit. Mehr Herzinfarkte und weniger Lust auf Sex betreffen beide gleichermaßen. Trotzdem dominiert der Eindruck, dass Männer sich besser halten. Ein Phänomen, das man nicht bejammern – nervt ja auch –, aber zumindest benennen muss, denn es bringt verunsicherte Frauen um die 40 dazu, sich mithilfe von Sport und Ernährung auf die Kleidergröße ihrer Töchter zu disziplinieren.

Haben unsere Teenagerkinder nicht das natürliche Recht auf mehr Coolness, festeres Bindegewebe und weniger Körperhaare als wir? Dem sichtbaren Alterungsprozess trotzen zu wollen ist langfristig eine gigantische Zeit- und Energieverschwendung, bei der am Ende nicht einmal mehr Lebenszufriedenheit rausspringt. Im Gegenteil. Nach jedem Etappensieg im Kampf gegen das Älterwerden entdecken wir die nächste Baustelle. Der letzte Vorschlag in diese Richtung war eine Einladung zum Gesichtsyoga. Gegen »das Verschwimmen der unteren Kinnkonturen«. Um das Kinn zu straffen, muss man den Gesichtsyogis eigentlich nur zuschauen, denn beim Schlapplachen werden sogar noch mehr Muskeln bewegt.

Nicht umsonst begrüßen sich Frauen im mittleren Alter standardmäßig mit der Formel: »Du siehst toll aus!« Um sich wenigstens gegenseitig einer Attraktivität zu versichern, an die viele allein und im Stillen nicht mehr glauben. Nicht weil sie keine attraktiven Frauen wären, sondern weil sie beim Samstagabendfilm, auf Instagram oder bei fast allen Werbeplakaten auf dem Weg in die Innenstadt ständig zum Vergleich mit Mitte-20-Jährigen aufgefordert werden. Inzwischen blicken auch viele Männer betrübt an sich herunter, wenn die Helden in Actionfilmen mit ihrem breiten Kreuz und den gestählten Oberarmen die Sonne verdunkeln. Oder ein neues Duschgel am Sixpack abperlen lassen.

Wir Middleager müssen mehr Leistung und Muskeln zeigen als ein pubertierender Gymnasiast, um als halbwegs lebendig zu gelten. Was noch lange nicht heißt, dass wir auch als kluge oder schöpferisch-innovative Wesen ernst genommen werden – da sind wir angeblich abgehängt. Nur weil wir mehr als drei Sekunden brauchen, um alle Funktionen des neuesten iPhone zu erfassen. Im Netz kursieren Überlebenstipps für Millenials, die es mit Ü40ern als Vorgesetzte zu tun haben. Zitat: »Wie wendet man seinen Wissensvorteil am besten an, ohne die älteren Kollegen dumm dastehen zu lassen?«

Menschen über 40 finden in der Werbung, und zunehmend auch in allen anderen medialen Kanälen, kaum noch statt. Nach 60 tauchen sie wieder auf: als Testimonials für Lebensversicherungen und Inkontinenzwindeln (wobei die...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2018
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 50. Geburtstag • Burn-out • Frauen-Unterhaltung • Herzinfarkt • Humor • Lebensmitte • Middle Ager • Midlife-Crisis • Pubertät • Wechseljahre • Yoga
ISBN-10 3-462-31677-X / 346231677X
ISBN-13 978-3-462-31677-3 / 9783462316773
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