Diktatoren als Türsteher Europas (eBook)

Wie die EU ihre Grenzen nach Afrika verlagert
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-406-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Diktatoren als Türsteher Europas - Christian Jakob, Simone Schlindwein
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Europa zieht seine Grenzen durch Afrika. Migrationskontrolle ist in der EU zu einer Frage von höchster innenpolitischer Bedeutung geworden. Mit Hochdruck baut sie daher ihre Beziehungen zu den Regierungen auf dem afrikanischen Kontinent aus. Diese sollen ihre Bürger daran hindern, nach Europa zu gelangen. Die EU bietet dafür Militär- und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe. Sie arbeitet mit Regimen zusammen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, und bildet deren Polizei und Armeen aus. Die Bewegungsfreiheit in Afrika wird eingeschränkt, Entwicklungshilfe wird umgewidmet und an Bedingungen geknüpft: Wer Migranten aufhält, bekommt dafür Geld. Am meisten profitieren IT-Unternehmen sowie Rüstungs- und Sicherheitskonzerne in Europa.
Seit Jahren recherchieren Simone Schlindwein und Christian Jakob zu diesem Thema. Ihr Buch ist die erste umfassende Darstellung der neuen europäischen Afrikapolitik.
»Von geschützten Grenzen und der Öffnung der Märkte träumt die EU. Von geschützten Märkten und offenen Grenzen träumt Afrika. Solange dieses Interessensdilemma nicht gelöst ist, wird es keine echte Partnerschaft geben.«
Christian Jakob, Simone Schlindwein


Jahrgang 1979, Studium der Soziologie, Volkswirtschaft, Philosophie in Bremen und Mailand, Global Studies in Berlin, Buenos Aires und Delhi. Seit 2006 Redakteur der tageszeitung, zuerst bei der taz Nord in Bremen, dann im taz1-Ressort in Berlin, seit 2014 Reporter. Für seine Berichterstattung wurde er 2017 mit dem Otto-Brenner-Preis für für kritischen Journalismus ausgezeichnet. Der Autor auf Twitter: @chrjkb.

Christian Jakob, Jahrgang 1979, Journalist, seit 2006 Redakteur, seit 2014 Reporter der taz; für seine Berichterstattung zur Asylpolitik 2015 für den Journalistenpreis "Der lange Atem" nominiert; im Ch. Links Verlag erschien 2016 sein Buch "Die Bleibenden. Wie Flüchtlinge Deutschland seit 20 Jahren verändern" (2. Auflage). Simone Schlindwein, Jahrgang 1980, seit 2008 Korrespondentin der taz für die Region der Großen Seen: DR Kongo, Ruanda, Burundi, Uganda, Zentralafrikanische Republik, Südsudan; 2016 Auszeichnung mit dem Journalistenpreis "Der lange Atem" (zusammen mit Dominic Johnson) für ihre Recherchen über die FDLR in Ruanda, der DR Kongo und Deutschland sowie das dazugehörige Buch "Tatort Kongo" (2016 im Ch. Links Verlag).

VORWORT
DIE WIEDERENTDECKUNG AFRIKAS


Der Nachbarkontinent Afrika hat die Europäer lange kaum interessiert. Er stand vor allem für Kriege, Klimawandel, Seuchen wie die tödliche Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 oder Katastrophen wie die Hungersnot in Ostafrika 2017. Doch jetzt steht der Kontinent wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. Von einer neuen Epoche der Partnerschaft ist zu hören.

Sie nahm ihren Anfang, als die Lage auf der Balkan-Route im Sommer 2015 eskalierte: Hunderttausende Flüchtlinge, unkontrolliert auf dem Weg nach Zentraleuropa. Kurz darauf lud die Europäische Union (EU) 33 Staatschefs aus Afrika zu einem Treffen nach Malta ein. Milliardenschwere neue Programme der Entwicklungshilfe und wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurden aufgesetzt. »Eine Situation wie im Sommer 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen«,1 sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Panik in Europa, die die unkontrollierte Flüchtlingsbewegung über die Balkan-Route ausgelöst hatte – sie wurde auf Afrika projiziert. Und eben dort will Europa sein Migrationsproblem jetzt lösen – mit weitreichenden Eingriffen in die Länder südlich des Mittelmeers.

Afrika war schon zu Kolonialzeiten ein Ort, den die Europäer nach ihren Vorstellungen formen wollten. Fünf Meter hoch war die Karte des afrikanischen Kontinents, die im November 1884 im Tagungsraum im Berliner Reichskanzlerpalais an der Wand hing. Vertreter von 13 europäischen Staaten sowie der Vereinigten Staaten (USA) und des Osmanischen Reiches waren der Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck nach Berlin zur sogenannten Kongokonferenz gefolgt. Es ging darum, die Handelsfreiheit im Einzugsgebiet der Flüsse Kongo und Niger zu regeln.

Als die Konferenz am 26. Februar 1885 zu Ende ging, hatten die Teilnehmer die Grundlagen geschaffen, den Kontinent untereinander aufzuteilen. Zahlreiche afrikanische Grenzen, die heute im Fokus der EU-Migrationskontrolle stehen, wurden damals von den Kolonialherren am Reißbrett gezogen. Jene, die dort lebten, wurden nicht gefragt.

Seitdem hat sich vieles verändert. Geblieben sind die kolonialen Grenzen und die alte, aus der Kolonialzeit stammende Angst vor dem »Schwarzen Mann«. Einst waren es die tödlichen Tropenkrankheiten aus Afrika, die die Europäer fürchteten. Heute ist es die Furcht vor der »Invasion«, der »Umvolkung«, die die Rechtsextremisten befeuern.

Sie geht einher mit der zunehmenden Furcht vor dem Terror, ausgelöst durch die Anschläge in Paris im November 2015, in Brüssel im März 2016 und auf dem Berliner Weihnachtsmarkt Ende 2016. Die Täter bekannten sich zum Islamischen Staat (IS), der heute auch in Libyen und der Sahelzone aktiv ist. Flüchtlinge und Migranten stehen in Europa unter Generalverdacht. Deshalb sind die Mittel, die im Innern gegen den Terrorismus angewandt werden – Überwachung und Kontrolle, Biometrisierung und Datensammlung – jenen so ähnlich, mit denen nach außen die irreguläre Migration bekämpft wird.

Jedes Jahr veröffentlicht die Weltbank, wie viele Menschen in der Welt von einem Land ins andere wandern. »Migrationskorridore« nennt sie dies. Die 30 größten werden erfasst.2 Nur die Bewohner eines einzigen Landes aus Afrika südlich der Sahara sind dabei: Burkinabés, die aus ihrer Heimat Burkina Faso in die Elfenbeinküste auswandern. Afrikaner in Europa – unter den Migranten dieser Welt ist ihre Zahl so gering, dass sie nicht in der Liste der Top 30 auftauchen, obwohl die Kontinente nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen.

181 000 Afrikaner kamen 2016 über das Mittelmeer nach Europa.3 Das sind etwa so viele Menschen, wie in Hamm oder Saarbrücken leben. Keine große Zahl für die EU mit ihrer halben Milliarde Einwohner. Doch seit 2010 hat sich die Zahl der jährlich ankommenden Afrikaner mehr als verdoppelt. Und viele fürchten: So wird es weitergehen.

Bis 2050 wird die Bevölkerung des Kontinents auf mehr als 2,2 Milliarden wachsen, prognostizieren die Vereinten Nationen (UN).4 »Dramatisch zunehmen« könnte die Migration aus Afrika, sagte der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im Oktober 2016. Im Juni 2017, der Bundestagswahlkampf steht vor der Tür, wird er konkreter: »Bis zu 100 Millionen Menschen«5 könnten sich in Afrika auf den Weg nach Norden machen, wenn der Klimawandel nicht verlangsamt werde. Eine Zahl, monströs, aber bewusst gesetzt, um Ängste zu schüren.

Denn die Menschen, um die es geht, sind schwarz. Carlos Lopes, bis vor Kurzem UN-Chefökonom für Afrika, erinnert daran, dass im vergangenen Jahrzehnt Hunderttausende Arbeitsmigranten aus Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru nach Spanien kamen. Es war dieselbe Zeit, in der das südeuropäische Land, das nur wenige Kilometer von Afrika entfernt liegt, mit seinem »Plan África« (Kapitel: Rückblick) die Migration aus Westafrika stoppte. Einwanderung aus Lateinamerika dagegen ließ es zu. Eine »kulturelle Wahl«, sagt Lopes zu dieser Entscheidung: »Es gab keine Angst vor Migranten, sondern vor Afrikanern.«6

Diese Angst ist – so wie die vor Muslimen – einer der Nährstoffe für den Rechtsruck, der das politische Gefüge in vielen Ländern Europas erschüttert hat. Die Debatte um Zuzug, offene Grenzen und Flüchtlingsschutz hat die EU als Projekt insgesamt möglicherweise stärker unter Druck gesetzt als selbst die Eurokrise 2010.

Den Deutschen drohe, »in weniger als einer Generation« im erwerbsfähigen Alterssegment »eine Minderheit im eigenen Land« zu werden, sagt der Juraprofessor Ralph Weber. Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern holte er in seinem Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III an der Ostseeküste 35 Prozent7 aller Stimmen – das bis dahin beste AfD-Ergebnis in einem Wahlkreis überhaupt. Weber rechnet vor: Bis 2017 dürften 3,5 Millionen »illegale Zuwanderer« ins Land gekommen sein. Wenn die sich in der »lebensbejahenden Verbreitungsstrategie, die diesen Völkern eigen ist, ausbreiten, also vier bis fünf Kinder in zehn Jahren«, gebe es bald »elf bis zwölf Millionen illegale Zuwanderer und deren Nachfolger«. Eine Argumentation, wie sie unter Rechtsextremen weit verbreitet ist. Doch genau das, behauptet Weber, seien die Dinge, die die Menschen bei seinen vielen Wahlveranstaltungen im äußersten Nordosten der Republik angesprochen hätten.

Die Angst vor den Afrikanern und muslimischen Einwanderern, sie buchstabiert sich selten so offen aus wie im AfD-Wahlkampf von Ralph Weber. Doch ihre Verbreitung nimmt zu. Sie ist der Antrieb für immer weitergehende Versuche, Migration in einer globalisierten Welt wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und zwar vor allem aus und in Afrika. Denn die meisten der teils riesigen Migrationskorridore auf der Weltbank-Liste sind völlig geräuschlos. Niemand nimmt an den Bewegungen der Menschen Anstoß. Dass sie wandern, wird akzeptiert.

Im Jahr 2004 widmete die für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständige UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) Afrika eine Tagung. Ihr Titel: »Der vergessene Kontinent«. Damals war das fast ein Synonym für Afrika. Das ist vorbei. Afrika ist in den Mittelpunkt des europäischen Interesses gerückt.

Im Grunde ist dies eine gute Nachricht. Sie könnte, zum Beispiel, dazu führen, dass über die aktuelle, größte Hungerkatastrophe seit Bestehen der UN gesprochen wird, die in Afrika Millionen Menschen bedroht. Oder über die Lage in Uganda, einem kleinen Land, wo zu Beginn 2017 das größte Flüchtlingslager der Welt aus dem Boden gestampft wurde, aber die Mittel fehlen, um die Menschen zu ernähren. Doch diese Dinge sind kein Thema für weite Teile der Öffentlichkeit und viele Politiker in Europa.

Sie interessiert, was getan werden kann, damit keine Flüchtlinge zu uns kommen. Der milliardenschwere EU-Türkei-Deal (Kapitel: Das Abkommen mit der Türkei) soll dafür Modell stehen. Das Abkommen hat viele empört. Seine Kritiker klingen dabei häufig so, als habe Europa mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan eine neue, besonders verwerfliche Praxis der Abschottung begonnen. Tatsächlich aber nimmt die EU schon seit langer Zeit Staaten in ihren Dienst, aus denen die Migranten und Flüchtlinge nach Europa kommen – mit »Nachbarschaftsverträgen«, »Arbeitsabkommen« und »Partnerschaftsrahmen«. Anders als die Abmachung mit der Türkei hat dies die Öffentlichkeit nie interessiert. Die einzige Ausnahme war der Vertrag zwischen Italiens damaligem Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und Libyens Diktator Muammar Gaddafi 2008. Berlusconi stellte Gaddafi Milliarden Euro in Aussicht. »Weniger Flüchtlinge – mehr Öl«, sagte Berlusconi damals, das sei der Deal.

Heute ist es die EU, die mit Hochdruck daran arbeitet, solche Abkommen mit vielen Staaten Afrikas abzuschließen. Für Flüchtlinge wird es so immer schwieriger, Schutz zu finden. Und für Arbeitsmigranten wird es immer gefährlicher, an Orte zu gelangen, an denen sie ein Einkommen suchen können. Doch das ist nicht die einzige Folge. Je mehr Europa versucht, die Migration zu kontrollieren, desto schwieriger wird es für viele Afrikaner, sich innerhalb ihres eigenen Kontinents, ja selbst innerhalb ihres eigenen Landes frei zu bewegen.

Dieses Buch handelt von diesem neuen Umgang mit Afrika....

Erscheint lt. Verlag 23.10.2017
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Afrika • Deutschland • Einwanderung • Entwicklungshilfe • Europa • Europäische Politik • Flüchtlinge • Grenzen • Grenzkontrolle • Migration • Migrationskontrolle
ISBN-10 3-86284-406-4 / 3862844064
ISBN-13 978-3-86284-406-7 / 9783862844067
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