Neue Heimat Psycholand
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Dr. Harald Wiesendanger (Jg. 1956), studierter Philosoph, Psychologe und Soziologe, hat seit Ende der achtziger Jahre rund 50 Bücher veröffentlicht, überwiegend zu psychologischen und medizinischen Themen, neben über 3000 Artikeln in Zeitungen, Zeitschriften und Internetportalen. 2005 gründete er die Stiftung AUSWEGE für chronisch Kranke sowie die „Internationale Vermittlungsstelle für Herausragende Heiler“ (IVH), die in der alternativen Gesundheitsszene mit einem aufwändigen Auswahlverfahren „die Spreu vom Weizen trennen und die wenigen Könner herausfiltern“ will. 1994 hatte er eine Dachorganisation für Heilerverbände (DGH) ins Leben gerufen und bis 1998 geleitet, sich dann aber zurückgezogen, denn „auch Geisteskinder missraten mitunter derart, dass man sie schließlich mit einem Seufzer der Erleichterung zur Adoption freigibt“. Er gab eine Fachzeitschrift für Geistiges Heilen heraus (Der Heiler 1996-1998), war Mitorganisator mehrerer "Weltkongresse für Geistiges Heilen" in Basel (1994-2004) und an der EU-geförderten Fernheilstudie EUHEALS beteiligt (2001-2004). In jüngster Zeit beschäftigen ihn vor allem die gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Hintergründe unseres kranken Gesundheitswesens, die Ohnmacht ganzheitlicher Behandlungsansätze in der industriegelenkten westlichen Schulmedizin, die Expertengläubigkeit der psychologischen Gesellschaft, die unterschätzten Fähigkeiten von Laienhelfern.
Psycholand -
Woher rührt das Vertrauen in Seelenprofis?
Unterwegs zum Selbst
Wie die Prinzessin auf der Erbse
Supertanker Big Pharma
Des Kaisers neue Kleider
Anmerkungen
Was wissen und können professionelle Seelenhelfer besser als unsereins? Wieviel trauen wir Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern zu? In Meinungsumfragen würden wohl die meisten von uns, und erst recht die Profis selbst, den folgenden Ansichten beipflichten: „Es gibt psychische Krankheiten, genauso wie körperliche. Immer mehr Menschen sind davon betroffen.“ „Psychoprofis können solche Störungen zuverlässig erkennen, wirksam behandeln, plausibel erklären und recht genau voraussehen.“ „Ein Hochschulstudium vermittelt die nötigen Fähigkeiten dazu.“ „Laien hängen einer naiven Küchenpsychologie an. Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt wird über sie hinweggehen.“ Die ersten Semester meines Psychologiestudiums verliefen unbelastet von Zweifeln an alledem. Zwar ächzte ich, wie die meisten meiner Kommilitonen, unter den Vertracktheiten von Statistik und Methodenlehre. Aber war die Tortur nicht der angemessene Preis, den ich dafür zahlen musste, mich endlich aus den Denkfallen der Laienpsychologie zu befreien, indem ich die Rätsel von Geist und Seele wissenschaftlich angehen lernte? Tat ich in meiner persönlichen Entwicklung dabei nicht einen gewaltigen Entwicklungsschritt, mit dem auf höherem intellektuellem Niveau Phase Zwei meines Lebens begann, ein Zeitalter der Aufklärung innerhalb meiner Biografie? War es nicht großartig, dass ich mich beim Erklären und Vorhersagen, wie Menschen sich verhalten, von nun an auf systematisches Beobachten objektiver Sachverhalte, auf hochwertige Erkenntnismethoden wie Tests und Experimente, auf daraus gewonnene Theorien stützen konnte? War es nicht redlich und für einen akademisch Gebildeten alternativlos, dass ich mich künftig darauf beschränkte? So hörte ich es von meinen Professoren, so las ich es in Lehrbüchern. Und es leuchtete mir ein, zumal ich nun eine Vielzahl von spannenden, aufschlussreichen Untersuchungen kennenlernte, die darauf beruhten, wissenschaftliche Forschungsregeln konsequent anzuwenden. Zwar ergaben sie kaum je psychologische Gesetzmäßigkeiten, sondern bloß mehr oder minder ausgeprägte Wahrscheinlichkeiten. Doch immerhin widerlegten sie verbreitete Vorurteile. Sie machten auf Überraschungen gefasst, die dem keineswegs gesunden Menschenverstand zuwiderliefen. Und sie begründeten Erwartungen, wie eine Vielzahl von Menschen, oder einzelne Gruppen von Menschen mit bestimmten Merkmalen, unter bestimmten Umständen wahrnehmen und fühlen, denken und handeln. Sollte das für einen Psychologen nicht genügen, um stolz auf sich und sein Fach zu sein – und selbstbewusst davon auszugehen, dass er weitaus mehr weiß und kann als ein hochschulferner Amateur? „Allerdings!“, hätte ich nach fünf Studienjahren auf solche Fragen mit Nachdruck geantwortet. Zum Umdenken haben mich erst die vier anschließenden Jahrzehnte bewegt - ganz besonders Erfahrungen, die ich einer Stiftung namens „Auswege“ für chronisch Kranke verdanke, welche ich 2005 ins Leben rief. Bis Ende 2016 lernte ich in 24 Therapiecamps dieser Einrichtung Hunderte von psychisch Belasteten kennen, deren Vertrauen in eine wissenschaftlich begründete Psychotherapie und Psychiatrie bitter enttäuscht wurde – jahrelang, vereinzelt seit Jahrzehnten. Jeder vierte Hilfesuchende brachte in die „Auswege“-Camps die Diagnose einer psychischen Erkrankung mit: von Autismus, ADHS und anderen Verhaltensstörungen über Depressionen und Phobien bis hin zu Zwängen. Es fanden Angstgeplagte, Ausgebrannte und Traumatisierte dorthin, gelegentlich sogar mutmaßlich Schizophrene. Und wenngleich bei den übrigen Teilnehmern körperliche Beschwerden im Vordergrund standen, kamen auch sie zumeist seelisch schwer angeschlagen an. In den bis zu 20-köpfigen Helferteams, die sich ehrenamtlich um sie kümmerten, begegnete ich bemerkenswerten Persönlichkeiten, die in solchen Fällen verblüffend erfolgreich arbeiteten: Nach siebeneinhalb Behandlungstagen ging es über 90 Prozent der Patienten psychisch besser als je zuvor in der Obhut von ausgebildeten Seelen- heilkundigen. Keinerlei Psychopharmaka kamen zum Einsatz. Erstaunlich oft hielten die erzielten Besserungen an. Ist es abwegig zu vermuten, dass sogar noch deutlich mehr zu erreichen gewesen wäre - und Erreichtes noch stabiler fortbestanden hätte -, wenn die Campteilnehmer nicht nach gut einer Woche hätten heimgeschickt werden müssen? Dabei handelte es sich bei den Helfern fast ausnahmslos um Amateure, ohne medizinisch-psychologische Ausbildung, mit erlernten Berufen wie Dreher, Steuerfachgehilfin, Arzthelferin, Deutschlehrer, Finanzberater oder Wirtschaftsingenieur. Trotzdem bewirkten sie offenkundig mehr als jeder Psycho-Profi vor ihnen. Wie ist das möglich? Was lehren die Therapiecamps der Stiftung Auswege darüber, wie wertvoll, überlegen und unverzichtbar professionelle Seelenkunde ist? Heute würde ich darauf antworten: Im Bestreben, objektive Wissenschaft zu sein, haben Psychologie und Psychiatrie Subjekte aus den Augen verloren - Personen mit Bewusstsein, einer einmaligen Erlebnisperspektive und einer einzigartigen Geschichte, in immer besonderen Lebensumständen. Die Verhaltenswahrscheinlichkeiten, mit denen Fachzeitschriften, Lehrbücher und Ratgeber voll sind, bringen uns bestenfalls den Menschen ein wenig näher – aber sie tragen wenig bis nichts dazu bei, diesen Menschen zu verstehen und ihm zu helfen. Wann immer es um ein einzelnes Ich geht, erweist sich Wissenschaft als weitgehend nutzlos: sei es für Eltern und Lehrer; für Freunde, Lebensgefährten und Arbeitgeber; für Sachbearbeiter in Jugend- und Sozialämtern; für Strafverfolger und Richter, Vollzugsbeamte und Bewährungshelfer; für Sozialarbeiter und Pflegekräfte; für Seelsorger, Lebensberater - und nicht zuletzt für Psychotherapeuten. Wer von ihr mehr erwartet, überfordert sie. Wenn sie mehr verspricht, lügt sie. Denn Wissenschaft ist eine Lebensform, die für den Einzelfall blind macht - und stolz darauf, ihn zu verachten. Wo Individuen einander begegnen, versagt ihre Zugangsweise, kläglich und unvermeidlich. Es gibt angemessenere und ergiebigere, und über diese verfügen Laien oftmals in höherem Maße: Lebenserfahrung, Bildung, Achtsamkeit, Intuition, vor allem die Fähigkeit, sich in ein Gegenüber hineinzuversetzen. Insofern könnten Amateure es sich leisten, dem Psychoprofi mit einem Selbstbewusstsein entgegenzutreten, das gegenüber einem Physiker, einem Chemiker oder Biologen mehr als vermessen wäre. Sie wissen nämlich nicht nichts oder zuwenig. Sie wissen zuviel - wenngleich im allgemeinen auf ziemlich ungeordnete und selten bedachte Weise –, jedenfalls weitaus mehr, als naturwissenschaftlich ausgerichtete Psychoforscher jemals über sie herausfinden können. Soweit Wissenschaft ist, was Wissen schafft, könnten sie mithalten. Denn Sachverständige sind Schwachverständige, sobald die Sache kein bloßes Ding ist. Der verstehende Laie und die fliegende Hummel haben eines gemeinsam: Der Experte beweist eindrucksvoll, dass sie unmöglich können, was sie trotzdem tun. Und so wirbt dieses Buch, ausgehend von zahlreichen Einzelschicksalen aus den „Auswege“-Camps, für einen respektlosen, geradezu ketzerischen Standpunkt: Es wird Zeit, die Expertokratie akademischer Seelenkundler, die unser Gesundheitswesen wie naturnotwendig durchdringt, zu beenden. Ihr fragwürdiger Nutzen erweist sich an der belämmernden Unergiebigkeit moderner Psychotherapie und Psychiatrie, soweit diese sich auf sie stützen. Setzen wir ihren Lügen ein Ende. Stärken wir unsere Widerstandskraft gegen Versuchungen, ihnen auf den Leim zu gehen.
Erscheinungsdatum | 26.06.2017 |
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Reihe/Serie | Psycholügen ; 1 |
Verlagsort | Schönbrunn |
Sprache | deutsch |
Maße | 148 x 210 mm |
Gewicht | 156 g |
Einbandart | geklebt |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Medizin / Pharmazie | |
Sozialwissenschaften | |
Schlagworte | Antipsychiatrie • Psychiatrie • Psychiatriekritik • Psychologie • Psychologiekritik • Psychotherapie |
ISBN-10 | 3-930147-55-6 / 3930147556 |
ISBN-13 | 978-3-930147-55-7 / 9783930147557 |
Zustand | Neuware |
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