Kurzschluss (eBook)

Wie einfache Wahrheiten die Demokratie untergraben

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
200 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-399-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kurzschluss - Felix Ekardt
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»Vernunft ist nicht der Feind, sondern der Grund der Freiheit.«
In einer immer komplizierteren Welt sind aktuell Kräfte auf dem Vormarsch, die einfache Wahrheiten und Lösungen versprechen. Doch nicht nur Populisten und ihre Anhänger, sondern wir alle tragen latent die Neigung zu vereinfachten, verzerrten und bequemen Ansichten in uns, auch die intellektuellen Weltverbesserer. Nur werden wir mit einfachen Wahrheiten die Probleme einer globalisierten Welt nicht lösen, sondern dramatisch scheitern. Wenn wir Uneindeutigkeit und Komplexität nicht aushalten, hat die offene Gesellschaft dauerhaft keine Chance. Felix Ekardt lotet in seinem neuen Buch aus, wie wir Vernunft und Demokratie langfristig fördern und bewahren können - und warum sie in der Gefahr stehen, eine historische Ausnahmeerscheinung zu bleiben.

Felix Ekardt, Jahrgang 1972, Jurist, Soziologe und Philosoph, ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin sowie Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock und Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Umweltrecht und Nachhaltigkeitspolitik sowie Gerechtigkeitstheorie. Regelmäßige Beiträge in Radio, Fernsehen und überregionalen Tageszeitungen; Politikberatung zur Energie- und Klimawende und allgemein zu Nachhaltigkeitsthemen auf EU-, Bundes- und Landesebene; zahlreiche Kommissionsmitgliedschaften, Auszeichnungen und Vorträge, etwa auf den Weltkongressen der Rechtsphilosophen, der Rechtssoziologen, der Düngerforscher, der Nachhaltigkeitsforscher und auf dem Weltökosteuerkongress. Im Ehrenamt ist er unter anderem Landesvorsitzender des BUND Sachsen.

3. Globalisierung und Pluralisierung – unterwegs in eine komplexere und unsicherere Welt?


Allerdings gibt es neben allgemeiner politischer Verunsicherung und Digitalisierung weitere aktuelle Entwicklungen, die scheinbar doch wieder einfache Wahrheiten als vorgeblich rein aktuelles Phänomen versinnbildlichen. Jene Entwicklungen machen jeweils das moderne Leben immer komplexer und reduzieren den Grad an insbesondere wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit. Von einer solchen Tendenz, so sie denn besteht, kann man bereits ohne große verhaltenswissenschaftliche Analyse durchaus plausibel annehmen, dass sie einige verunsichern und bei ihnen einen Wunsch nach scheinbar gradlinigen, eben einfachen, Erklärungen und Lösungen wecken wird.

Insbesondere gemeint ist die Globalisierung einschließlich mitunter krisenhafter Zuspitzungen wie der Eurokrise. Die Globalisierung als eine bestimmende politisch-wirtschaftliche Grundtendenz unserer Zeit bezeichnet im Kern ein System des weltweiten Freihandels, wenngleich sie nicht auf wirtschaftliche Vorgänge beschränkt ist, sondern zum Beispiel auch die kulturelle Pluralisierung und weitere Entwicklungen wie das zunehmende globale Verhandeln von Umweltproblemen bezeichnen kann.3 Die ökonomische Globalisierung hat zwar im Transportkosten- und Informationstechnologiebereich auch technische Ursachen. Im Kern entsteht sie jedoch nicht naturwüchsig, sondern durch politische Entscheidungen für den Freihandel. Die EU war hier nach dem Zweiten Weltkrieg der Vorreiter. Spätestens mit der Gründung der WTO, der Welthandelsorganisation der Nationalstaaten, ist sodann auch international ein komplexes Geflecht globaler und bilateraler Liberalisierungsabkommen entstanden, deren gemeinsame Intention ein möglichst freier Welthandel mit Produkten und Dienstleistungen ist. Die heutige WTO als das institutionelle Gerüst zahlreicher internationaler Wirtschafts- und Handelsverträge gründete sich im Jahr 1994 nach langjährigen Verhandlungen. Im Kern handelt es sich also um einige multilaterale Abkommen von drei Vierteln der Staaten der Welt, ergänzt durch eine große Vielzahl bi- und plurilateraler Verträge. Vorläufervereinbarungen bestanden seit 1947. Anders als sonst meist bei völkerrechtlichen Vertragswerken ist die WTO formal mit Ministerkonferenz, Allgemeinem Rat, Sekretariat und gerichtsartigen Streitbeilegungsorganen stark institutionalisiert unter Einschluss von Gewaltenteilungsansätzen, wobei sogar ein relativ förmliches Rechtsetzungsverfahren und Mehrheitsentscheidungen vorgesehen sind.4

Vorreiter der Globalisierung, auch und gerade in wirtschaftlicher Hinsicht, war die sukzessive Entstehung der Europäischen Union in den letzten 60 Jahren. Sie ermöglicht im Großteil Europas ein Maß an wirtschaftlicher Integration mit beispielsweise vollständiger Zollfreiheit, die über die WTO noch erheblich hinausgeht. Gleichzeitig sind auch die Institutionen und die Regelung auch nicht-wirtschaftlicher Materien in der EU ungleich weiter vorangeschritten als global im Rahmen der WTO – so sehr, dass die EU beinahe staatsähnliche Formen angenommen hat.

Der Freihandel – europäisch oder global – birgt im Wege der internationalen Arbeitsteilung erhebliche Chancen für eine globale Wohlstandssicherung, ebenso wie für einen sanften Export von Freiheit und Demokratie.5 Er führt damit ein Wechselverhältnis fort, was sehr oft in den letzten Jahrhunderten auch zwischen Kapitalismus generell und liberaler Demokratie bestand. Denn Kapitalismus braucht Rechtssicherheit, freie Ideen und Innovationen und verknüpft sich deshalb gern mit freiheitlichen Ordnungen, ebenso wie Markt und Wettbewerb gut zu freiheitlichdemokratischen Grundprinzipien passen. Freilich wird der freie Wettbewerb respektive Freihandel oft klarer Rahmensetzungen bedürfen, um beispielsweise ökologisch und sozial nicht sehr negative Begleiterscheinungen auszulösen. Dies gilt umso mehr, als der Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Freiheit und Demokratie bei aller Affinität keineswegs ein zwangsläufiger ist, wie diverse schwankende Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigen.6

Die größte Herausforderung ist die folgende: Da niedrigere Steuer-, Sozial- und Umweltstandards in der Regel niedrigere Produktionskosten und damit Wettbewerbsvorteile bedeuten, haben Staaten durch den Freihandel, selbst wenn sie grundsätzlich die Einsicht in die nötige Regulierung freier Märkte befolgen wollten, potentiell das Problem, dass sie unter jenem Freihandelsdruck genau jene Gestaltungsoption verlieren. Das Ergebnis ist ein globales Streben nach niedrigeren Kostenbelastungen für die Unternehmen im Steuer-, Sozial- und Umweltbereich. Und es setzen die WTO-Regeln (und die globalen Kapitalmarktregeln) auf ein möglichst »freies Spiel der Kräfte« zwischen Staaten als »Standorten« im Sinne eines weltweiten Wettbewerbs um Unternehmensansiedlungen und Kapital. Das begünstigt rechtlich den befürchteten Dumpingwettlauf der Staaten um (vordergründig) kostengünstige Produktionsbedingungen in Gestalt von niedrigen Unternehmenssteuern, Sozial- und Umweltstandards sowie wenig Kapitalmarktbeschränkungen noch.7 Denn damit werden nationale Umweltschutzmaßnahmen zum Beispiel nicht nur faktisch durch die Konkurrenz erschwert, sondern oft regelrecht verboten. Mit alledem entsteht nicht nur Druck auf die Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt, weil die Arbeitgeberseite mit Abwanderung droht und damit nicht nur die Politik, sondern auch die Gewerkschaften und allgemein die Belegschaft unter Druck setzen kann. Das Leben wird damit tendenziell fordernder, unübersichtlicher und unsicherer. Was just den Drang nach einfachen Wahrheiten – und endlich wieder nach mehr nationaler Kontrolle – auslösen könnte.

Fast mehr als die so umrissene Globalisierung könnten technologische Entwicklungen den Boden für die Populismen bereitet haben: durch Automatisierung und Rationalisierung, die immer mehr Arbeitskräfte überflüssig machen. Für Heere von Fernfahrern und Kassiererinnen verkürzen sich die Perspektiven. Zudem stehen wir heute vor einer neuen Stufe der Automatisierung, da Computer und Roboter zunehmend auch in der Lage sein werden, gehobene Dienstleistungen wie etwa Steuerberatung zu erledigen. Langfristig steht damit die heutige Arbeitsgesellschaft in Frage.

Auch für all das liegt wieder nahe, dass es essentiell mit dem aufkommenden Populismus verknüpft ist. Das gilt, auch wenn die fatalste Seite der Globalisierung, nämlich dass sie in globaler Perspektive den Armen teilweise wenig oder nichts nützt und zudem langfristig betrachtet die ökologischen Lebensgrundlagen in der Wachstumslogik massiv gefährdet werden, von vielen verdrängt wird. Doch beweist das Gesagte, dass Neigungen zu einfachen Wahrheiten erst durch Globalisierung und Automatisierung entstehen? Wohl kaum, denn dafür ist die Wirkung jener Prozesse zu ambivalent. Wie für den Kapitalismus allgemein, so kann auch für den globalen Freihandel wie gesagt diagnostiziert werden, dass er bis dato für die Bewohner westlicher Staaten in der Summe von Vorteil war, besonders in wirtschaftlich-sozialer Hinsicht. Es sind viele Arbeitsplätze im Export entstanden, und durch den wachsenden Gesamtwohlstand konnten auch Globalisierungsverlierer aus einfachen Fertigungstätigkeiten durch eine sukzessive Stärkung der Sozialsysteme finanziell entschädigt werden. Und die Automatisierung ist heute bei weitem noch nicht so weit fortgeschritten, wie sie dies vielleicht später wirklich sein mag. Besonders deutlich sichtbar ist das innerhalb der EU.

Erst für die Zukunft, mit immer mehr konkurrenzfähigen Ländern im globalen Süden, stellt die Entwicklung jedoch möglicherweise die gewachsene Sozialstaatlichkeit und mehr noch die Klima- und Ressourcenpolitik, so ihre globale Verankerung nicht gelingen sollte, vor gravierende Probleme. Dies betrifft nicht allein den mehrfach konstatierten steigenden persönlichen Druck auf die Menschen. Konnten die Nationalstaaten im 20. Jahrhundert durch soziale Ausgleichsmaßnahmen den Kapitalismus für die breiten Massen lebenswert machen, so könnte ihnen dieser Weg nunmehr durch einen drohenden globalen Wettlauf um die »preisgünstigsten« Standards verstellt sein. Und eine globale (Sozial-)Politikebene gibt es bisher nicht, selbst auf EU-Ebene gibt es sie kaum, anders als teilweise in der Umweltpolitik. Noch ist die wirkliche Dramatisierung dieser Situation aber eben nur bedingt gegeben. Und Diagnosen wie die, dass ein beschleunigtes – nicht nur durch die Globalisierung und Digitalisierung bedingtes – modernes Leben den Großteil der Menschen überfordere, dürften zu pauschal sein. Vielmehr verbindet sich die moderne Existenz auch mit Entfaltungsmöglichkeiten, die es menschheitsgeschichtlich so noch nie gab. Und eine fortschreitende Automatisierung bedroht zwar die Arbeitsgesellschaft und wirft grundlegende Fragen danach auf, wodurch für viele Menschen künftig noch der Tag strukturiert werden wird. Doch umgekehrt könnte weniger Arbeit durchaus auch positive Seiten haben – und bei der ganz großen Verwerfung sind wir eben noch gar nicht angekommen.

Eng...

Erscheint lt. Verlag 4.10.2017
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bundestagswahl • Demokratie • Eurokrise • Fake News • Gerechtigkeit • Medien • Nachhaltigkeit • Populismus • Verschwörungstheorien • Wahrheit
ISBN-10 3-86284-399-8 / 3862843998
ISBN-13 978-3-86284-399-2 / 9783862843992
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