Die Selbstentfaltung der Welt (eBook)

Eine Einladung, Zeit und Wirklichkeit neu zu denken und mit Komplexität anders umzugehen
eBook Download: EPUB
2020
512 Seiten
Siedler Verlag
978-3-641-20675-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Selbstentfaltung der Welt - Albrecht Müller
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Ein furioses Plädoyer für ein neues Denken, um die Komplexität unserer Welt zu meistern
Die Probleme unserer Epoche sind extrem komplex geworden, dabei hat die vorherrschende Art in Wirtschaft und Politik, Lösungen zu finden, die Probleme nur noch verschärft. Albrecht von Müller, Leiter des Parmenides Center for the Study of Thinking, zeigt, dass wir den Herausforderungen nicht nur mit technischen Mitteln begegnen können - sondern vor allem mit einer Veränderung unserer Denkweise.

Es wird schon viel darüber diskutiert, ob nur künstliche Intelligenz die zunehmende Komplexität noch bewältigen kann. Albrecht von Müller argumentiert, dass dies ein Irrweg ist, der zugleich die Idee der Menschenwürde verletzt.

Die Zunahme der Komplexität ist eine Begleiterscheinung der konstellativen Selbstentfaltung unserer Welt, die von der Entstehung der Materie über die des Lebens bis hin zum menschlichen Geist und unserer modernen Zivilisation reicht. Um Selbstentfaltung zu verstehen, brauchen wir ein grundlegend neues Verständnis von Zeit und Wirklichkeit. Von Müller verfolgt diesen Denkansatz bis hin zu konkreten Lösungsansätzen für Politik, Wirtschaft, Bildung und Medizin. Anstelle rein linear-sequentieller Sichtweisen müssen wir lernen, sich selbst entfaltende Konstellationen wahrzunehmen und zu gestalten.

Insgesamt entstehen so die Umrisse eines neuen Weltbildes, das unser Verständnis von Zeit und Wirklichkeit grundlegend verändern kann.

Albrecht von Müller, geboren 1954, promovierte über das Thema 'Zeit und Logik'. Danach arbeitete er viele Jahre als Wissenschaftler in der Max-Plack-Gesellschaft und lehrt bis heute Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ergänzend zur Forschung hat er sich immer auch für die praktische Umsetzung der Erkenntnisse interessiert und engagiert. Im Bereich der Theorie der Zeit und in Fragen der Rüstungskontrolle arbeitete er mit Carl-Friedrich von Weizsäcker zusammen und war u.a. Direktor des European Center for International Security (EUCIS). Er hat große Organisationen und verschiedene Regierungen und Persönlichkeiten beraten, darunter Nelson Mandela und Michail Gorbatschow. 2001 gründete er die Parmenides Stiftung (www.parmenides-foundation.org), deren Aufgabe die interdisziplinäre Erforschung komplexen Denkens ist.

Eine Vorbemerkung in vier Schritten

Das Verständnis von Zeit prägt unser gesamtes In-der-Welt-Sein, und es formt unseren Umgang mit der Wirklichkeit. Zugleich gibt es von der Physik bis zur Philosophie kein zweites Phänomen, das allem wissenschaftlichen Fortschritt zum Trotz so rätselhaft geblieben wäre, wie die Zeit.

Den Kern dieses Rätsels bildet das Phänomen der Gegenwart. In dem heute vorherrschenden Zeitverständnis wird die Gegenwart auf einen ausdehnungslosen Punkt reduziert, der eigentlich nur die Funktion hat, eine nicht mehr anwesende Vergangenheit von einer noch nicht anwesenden Zukunft abzugrenzen.

Die Kernthese dieses Buches ist, dass es sich hierbei um einen viel zu engen und sehr einseitigen Zeitbegriff handelt. Dieser führt zu einer Vielzahl von Folgeproblemen, die in ihrem Erscheinungsbild völlig verschieden, aber über die Einseitigkeit des ihnen zugrunde liegenden Zeitbegriffs direkt miteinander verbunden sind.

Es handelt sich dabei um wissenschaftsimmanente Probleme, wie z. B. das bisherige Scheitern aller Versuche, den fundamentalen Widerspruch in den Grundlagen der modernen Physik, d. h. die Unvereinbarkeit von allgemeiner Relativitätstheorie und Quantenphysik, zu überwinden. Dreh- und Angelpunkt sind hier zwei in ihrer fundamentalen Unterschiedlichkeit bislang noch nicht thematisierte Portraits der Zeit.

Es handelt sich aber auch um ganz pragmatische Probleme, wie den Versuch, kausal zu steuern, wo man eigentlich Prozesse der Selbstentfaltung behutsam mitgestalten müsste. Ein weiteres Beispiel ist die weit verbreitete Überbetonung von Macht, Besitz und Kontrolle. Alle drei sind Formen der Aneignung und des Festhaltens und Versuche, sich der fälschlicherweise rein als Entzug wahrgenommenen Zeit zu widersetzen. Die jüngste und gefährlichste Konsequenz dieses Irrwegs ist die Selbstgefährdungsspirale, in der sich die moderne Zivilisation derzeit verfangen hat.

Auch hinsichtlich unseres Selbstverständnisses als Menschen gibt es grundlegende Probleme, die z. B. auch in der Schwierigkeit sichtbar werden, den fundamentalen Unterschied von menschlicher Kognition und künstlicher Intelligenz zu erkennen. Der verengte Zeitbegriff verstellt uns die Erkenntnis des vielleicht wichtigsten Aspektes menschlicher Kognition: In unserem Gegenwärtig- bzw. Anwesend-Sein erlangt unser gesamtes Universum eine fundamental neue Qualität. Da wir Teil des Wirklichkeitsgeschehens unseres Universums sind, schlägt dieses in unserem Gegenwärtig- bzw. Anwesend-Sein gleichsam seine Augen auf und beginnt, seiner selbst gewahr zu werden. Diese radikal neue Qualität des Ganzen ergibt sich in jedem einzelnen Menschen – und begründet damit zugleich seine unendliche Würde.

In tragischer Weise verbaut uns der Verlust der Gegenwart auch die Wahrnehmung des concertus mundi, d. h. der sich ständig aufs Neue ergebenden Selbstentfaltung der Wirklichkeit – so wie sie sich im Zeit-Raum der Gegenwart und nur dort ergibt. Alle Erfahrung von Sinn und Schönheit wurzeln in der Wahrnehmung dieser Selbstentfaltung – die sich in und aus der Konstellation des Anwesenden heraus ereignet.

Das vorliegende Buch ist eine Einladung, das Phänomen der Zeit, unser Verständnis davon, wie sich Wirklichkeit zuträgt, sowie uns selbst und die Muster unseres Handelns noch einmal von Grund auf neu zu denken.

Die Aufgabe dieser kleinen Vorbemerkung ist es, schon einmal einen ersten Eindruck davon zu vermitteln, worum es geht und wie das Thema behandelt wird. Bei den vier Schritten geht es a) um einige der zentralen Thesen des Buches, b) um die teilweise neue Form ihrer Darstellung, c) um den Grund, warum sehr grundsätzliche philosophische Überlegungen mit praktischen Handlungsempfehlungen für die Politik verbunden werden, sowie d) um den Zusammenhang der Überlegungen mit ganz konkreten Herausforderungen der Corona-Zäsur.

I. Von tempus fugit zu tempus donat

Bislang reduzieren wir die Zeit im Wesentlichen auf ihre sequenzielle Struktur. So wird sie zum »Zahn der Zeit« bzw. zum alles zermalmenden Mahlstrom.

Zeit lässt sich jedoch auch genau umgekehrt denken und wahrnehmen. Dann wird das Phänomen der Gegenwart zum Dreh- und Angelpunkt von Zeit. Alles »ergibt sich« im Zeit-Raum der Gegenwart. Er ist gleichsam der Ballsaal, in dem das Konzert der Wirklichkeit überhaupt erst erklingen kann.

Den sequenziellen Aspekt der Zeit gibt es hier natürlich auch noch, aber eben als eine abgeleitete, als eine sekundäre Erscheinungsform von Zeit. Indem die Wirklichkeit sich – in und aus der Konstellation des im Zeit-Raum der Gegenwart Anwesenden heraus – ergibt, entstehen Fakten. Sie sind gleichsam die Spuren, die das concertus mundi auf der Leinwand der lokalen Raumzeit hinterlässt. Diese strukturierte Leinwand entsteht ihrerseits erst dadurch, dass sich Fakten auf ihr »verewigen«. Fakten aber sind gleichsam nur »die Auspuffgase«, die Hinterlassenschaften, die das eigentliche Wirklichkeitsgeschehen ständig aufs Neue hervorbringt, indem es sich vollzieht.

Der heute so sehr in den Vordergrund gerückte sequenzielle Zeitaspekt ist eigentlich nur die Schnur, auf der sich Fakten, d. h. schon vergangene Geschehnisse, wie Perlen auffädeln lassen. Indem wir die Zeit auf ihren sekundären, sequenziellen Aspekt und – Hand in Hand damit – die Wirklichkeit auf Fakten, d. h. auf ihre »Auspuffgase« reduzieren, verpassen wir das Beste: die Selbstentfaltung der Wirklichkeit im Zeit-Raum der Gegenwart.

Tempus donat. Sichtbar wird hier ein völlig anderes Bild der Zeit: Die Zeit schenkt uns das ständig neue Sich-Ereignen der Wirklichkeit, das sich im Zeit-Raum der Gegenwart als konstellative Selbstentfaltung des Anwesenden zuträgt.

Noch zwei kleine Anmerkungen zu dem erweiterten Verständnis von Zeit und Wirklichkeit, das hier nur ganz kurz und intuitiv skizziert werden soll:

(1) Es geht hierbei um etwas ganz anderes als die häufig zu hörende Empfehlung, doch bitte mehr »im Hier und Jetzt« zu leben. Bei dieser gut gemeinten Aufforderung wird die Zeit nämlich implizit immer noch – und sogar besonders intensiv – von ihrem rein sequenziellen Aspekt her gedacht.

(2) Es geht auch nicht nur um eine neue philosophische Theorie der Zeit. Erst indem wir die Zeit von Grund auf neu denken, lässt sich das grundlegendste Problem der modernen Naturwissenschaften, die Unvereinbarkeit von Quantenphysik und allgemeiner Relativitätstheorie, überwinden.

Während die relativistische Physik auf dem sequenziellen Zeitaspekt beruht, beschreibt die Quantenphysik das ursprüngliche, prä-sequenzielle (bzw. »nicht-lokale«) und damit auch prä-kausale Sich-Ereignen der Wirklichkeit. Dies höchst interessante Ergänzungsverhältnis konnten wir bislang jedoch nicht verstehen – aufgrund unseres strukturell verengten Zeitbegriffs.

Bis heute ist die moderne Physik von dem Versuch geprägt, mittels immer neuer mathematischer Tricks eine Sichtweise der jeweils anderen zu unterjochen. Entweder sollen unterhalb der quantenphysikalischen Beschreibung hidden variables eingeführt werden – und hierzu gehören auch die philosophisch gesehen abgründigen »Many Worlds«-Ansätze. Oder aber man versucht, in genau umgekehrter Stoßrichtung, die Gravitation zu quantisieren. Beide sind von vorneherein zum Scheitern verurteilte Bemühungen.

Die beiden Theorien enthalten sogar schon in ihrer heutigen Form eine Beschreibung des Übergangs in die jeweils andere »chrono-ontologische« Verfasstheit: Der Kollaps der Wellenfunktion beschreibt den Übergang aus dem ursprünglichen Modus des Sich-erst-noch-Ereignens in den faktischen Wirklichkeitsmodus bzw. in die lokale Raumzeit. Die Singularitäten der allgemeinen Relativitätstheorie beschreiben die Rückkehr aus dieser vollständig geordneten Verfasstheit von Zeit und Wirklichkeit in ihren ursprünglichen, primordialen Zustand des Sich-Ereignens. Es handelt sich dabei also um nichts anderes als um die inversen Übergänge zwischen den beiden oben skizzierten, höchst unterschiedlichen Portraits von Zeit und Wirklichkeit.

Dieses Um- und Neudenken von Zeit und Wirklichkeit betrifft dann auch die beiden anderen großen offenen Fragen der Naturwissenschaften: Was ist Leben, und wie entstehen aus ihm Bewusstsein und Selbstbewusstsein?

Aus der neuen Perspektive werden Leben und Bewusstsein als jeweils iterativ höhere Formen des ursprünglichen Sich-Ereignens von Wirklichkeit beschreibbar. Aus der Selbstentfaltung der physikalischen Wirklichkeit geht ab einer bestimmten Komplexität und als genuin neue Qualität das Phänomen des Lebendigen hervor. Hier erst zeigt sich rückwirkend, was aus Materie alles hervorgehen kann. Das Gleiche gilt dann nochmals zunächst für das Hervorgehen des Phänomens des Bewusstseins aus dem des Lebendigen – und abschließend nochmals für das Hervorgehen von Selbstwahrnehmung und der Welt des Geistigen aus dem Phänomen des Bewusstseins.

Insgesamt ergibt sich hier also so etwas wie eine Modest ToE (Theory of Everything), eine kohärente Beschreibungsmöglichkeit des gesamten Wirklichkeitsgeschehens. Dies jedoch nicht im Sinne einer abgeschlossenen, deterministischen, sondern in Form einer explizit zukunftsoffenen und konstitutiv unvollständigen Theorie. In dieser neuen Sichtweise bilden auch die teilweise Erklär- und die irreduzible Wunderbarkeit keine Gegensätze mehr. Sie vertiefen und bereichern sich vielmehr wechselseitig.

Damit aber kommen wir zurück zur Philosophie. Unmittelbar aus der...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2020
Zusatzinfo durchgehend vierfarbig
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte eBooks • Ganzheitliches Denken • Komplexität • Komplexitätsreduktion • Logik • Neues Denken • Neues Weltbild • Philosophie
ISBN-10 3-641-20675-8 / 3641206758
ISBN-13 978-3-641-20675-8 / 9783641206758
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