Zum Arbeiten verführt? - Neele Riemann

Zum Arbeiten verführt?

Entgrenzungserleben in modernen IT-Großunternehmen

(Autor)

Buch | Softcover
84 Seiten
2017
Diplomica (Verlag)
978-3-96146-524-8 (ISBN)
39,99 inkl. MwSt
Ein Sofa mitten im Büro, ein Meetingraum, in dem man sich wie auf dem Sportplatz fühlt, Flure und Pausenräume, die gemütlicher sind als so manches heimische Wohnzimmer: Es hat sich etwas verändert in der Arbeitswelt von heute. Viele Aspekte des privaten Lebensbereiches haben Einzug in die Betriebe gefunden. Begleitet wird dies von zahlreichen betrieblichen Maßnahmen wie etwa flexiblen Arbeitszeiten, weitreichenden Angeboten zur Gesundheitsförderung und betriebsinternen Angeboten, die sich positiv auf die Work-Life-Balance der Beschäftigten auswirken sollen. Diese fürsorglichen Angebote und die auffallend freiheitliche Arbeitskultur führen jedoch nicht nur zu positiven Effekten wie einer erhöhten Motivation und einem höheren arbeitsbezogenen Wohlbefinden. Vielmehr kann man die betrieblichen Work-Life-Balance-(WLB-)Angebote auch als Ausdruck einer Erosion der Grenze von Arbeit und Privatleben betrachten. Trägt diese neue "schöne" Arbeitswelt am Ende dazu bei, die Beschäftigten zu mehr Arbeit zu verführen? Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die auf den ersten Blick so mitarbeiterfreundlich wirkenden WLB-Maßnahmen das Potenzial haben, die Arbeitszeit der Beschäftigten unbemerkt zu verlängern und diese fest an das Unternehmen zu binden. Doch wie erleben die betroffenen Beschäftigten die zahlreichen betrieblichen Annehmlichkeiten?
In der vorliegenden Studie wird die schöne neue Arbeitswelt der IT-Unternehmen in Hinblick auf das subjektive Entgrenzungserleben der Beschäftigten untersucht. Hierfür sind in zwei internationalen IT-Konzernen problemzentrierte Interviews geführt worden. Ein Vergleich der Ergebnisse mit Goffmans Konzept der totalen Institution zeigt deutliche Unterschiede. Dennoch sind auch in den untersuchten Unternehmen insofern vereinnahmende Tendenzen festzustellen, als dass die zahlreichen WLB-Angebote durch eine Motivationserhöhung und ein verstärktes Verpflichtungsgefühl zu einem größeren Arbeitseinsatz und zu längeren Arbeitszeiten zu führen scheinen.

Neele Riemann wurde 1992 in Lübeck geboren und begann 2011 das Studium der Psychologie (B.Sc.) an der Universität Hamburg, in dem sie sich auf Arbeits- und Organisationspsychologie sowie klinische Psychologie fokussierte. Daran anknüpfend nahm sie das Masterstudium der Wirtschaftspsychologie an der Universität Bremen auf und bildete sich parallel dazu am Milton Erickson Institut Hamburg in hypnosystemischer Therapie weiter.
2016 absolvierte die Autorin ein Forschungspraktikum an der Universität Melbourne und entwickelte ein tiefgehendes Interesse an der sozialpsychologischen Betrachtung von "totalen Institutionen" und kultischen Gruppierungen. Für die vorliegende Studie übertrug sie diese Erkenntnisse auf die Arbeitswelt von heute und untersuchte die Effekte einer auf den ersten Blick paradiesisch anmutenden Arbeitsgestaltung, die zunehmend private und freizeitbezogene Elemente integriert, kritisch und unter Einbeziehung von qualitativen Interviews.

Textprobe:
Kapitel 4. Methodisches Vorgehen:
Das folgende Kapitel widmet sich dem methodischen Vorgehen, das für die vorliegende Forschungsarbeit gewählt wurde. Dabei sollen unter anderem die Gründe für die Wahl eines qualitativen Verfahrens geschildert und die qualitativen Gütekriterien vorgestellt werden. Des Weiteren werden der Forschungsprozess und insbesondere das Forschungsfeld genauer erläutert.
4.1. Wahl eines qualitativen Forschungsdesigns:
Die Wirkung der betrieblichen Angebote und der flexiblen, selbstbestimmten Arbeitsgestaltung ist bislang im New Business kaum vor dem Hintergrund eines Entgrenzungserlebens erforscht worden. Die vorliegende Studie soll auf diesen Forschungsbedarf eingehen, indem sie durch den direkten Kontakt mit den Betroffenen das Erleben und die relevanten Aspekte der Entgrenzung in den Arbeitsparadiesen exploriert. Diese Studie beschäftigt sich folglich nicht mit der objektiven, quantitativ gut zu erfassenden reinen Angebotsnutzung. Vielmehr liegt der Interessensschwerpunkt auf den latenten Motiven der Angebotsnutzung, dem individuellen Verhältnis von Arbeit und Privatleben sowie dem subjektiven, gefühlsbezogenen Erleben der "schönen neuen Arbeitswelt" (Huxley, 2013), welche zahlreiche Entgrenzungstendenzen aufweist. Dies lässt sich meines Erachtens nicht durch quantitative Verfahren erfassen, sondern muss im persönlichen Dialog mit den Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen ergründet werden. Insbesondere, da im Hinblick auf den aktuellen Stand der Forschung davon auszugehen ist, dass individuelle Präferenzen bei der Nutzung der Angebote und ihrer Bewertung eine große Rolle spielen und sich auch die spezifische Lebenssituation der Beschäftigten in besonderer Weise auf ihre Meinungen zu der Thematik auswirkt. Folglich handelt es sich bei der Angebotsnutzung und dem Entgrenzungserleben im Arbeitsparadies um ein äußerst komplexes Konstrukt, das sich durch einen quantitativen Ansatz nur schwer in seiner Gänze erfassen ließe.
Neben diesen der Fragestellung inhärenten Gründen ist die Entscheidung für ein qualitatives Vorgehen in dieser Studie auch aufgrund einiger erkenntnistheoretischer Probleme der quantitativen Sozialforschung getroffen worden. So werden die zum Erkenntnisgewinn führenden Fragen bei einer quantitativen Studie bereits im Vorhinein durch die Forschenden auf der Basis bisheriger Forschungsergebnisse und -theorien ausgewählt, kategorisiert und meist mit einer Skala als Antwortformat versehen. Die Items werden also deduktiv vorgegeben, das heißt, dass von allgemeinen wissenschaftlichen Grundlagen Rückschlüsse auf den Einzelfall beziehungsweise die Befragten gezogen werden. Dabei ergibt sich die Problematik, dass diese Items, die ohne Einbezug der Menschen, denen das Forschungsinteresse gilt, vorformuliert wurden, nicht unbedingt dem Relevanzsystem der "Befragten" entsprechen (Helfferich, 2011, 114 f.). Infolgedessen könnten wichtige neuartige Erkenntnisse, die in einem offenen Interview aufgedeckt würden, unter Umständen verborgen bleiben. Bei dem in dieser Studie verwendeten qualitativen Ansatz wird hingegen bewusst darauf verzichtet, die Komplexität im Vorhinein einzugrenzen. Dadurch können Hintergründe zur Nutzung der betrieblichen Angebote aufgedeckt werden und Erkenntnisse zum Verhältnis der Arbeits- und Lebenswelt der Beschäftigten gewonnen werden (Kühn, 2005, 9 f.).
Darüber hinaus kann es bei einem quantitativen Vorgehen in der Sozialforschung leicht zu unbemerkten Missverständnissen kommen, da es aufgrund der unausweichlichen Vagheit der Sprache (Garfinkel, 1980) trotz identischer Formulierungen zu unterschiedlichen Deutungen kommen kann, weil diese vor dem lebensweltlichen Hintergrund der Beteiligten erheblich variieren können. Während diese Schwierigkeit in quantitativen Verfahren verdeckt bleibt, wird sie bei einem qualitativen Verfahren offen thematisiert.
4.2. Gütekriterien der qualitativen Forschung:
Die qualitative

Erscheinungsdatum
Sprache deutsch
Maße 191 x 269 mm
Gewicht 212 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Sozialwissenschaften
Schlagworte Arbeitsparadies • Entgrenzung der Arbeit • Goffman, Erving • IT-Berufe • Mitarbeiterbindung • Moderne Arbeitsgestaltung im IT-Sektor • Totale Institution • Work-Life-Balance
ISBN-10 3-96146-524-X / 396146524X
ISBN-13 978-3-96146-524-8 / 9783961465248
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Mehr entdecken
aus dem Bereich
eine Psychiaterin spricht offen über ihre Bipolare Störung und zeigt, …

von Astrid Freisen

Buch | Softcover (2023)
Eden Books (Verlag)
18,95
warum wir fühlen, was wir sind

von Mark Solms

Buch | Hardcover (2023)
Klett-Cotta (Verlag)
35,00