Das Bienvenue: Ein Recht auf Raum für alle -

Das Bienvenue: Ein Recht auf Raum für alle (eBook)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
116 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7431-5522-0 (ISBN)
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Barbara Holub was a visiting artist in 2015/16 at the Social Design Studio. Her book gives an insight into her current work and is also documenting outcomes of the workshop 'Arriving - A Right to Space for All. New Ways of Cohabitation', which was organized by Herwig Turk and Barbara Holub at the studio in October 2015. With contributions by: the editor, Alexander Betts, Sophie Goltz, Georg Winter and: Ulduz Ahmadzadeh, Daniel Aschwanden / Conny Zenk, Brigitte Felderer / Herwig Turk, Karin Harather, Anna Misovicz / Angéla Góg, Christoph Steininger / Cosima Terrasse, Radio­projekt '50 Hz' (Miriam Hübl, Shafiq Islami, Adele Knall, Ammar Nasser, Lisa Puchner, Teresa Schwind), Stephan Trimmel

Zwei außergewöhnliche Flüchtlingsunterkünfte in Wien – ein Exkurs in die aktuelle Geschichte


Macondo

In den aktuellen politisch motivierten Flüchtlingsdebatten in Europa und durch die Konzentration auf die dringliche kurzfristige Unterbringung vieler Menschen vergessen wir Wesentliches: Wir vergessen, dass wir immer schon mit vielen Generationen von Flüchtlingen konfrontiert waren und wir vergessen, dass wir selbst Teil dieser sich wiederholenden Geschichte sind. Dieser Prozess ist nach wie vor in Wien beispielhaft sichtbar – wie in der Siedlung Macondo, am Stadtrand Wiens, zwischen Flughafen, Autobahn und Fiktion. Macondo entstand 1956 aus der Umnutzung der ehemaligen Kaserne Kaiserebersdorf für die Unterbringung von ungarischen Flüchtlingen, die im Zuge des sogenannten „Ungarnaufstands“ nach Wien gekommen waren. In den 1970er-Jahren war Macondo von Flüchtlingen aus Chile geprägt, die der Pinochet-Junta entkommen waren. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Macondo, der fiktive Ort, in dem Gabriel García Márquez seinen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ ansiedelt. Heute treffen Flüchtlinge aus aktuellen Kriegsschauplätzen in allen Teilen der Welt auf die BewohnerInnen aus mittlerweile mehreren Generationen von Ankommenden. Zurzeit leben in Macondo zwischen zweitausend und dreitausend Menschen aus 22 Ländern in mehr als fünfhundert Wohnungen.19 In den letzten Jahren haben sich KünstlerInnen und ArchitektInnen für Macondo zu interessieren begonnen. 2008/09 erforschte die Künstlergruppe Cabula6 den komplexen Mikrokosmos von Macondo und installierte u. a. einen Nachbarschaftsgarten. Das ArchitektInnenteam arquitectos verfasste eine ausführliche Studie zu Macondo. 2014 brachte die Regisseurin Sudabeh Mortezai ihren vielfach ausgezeichneten Film „Macondo“ heraus. Der Film beschreibt das Leben in Macondo und die sozialen Konflikte in der neuen Noch-nicht-Heimat aus der Perspektive eines elfjährigen tschetschenischen Buben.

Aus Macondo, das sich im 11. Bezirk am Stadtrand von Wien befindet, ist es ein weiter Weg in die Stadt. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist teuer und schränkt die Bewegungsfreiheit (und somit auch die Arbeitssuche) ein. Die BewohnerInnen Macondos leben in einer eigenen Welt, die ein spannendes Beispiel für das heterogene Zusammenleben verschiedenster Kulturen darstellt – allerdings ohne ÖsterreicherInnen. Deren Abwesenheit fällt auf, ebenso die Abwesenheit von kleinen Geschäften oder Werkstätten, obwohl es in der Siedlung genügend Freiräume gäbe, die solche Nutzungen zuließen und nach denen wir uns in einer Stadt sehnen. Es fehlt ein gesetzliches Rahmenwerk, das Eigenständigkeit und Eigeninitiativen zulässt und damit den Aufbau von Zukunftsperspektiven für Ankömmlinge und eine wechselseitige Bereicherung mit und in der Ankunftsgesellschaft fördert. Bis heute gibt es in Macondo keine öffentlichen Einrichtungen (abge­sehen von der Diakonie als sozialem Hilfsdienst und einem Nachbarschaftszentrum). Das Kardinal-König-Haus, das ehemalige Integrationshaus, 1998 vom Österreichischen Integrationsfonds errichtet, wurde 2010 unter der schwarzblauen Regierung zynischerweise in ein Schubhaftzentrum umgewandelt, das nun eingezäunt inmitten der Siedlung das sichtbare Zeichen für eine bedrohliche Abschiebung für all jene darstellt, die noch keinen Asylstatus haben.

Lageplan von Macondo mit den verschiedenen dort lebenden Nationen Grafik: arquitectos

Exkursion nach Macondo (im Rahmen des Social Design Workshops/ Oktober 2015) mit Asma Aiad (Diakonie), Claudia Heu (Cabula6), u.v.a. | Fotos: Barbara Holub

Macondo steht aber auch für eine reale Fiktion, aus deren Qualitäten wir lernen und die wir weiterentwickeln sollten, wenn wir von neuen Formen des Zusammenlebens sprechen. Beheimatet werden/beheimatet sein/sich beheimatet fühlen kann nur eine Person, der es möglich ist, auch eine berufliche Perspektive und damit eine Zukunftsvision aufzubauen. Dies gilt für Ankömmlinge wie für Beheimatete.

Flucht im Kalten Krieg – Wien als Zwischenstation

Ebenso in Simmering gelegen ist ein Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre geheim errichteter, heute immer noch kaum bekannter Zwischenort aus der Ära des Kalten Kriegs. Es lag nahe in Wien als eine der Drehscheiben zwischen Ost und West ein vorübergehendes Flüchtlingslager einzurichten, das während der „Kreisky-Ära“ jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion aufnahm, die in die USA auswandern konnten und wollten. Die Flüchtlinge wurden dort untergebracht, bis deren komplexe bürokratische Angelegenheiten als ehemalige Staatsangehörige der Sowjetunion geregelt waren. Heute zeugen vom ehemaligen Camp nur noch eine Mauer und eine Freifläche, die in den angrenzenden neuen Wohnbau quasi „integriert“ wurde. Zu den Flüchtlingen damals zählte auch die Künstlerin und Schriftstellerin Svetlana Boym. Dort war sie im Jahr 1981, wie auch ihre Künstlerkollegen Vitaly Komar und Alexander Melamid, der Ungewissheit ausgesetzt, ihr angestrebtes Exil, die USA, auch wirklich je zu erreichen. 2013, mehr als dreißig Jahre später, konnte ich mit ihr gemeinsam den Ort des ehemaligen Camps besuchen. Als längst etablierte Wissenschaftlerin brachte sie den Mut und das Interesse auf, diesem schwierigen Kapitel ihres Lebens nachzuspüren und es auch öffentlich zu machen.20 Die verbliebene Mauer war das Thema, um das unser Gespräch kreiste. An sie konnte sich Svetlana Boym nur allzu gut erinnern. Sie wusste allerdings nicht, wo in Wien sie sich eigentlich befand. Die Aufenthaltsdauer im Camp war begrenzt, die organisierte Flucht ja bei aller Geheimhaltung ein erprobtes „Geschäftsmodell“, an dessen guter Abwicklung beide Seiten, die Sowjetunion wie Österreich, interessiert waren. Der temporäre Aufenthalt blieb dennoch von einer Ungewissheit geprägt, welche die Künstlerin selbst noch so viele Jahre später ergriff, als es um die Frage ging, ihre Erfahrungen in ein Video zu übersetzen. Im Sommer 2015 wollte Svetlana Boym ihre persönliche Geschichte und jene des Camps erstmals in einer Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien öffentlich machen. Sie verstarb jedoch im August 2015, und so bleibt auch ihre Geschichte weiterhin im Verborgenen.21

Ort des ehemaligen Camps mit der noch bestehenden Mauer in der Dreherstraße, Wien 11, 2013 | Foto: Barbara Holub

Das Bienvenue – ein Quartier für alle


Performative Settings (wie der oben beschriebene Spiel/Diskussionsabend im Kunsthaus Wien) und unsere künstlerisch-urbanen Interventionen dienen einer „Recherche durch Praxis“, um so strukturelle Mittel für Architektur sowie einen prozessorientierten Urbanismus zu entwickeln. Dieser inkludiert direktes Handeln und wendet sich an ALLE: Deshalb bezeichnen wir ihn als „direkten Urbanismus“.

Das Konzept für das Bienvenue basiert auf intensiven Recherchen und unseren Erfahrungen mit Kunstprojekten und urbanen Interventionen, die wir zum Thema Migration in den letzten Jahren realisiert haben.22 Es gründet ebenso auf Entwurfsprojekten mit Studierenden der TU Wien (die nicht selten selbst als Flüchtlinge nach Wien gekommen sind) wie auf dem intensiven Austausch mit den internationalen Studierenden des Masterstudiums Social Design an der Wiener Angewandten, die kulturelle Missverständnisse und Schwierigkeiten direkt an uns zurückspiegeln und nicht zuletzt auf den direkten Erfahrungen mit Flüchtlingen in diversen Wiener Notunterkünften.23

Das Bienvenue verstehen wir als „Ort des guten Ankommens“, als „Willkommensquartier“ für Heimatlose wie Beheimatete gleichermaßen, als Ort der Begegnung, des gegenseitigen Kennenlernens, des Austauschs, des Zusammenfindens und des Zusammenlebens – als eine urbane Lebenssituation. Als Zwischennutzung, aber auch als permanenter Lebensraum für neu Angekommene sowie für längst hier Ansässige kann ein solcher Ort zum Anlass werden, aus der bis dato nicht allzu geglückten „Integrations“Politik in Österreich (bzw. in Wien) konstruktiv zu lernen. So wurde in den letzten Monaten die Frage von Werten intensiv und in aller Öffentlichkeit diskutiert. Diese Auseinandersetzung stellte sich jedoch polarisierend dar, vor allem in Hinblick auf jene kulturellen Werte, die „wir“ aufgrund neuer kultureller Einflüsse zu verlieren glauben – Einflüsse, die uns von Medien allzu pauschalisierend als „fremd“ vorgeführt werden. Diese so genannte Berichterstattung können wir jedoch als willkommenen Anlass wahrnehmen, über „unsere“ Werte nachzudenken, derer wir uns ohnehin nicht so genau bewusst sind.24 Eine „Werte“Debatte sollte in einem weiteren Kontext betrachtet werden: Welche Werte des Zusammenlebens sind uns abhanden gekommen? Das Verschwinden sozialer Qualitäten, die eine ausgewogene Gesellschaftsstruktur und die Gemeinschaft gegenüber Individualinteressen stärken, ist ein schleichender Prozess, der nicht allein Wien betrifft, das international immer noch als Vorzeigebeispiel gilt, ob das die Periode des „Roten Wien“ der 1920er-Jahre oder grundsätzlich den sozialen Wohnbau betrifft. Der soziale Wohnbau wurde mittlerweile über Bauträgerwettbewerbe für die Bedürfnisse des Mittelstands adaptiert und der letzte Gemeindebau 2004 in der Rösslergasse im 23. Bezirk errichtet. 2015 wurde durch den Wiener Bürgermeister Michael Häupl die Errichtung von Gemeindebauten wieder aufgenommen. Im „4-Säulen-Modell“, das der Beurteilung von Projekten durch den Grundstücksbeirat zugrunde...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7431-5522-2 / 3743155222
ISBN-13 978-3-7431-5522-0 / 9783743155220
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