Interdisziplinäre Konzepte: Akademisches Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften (eBook)
164 Seiten
Edition Aumann (Verlag)
978-3-95626-032-2 (ISBN)
Die Autoren und Autorinnen sind verschiedene Fachwissenschaftler.
Zum Selbstverständnis eines germanistischen Schreibdidaktikers
Andreas Hirsch-Weber, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Wer wir, die wissenschaftliches Schreiben lehren, sind, lässt sich schwer ausmachen: Auf eine heterogene Studierendenschaft stößt eine heterogene Dozierendenschaft. Das Spektrum an disziplinspezifischen Zugängen zum Thema ‚Schreiben lehren‘ scheint mir systematisch nicht erschlossen, zudem auch nicht in irgendeiner Form in einem plausiblen Zusammenhang zu stehen, der jene Personen im Ganzen abbildet, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Nun ist das im wissenschaftlichen Kontext kein wirkliches Problem. Schreiben fachspezifisch und facettenreich zu unterrichten, bedeutet ja vor allem, dass auf die sehr unterschiedlichen Belange einer Fachwissenschaft und damit auch einer interdisziplinär arbeitenden Arbeitsgruppe eingegangen werden muss. Mit anderen Worten stehen Dozent/innen für wissenschaftliches Schreiben vor der Aufgabe, in konkreten Situationen ganz individuelle Entscheidungen zu treffen – sei es über ein Kurskonzept, sei es über die Struktur eines Kooperationsprojektes oder ‚nur‘ über die Integration des eigenen Materials als ‚Mikromodul‘ in ein bestehendes Veranstaltungsportfolio. Sehr unterschiedliche Voraussetzungen vor Ort bedingen die jeweils sehr unterschiedlich ausgerichteten Angebote von Hochschule zu Hochschule, aber auch innerhalb der jeweiligen Universität. Auch das ist jedoch nicht weiter problematisch, weil bei der Einrichtung eines neuen Schreibangebotes in der Regel versucht werden muss, die gegebenen Bedingungen und Kontexte bei der Konzeption zu berücksichtigen. Eigene Ideen kompromisslos ‚durchzudrücken‘, wird hierbei kaum zu einem nachhaltigen Erfolg führen. Das hat zur Folge, dass in manchen Schreibzentren zum Beispiel die Peer-Tutorenausbildung entschieden weiter gediehen ist als an Zentren für Schlüsselqualifikationen, die vor allem über freie Lehrbeauftragte ihr Angebot abdecken. Die Finanzierung des jeweiligen Schreibangebotes schafft schließlich auch eine nicht unbedingt ungesunde Konkurrenzsituation unter den verschiedenen Standorten, insbesondere auch unter den jeweils etablierten Strukturen. Dies führt in vielen Fällen zu einer Art von Spezialisierung, die dem Austausch unter Kolleg/innen verschiedener Schreib-Einrichtungen nur dienlich sein kann, um beispielsweise spezielle Anfragen oder Aufträge an die jeweiligen Expert/innen weiterzuleiten.
Was ist aber das Problem? Es sind Tendenzen – viel mehr vielleicht nicht. Es sind Begebenheiten und Beobachtungen, die mir im Arbeitsalltag auffallen, aber auch auf Tagungen, bei Netzwerktreffen, in Gesprächen mit Kolleginnen und bei der Arbeit mit dem Material aus der Schreibforschung, die mich motivieren, mein Verständnis von der Arbeit eines Schreibdidaktikers zu formulieren: Gefestigte und strukturell gut aufgestellte Schreibzentren geben eine Marschrichtung vor. Von den Erfahrungen anderer zu lernen, ist dann die Maxime, auf die sich insbesondere ‚Schreib-Einzelkämpfer’ berufen müssen, um überhaupt ein Gefühl von professioneller Anbindung zu erhalten. Ja, es ist ganz legitim, in einer sich etablierenden Szene sich an jenen zu orientieren, die sich durchsetzen konnten und sehr oft gut begründet auch ihre Resonanz verteidigen konnten. Folgerichtig ist es dann eben auch, sich am Methodenportfolio dieser erfolgreichen Vorreiter zu bedienen, es weiterzuentwickeln und damit täglich zu arbeiten. Noch spannender wird es, wenn es darum geht, einen eigenen Beitrag zu leisten, d. h. Modelle zu diskutieren, abzulehnen oder als besonders wirksam herauszustellen. Nichts anderes machen wir auch in diesem Band: Wir wollen das Rad nicht neu erfinden. Es fällt aber auch auf, dass eine konsequente Nachahmung des sich als professionalisiert Abzeichnenden auf Grenzen stößt und auch dazu beiträgt, dass wir von Zeit zu Zeit nicht mehr wirklich wissen, was wir tun.
Ich bin Germanist an einer Technischen Universität. Nachwuchsgermanist/innen entdecken zunehmend die Schreibzentrumsarbeit als ein potentielles Arbeitsgebiet, das zwar eine vielfach prekäre, aber doch auch nicht unattraktive Perspektive bietet – zumal uns das Studium Textkompetenzen vermittelt hat, die in der alltäglichen Arbeit tatsächlich gebraucht werden. In den Natur- und Ingenieurswissenschaften Schreiben zu lehren, erfordert aber ein gewisses Selbstbewusstsein in Bezug auf diese eigenen Kompetenzen, da sich uns inhaltliche Zusammenhänge in den Texten, mit denen wir es zu tun haben, oft nicht erschließen. Als Literaturwissenschaftler liegt mir eine textbasierte Schreibberatung sehr nahe. Ich bin daher überzeugt davon, dass die Vermittlung von Schreiben an einer Technischen Universität eben den Text und nicht den Prozess in den Vordergrund der Ausbildung – zumindest von Studierenden – stellen sollte. Den Schreibprozess für eine ein- bis zweimalige Angelegenheit einzuüben, führt hingegen, so meine Beobachtung, häufig eher zu Irritationen als zu besseren Ergebnissen. Zudem sind Schreibprozesse in diesen Fächerkulturen höchst unterschiedlich. Es zeigt sich, dass bereits innerhalb eines Instituts ganz verschiedene Schreiberfahrungen gemacht werden. In der Tat hilft es also, besser verstehen zu lernen, wie Schreibbiographien dort jeweils funktionieren. Erstrebenswert ist es sicher auch, darauf hinzuarbeiten, dass in technischen Fächern der Anteil an Schreibaufgaben im Studium wächst. Dafür braucht es aber keine eigene Theorie. Wirklich ‚einmischen‘ in die Schreibsozialisation von Studierenden sollte sich die Schreibdidaktik hier daher nicht: Es gibt meist gute Gründe für ein Fach, wie es seine Schreibausbildung organisiert. Unseren Arbeitsauftrag sehe ich deshalb weniger als Didaktiker und als Teil einer Lehr-Lernforschung, sondern vielmehr als Experten/innen für das Schreiben. Denn zu den Texten, die in diesen Disziplinen geschrieben werden, können wir einiges sagen: Die Deutschkenntnisse der Studierenden der sogenannten MINT-Fächer sind – wie so oft beschrieben wurde – in vielen Fällen tatsächlich besonders lückenhaft. Auch das ist ein Argument für eine textaffine Schreibdidaktik, die sich u. a. um Text-, Gliederungs- und Satzlogik, Ausdruck, Stil oder Grammatik kümmern muss. Ziel ist es dabei immer, Texte in Kursen zu überarbeiten, zu verbessern – und zwar für den Zweck, dass wissenschaftliche Erkenntnis und wissenschaftliche Argumentation eindeutig und präzise vermittelt bzw. dargestellt werden.
Studierende erlernen in textbasierten Schreibseminaren außerdem ein Gefühl dafür, wie Wissenschaftssprache funktioniert. Sie lernen Textsorten kennen und sie lernen, mit unterschiedlichen Anforderungen an ihre Texte zurechtzukommen. Nur funktioniert die Vermittlung solcher Kompetenzen auch nicht losgelöst von den Fächern. Die Vorgehensweise, wie Quellen in Texte eingebunden werden, aber auch, wie Visualisierungen Aussagen unterstützen können, variieren bereits innerhalb einer Fachkultur. Unsere Aufgabe besteht darin, transparent zu machen, wie die Texte in den Disziplinen geschrieben werden. Genau hier liegt unsere Kernkompetenz, das ist es, was wir besser können als andere. Aufschlüsseln, wie beispielsweise Texte im jeweiligen Fach aufgebaut werden, das können in vielen Fällen auch gestandene Fachvertreter/innen nicht. Ein fachspezifisches Lehrmaterial muss das aber liefern können und dieses kann eben nur kooperativ entwickelt werden. Daher führt meines Erachtens kein Weg daran vorbei, einerseits gemeinsam mit einer Gruppe von Fachwissenschaftler/innen Lehrkonzepte und vor allem Lehrmaterial zu entwickeln, und andererseits in die Texte zu gehen: das heißt mit einem eigenen methodischen Zugang wissenschaftliche Abschlussarbeiten, Promotionen, Protokolle, Laborbücher etc. zu analysieren, um festzustellen, wie das akademische Schreiben an der eigenen Hochschule in den jeweiligen Fächern praktiziert wird. Lehrende, die glauben, das nebenher leisten zu können, unter anderem weil sie denken, der Unterschied liege vor allem darin, eine bestimmte Zitierkonvention anzuwenden, liegen m. E. falsch. Und ebenso problematisch kann es sein, insbesondere in den genannten Disziplinen, ein Angebot einzurichten, welches sich um den Text selbst kaum mehr kümmert. Naturwissenschaftler/innen arbeiten produktorientiert; das sollten auch wir tun, anstatt eigenen Vorstellungen und evaluierenden Selbstbespiegelungen nachzugehen, zumal Geisteswissenschaftler/innen das auch nicht notwendigerweise gut können: Unser Instrumentarium bedient sich in der Regel selten Methoden einer empirischen oder qualitativen Sozialforschung.
Die Schreibforschung und Schreibdidaktik ist längst noch nicht so weit, ein gutes und geeignetes Schulungsmaterial für natur- oder technikwissenschaftliche Fächer erarbeitet zu haben. Ein individualisiertes fachspezifisches Materialangebot zu schaffen, ist daher meines Erachtens als vorrangiges Ziel in der Schreibzentrumsarbeit zu betrachten. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) machen wir das in verschiedenen transdisziplinären Projekt-Teams: In diesen Teams arbeiten ca. 15-20 Personen; gemeinsam mit studentischen...
Erscheint lt. Verlag | 16.7.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik |
Technik | |
ISBN-10 | 3-95626-032-5 / 3956260325 |
ISBN-13 | 978-3-95626-032-2 / 9783956260322 |
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