Bergkameraden

Soziale Nahbeziehungen im alpinistischen Diskurs (1860-2010)

(Autor)

Buch | Softcover
333 Seiten
2016
Campus (Verlag)
978-3-593-50574-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bergkameraden - Wibke Backhaus
52,00 inkl. MwSt
Bergsteigen eignet sich für die wandelbare Projektion von Gemeinschaftssehnsüchten und für hart umkämpfte Entwürfe von Identität, die auf vielfältige Weise in den Geschlechtergegensatz verstrickt sind. Dieses Buch befragt die alpine Literatur der zurückliegenden 150 Jahre daraufhin, wie soziale Nahbeziehungen "am Berg" verhandelt wurden.
Bergsteigen eignet sich für die wandelbare Projektion von Gemeinschaftssehnsüchten und für hart umkämpfte Entwürfe von Identität, die auf vielfältige Weise in den Geschlechtergegensatz verstrickt sind. Dieses Buch befragt die alpine Literatur der zurückliegenden 150 Jahre daraufhin, wie soziale Nahbeziehungen "am Berg" verhandelt wurden.

Wibke Backhaus ist Referentin für Gleichstellung und Diversität der Hochschule Heilbronn.

Inhalt
1. Alpinismus, Freundschaft und Geschlecht: Einleitung 9
Alpinismus und Moderne 16
Freundschaft und Geschlecht 28
Diskurs und Hegemonie: Methodologische Überlegungen 38
2. "Wie das Band der Freundschaft sich fest und fester um Jene schlingt, welche gemeinsame Gefahren glücklich überstanden haben": Bergsteiger, Bergführer und der Aufstieg des Männerbunds in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 54
Homosoziale Bergsteigernetzwerke in der Mitte des 19. Jahrhunderts 57
Der Aufstieg der Führerlosen: Freundschaftsversprechen und Abenteuer 74
Autonomie und Gefahr: Der Alleingänger 86
Zwischenfazit: Von der geführten Tour zum Freundesbund 94
3. "Denn wir müssen Hand in Hand gehen, wir alle, die wir da heroben hausen": Der Erste Weltkrieg in den Alpen 97
Offiziere und Soldaten: Militärische Hierarchien und die Kameradschaftserzählung des Ersten Weltkriegs 101
Freiheit und Geborgenheit: Der Gebirgskrieg als Schauplatz autonomen Handelns 105
Zwischenfazit: Der Gebirgskrieger als neuer Prototyp alpinistischer Männlichkeit 108
4. "Und das - und tausend anderes: das heißt Kameradschaft": Bergkameradschaft als Leitbegriff des alpinistischen Diskurses der 1930er Jahre 110
Kameradschaft als Versprechen umfassender Gemeinschaft 114
Die Vergeschlechtlichung der Kameradschaftserzählung und die Geschlechterkameradschaft am Berg 133
Himalajafahrten: Koloniale Nahbeziehungen im Expeditionsbergsteigen 152
Zwischenfazit: Bergkameradschaft als flexible Chiffre des Ein- und Ausschlusses 163
5. "Es ist der Sieg aller, ein Sieg menschlicher Brüderlichkeit": Gemeinschaftsentwürfe im Nachkriegsalpinismus und den 1950er Jahren 166
Nationale Vermächtnisse und internationale Seilschaften 169
Der Einzelne und die Gruppe: De- und Remontagen des Kameradschaftsideals 184
Die Wandlungen des Kameradschaftsideals und die Stabilität der alpinistischen Geschlechterordnung 194
Zwischenfazit: Die Reformulierung der
Kameradschaftsidee 201
6. "Der Weg zum Gipfel ist wie der Weg zu sich selbst - ein Alleingang": Die gegenkulturelle Wende im Bergsport um 1980 203
Bergsteigen als Selbsterfahrungstechnik 207
Gruppendynamiken und Expeditionshierarchien: Gegenkulturelle Reflexionen der Gemeinschaft am Berg 221
Zwischenfazit: Der Bruch mit dem Kameradschaftsideal 235
7. "Ein Team waren wir nur auf dem Papier": Die Grenzen des Autonomieparadigmas in der Bergliteratur der Jahrtausendwende 238
Geld, Erfolg und Zusammenhalt: Expeditionsgruppen im geführten Himalajabergsteigen 242
Familiengeschichten vom Berg 261
Zwischenfazit: Die neue Sehnsucht nach Zusammenhalt 280
8. Abschließende Überlegungen 283
Literatur 295
Abkürzungsverzeichnis 316
Biografisches Verzeichnis 317
Danksagung 332

"Facettenreiche Darstellung und umsichtige Interpretation der sozialen Nahbeziehungen beim Bergsteigen bis in die jüngste Zeit." Jürgen Reulecke, H-Soz-Kult, 27.07.2017

»Facettenreiche Darstellung und umsichtige Interpretation der sozialen Nahbeziehungen beim Bergsteigen bis in die jüngste Zeit.« Jürgen Reulecke, H-Soz-Kult, 27.07.2017

1. Alpinismus, Freundschaft und Geschlecht: Einleitung

"Es sind nicht nur Geschichten von rauen Abenteuern in unerkundeten Gegenden, in denen Härte und Durchhaltevermögen zählen. Es sind auch Berichte voller Menschlichkeit und echter Freundschaft..." (Mundologia 2012: 40)
Berggeschichten, diese Beobachtung teilt meine Arbeit mit dem oben zi-tierten Werbetext für einenVortragsabend, handeln nicht nur vom einsa-men Kampf eines oder einer Einzelnen gegen eine unwirtliche Natur. Eng mit der Sehnsucht nach Abenteuer, Naturerlebnis und einem Ort außer-halb der 'erkundeten' Zivilisation verbunden ist die Idee einer zwischen-menschlichen Nähe, die dort und nur dort erfahren werden kann. Eine raue Natur, so die Botschaft, erfordere und bedinge eine "Menschlich-keit", die im Hochgebirge im Extrem erfahrbar werde.
Bergsteigen eignet sich offenbar auf besondere Weise für die Projektion von Gemeinschaftssehnsüchten und Entwürfe idealer Subjekti-vität. Dieser Dimension alpinistischer Selbst- und Fremddeutungen geht die vorliegende Arbeit nach. Sie befragt die alpine Literatur eines Zeitraums von circa 150 Jahren daraufhin, wie in ihr und mit ihrer Hilfe soziale Nahbeziehungen am Berg verhandelt werden und arbeitet die ver-geschlechtlichten Implikationen dieser Verhandlungen heraus. Als Material dienen mir deutschsprachige Bergbücher - oft reich bebilderte Tourenberichte, in denen Bergsteiger/innen und Alpinjournalist/innen von Reisen in die Gebirge der Welt erzählen. Historischer Ausgangspunkt der diskursanalytischen Untersuchung ist die Phase der Gründung der ersten alpinen Vereinigungen und Erstersteigungen der hohen Alpengipfel um 1860. Ausgehend von den Schilderungen dieser Alpenreisenden des 'klassischen Alpinismus' (zur Periodisierung vgl. Perfahl 1984: 74ff.) verfolge ich dann die Verhandlungen sozialer Nahbeziehungen am Berg durch das 20. Jahrhundert hindurch.
Überraschenderweise ist das Freundschaftsmotiv in wissenschaftlichen Reflexionen des Phänomens Alpinismus selten zum Gegenstand gewor-den. Das mag am unübersichtlichen Stand der Freundschaftsforschung liegen, die sich nur schwer auf gemeinsame Leitfragen, Begriffe und theo-retische Modelle festlegen lässt. Vor allem ist diese Leerstelle aber wohl in der unmittelbaren Plausibilität der alpinistischen Freundschaftserzählung selbst begründet: Erfahren die Akteur/innen in gefährlichen Situationen doch eine unmittelbare Abhängigkeit von ihren Kletterpartner/innen. Todesgefahr und Abgeschiedenheit, Knappheit von Lebensmitteln, Medi-kamenten oder Sauerstoff aber auch die Enge im Zelt und die Notwendigkeit, gemeinsame Entscheidungen zu treffen, prägen die Gemeinschaftserfahrung am Berg. Zusammenhalt und gegenseitiges Ver-trauen sind für das Gelingen der Unternehmungen unabdingbar; der Tod von Seilgefährt/innen oder Situationen, in denen das eigene Leben von der Hilfe anderer abhängig ist, gehören für diejenigen, die extreme Varianten des Bergsports betreiben, zum Erleben am Berg dazu.
Dennoch ist die Idee eines besonderen Gemeinschaftserlebens am Berg keinesfalls ein unmittelbares Ergebnis der Lebensgefahr oder des Aufenthalts in unwirtlichen Gegenden. Sie hat ihre eigene Geschichte, die mit sich wandelnden sportlichen Praxen und Veränderungen in der Zusammensetzung von Expeditionsgruppen verbunden ist; sie legitimiert, erklärt und ermöglicht diese Veränderungen. So wenig selbstverständlich wie die Annahme, dass Lebensgefahr und Entbehrungen zu harmonischer "Menschlichkeit und echter Freundschaft" führen - im Gegenteil: die Ge-schichte der Freundschaft am Berg wird sich auch als Geschichte des Erzählens und Verschweigens von Konflikten entpuppen -, so wenig selbstverständlich ist die Annahme, dass es sich hierbei um einen erzäh-lenswerten Kern des Bergerlebnisses handelt. Auf welche Weise zwischen-menschliche Nähe am Berg thematisiert oder verschwiegen wird, zwischen wem sie denkbar scheint oder sogar eingefordert wird, wie sie benannt wird, welche

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Geschichte und Geschlechter ; 67
Zusatzinfo 8 sw-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 428 g
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Sozialwissenschaften Soziologie Gender Studies
Schlagworte Alpinismus • Bergbücher • Bergsteigen • DAV • Deutscher Alpenverein • Freundschaft • Geschichte • Geschlecht • Geschlechtergeschichte • Kameradschaft • Soziale Beziehung
ISBN-10 3-593-50574-6 / 3593505746
ISBN-13 978-3-593-50574-9 / 9783593505749
Zustand Neuware
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