Die Rosenberg-Papiere (eBook)

Die Suche nach den verschollenen Tagebüchern von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg
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2016
Heyne (Verlag)
978-3-641-16443-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Rosenberg-Papiere - Robert K. Wittman, David Kinney
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Die Tagebücher des Vordenkers der NSDAP
Einst waren sie wichtiges Belastungsmaterial in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen: die Tagebücher des NS-Chefideologen und Reichsministers Alfred Rosenberg. Jahrzehntelang galt dieses Schlüsseldokument zum Verständnis des Nationalsozialismus als verschollen. Bis der Hauptarchivar des US Holocaust Memorial Museum, der hartnäckig nach den Tagebüchern forschte, erstmals einen Hinweis auf den Verbleib der Dokumente erhielt: Allem Anschein nach hatte einer der Hauptankläger der Alliierten die Rosenberg-Papiere 1946 entwendet. Erst dank der Findigkeit des FBI-Ermittlers Robert K. Wittman werden an einem Frühlingsmorgen 2013 die 425 losen Seiten in der Handschrift Alfred Rosenbergs nach Washington, D. C., überstellt. Erstmals beschreibt Wittman die Jagd nach den Tagebüchern und analysiert die Schlüsselstellen zum Holocaust und zum Vernichtungskrieg im Osten - ein zeitgeschichtlicher Thriller, ein einzigartiges historisches Dokument.

Robert Wittman, geboren 1955, war von 1988 bis 2008 verdeckter Ermittler beim FBI und gründete dort die erste Sondereinheit für Fälle von Kunstkriminalität. Im Laufe seiner Karriere konnte Wittman zahlreiche kunst- und kulturhistorisch bedeutsame Objekte ihren Eigentümern zuführen, darunter auch ein Original der amerikanischen Verfassungsurkunde Bill of Rights. Wittman ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Philadelphia, USA.

PROLOG: DAS KELLERGEWÖLBE

Hoch ragt das Kloster Banz über einer bezaubernden bayerischen Hügellandschaft auf, die so schön ist, dass man sie »Gottesgarten« nennt.

Von den Dörfern und Höfen am in der Ebene mäandernden Fluss wandern die Blicke unwillkürlich immer wieder zu Kloster Banz hinauf. Die ausladenden Steinmauern schimmern im Sonnenlicht golden, und zwei sich grazil verjüngende Türme mit kupferverkleideten Dächern erheben sich über seiner Barockkirche. Das Gebäude blickt auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurück: als Handelsposten, als befestigte Burg, die verschiedenen feindlichen Heeren standhielt, als Benediktinerkloster. Es war in Kriegen geplündert und zerstört und für die Wittelsbacher aufwendig wieder aufgebaut worden. Es hatte Könige und Herzöge beherbergt. Einmal hatte sogar Kaiser Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, den reich geschmückten Sälen die Ehre gegeben. Jetzt, im Frühjahr 1945, diente das Gemäuer als Depot des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg, der das besetzte Europa ausgeplündert hatte.

Als die Niederlage nach sechs langen Kriegsjahren nicht länger aufzuhalten war, hatten die Nationalsozialisten überall in Deutschland zahllose Akten vernichtet, bevor die Dokumente in die Hände der Alliierten fallen und gegen sie verwendet werden konnten. Doch es gab auch Bürokraten, die es nicht über sich brachten, ihre Papiere zu vernichten. Sie versteckten sie in Wäldern, Minen, Burgen und Schlössern wie diesem. Im ganzen Land stießen die Alliierten später auf riesige Geheimarchive: ausführliche interne Unterlagen, die Licht in die verworrene deutsche Bürokratie brachten, in die gnadenlose Kriegsstrategie des Militärs und in den wahnhaften Plan der Nationalsozialisten, Europa von »unerwünschten Elementen« zu säubern, endgültig und für immer.

In der zweiten Aprilwoche überrannte die 9. US-Panzerdivision der unter dem Oberbefehl von General George S. Patton stehenden 3. US-Armee die Region. Seit ihrem Rheinübergang ein paar Wochen zuvor stürmten die Männer durch den Westen des geschundenen Landes, aufgehalten nur durch zerstörte Brücken, improvisierte Straßensperren und vereinzelte Feuergefechte.1 Sie zogen an Städten vorbei, die durch alliierte Bomben dem Erdboden gleichgemacht worden waren, an hohläugigen Dorfbewohnern und Häusern, vor denen nicht mehr die Hakenkreuzfahne wehte, sondern weiße Laken und Kissenbezüge. Die Wehrmacht war praktisch verschwunden. Hitler hatte nur noch dreieinhalb Wochen zu leben.

In Banz stießen die einrückenden Amerikaner auf einen extravaganten Adligen mit Monokel und auf Hochglanz polierten Stiefeln. Kurt von Behr hatte den Krieg in Paris verbracht und dort nicht nur private Kunstsammlungen geplündert, sondern sich auch Möbel und Einrichtungsgegenstände mehrerer Zehntausend jüdischer Haushalte in Frankreich, Belgien und den Niederlanden angeeignet. Kurz vor der Befreiung von Paris flohen er und seine Frau mit dem geraubten Schatz in einem Konvoi von elf Autos und vier Umzugswagen in das bayerische Schloss Kloster Banz.2

Jetzt wollte von Behr verhandeln.

In der nahen Stadt Lichtenfels trat er an Samuel Haber, einen Offizier der Militärregierung, heran. Offenbar hatte sich von Behr an ein fürstliches Leben unter den kunstvoll ausgemalten Decken des Schlosses gewöhnt. Wenn Haber ihm die Erlaubnis gebe, dort zu bleiben, werde von Behr ihm ein Geheimversteck mit wichtigen NS-Unterlagen zeigen.3

Das begeisterte den Amerikaner. Informationen aus erster Hand waren heiß begehrt, die Kriegsverbrecherprozesse zeichneten sich ab, und so hatten die alliierten Truppen den Befehl, jedes deutsche Aktenstück, das sie aufspüren konnten, zu sichern. Pattons Armee hatte eine Aufklärungseinheit des militärischen Nachrichtendienstes G-2 mit dieser Aufgabe betraut.4 Allein im April bargen ihre Spezialteams dreißig Tonnen NS-Akten.

Angelo Cali, ein Leutnant der Einheit, fuhr also den Berg hinauf und durch die Schlosstore, um sich mit von Behr zu treffen.5 Der Nazi führte ihn fünf Stockwerke in den Berg hinein, wo versiegelt hinter einer falschen Betonmauer ein gewaltiger Schatz vertraulicher Unterlagen versteckt war. Die Akten füllten ein riesiges Kellergewölbe. Was nicht mehr hineingepasst hatte, lag aufgestapelt im Vorraum.

Nachdem er sein Geheimnis preisgegeben hatte, traf von Behr, dem offenbar klar geworden war, dass sein Schachzug ihn nicht vor den verheerenden Folgen der demütigenden Niederlage Deutschlands bewahren würde, seine Vorbereitungen, um die Bühne stilvoll zu verlassen. Er legte eine seiner extravaganten Uniformen an und begleitete seine Frau zu der Bibliothek des Klosters. Dort erhoben sie die mit französischem Champagner und Zyanid gefüllten Sektflöten und stießen auf das Ende an. »Die Episode besaß«, so schrieb eine amerikanische Korrespondentin, »all jene melodramatischen Elemente, an denen die NS-Funktionäre offenbar so großen Gefallen fanden.«

Soldaten fanden von Behr und seine Frau leblos in ihrer luxuriösen Heimstatt. Bei der Untersuchung der Todesumstände stießen sie auch auf die halb leere Flasche, die noch auf dem Tisch stand.

Das Paar hatte einen symbolträchtigen Jahrgang gewählt: 1918, das Jahr, in dem ihr geliebtes Heimatland nach dem Ende eines anderen Weltkriegs daniederlag.6

Die Papiere im Kellergewölbe gehörten Alfred Rosenberg, einem Gründungsmitglied der NSDAP, der zu Hitlers Chefideologen aufgestiegen war. Rosenberg war ein Zeuge der ersten Tage der Partei im Jahr 1919, als der Weltkriegsveteran Adolf Hitler seine ersten öffentlichen Auftritte absolvierte. 1933 war Rosenberg zur Stelle, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und begannen, ihre Feinde zu vernichten. Er stand in der Arena und kämpfte, als die Nationalsozialisten ganz Deutschland nach ihrem Bilde neu schufen. Und er war bis zum Ende da, als das Kriegsglück sich wendete und die ganze Ideologie in sich zusammenbrach.

Bei der Sichtung des riesigen Konvoluts – 250 Bände amtlicher und persönlicher Korrespondenz – stießen die Ermittler auf einen besonderen Schatz: Rosenbergs persönliche Tagebücher.

Sie füllten handschriftlich mehr als 500 Seiten, darunter einige Einträge in einem gebundenen Notizbuch, die meisten aber auf losen Blättern. Sie setzten 1934, im zweiten Jahr der Hitler-Regierung, ein und endeten ein Jahrzehnt später, ein paar Monate vor Kriegsende. Unter den führenden Größen des Dritten Reiches hinterließen nur Rosenberg, Propagandaminister Joseph Goebbels und Hans Frank, der brutale Generalgouverneur des besetzten Polen, Tagebücher. Die anderen, Hitler eingeschlossen, nahmen ihre Geheimnisse mit ins Grab. Rosenbergs Tagebücher konnten, so hoffte man, aus der Perspektive eines Mannes, der ein Vierteljahrhundert lang in den obersten Rängen der NSDAP gewirkt hatte, Licht auf die Funktionsmechanismen des Dritten Reiches werfen.

Außerhalb Deutschlands war Rosenberg nie so bekannt wie Goebbels oder Heinrich Himmler, der führende Kopf der SS, oder auch Hermann Göring, Hitlers Wirtschaftschef und Kommandeur der Luftwaffe. Rosenberg musste sich mit Zähnen und Klauen gegen diese Giganten der Nazi-Bürokratie wehren, um jene Macht zu erringen, die er seiner Meinung nach verdiente. Aber er hatte vom Anfang bis zum Ende Hitlers Unterstützung. Sie stimmten in den grundlegenden Fragen völlig überein, und Rosenberg war Hitler stets treu ergeben. Dieser vertraute ihm immer wieder führende Positionen an, was Rosenbergs weitreichenden Einfluss sicherte. Seine Rivalen in Berlin hassten ihn, doch viele Parteimitglieder sahen in Rosenberg eine der wichtigsten politischen Gestalten Deutschlands: Er galt als ein großer Denker, der bei Hitler immer ein offenes Ohr fand.

Rosenberg war, wie sich später herausstellte, an nicht wenigen besonders berüchtigten Verbrechen Nazi-Deutschlands beteiligt.

Er organisierte den Diebstahl von Kunstwerken, Archiven und Bibliotheken von Paris bis Krakau und Kiew – jenes Beutegut, das die Männer der amerikanischen Monuments, Fine Arts, and Archives Section (MFAA) später in Deutschlands Schlössern und Salzstöcken aufspüren sollten.

1920 pflanzte Rosenberg Hitler die heimtückische Idee ein, dass eine jüdische Weltverschwörung hinter der kommunistischen Revolution in Russland stecke, und wiederholte sie immer wieder. Er war der wichtigste Verfechter einer Theorie, die Hitler zwei Jahrzehnte später nutzte, um Deutschlands verheerenden Krieg gegen die Sowjetunion zu rechtfertigen. Wenige Monate bevor die deutschen Truppen in der Sowjetunion einfielen, sprach Rosenberg davon, dass der Krieg eine »säubernde biologische Weltrevolution darstellt«.7 Während des Krieges, als die deutschen Armeen die Rote Armee bis kurz vor Moskau zurückgedrängt hatten, führte Rosenberg eine Besatzungsbehörde, die die baltischen Staaten, Weißrussland und die Ukraine terrorisierte, und sein Ministerium arbeitete mit Himmlers Völkermördern zusammen, die die Juden überall im Osten zu vernichten suchten.8

Nicht zuletzt legte Rosenberg auch die ideologischen Fundamente für den Holocaust. Sein fanatischer Antisemitismus war seit 1919 das Thema zahlloser Publikationen; als Chefredakteur der Parteizeitung Völkischer Beobachter und Autor von Artikeln, Pamphleten und Büchern verbreitete er die Hassbotschaft der Partei. 1933 wurde er außerdem »Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2016
Übersetzer Werner Roller, Heike Schlatterer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Devil´s Diary. Hitler´s High Priest and The Hunt for the Lost Papers of the Third Reich
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2. Weltkrieg • Aufdeckung • Drittes Reich • eBooks • Ernst Piper • Geschichte • Goebbels • Hitler • Holocaust • Nazis • NSDAP • Nürnberger Prozess • Reichsminister • Spannung • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-641-16443-5 / 3641164435
ISBN-13 978-3-641-16443-0 / 9783641164430
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