Fortschrittsgeschichten (eBook)

Für einen guten Umgang mit Technik
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403289-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fortschrittsgeschichten -  Marcel Hänggi
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Welchen Fortschritt wollen wir? Eine neue, ebenso realistische wie kritische Wahrnehmung von Technik ist dringend gefragt: Denn die drohende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, die wir mit unserer Technik zum großen Teil selbst zu verantworten haben, zwingt uns dazu, nach einem zukunftsverträglichen Umgang mit Technik zu suchen. Der Schweizer Technikexperte Marcel Hänggi untersucht in zwölf Fortschrittsgeschichten, wie technischer Wandel zustande kommt, wie wir ihn wahrnehmen und was er der Gesellschaft bringt. Abschließend münden seine Überlegungen in der Vision einer Welt in 30 Jahren, die verantwortungsvoll mit Technik umgeht. Aus der Reihe »Entwürfe für eine Welt mit Zukunft«, herausgegeben von Harald Welzer und Klaus Wiegandt.

Marcel Hänggi hat an der Universität Zürich Geschichte studiert. Er arbeitet seit 1996 als Journalist und war unter anderem Auslandsredakteur der Weltwoche und Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung. Seit 2007 ist er freischaffender Wissenschaftsjournalist. 2007 erhielt er den Zürcher Journalistenpreis, 2017 den Conrad-Matschoß-Preis für Technikgeschichte.

Marcel Hänggi hat an der Universität Zürich Geschichte studiert. Er arbeitet seit 1996 als Journalist und war unter anderem Auslandsredakteur der Weltwoche und Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung. Seit 2007 ist er freischaffender Wissenschaftsjournalist. 2007 erhielt er den Zürcher Journalistenpreis, 2017 den Conrad-Matschoß-Preis für Technikgeschichte.

Was Hänggi uns nicht erspart, ist die Plicht zum genauen Hinschauen. ›Technik‹ findet meist in Geschichten statt – und die gilt es zu hinterfragen.

In seinem aktuellen Sachbuch erzählt der Schweizer Wissenschaftsjournalist vermeintlich bekannte Fortschrittsgeschichten […] aus erfrischend ungewohnter Perspektive.

Die Vorschläge in Hänggis Fortschrittsgeschichten haben eine gewinnende Idee des Guten vor Augen

ebenso unterhaltsamer wie lehrreicher Ausflug in die Geschichte der Technik

In sorgfältig recherchierten Beispielen bürstet Hänggi so manchen Fortschrittsmythos gegen den Strich

Das Buch ist akribisch recherchiert, sachlich geschrieben und bezieht Position

Dieses Buch macht Vergnügen.

Teil I: Dinge


1 Buch


Abb. 2 Gutenbergs 42-zeilige Bibel von 1455, Proverbia (Sprüche), Band 2. Gutenberg wollte kein Verfahren entwickeln, um Bücher billiger herzustellen. Sein Ziel war das perfekte Buch. (© Niedersächsiche Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen)

Ab ungefähr 1430 entwickelt Johannes Gutenberg zunächst in Straßburg, dann in Mainz ein Verfahren, Bücher und andere Schriften »nicht mit Hilfe von Schreibrohr, Griffel und Feder, sondern mit der wunderbaren Harmonie und dem Maß der Typen und Formen« herzustellen. 1455 ist die Technik perfekt und Gutenberg druckt sein wichtigstes Werk, die »42-zeilige Bibel«. Um 1500 haben über tausend Druckereien in mehr als 250 europäischen Städten mehr Bücher gedruckt, als es zuvor in europäischen Bibliotheken gab.[31]

»Kein Reich, keine Religion, kein Stern hatte größeren Einfluss auf die menschlichen Angelegenheiten als Buchdruck, Schießpulver und Kompass«, wird 1620 Francis Bacon in seinem Neuen Organon notieren.[32] Mussten Bücher einst mühsam von Hand kopiert werden, konnte man sie nun beliebig oft vervielfältigen. Erstmals konnten sich Leute, die nicht reich waren, Bücher oder zumindest Broschüren und Flugschriften leisten. Gläubige, die selber lasen, schüttelten die Bevormundung durch die Kirche ab. Information zirkulierte schneller und führte zur Geburt der modernen Wissenschaften. Moderne Staatsbürokratien konnten genauso entstehen wie ein staatsbürgerliches Bewusstsein ihrer Bürger. Außerdem war der Buchdruck Prototyp der Massenproduktion standardisierter Güter. Das war für die Zeitgenossen derart neu, dass 1485 in Regensburg mehrere Geistliche jedes einzelne Exemplar eines Messbuches mit der Druckvorlage verglichen, wobei sich »ergab, dass in den Buchstaben, Silben, Wörtern, Sätzen, Punkten, Abschnitten und anderem, was dazu gehört, der Druck bei allen Exemplaren und in jeder Hinsicht mit den Vorlagen (…) übereinstimmte«. Sie dankten Gott dafür.[33]

Nichts von dem Gesagten ist ganz falsch. Und doch zeichnet die Feststellung, der Buchdruck habe die Gesellschaft revolutioniert, ein falsches Bild, wenn man bei ihr stehen bleibt.

Worin bestand Gutenbergs große Leistung? Nicht in der Idee, zu drucken: Dass man in China und Korea schon lange Bücher druckte[34], dürfte Gutenberg bekannt gewesen sein. In Europa bedruckte man seit alters her Textilien und seit dem 14. Jahrhundert mit Holzschnitten auch auf das neu bekannt gewordene Papier. Das waren zwar keine Texte, sondern Bilder, aber der Schritt vom Bild- zum Schriftdruck war kein so großer und wurde bald unternommen: Ungefähr zeitgleich mit Gutenbergs Buchdruck entstand auch der sogenannte Blockdruck (Xylografie), bei dem man die Druckplatten für jeweils eine ganze Buchseite aus einem Stück Holz schnitt.

Gutenbergs Leistung[35] bestand darin, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich ein Text aus einzelnen, beweglichen Lettern aufbauen ließ. Auf die Idee, das zu tun, musste man erst einmal kommen. Ob es eine gute Idee war, könnte man bezweifeln: Sie stellte Gutenberg vor enorme technische Probleme, deren Lösung viele Jahre in Anspruch nahm und ein Vermögen verschlang.

Herzstück von Gutenbergs Technik war nicht die Druckerpresse, sondern das Verfahren zur Herstellung der Lettern. Damit ein guter Druck möglich war, mussten nämlich alle Lettern eines Satzes präzis gleich hoch und gleich tief sein. Zu diesem Zweck entwickelte Gutenberg das Handgießinstrument, eine Gussform mit auswechselbarer Rückseite. Die Rückseite war die Hohlform der zu gießenden Letter, die Matrize. Um die Matrize herzustellen, schnitt man zuerst den gewünschten Buchstaben in ein hartes Metall, den Stempel. Den schlug man wie bei der Münzprägung in ein weicheres Metall – eben die Matrize. Das Metall der Matrize musste einen höheren Schmelzpunkt aufweisen als das Metall, aus dem die Letter gegossen wurde.[36] Während alle Lettern in zwei Dimensionen exakt gleich sein mussten, variierte aber die dritte Dimension: Ein »M« ist breiter als ein »i«. Das Handgießinstrument musste in der Breite verstellbar sein. All das bedurfte einer komplexen arbeitsteiligen Organisation und bewegte sich an der Grenze dessen, was in der Metallverarbeitung damals möglich war. Der Medienhistoriker Michael Giesecke spricht von »für die damalige Zeit außerordentlich hohen technischen, psychischen und sozialen Anforderungen«, die der Buchdruck mit sich brachte.

Den großen Einfluss auf die »menschlichen Angelegenheiten«, von dem Bacon sprach, übte der Buchdruck dadurch aus, dass er erlaubte, Schrift schnell, billig und also massenhaft zu produzieren. Aber wenn das so ist: Weshalb das komplizierte Verfahren? Die Flut von Drucken, die das spätere 15. und das 16. Jahrhundert hervorbrachten, hätte sich auch im Blockdruckverfahren bewältigen lassen. Es wäre leicht zu entwickeln gewesen und in der Anwendung kaum langsamer als der Druck mit beweglichen Lettern: Der Missionar Matteo Ricci berichtete im 16. Jahrhundert aus China, dass die dortigen Graveure nicht länger brauchten, eine Blockdruck-Seite zu gravieren, als europäische Drucker brauchten, eine aus ihrem Blei zu setzen.

Auch den Druck mit beweglichen Lettern hätte man einfacher haben können. Für seine 42-zeilige Bibel schuf Gutenberg einen Satz mit 300 Typen: Jeder Buchstabe lag in mehreren Varianten vor, denn je nachdem, ob er am Wortanfang oder im Wortinneren stand, mussten Serifen abgeschliffen oder zugespitzt sein, und gewisse Buchstaben wurden mit Ligaturen verbunden oder mit Abkürzungszeichen versehen. So verlangten es die Regeln des schönen Schreibens. Weshalb setzte sich Gutenberg nicht über diese Regeln hinweg (wie es viele Drucker bald tun würden)? Weshalb entwarf er nicht kurzerhand, wie lange nach ihm die Erfinder der Schreibmaschine, eine Schrift mit fester Laufweite, was ihm die Notwendigkeit erspart hätte, ein in der Breite verstellbares Gießinstrument zu konstruieren?

Gutenberg hat keine Zeugnisse hinterlassen, aus denen hervorgeht, was ihn antrieb. Aber es lässt sich aus dem, was er tat, erschließen: Gutenberg wollte nicht billigere Bücher herstellen. Sondern bessere. Er zielte auch nicht auf massenhafte Produktion: Von seiner berühmten Bibel druckte er lediglich 180 Exemplare. Dass man Bücher mit seinem Verfahren dann eben doch auch schneller und billiger herstellen konnte als von Hand, war ein Nebeneffekt.

Gutenbergs Vorhaben befriedigte im 15. Jahrhundert offensichtlich ein vorhandenes Bedürfnis: Andernfalls hätte er kaum genügend Kapital beschaffen können und die Erfindung hätte sich nicht so schnell verbreitet. Das Bedürfnis kam daher, dass im ausgehenden Mittelalter der Schriftverkehr in Kirche, politischer Verwaltung und Wirtschaft rasch zunahm. Das weltliche Bibliothekswesen im christlichen Europa blühte zu der Zeit auf, da Gutenberg zu tüfteln begann. Doch worin genau bestand das Bedürfnis? Es hatte mit dem Bedürfnis nach mehr und schnellerer Schriftproduktion zu tun – aber es machte gewissermaßen einen Umweg über das Schönheitsideal. Weil nämlich immer mehr geschrieben wurde, arbeiteten immer mehr schlecht ausgebildete Schreiber immer schneller. Das Resultat waren Bücher und Schriftstücke, die dem hohen Ideal der damaligen Zeit nicht genügten. »Wer aber«, klagte der Schriftsteller Petrarca im 14. Jahrhundert, »soll etwas ausrichten gegen die Unwissenheit und Trägheit der Schreiberlinge, die alles verdirbt und vermischt?«[37] Er klagte nicht, Bücher seien zu teuer.

Der »Umweg« über das Schönheitsideal war entscheidend für den Weg, den Gutenberg wählte. Seine Drucktechnik brachte nicht nur eine Annäherung an ein verlorenes Ideal. Sie brachte bessere Bücher, als sie der beste Schreiber von Hand hätte schreiben können; Bücher, in denen der gleiche Buchstabe im ganzen Buch bis auf die variierenden Serifen und Ligaturen immer genau gleich aussah. Das mittelalterliche Schönheitsideal wurde noch akzentuiert in der Renaissance, die Schönheit als ausgewogene Proportion und Harmonie aller Teile begriff. Die Maschine vermochte bessere Proportionen zu erzielen als die schreibende Hand. Der Blockdruck hätte das nicht geschafft. Gutenbergs Technik war zwar nach wie vor auf Schriftkünstler angewiesen, brauchte aber nur noch wenige von ihnen: Ein Schreiber konnte Vorlagen für viele Stempelschneider herstellen, ein Stempelschneider zahlreiche Gießereien beliefern, eine Gießerei zahlreiche Druckereien und eine Druckerei zahlreiche Leser.

Ein gewisses Interesse daran, dass die Kosten nicht aus dem Ruder liefen, hatte Gutenberg schon auch: Seine Unternehmung war gewerbsmäßig aufgezogen. Er brauchte Investoren, denen er Gewinne versprechen konnte, und er brauchte erste Gewinne, die er reinvestieren konnte, um die Technik weiterzuentwickeln. Sein Opus magnum finanzierte er unter anderem mit Auftragsdrucken wie Ablassformularen für die Kirche. Aber diese »billigen« Drucke waren ihm nur Umweg zum ästhetischen Ziel.

Doch auch wenn das nicht Gutenbergs Absicht war: Als der Buchdruck erst einmal erfunden war, konnte man ihn eben auch dazu einsetzen, Schriften schnell...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Agrarrevolution • Agrarwissenschaft • Agroforstwirtschaft • Akazie • Allmende • Anästhesie • Antiutopie • Arbeitsschutzrechte • Atomausstieg • Atomprogramm • Big Data • Biologische Landwirtschaft • Bodenbiologie • Bodenleben • Brache • Brief • Bürgerkrieg • Chuxi • Computer • Computerkonsole • Concorde • Dampf • Dampfdruck • Dampfkraft • Dampfmaschine • Dollarauktion • Drachen • Drogen • einhegung • Elias Haffter • Energieform • Erfahrungswissen • Erfindung • Ertrag • esparsette • Fetthaushalt • Fortschritt • Fortschrittsgeschichte • Friedrich August von Hayek • Fruchtfliege • Fruchtfolge • Futterkraut • Gegenbegriff • Gegenkultur • Gegenwart • Hausarbeit • Haushalt • Haushaltstechnik • Humangenomprojekt • Humbug • Inhalationsanästhesie • Insolvenz • Johannes Gutenberg • Kampf • Kernkraftwerk • Klee • Klimawandel • Kohle • Kolben • Konflikt • Konzeptarbeit • Krankenhaus • Kunstdünger • Laborkurs • Lachgas • Landbau • Lebensgrundlage • Leguminosen • Magnetschlaf • Mesmerismus • Militär • Miniatur • MIT • Molekularbiologie • Mosaikstein • Narkotikum • Nationalepo • Natur • Neonlicht • Nudistengelände • Ökologie • Otto Schmid • Pachtsystem • Pflanzsaison • Robert Fogel • Roboter • Rückschritt • Sachbuch • Salonspiel • Schahname • Schmerz • Schubkarre • Schwefeläther • Séance • Seebad • Sequenzierung • Sonnenbad • Standarderzählung • Stickstoff • Stickstoffverbindung • Straßennetz • Stratosphäre • Süßklee • Taston • Technik • Technikutopie • Tempolimit • Todesfall • Überschall • Überschallflug • Überschallflugzeug • Überschallknall • Überschallprogramm • Umwelt • Unfall • Utopie • Verbrechen • Verkehr • Wachstumstheorie • Wahrnehmung • Wäsche • Waschfrau • Waschgewohnheit • Waschmaschine • Waschtechnik • Wasserkraft • Wasserspiel • Weltwoche • Wiederaufforstungsprogramm • Zukunft • Zukunftstauglichkeit
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ISBN-13 978-3-10-403289-4 / 9783104032894
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