Menschenrechte zwischen Universalität und islamischer Legitimität (eBook)

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2014 | 1. Auflage
390 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73876-4 (ISBN)

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Menschenrechte zwischen Universalität und islamischer Legitimität -  Mahmoud Bassiouni
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Menschenrechte befinden sich im zeitgenössischen islamischen Diskurs in einem normativen Spannungsfeld. Einerseits müssen sie islamisch legitimiert, das heißt im islamischen Rechtsdenken verankert werden, andererseits sollen sie aber auch universal konsensfähig sein. Mahmoud Bassiouni entwickelt in seinem bahnbrechenden Buch eine neue Möglichkeit, diese beiden Ansprüche gleichzeitig zu erfüllen, indem er Menschenrechte, angelehnt an die Theorie der islamischen Rechtszwecke (»maq?sid al-?ar??a«), als Institutionen zum Schutz grundlegender menschlicher Bedürfnisse konzipiert.

<p>Mahmoud Bassiouni ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Leibniz-Forschungsgruppe »Transnationale Gerechtigkeit« der Goethe-Universität Frankfurt.</p>

23I. Kontexte des muslimischen Menschenrechtsdiskurses


»Zu den Schwierigkeiten, die Menschen daran hindern, Wissen zu verarbeiten […], zählen die große Anzahl geschriebener Bücher, die Differenz in der verwendeten Terminologie […] und die Divergenz der verwendeten Methoden.«17

Ibn Ḫaldūn

Alle drei Hindernisse, die der bekannte arabische Sozialhistoriker Ibn Ḫaldūn im 14. Jahrhundert im Bezug auf wissenschaftliches Arbeiten und Verstehen aufzählte, erweisen sich auch heute noch als genauso problematisch für jemanden, der sich mit dem Thema »Islam und Menschenrechte« wissenschaftlich auseinandersetzen will. Unmittelbar mit den genannten Problemen hängt nämlich die Schwierigkeit zusammen, einen so differenzierten Menschenrechtsdiskurs, wie er unter Muslimen geführt wird, systematisch darzustellen. Nichtsdestotrotz weist der Diskurs immerhin einen gemeinsamen Nenner auf, nämlich die Ausgangsfrage, ob und wie die Idee der Menschenrechte mit dem Islam zu vereinbaren ist. Die Unübersichtlichkeit ergibt sich erst dann, wenn man sich den verschiedenen Versuchen zuwendet, diese Frage zu beantworten. Um trotz dieser Schwierigkeiten eine einigermaßen überschaubare Struktur herzustellen, ist es in der Literatur üblich geworden, idealtypisch etwa drei bis vier muslimische Positionen zu Menschenrechten herauszuarbeiten, um diese dann wiederum ansteigend nach ihrem Grad der Vereinbarkeit mit den Menschenrechten18 aufzuführen.19 An sich ist 24an solch einer Vorgehensweise nichts auszusetzen, jedoch wird deren Aussagekraft dadurch beeinträchtigt, dass sie die jeweiligen Rahmenbedingungen einer Aussage über die Vereinbarkeit von Islam und Menschenrechten völlig außer Acht lässt. Mit anderen Worten: Es werden erklärende Faktoren übergangen, die ausschlaggebend dafür sind, ob eine Position die Vereinbarkeit von Islam und Menschenrechten bejaht oder verneint bzw. diese positiv oder negativ bewertet. Um also zu aussagekräftigeren Ergebnissen und einem systematischen Verständnis zu kommen, bedarf es der Klärung einiger Vorfragen, die in diesem Teil des Buches in drei verschiedenen Kontexten behandelt werden sollen. Der erste zu betrachtende Kontext ist dabei der zeitgenössische Kontext, in dem beleuchtet werden soll, auf welchen Ebenen die Menschenrechtsthematik unter Muslimen diskutiert wird und in welchen Prozessen sich Muslime dabei befinden (1). In einem weiteren Schritt soll versucht werden, die grundlegende Dynamik des zeitgenössischen muslimischen Menschenrechtsdiskurses in einem historischen Kontext zu verorten (2). Es soll dabei verdeutlicht werden, dass die Debatte über die Vereinbarkeit von Islam und Menschenrechten kein neues Phänomen darstellt, sondern im weiteren Sinne an eine ältere Debatte anschließt, die Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts geführt wurde. Ausgangspunkt dieser Debatte war die Frage, ob der Islam mit der Moderne zu vereinbaren sei oder nicht. Wie man aus der gemeinsamen Frage der »Vereinbarkeit« heraushören kann, handelt es sich sowohl bei der Debatte um die Menschenrechte als auch bei der über das etwas vagere Konzept der Moderne stets um die in Frage gestellte Fähigkeit der Muslime, fremde Ideen – oder differenzierter ausgedrückt, ihnen als fremd entgegentretende Ideen – kulturell zu verarbeiten. Dieser kulturelle Verarbeitungsprozess findet dabei meistens im Rahmen eines theologischen Kontextes statt, auf den in einer etwas längeren Ausführung eingegangen werden soll (3). Die Relevanz des theologischen Kontexts ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass sich Unterschiede und Wiedersprüche in der Beurteilung der Menschenrechte sowohl aus einem unter25schiedlichen Verständnis der islamischen Tradition als auch aus einer unterschiedlichen Beurteilung der Rechtsfindung ergeben. Dementsprechend bedarf es einer Darstellung der verschiedenen Auffassungen bzw. Konzeptionen des islamischen Rechts, um bei der Rekonstruktion des Menschenrechtsdiskurses, die im zweiten Teil des Buches erfolgen soll, die diversen muslimischen Positionen anhand ihres Umgangs mit dem islamischen Recht zu systematisieren.

1. Der zeitgenössische Kontext


Bereits in der Einleitung wurde festgestellt, dass die Auseinandersetzung mit dem Islam überwiegend im Rahmen eines politischen Identitätsdiskurses erfolgt. Betrachtet man speziell die Debatte über Islam und Menschenrechte, so lassen sich drei spezifische Prozesse identifizieren, in denen muslimische Menschenrechtsäußerungen vorwiegend artikuliert werden. Muslimische Positionen gliedern sich erstens in die internationale Debatte über Menschenrechte ein. Zweitens äußern Muslime ihre Position als Kritik an der westlichen Menschenrechtspolitik. Schließlich sind muslimische Argumente als Reaktion auf westliche Kritik wahrzunehmen. Wir wollen im Folgenden lediglich auf diese Prozesse aufmerksam machen, um in der Rekonstruktion des muslimischen Menschenrechtsdiskurses die verschiedenen Aussagen kohärent einordnen zu können. Der Leser sollte dabei immer im Auge behalten, dass, wenn von »Muslimen« oder »islamischen Staaten« die Rede ist, damit kein unmittelbarer Bezug zur religiös-philosophischen Ebene des »Islams« hergestellt ist. Denn die Debatte über die Vereinbarkeit von Islam und Menschenrechten findet auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Auf theoretischer Ebene beschäftigt sich die Debatte mit der Frage, ob der Islam in seiner religiös-philosophischen Dimension mit den Menschenrechten vereinbar ist. Auf der praktischen Ebene wird die Geltung, Gewährung oder Verletzung von Menschenrechten in so genannten islamischen Staaten thematisiert. Dass letztere Ebene ebenfalls unter dem Titel »Islam« und Menschenrechte behandelt wird, verdankt sich der irrtümlichen Neigung, die Politik der arabischen bzw. islamischen Welt auf das Spiel 26geschichtsübergreifender Kräfte, in diesem Falle also den Islam, zurückzuführen.20

1.1. Muslime als Teil der internationalen Menschenrechtsdebatte


Islamisch geprägte Länder nehmen in der internationalen Debatte über Menschenrechte im Rahmen der Vereinten Nationen einen sowohl generellen als auch spezifischen Standpunkt ein. Auf genereller Ebene werden Ansichten artikuliert, die von anderen nichtwestlichen Ländern geteilt werden. Diese beziehen sich beispielsweise auf Themen wie wirtschaftliche Rechte, Dekolonisation, internationale Gerechtigkeit und kulturelle Souveränität. Andererseits definieren sie Aspekte, die einen spezifisch religiösen, in diesem Fall also islamischen Charakter besitzen. Letztere bilden jedoch, wie Halliday notiert, im Rahmen der internationalen Debatte eine Minderheit: »[A]rgumente, die am häufigsten zu hören sind, haben wenig mit Religion oder Kultur zu tun [, sondern] […] beziehen sich auf solche Argumente, die man in der gesamten dritten Welt hört, über Umverteilung des Reichtums, Gerechtigkeit im internationalen Handel und so weiter«.21 Dementsprechend zeigt eine quantitative Auswertung des Ratifizierungsverhaltens im Rahmen der Vereinten Nationen, dass Mitglieder der Organisation Islamischer Staaten (OIC) kein anderes Ratifizierungsverhalten an den Tag legen als die übrigen UN-Mitgliedsstaaten.

Die Abbildung verdeutlicht, dass islamisch geprägte Staaten keine spezifische Position im Ratifizierungsverhalten einnehmen. Lediglich die Fakultativprotokolle zum Zivilpakt (ICCPR) und zur Frauenrechtskonvention (CEDAW)22 sind im Verhältnis von weni27ger OIC-Mitgliedsstaaten ratifiziert worden. Da wir uns in dieser Arbeit nicht mit der praktischen Geltungsfrage der Menschenrechte in islamisch geprägten Staaten beschäftigen können, sei diesbezüglich lediglich auf weitere Studien verwiesen.23

Abbildung 1: Ratifizierungsverhalten von UN- und OIC-Mitgliederstaaten (in Prozent).24

281.2. Kritik an der westlichen Menschenrechtspolitik


»Warum sollten wir Menschenrechtserklärungen annehmen, die von denjenigen Mächten formuliert sind, die unsere Länder kolonisiert und ausgeplündert haben?«25 »Wieso beseitigte die CIA 1953 eine demokratisch gewählte Regierung in Iran? Wieso griff der Westen erst so spät im Kosovo ein? Wieso diese vollkommen einseitige Parteinahme für Israel? Wieso 1993 der Putsch in Algerien im Anschluss an demokratische Wahlen? Wieso Tschetschenien? Wieso die Unterstützung der Taliban oder Saddam Husseins im Krieg mit Iran? Und was ist jetzt mit dem Irak? […] Hat nicht auch Israel seit 1967 keine einzige UN-Resolution umgesetzt?«26 Die Palette solcher und ähnlicher Vorwürfe könnte Seiten füllen. Es sind Vorwürfe dieser Art, die den schwerwiegendsten Einwand gegen die vorbehaltlose Akzeptanz der Menschenrechte in muslimischen Gesellschaften darstellen. Huntington macht auf diese Tatsache aufmerksam, wenn er sagt: »Nichtwestler zögern nicht, auf die Unterschiede zwischen westlichen Prinzipien und westlicher Praxis zu verweisen. Heuchelei, Doppelmoral und ein allfälliges ›aber nicht‹ sind der Preis universalistischer Anmaßungen. Die Demokratie wird gelobt, aber nicht, wenn sie Fundamentalisten an die Macht bringt; die Nichtweitergabe von Kernwaffen wird für den Iran und den Irak gepredigt, aber nicht für Israel […]. Doppelmoral in der Praxis ist der unvermeidliche Preis für universalistische Prinzipien.«27 Dabei sei zu beobachten, dass sich die Vorbehalte vieler Menschen in islamisch geprägten Ländern damit nicht gegen die Menschenrechte oder deren Beachtung an...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Legitimität • Menschenrechte • Rechte • STW 2114 • STW2114 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2114
ISBN-10 3-518-73876-3 / 3518738763
ISBN-13 978-3-518-73876-4 / 9783518738764
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