Berlin - Wiedergeburt einer Stadt (eBook)

Mauerfall, Ringen um die Hauptstadt, Aufstieg zur Metropole
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
440 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-8387-5884-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Berlin - Wiedergeburt einer Stadt -  Hermann Rudolph
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Eine denkbar knappe Entscheidung macht Berlin 1991 zur Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Doch es ist ein langer Weg, bis aus der geteilten Stadt die Metropole wird, die sie heute ist. Wer erinnert sich noch an den Regierungsumzug, den Neubau des Regierungsviertels, den Umbau des Reichstagsgebäudes oder an die Debatte um dessen später weltweit gefeierte Verhüllung durch Christo und Jean-Claude? Wer weiß noch, in welch desaströsem Zustand die Stadt nach dem Mauerfall war? Heute ist Berlin ein Magnet für Touristen und Kreative aus aller Welt. All das verdankt die Metropole dem Engagement vieler Einzelner. Hermann Rudolph zeichnet das Ringen um den Wiederaufstieg Berlins mit faszinierendem Sachwissen nach. Eine einzigartige Geschichte von Umbruch und Aufbruch einer Stadt.

KAPITEL I


Der Fall der Mauer
Oder: Wie Zufälle Geschichte machen

Le Figaro: Sie haben Gott für den 9. November gedankt.
Glauben Sie, dass Er wollte, was passiert ist?
Willy Brandt: Ganz gleich, welchen Rahmen man
ihm gibt: Ja, er wollte es.

INTERVIEW VOM 8. FEBRUAR 19902

Die längste Nacht Berlins


Am Anfang steht das Ereignis, das ohne Vergleiche ist: der Fall der Mauer. Doch im Unterschied zur Hauptstadtentscheidung, die in deutschen Händen lag, sind es die Kräfte der europäischen Geschichte, ja, der Epoche, die dabei tätig sind. Zwar kann man lange darüber streiten, welche Entwicklungen welche Geschehnisse erzeugten. Doch es liegt auf der Hand, dass der Fall der Mauer – der DDR-Staatschef Erich Honecker hatte ihren Bestand auf hundert Jahre veranschlagt – in der Falllinie der Bewegung liegt, die die Verhältnisse in Osteuropa wie in der Welt insgesamt ergriffen hatte. Vieles musste geschehen, damit es zum 9. November 1989 kommen konnte: Der Ost-West-Konflikt musste sich entspannen, Michail Gorbatschow in der Sowjetunion ans Ruder kommen, die Unzufriedenheit mit der kommunistischen Herrschaft überall im Ostblock wachsen und oppositionellen Strömungen Rückhalt geben, bis schließlich die Solidarnoćś in Polen den Stein ins Rollen brachte. Und doch bleibt es mirakulös, weshalb sich der Kick des Wandels an diesem Abend ereignete: Der historische Augenblick hat seine eigene Geschichte.

Gehört die Öffnung der Mauer deshalb zu den Ereignissen, bei denen auch diejenigen, die sie erleben, geraume Zeit brauchen, bis sie begreifen, was geschieht? Sie kam wie der Dieb in der Nacht, sie war – nach allem, was wir wissen – weder geplant noch gewollt, sondern die unverhoffte Konsequenz konfuser Entscheidungen. Und sie vollzog sich als Sturzgeburt der Geschichte: Zwischen der Frage eines italienischen Korrespondenten auf einer Pressekonferenz, mit der alles begann, und dem Entschluss eines Grenzpolizisten, die Schlagbäume zu öffnen, liegen nur wenige Stunden. Sie sind auf die Minute festgehalten: 18 . 35 Uhr wird die Frage gestellt, auf die der ZK-Sekretär Schabowski die merkwürdig verschlungene Antwort gibt, die schließlich wie eine Bombe wirkte, 23 . 20 Uhr kapitulierte an der Bornholmer Brücke, einem Grenzübergang im Berliner Norden, der leitende Offizier mit den Worten »Wir fluten jetzt« vor den Tausenden, die den Übergang faktisch einzudrücken drohten.3

Wie die Vorgänge am Abend des 9. November zum Ereignis wurden, ist mittlerweile bis in die Einzelheiten hinein erforscht (vor allem von dem Zeithistoriker Hans-Hermann Hertle4). Alles in allem genommen war es die Folge von Missverständnissen innerhalb des engsten Kreises der SED-Führung, in denen sich allerdings die Verstörung und die Panik niederschlugen, die die friedliche Revolution und die Woge der Ausreisen in der herrschenden Klasse der DDR ausgelöst hatten. Gegen das Reisegesetz, mit dem SED und DDR-Regierung auf den Druck im Lande reagierten, wurde noch am gleichen Tage – einem Montag, seit Wochen der Tag der friedlichen Proteste – in über vierzig Städten demonstriert, mit Forderungen, die an den Nerv der DDR rührten. Die Verordnung, die die SED-Führung im Eiltempo auf den Weg brachte, um den Druck zu verringern, versprach den DDR-Bürgern als Übergangslösung freie Reisen in den Westen; sie sollte am Tag darauf in Kraft treten. Dann folgte der Auftritt des erst seit Kurzem für die Medien zuständigen ZK-Sekretärs Günter Schabowski in der historisch gewordenen Pressekonferenz am späten Nachmittag des 9. November. Unsicher über die Einzelheiten der Regelungen, veranlasste ihn die Frage nach ihrem Inkrafttreten zu der stotternden, vom ratsuchenden Blättern in seinen Papieren begleiteten Auskunft: »… nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich.«

Hat je eine Fehlinterpretation solche Wirkungen gehabt? Obwohl zunächst kaum jemandem wirklich klar ist, was Schabowski meint, elektrisiert der Halbsatz die Nachrichtenjournalisten. Nach wenigen Minuten gehen die ersten, mit Eilvermerken versehenen Meldungen heraus. Da die Pressekonferenz vom DDR-Fernsehen übertragen wird, erreicht die Szene mit dem hilflosen Schabowski im voll besetzten Saal des Pressezentrums eine breitere Öffentlichkeit. Überall löst sie – bei anhaltendem Rätseln – teils ungläubiges Staunen, teils sprachlose Überraschung aus. Die Fernsehanstalten verbreiten sie postwendend in ihren Abendnachrichten: erst, um 19 Uhr, die ZDF-»Heute«-Sendung, eine halbe Stunde später die »Aktuelle Kamera« der DDR, dann zum »Tagesschau«-Termin um 20 Uhr die ARD. Zu diesem Zeitpunkt ist die Wirkungsgeschichte der Verlautbarung, eine beispiellose Kettenreaktion von sich jagenden Meldungen und Gerüchten, bereits in vollem Gange. Die beabsichtigte Erleichterung der Ausreise ist zur Grenzöffnung geworden, die sich in die Sensation verwandelt, die DDR öffne die Mauer. Der explosive Vorgang zeigt, wie entzündbar die Lage in der DDR geworden ist. Die medial verbreitete »Fiktion« der Maueröffnung – um mehr handelt es sich bis dahin noch nicht  5 rührt aber auch an die heikelste Stelle des DDR-Systems: die Verweigerung der Freizügigkeit, mit der es seine Bürger über die Jahrzehnte hin verletzt und gedemütigt hatte. Dies begreifend, vielleicht auch nur erahnend, riskiert es der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper – Schabowskis Erklärung ist gerade eine halbe Stunde alt  , dem Vorgang den historischen Stempel aufzudrücken: Dies sei »ein Tag, den wir uns lange ersehnt haben, seit 28 Jahren«6 – seit dem die Stadt trennenden Bau der Mauer 1961. Die »Tagesschau« stellt die Nachricht um 20 Uhr schon unter die Schlagzeile »DDR öffnet Grenze«. Wenig später wird Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich zu einem Staatsbesuch in Warschau aufhält, die Nachricht überbracht. Noch am Abend erlebt das politische Bonn, dass ein überwältigter Bundestag die Nationalhymne anstimmt.

Dabei hat sich bis dahin nur eine überschaubare Zahl von Menschen an den Grenzübergängen eingefunden, sei es, um die Probe auf den Gehalt der Schabowski-Erklärung zu machen, sei es einfach aus Neugierde. Doch je weiter die Nachricht ihre Kreise zieht, desto stärker schwillt der Strom der Ostberliner an und wächst an den Grenzübergängen zu einer brodelnden, die Abfertigungsanlagen bedrängenden Menge heran. Zum Brennpunkt dieses sich dynamisch selbst verstärkenden Vorgangs wird der Übergang Bornholmer Straße im Berliner Norden, in unmittelbarer Nähe des dicht bewohnten Stadtbezirks Prenzlauer Berg. Schließlich entlädt sich die Erregung der auf Tausende angewachsenen Menge in dem Ruf: »Tor auf! Tor auf!« und drückt derart bedrohlich auf die Absicherungen, dass die Grenzsoldaten resignieren und um 22 . 30 Uhr den Übergang öffnen. Nur Minuten später, um 22 . 42 Uhr, erklärt Hanns-Joachim Friedrich im ARD-Fernsehen zu Beginn der von ihm moderierten Tagesthemen, die DDR habe mitgeteilt, »dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen«. Das Markenzeichen des deutschen Fernsehjournalismus und die bekannteste Nachrichtensendung drücken dem Vorgang das bestätigende Siegel auf.

Im Rückblick verschlägt einem Friedrichs Erklärung schier die Sprache, so deutlich greift sie dem Gang der Dinge voraus. Zu diesem Zeitpunkt ist der Übergang Bornholmer Straße noch der einzige, der geöffnet worden ist. Auch der die Fernsehnachrichten illustrierende kurze Film kann noch keine geöffnete Grenze zeigen, sondern nur einen Reporter, dem Westberliner Passanten von einem Paar berichten, das an der Bornholmer Straße die Grenze überquert habe und in Tränen aufgelöst auf sie zugelaufen sei.7 Friedrichs Formulierung verpasst der Situation ein vorauseilendes Profil – und gibt ihr damit zugleich die Bedeutung, die Geschichte machte. Tatsächlich geben die Grenzpolizisten binnen Kurzem an den anderen Übergängen dem Druck nach. Eine Stunde später, um Mitternacht, sind alle Berliner Grenzübergänge zwischen Ost und West geöffnet. Danach beginnt die Besetzung der Mauer am Brandenburger Tor, mit der ihre Öffnung zum historischen Datum wird, in faszinierenden Bildern festgehalten für alle Zeiten. In den frühen Morgenstunden des 10. November kulminiert das Geschehen dann in West-Berlin, auf dem Kurfürstendamm und seinen Nebenstraßen – eine überwältigende ost-westliche Verbrüderung, mit der die Nacht neben den Jubelszenen auf der Mauer am Brandenburger Tor ihren Höhepunkt erreicht.

Aber auch die DDR-Obrigkeit hat ihren gar nicht zu überschätzenden Anteil an dem Ereignis dieser Nacht. Allerdings besteht er weniger darin, dass die Grenzsoldaten und ihre Offiziere – worauf die DDR-Repräsentanten mit Vorliebe hinweisen – auf Repressionen verzichten und schließlich dem Gang der Dinge ihren Lauf lassen. Die Mitwirkung der DDR an dem historischen Ereignis besteht in ihrer Unfähigkeit, auf die Ereignisse an der Mauer und in West-Berlin zu reagieren – ein spektakulärer Fall von Handeln durch Unterlassen. Dabei ist es eine offene Frage,...

Erscheint lt. Verlag 8.10.2014
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Original-Titel Berlin - Wiedergeburt einer Stadt
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Architektur • Berlin • Bernauer Straße • Checkpoint Charlie • Deutschland • Entwicklung • Erzählung • Funkturm • Gegenwart • Gerhard Schröder • Geschichte • Geschichte; 20. - 21. Jahrhundert; Deutschland; Kulturgeschichte • Geschichte allgemein • Geschichtspolitik • Gesellschaft • Geteiltes Deutschland • Hauptstadt • Hauptstadtdebatte • Hauptstadtfrage • Helmut Kohl • Historie • Historisches • Kanzleramt • Kulturgeschichte • Kuppel • Mauerfall • Museumsinsel • Museumsquartier • Ostberlin • Potsdamer Platz • Regierung • Reichstag • Reiseführer Berlin • Sachbuch • Sachbücher • Sehenswürdigkeiten • Sir Norman Forster • Überlieferung • Unterhaltung • Vergangenheit • Weltgeschichte • Wende • Westberlin • Wiedervereinigung • zeitepochen
ISBN-10 3-8387-5884-6 / 3838758846
ISBN-13 978-3-8387-5884-8 / 9783838758848
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