Literatur kompakt: Arthur Schnitzler (eBook)

Gunter E. Grimm (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
240 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-5711-7 (ISBN)

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Literatur kompakt: Arthur Schnitzler -  Corinna Schlicht
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Arthur Schnitzler - einer der wichtigsten Autoren der Wiener Moderne. Corinna Schlicht legt mit diesem Literatur kompakt-Band einen differenzierten Überblick über Schnitzlers breites, literarisches Schaffen vor. Sie steckt den literarhistorischen und kulturgeschichtlichen Horizont ab, vor dem Schnitzlers Arbeiten entstanden sind. Zudem werden auch wesentliche biografische Ereignisse beleuchtet. Anhand von Einzelanalysen zentraler Prosa- und Dramentexte zeigt der Band sowohl gestalterische Besonderheiten als auch die Themen auf, die den Wiener Autor seit seinen literarischen Anfängen in besonderem Maße beschäftigen: Sexualität, Psychologie, Kommunikation und Antisemitismus. Vor allem Schnitzlers kritische Haltung zur Ehe steht im Zentrum seiner Werke. Seine psychologischen Reflexionen über menschliche Sexualität und ihre kulturelle Bewertung werden ebenso aufgezeigt wie seine literarische Hinterfragung geltender Geschlechterbilder, die mit der Kritik bürgerlicher Konventionen verbunden ist. Schnitzlers Texte beleuchten vor allem die Innenwelten der Figuren, wodurch verborgene Einstellungen, Wünsche und Ängste zu Tage treten, die das kulturelle Klima ihrer Entstehungszeit offenlegen. Dazu gehört vor allem die Bildung von Vorurteilen, sei es gegenüber Juden oder gegenüber weiblichen Emanzipationsversuchen. Schnitzler erweist sich mit seinen kritischen Reflexionen bürgerlicher Lebenskonzepte als kluger Diagnostiker seiner Zeit. Darüber hinaus macht der Band deutlich, wie aktuell seine psychologischen Analysen menschlichen Verhaltens sind.

Corinna Schlicht ist Studienrätin im Hochschuldienst an der Universität Duisburg-Essen. Sie hat Germanistik und Philosophie studiert. Seit 1997 Lehr- und Forschungstätigkeiten an verschiedenen Universitäten, 2003 Dissertation über die pragerdeutsche Schriftstellerin Lenka Reinerová. Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Literarische Moderne, Gegenwartsliteratur und Gender Studies.

Corinna Schlicht ist Studienrätin im Hochschuldienst an der Universität Duisburg-Essen. Sie hat Germanistik und Philosophie studiert. Seit 1997 Lehr- und Forschungstätigkeiten an verschiedenen Universitäten, 2003 Dissertation über die pragerdeutsche Schriftstellerin Lenka Reinerová. Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Literarische Moderne, Gegenwartsliteratur und Gender Studies.

I. Schnitzler – Schriftsteller der Décadence

Über der Zeit stehn –; nicht ‚mit ihr gehn‘ […], – ist meine Sache.

Arthur Schnitzler in einem Brief
an Olga Schnitzler vom 22.7.1928

Schnitzlers Aktualität

In seinem Buch Schnitzler’s Century hat der Kulturhistoriker Peter Gay die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert nachgezeichnet und diese Epoche zum Zeitalter des Doktors Arthur Schnitzler – so der deutsche Titel – erklärt. Schnitzler gilt Gay allerdings nicht als Paradebeispiel eines Bürgerlichen, sondern vielmehr als genauer Beobachter und Analytiker seiner Zeit. Betrachtet man nämlich seine Novellen, Erzählungen, Romane, Einakter und Schauspiele unter einer kulturhistorischen Perspektive, so lesen sie sich als milieugetreue und scharfsinnige Zeitdokumente. Sie schildern eine Epoche, die unter den Schlagworten Décadence und Fin de Siècle als eine Zeit des Umbruchs, des Niedergangs gar, gekennzeichnet wird.

Ein Blick in Schnitzlers Biografie macht die vielfältigen politischen, kulturellen und persönlichen Umbrüche deutlich, die sein Werk begleitet haben: Schnitzler wächst als Jude in der österreichischen Doppelmonarchie auf, er erlebt den Untergang des Kaiserreiches, bekommt die Ressentiments gegenüber seiner religiösen Abstammung zu spüren, verfolgt als Mediziner die Entdeckung der menschlichen Psyche, durchlebt als heterosexueller Mann zahlreiche Liebesbeziehungen, kann das bürgerliche Gebot von Monogamie nicht leben, heiratet, lässt sich scheiden, steht mit Literaten seiner Zeit in engem Kontakt, gehört dem Avantgarde-Zirkel des Jung Wiens an, feiert Theatererfolge, erhält Auszeichnungen und Anerkennung, eckt mit seiner Literatur an, entfacht mit ihr Skandale und juristische Konflikte, wird Zeuge zahlreicher politischer Umbrüche, die im Ersten Weltkrieg sowie in der Gründung der Ersten Republik münden, lebt und stirbt in der Großstadt Wien. Ohne einer biografischen Lektürehaltung das Wort reden zu wollen, geht es bei dieser Aufzählung vielmehr um die Themen, Motive und Diskurse, die sich in Schnitzlers Texten verarbeitet und reflektiert finden. Man könnte es auf die Formel bringen: Schnitzler zu lesen, heißt, das kulturelle Klima Europas um 1900 kennenzulernen. Doch ist der Epochenumbruch um 1900 aus heutiger Sicht nicht nur von historischem Interesse. Die literarische Moderne, zu deren prominentesten Vertretern Arthur Schnitzler gehört, bildet kulturelle Erzählmuster, sogenannte Narrative, und Gestaltungsverfahren heraus und widmet sich Themenkomplexen, die bis in das Jetzt hinein wirken.

Kontinuitäten

Schnitzlers literarische Gesellschaftsanalysen zeichnen nicht nur ein detailliertes und kritisches Bild des Wiens der Jahrhundertwende. Es zeigt sich, dass sie über ihre Zeitverbundenheit hinaus die Menschen in ihren bis heute vorfindlichen psycho-sozialen Strukturen porträtieren. Mit seiner Themenwahl, seinen psychologischen Studien und Sprachreflexionen widmet er sich den grundlegenden Voraussetzungen, die auch für unsere heutige Gesellschaftsstruktur noch Gültigkeit besitzen. Denn durch seine Doppelexistenz als praktizierender Arzt und Schriftsteller »erwuchs Schnitzler ein Thema, das sein gesamtes Werk durchzieht: das Problem der menschlichen Beziehungen« (Janik/Toulmin 1998, S. 75), dadurch wird er zum Analytiker des abendländischen Menschen und seiner Lebensbedingungen in einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Schnitzlers psychologische Tiefenschau sieht den Menschen als soziales Triebwesen. Dies zeigt sich an seinen literarischen Figuren, die zwischen natürlichen Bedürfnissen und kulturellen Anforderungen aufgerieben werden. Vor allem ihr problematisches Verhältnis zur Sexualität bestimmt ihre schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Theodor Zasche: Hofball im Redoutensaal, Anfang 20. Jhdt.

Dass Schnitzlers Sicht auf den Menschen durchaus aktuell ist, dokumentiert die Neuverfilmung seiner Traumnovelle durch Stanley Kubrick im Jahr 1999. Kubricks Film Eyes Wide Shut versetzt das Wiener Ehedrama aus dem frühen 20. Jahrhundert in das New York der Jahrtausendwende. Damit wählt er für sein Werk eine Umbruchstimmung, die derjenigen des Fin de Siècle um 1900 nicht unähnlich ist. Kubrick arbeitet äußerst textnah und macht deutlich, wie gut Schnitzlers Novelle noch 70 Jahre später funktioniert. Die in ihr entfalteten Probleme von Monogamie, Eifersucht, verborgenen Sehnsüchten und den Ernüchterungen angesichts eines eher prosaischen Alltagslebens erweisen sich als zeit- und ortlos: Ob 1900 oder 2000, ob Wien oder New York, zumindest für den westlichen Kulturkreis erzählen und gestalten Novelle und Film grundlegende Topoi des bürgerlichen Selbstverständnisses.

Das Subjekt in der Krise: Moderne – Postmoderne

Sinnkrisen der Moderne

Zusammen mit Künstlern wie Gustav Klimt oder Egon Schiele sowie Schriftstellern wie beispielsweise Hugo von Hofmannsthal und Robert Musil gilt Schnitzler als Vertreter der Wiener Moderne. In seinem Drama Paracelsus (1898) resümiert die Titelfigur:

Es war ein Spiel! Was sollt’ es anders sein? / Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben, / Und schien es noch so groß so tief zu sein! / Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine, / Ein andrer spielt mit tollen Abergläubischen. / Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer, – / Mit Menschenseelen spiel ich. Ein Sinn / Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht. / Es fließen ineinander Traum und Wachen, / Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. / Wir wissen nichts von andern, nichts von uns; / Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug (P, S. 215).

Der literarischen Figur ist in den Mund gelegt, was den Zeitgeist der Jahrhundertwende maßgeblich prägt. Das moderne Subjekt steckt in der Krise, denn Sinnfindung bedeutet lediglich die Projektion der eigenen Ideen auf die betrachteten Gegenstände, die man gleichsam in die eigenen Vorstellungen einkleidet. Alles ist ein Spiel, freilich mit bestimmten Regeln, doch sind diese vom Menschen selbst gemacht. Es findet sich somit kein höherer, allumfassender Sinn mehr und der Mensch ist auf sich selbst zurückgeworfen. Schnitzlers Freund und Schriftstellerkollege Hugo von Hofmannsthal hatte wenige Jahre zuvor bereits die negativen Konsequenzen aus dem Wissen um eine an sich sinnlose Welt beschrieben. Wenn nämlich das eigene Handeln keinem höheren Zweck mehr dient, kann aus dem lustvollen Spiel allzu leicht ein depressives Erstarren werden. »Heute scheinen zwei Dinge modern zu sein, die Analyse des Lebens und die Flucht aus dem Leben. […] Wir haben nichts als ein sentimentales Gedächtnis, einen gelähmten Willen, und die unheimliche Gabe der Selbstverdopplung. Wir schauen unserem Leben zu« (Hofmannsthal [1893] 1956, S. 148). An die Stelle eines sinnhaften Handelns ist demnach die zweifelnde Selbstbeobachtung getreten. Die von Hofmannsthal konstatierte Lähmung, die Lebensflucht sowie die Selbstbespiegelung fasst man gemeinhin mit dem Schlagwort Décadence. Es bezeichnet ein Lebensgefühl während der Zeit um 1900, das genauso wie die Bezeichnung Fin de Siècle den Verfall einer vormals bürgerlich-optimistischen Lebensanschauung sowie das Ende des Jahrhunderts betont (und nicht etwa den hoffnungsvollen Aufbruch in eine neue Zeit). Als berühmtes literarisches Beispiel für die Reflexion dieser Endzeitstimmung bürgerlicher Verfasstheit sei an Thomas Manns Roman Buddenbrooks aus dem Jahr 1901 erinnert, der schon im Untertitel Verfall einer Familie seine pessimistische Ausrichtung benennt.

Gründe für die Untergangsstimmung finden sich in den allgemeinen Lebensumständen. Jene Zeit der Jahrhundertwende ist für die Menschen der westlichen Welt von umfassenden Sinnkrisen gekennzeichnet, weil sowohl technische als auch kulturelle Neuerungen das Lebensgefühl der Menschen nachhaltig verändern. Neue Medien wie der Kinofilm, der Ausbau von Stadtbahnen und die ansteigende Zahl von Fuhrwerken und Automobilen beschleunigen die Lebenswirklichkeit der Menschen. Letztere lassen vor allem die Großstädte immer hektischer werden. Allerorts entstehen Fabriken, die die Arbeit des Einzelnen zunehmend zu einem automatisierten und entfremdenden Prozess machen. Die moderne Psychologie verändert das Menschenbild, und auch die politischen Umbrüche, die schließlich zum Ende der Monarchien in Österreich und Deutschland führen, bringen tradierte Weltbilder allmählich ins Wanken. Paracelsus’ Satz »Sicherheit ist nirgends« bringt dies zum Ausdruck und der von Hofmannsthal genannte ‚gelähmte Wille‘ ist die Folge. Die Entstehung einer Massengesellschaft verändert aber auch die Beziehungen der Menschen zueinander, was der Schriftsteller Robert Musil beklagt: »Es ist die Auflösung durch die unübersehbare Zahl, was den Grundunterschied gegen jede andere Zeit bildet, das Alleinsein und Anonymwerden des einzelnen in einer immer wachsenden Menge, welches eine neue geistige Verfassung mit sich bringt, deren Konsequenzen noch unberechenbar bleiben« (Musil [1912] 1978, S. 994). Arthur Schnitzler ist der »Diagnostiker« dieses Umbruchs (Geißler 1986, S. 50). Anders als manche seiner Zeitgenossen schildert er nicht nur die brüchige Verfasstheit der bürgerlichen...

Erscheint lt. Verlag 13.12.2013
Reihe/Serie Literatur kompakt
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Schulbuch / Wörterbuch Lektüren / Interpretationen
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Antisemitismus • Bürgertum • Dekadenz • Deutsche Literatur • Geschlechterverhältnisse • Reigen • Studienführer • Traumnovelle • Wiener Moderne
ISBN-10 3-8288-5711-6 / 3828857116
ISBN-13 978-3-8288-5711-7 / 9783828857117
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