Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes. -  Ulrich Vosgerau

Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes. (eBook)

Zum Gewährleistungsgehalt schrankenvorbehaltloser Grundrechte am Beispiel der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
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2010 | 1. Auflage
230 Seiten
Duncker & Humblot GmbH (Verlag)
978-3-428-52427-3 (ISBN)
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Kopftuch- und Kruzifixentscheidung des BVerfG haben deutlich werden lassen, daß bereits die dogmatischen Grundlagen des Umgangs mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes unklar geblieben sind. Diese dogmatischen Grundlagen sind nicht durch oberflächliche oder nur am letztlich beliebigen rechtspolitischen Vorverständnis orientierte Kritik am BVerfG zu gewinnen, sondern in der heutigen Zeit - zur Vorbereitung einer rationalen und demokratisch legitimierten Einwanderungs- und Integrationspolitik - neu und von der Dichotomie grundrechtlicher Freiheit und demokratischer Teilhabe her zu bestimmen. Diese Neubestimmung, die auch den offenen Paradigmenstreit im öffentlichen Recht zwischen Grundordnungs- und Rahmenordnungsthese sowie das institutionelle Grundrechtsdenken, die Prinzipienlehre und die These von der herausgehobenen Bedeutung der historisch-subjektiven Auslegung neu einordnet und fruchtbar macht, führt zu einer gewandelten Perspektive: schrankenvorbehaltlose Grundrechte haben keinen Schutzbereich, sondern einen Gewährleistungsgehalt, d. h. sie sind in die Rechtsordnung eingeordnet. Der Glaube ist wortwörtlich frei, Religionsfreiheit bietet aber keine Handlungsprivilegien im forum externum. Mithin ist auch Art. 136 I WRV keine 'Schrankenbestimmung', sondern eine Klarstellung des nichtprivilegierenden Gewährleistungsgehalts der religiösen Freiheitsrechte des Grundgesetzes.

Vorwort 8
Inhaltsverzeichnis 10
A. Schrankenvorbehaltlose Grundrechte im System des Grundgesetzes 18
I. Ausgangspunkte 18
II. Textbefund und Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht 19
III. Glaubens- und Gewissensfreiheit als schrankenvorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht 22
IV. Grundrechtstheoretische Vorüberlegung: die Rahmenordnungs- und die Grundordnungstheorie 25
1. Verfassungstheorie und Vorverständnis 25
2. Argumente für die Rahmenordnungskonzeption 28
a) Historisch-genetischer Ansatz 28
b) Das Kompetenzverteilungsproblem: Bundesverfassungsgericht und Parlament 28
c) Methodologischer Ansatz: Abwägungsskepsis 29
3. Argumente für die Grundordnungskonzeption 32
V. Eine einfache, textbasierte Grundrechtstheorie 35
1. „Grundrechtstheoretisches Patt“ zwischen Rahmenordnungs- und Grundordnungsthese 35
a) Auflösung des Patts durch das „institutionelle Grundrechtsdenken“? 36
b) Entscheidung durch das Traditions- oder das Fortschrittsargument? 37
2. Verhältnismäßigkeitsprinzip, Abwägungslehre und differenzierte Schrankensystematik des Grundgesetzes 38
a) Eine dem Grundgesetz gemäße Grundrechtstheorie muß an die differenzierte Schrankensystematik anknüpfen 39
b) Schrankenvorbehaltlos gewährleistete Grundrechte sind in die Rechtsordnung eingeordnet 40
3. Grundrechte, Demokratieprinzip, Verhältnismäßigkeit: die Auflösung der Paradoxien 43
a) Die Auflösung des Paradoxons „Grundrechtsbindung des Gesetzgebers versus Einschränkbarkeit der Grundrechte durch den Gesetzgeber“ bei den unter Schrankenvorbehalt gewährleisteten Grundrechten 43
b) Die Auflösung des Paradoxons „keine Einschränkbarkeit der schrankenvorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte“ versus Demokratieprinzip 44
4. Schutzbereich und Gewährleistungsgehalt von Grundrechten 44
VI. Kritik des Schmittschen Dogmas 47
1. Die „primär liberale“ Grundrechtsdogmatik: „in dubio pro libertate“ 47
2. Wurzeln der „primär liberalen“ Grundrechtsdogmatik 49
a) „Verfassungslehre“ und rechtsstaatliches Verteilungsprinzip 49
b) Menschenrechte und Grundrechte 51
3. Das Schmittsche Dogma: Kategorienverwechselung und Leugnung der Normativität der Verfassung 53
4. Der richtige Kern des Schmittschen Dogmas 55
a) Allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne der Elfes-Doktrin 55
b) Ablehung der dogmatischen Figur des „Grundrechtsmißbrauchs“ 56
5. Keine Übertragung der allgemeinen Handlungsfreiheit in die Spezialgrundrechte 57
6. Der Angriff auf die Demokratie 59
7. Moderne Umdeutung: Grundrechte als Sprachspiele mit naturrechtlich begründeten Argumentationslasten 61
VII. Exkurs: Prinzipienlehre als Alternative? 63
VIII. Der Verfassungsvorbehalt 67
1. Bundesverfassungsgericht und herrschende Meinung 68
a) Folgeproblem I: Begründen auch Kompetenz-, Ermächtigungs- und Organisationsnormen Rechtswerte von Verfassungsrang? 70
b) Folgeproblem II: Übertragbarkeit auch auf relative Grundrechte? 72
c) Folgeproblem III: das absolute Grundrecht als Abwägungsposten 73
2. Materiale Allgemeinheit, Prinzipienlehre und institutionelles Grundrechtsdenken 75
3. Alternative Modelle des Grundrechtsvorbehalts 78
a) Schutzbereichsbegrenzung durch systematische Auslegung 78
b) Gewährleistungsbeschränkung durch Wortlautauslegung: Normsatztheorien 80
c) Vorbehalt der Rechtsordnung 84
aa) Der Ansatz Krieles 85
bb) Kritik 88
4. Kritik des herrschenden Paradigmas: jedenfalls der einfache Landesgesetzgeber kann Bundesgrundrechte nicht „konkretisieren“ 91
B. Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 94
I. Kopftuchurteil 94
1. Religiöse Freiheit auch für Angehörige des öffentlichen Dienstes im Dienst? 94
a) Bedeutung der speziellen Gleichheitsrechte 95
aa) Keine Gleichsetzung der Konstellationen aus Kopftuch- und Kruzifixentscheidung 95
bb) Relevanz des „Sonderstatusverhältnisses“? 96
b) Gewährleistungsgehalt der speziellen Gleichheitsrechte 96
aa) „Religiöses Bekenntnis“ 97
bb) Kein Recht auf religiöse Gestaltung der Amtsgeschäfte 98
cc) Die radikale Gegenauffassung: besondere Persönlichkeitsprägung des Lehrerberufs (Böckenförde) 99
2. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes: Systematische Grundlagen 100
3. Das eigentliche Kernproblem des Kopftuchurteils: religiöse Freiheit nach Maßgabe der einfachen Landesgesetze? 103
a) Das Ende der überkommenen Schrankensystematik 104
b) Die „dogmatische Mischverwaltung“ 106
aa) Grundrechtliche und demokratische Legitimation 106
bb) Grundrechtsausübung unterliegt keiner demokratischen Abstimmung 107
c) Die Kompromißproblematik 108
4. Religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates 108
a) „Positiver“, „umfassender“, „fördernder“ Neutralitätsbegriff 109
b) „Laizistischer“ Neutralitätsbegriff 110
c) Der Neutralitätsbegriff des Grundgesetzes 111
aa) Neutralitätsprinzip als Wort ohne zugehörigen Begriff? 111
bb) Staatliche Neutralität gegen verfassungsneutrale Weltanschauungen 112
5. Polizeirechtliche Gefahrenschwelle oder „abstrakte Gefahr“? 114
6. Recht auf und Zurechnung des Kopftuchs 115
a) „Meistbegünstigungsproblematik“ 115
b) „Fiskalprivilegsproblematik“ 116
II. Kruzifixbeschluß 117
1. Kritik der Begründung des Kruzifix-Beschlusses 118
a) Überblick 119
b) Analogie Kreuz an der Wand – erzwungene Teilnahme an kultischen Handlungen 119
c) Subjektivierung des Neutralitätsprinzips 119
2. Widerspruch zwischen Kruzifix-Beschluß und Kopftuch-Urteil? 121
a) Das Problem 121
b) Die Lösung 122
3. Fazit: Der Gewährleistungsgehalt des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 3 GG, 136 Abs. 2 WRV 123
4. „Verfassungsnonkonforme“ Auslegung 125
5. Vermischung und Verwechselung von grundrechtlicher und demokratischer Legitimation 127
6. Schrankenvorbehaltlos gewährleistete Grundrechte haben keinen „Schutzbereich“, sondern einen Gewährleistungsgehalt 128
a) Das Selbstverständnis der Grundrechtsträger: hinsichtlich der schrankenvorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte ein Scheinproblem 128
b) Kein Staatsabänderungsanspruch ohne Rekurs auf das demokratische Verfahren 131
III. Sonstige Probleme: Schächten, Schulbesuch, Sektenwarnung 134
1. Schächten 134
a) Die ältere Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts 134
b) Begründung des Bundesverfassungsgerichts 136
c) Kritik 137
d) Lösung der Schächtungsproblematik 138
e) Keine Bindungswirkung der Entscheidung kein Bedarf nach „verfassungskonformer Auslegung“
2. Schulbesuch 139
3. Die Osho-Entscheidung (Sektenwarnung) 142
a) Aufbau der Entscheidung 142
b) Kritik 144
aa) Richtiger Kern der Osho-Entscheidung 144
bb) Nochmals: Subjektivierung des Neutralitätsprinzips 145
cc) Subjektiviertes Neutralitätsprinzip als eigentlicher Gewährleistungsgehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit? 146
c) Lösung 146
C. Der Begriff des Gewährleistungsgehalts aus systematischer und aus historisch-subjektiver Perspektive 148
I. Ausgangspunkte des Gewährleistungsgehaltsdenkens 148
1. „Sprayer von Zürich“: eine nichtprivilegierende „Einordnungstheorie“ der Kunstfreiheit 148
2. Nichtprivilegierende Theorien der Wissenschaftsfreiheit 149
II. Gewährleistungsgehalt und Primat der historisch-subjektiven Auslegung 154
1. Franz Reimer 157
2. Jestaedt 158
3. Kritik der historisch-subjektiven Auslegung 159
III. Gewährleistungsgehalt als das Ergebnis systematischer Auslegung 164
1. Maastricht-Urteil 164
2. Gewährleistungsgehalt als Ergebnis „abstrakter Abwägung“? 166
D. Der Gewährleistungsgehalt der religiös-weltanschaulichen Freiheitsrechte und der Gewissensfreiheit des Grundgesetzes 168
I. Rechtspolitische Vorüberlegungen 168
1. Rechtsstaat, Demokratiegebot, Akzeptanzerfordernis 168
2. Islamische Herausforderung 169
II. Das rechtstheoretische Konzept der schrankenvorbehaltlosen Grundrechte 172
Exkurs: Staatlichkeit und Integrationsaufgabe 177
III. Strukturparallele zur umweltrechtlichen Grundrechtslehre Murswieks 178
IV. Gewährleistungsgehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit 179
1. Gewissensfreiheit als systematisches Muttergrundrecht 179
a) Systematisch einheitliches Grundrecht 179
b) Dogmatische Anknüpfung an die im Grundgesetz vorfindlichen Einzelgewährleistungen 181
2. Die weltanschaulich-religiösen Freiheitsrechte 181
a) Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit 182
aa) „Positive“ Seite 182
bb) Negative Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit? 182
b) Bekenntnisfreiheit 184
aa) Bekenntnis im Sinne des Grundgesetzes bedeutet primär Konfession 184
bb) Bekenntnisfreiheit als Spezialfall der Meinungsfreiheit 185
(1) Die Bekenntnisfreiheit gewährleistet auch eine spezielle Handlungsfreiheit 185
(2) „Gewährleistungsschranken“ dieser kommunikativen Handlungsfreiheit 186
cc) Negative Bekenntnisfreiheit? 187
(1) Art. 136 Abs. 3 WRV 187
(a) Schweigerecht 188
(b) Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV als Schranke eines ungeschriebenen grundrechtsgleichen Rechts auf konfessionelle Auskunftsverweigerung 188
(2) Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG 189
c) Die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung als positivierte Schutzpflicht 190
d) Die negative Handlungsfreiheit aus Art. 136 Abs. 4 WRV 190
e) Religiöse Vereinigungsfreiheit 191
3. Die Freiheit des Gewissens („im engeren Sinne“) 192
a) Schutz des forum internum 192
b) Gewissensgeleitete Handlungsfreiheit? 192
c) Gewissensfreiheit als Verweigerungsrecht 193
aa) „Negative Freiheit“ im herkömmlichen Sinne? 193
bb) Allgemeines gewissensgeleitetes Verweigerungsrecht? 195
cc) Menschenwürdegeleitetes Verweigerungsrecht 195
4. Zusammenfassung 196
E. Objektive Grundrechtsdimension 199
I. Stand der Diskussion 199
1. Rein abwehrrechtlicher Ansatz 199
2. Schutzpflichtenansatz 201
3. Zwischenergebnis 202
II. Schutzpflichten 202
1. Strafrecht 203
a) §§ 166, 167 StGB 203
b) Sonstige Vorschriften aus dem StGB 204
2. Polizeirecht 204
3. Zivilrecht 204
III. „Mittelbare Drittwirkung“ 205
IV. Weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates 205
Zusammenfassende Thesen 207
Literaturverzeichnis 212
Personen- und Sachregister 228

Erscheint lt. Verlag 16.9.2010
Reihe/Serie Schriften zum Öffentlichen Recht
Zusatzinfo 230 S.
Sprache deutsch
Themenwelt Recht / Steuern Allgemeines / Lexika
Recht / Steuern Öffentliches Recht Verfassungsrecht
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Gewissensfreiheit • Glaubensfreiheit • Grundrechtliche Freiheit • Schrankenvorbehaltlose Grundrechte
ISBN-10 3-428-52427-6 / 3428524276
ISBN-13 978-3-428-52427-3 / 9783428524273
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