Urangeheimnisse -  Rainer Karlsch,  Zbynek Zeman

Urangeheimnisse (eBook)

Das Erzgebirge im Brennpunkt der Weltpolitik 1933-1960
eBook Download: PDF | EPUB
2013 | 1. Auflage
320 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-019-9 (ISBN)
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Die Entwicklung der Atombombe war das größte geheime Unternehmen des 20. Jahrhunderts. Als der deutsche Physiker Otto Hahn Anfang 1939 die Entdeckung der Kernspaltung bekannt gab, stand der Beginn des Zweiten Weltkrieges kurz bevor. So war die weitere Atomforschung von dem Ziel geprägt, eine kriegsentscheidende Waffe zu entwickeln. Den dramatischen Wettlauf gewannen die Amerikaner, die im August 1945 zwei Atombomben gegen japanische Städte einsetzten.
In überraschend kurzer Zeit konnte die Sowjetunion den amerikanischen Vorsprung aufholen. Dies gelang vor allem durch den Abbau der Uranvorkommen in Sachsen und Böhmen, deren Bedeutung bis Kriegsende von allen Mächten unterschätzt worden war. Stalin erkannte sofort den strategischen Wert der kleinen Grenzregion. Unter Aufsicht seines Geheimdienstes entstanden in der SBZ/DDR und in der Tschechoslowakei zwei der größten sowjetischen Auslandsunternehmen.
Rainer Karlsch und Zbynek Zeman haben für ihre politische Geschichte des Uranbergbaus im Erzgebirge erstmals Quellen aus deutschen, russischen, tschechoslowakischen, amerikanischen sowie britischen Archiven ausgewertet und dokumentieren, mit welchen Methoden die Sowjetunion ihre 'Uranlücke' zu schließen und den amerikanischen Vorsprung wettzumachen vermochte. Dabei stand das Erzgebirge im Zentrum der Weltpolitik.

Der Wettlauf um die Atombombe


Hitlers Kernphysiker


Kurz vor Weihnachten 1938 kamen die Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann im Rahmen einer Versuchsserie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin zu einem merkwürdigen Ergebnis. Ziel der beiden Wissenschaftler war es, durch Neutronenbeschuss von Uran Radium zu gewinnen. Doch statt Radium aus dem Urankern herauszuschlagen, hatten sie ihn in zwei Teile gespalten. Erstmals war es offenbar gelungen, so die Schlussfolgerung, eine Kernspaltung herbeizuführen. Als Otto Hahn und Fritz Straßmann Anfang 1939 ihre Ergebnisse in der Zeitschrift »Die Naturwissenschaften« bekannt gaben, stand der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kurz bevor. So war die weitere Atomforschung bald davon geprägt, eine kriegsentscheidende Waffe zu entwickeln. Doch darauf hatten es die Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigten, keineswegs angelegt. Gleichwohl beteiligten sie sich in den Jahren nach 1939 an der Entwicklung der Atombombe, was sie nach 1945 erfolgreich zu verschleiern vermochten.

Im Frühjahr 1939 machten mehrere deutsche Wissenschaftler den Reichsforschungsrat – 1937 beim Reichserziehungsministerium zur Koordination wehrwissenschaftlicher Aufgaben gegründet – auf die militärischen Anwendungsmöglichkeiten der Kernspaltung aufmerksam. Daraufhin wurde Professor Abraham Esau, Direktor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, zum Leiter der Fachsparte Physik des Reichsforschungsrats ernannt und mit der Bildung eines Expertengremiums für Fragen der Kernforschung beauftragt. Dieses nahm am 29. April 1939 in Berlin unter dem Namen »Uranverein« seine Arbeit auf. Er war ein lockerer Zusammenschluss von Wissenschaftlern verschiedener Institutionen. Unter der Leitung des Reichsforschungsrats sollten in diesem Gremium die weiteren Arbeiten zur Erforschung der Kernspaltung koordiniert werden.

Parallel zum Reichsforschungsrat wurde auch das Heereswaffenamt auf die neuen Möglichkeiten aufmerksam. Die entscheidenden Hinweise kamen vom Hamburger Physiker Paul Harteck. Er bemerkte in einem Schreiben vom 24. April 1939 an den Chef der Wissenschaftsabteilung des Heereswaffenamtes, Erich Schumann: »Das Land, das als erstes [von der Kernspaltung] Gebrauch macht, besitzt den anderen gegenüber eine nicht einzuholende Überlegenheit.«3

Von diesen Ausführungen beeindruckt, beauftragte Schumann im Sommer 1939 den Physiker Kurt Diebner mit der Prüfung der eingegangenen Hinweise. Diebner konsultierte mehrere Spezialisten und kam zu der Auffassung, dass die Atomforschung forciert werden müsse. Wenig später wurde dann beim Heereswaffenamt nicht nur ein kernphysikalisches Referat, sondern auch ein entsprechendes Labor auf dem Heeresversuchsgelände Kummersdorf in Gottow südlich von Berlin eingerichtet. Die Militärs legten damit den Grundstein für ein eigenes Uranforschungsvorhaben. Zugleich versuchten sie, alle Aktivitäten auf diesem Gebiet an sich zu ziehen. So wurde der gerade erst gegründete Uranverein kurzerhand dem Heereswaffenamt unterstellt. Nach Kriegsbeginn konnte dieses auch zahlreiche andere Wissenschaftler, die sich der Atomforschung widmeten, enger an sich binden, darunter Werner Heisenberg, bis 1941 Professor an der Universität Leipzig und anschließend Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin, Otto Hahn, seit 1928 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, Walther Bothe, Leiter des Instituts für Physik des Kaiser-Wilhelm-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg, Paul Harteck, Professor an der Universität Hamburg, und Nikolaus Riehl von der Auergesellschaft, die seltene Metalle und Uranerz verarbeitete.

Zentrum der militärisch koordinierten Forschungen sollte das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin werden, dem ab 1941 Werner Heisenberg vorstand. Nach und nach spielte sich aber Diebner mit seiner Forschungsgruppe in Gottow in den Vordergrund und stand in offener Konkurrenz zum Heisenberg-Team. Während Nobelpreisträger Heisenberg unbestritten der fähigste theoretische Physiker war, verkörperte Diebner den Typus des emsigen Praktikers. Im Gegensatz zu Heisenberg war er ein überzeugter Nazi. Gemeinsam mit dem Physiker Erich Bagge aus Leipzig bereitete er zwei Geheimkonferenzen vor, auf denen ausgelotet werden sollte, ob sich die jüngsten kernphysikalischen Entdeckungen für die Entwicklung neuer Waffen nutzen ließen. Diebner bewertete diese Frage ausgesprochen positiv und drängte in den folgenden Jahren stets darauf, die Atomforschung voranzutreiben, zum Teil auch gegen den Widerstand seines Vorgesetzten Schumann, der dem Projekt eher skeptisch gegenüberstand.

Doch zunächst war es Heisenberg, der die entscheidenden Überlegungen anstellte. Anfang Dezember 1939 verfasste er für das Heereswaffenamt einen Bericht über »die Möglichkeit der technischen Energiegewinnung aus der Uranspaltung«. Man sei dem Ziel, einen Reaktor zur Energieerzeugung zu konstruieren, sehr nahe gekommen. Die entsprechend angereicherten Isotope eigneten sich zugleich dafür, »Explosivstoffe herzustellen, die die Explosionskraft der bisher stärksten Explosivstoffe um mehrere Zehnerpotenzen übertreffen«.4 Die theoretische Hauptfrage in diesem Zusammenhang war die nach der kritischen Masse, d.h. nach der Menge spaltbaren Materials (Uran 235 oder Plutonium), die groß genug ist, um eine Kettenreaktion aufrechtzuerhalten, aber klein genug, um nicht unkontrolliert zu explodieren. Die Abschätzung dieser Masse war entscheidend für die Frage, ob sich eine Bombe entwickeln ließ. Für Heisenberg lag allerdings lediglich der Bau eines »Uranbrenners«, d.h. eines kleinen Reaktors, im Bereich des Machbaren.

Noch aber hatte man mit zahlreichen ungelösten Problemen zu kämpfen. Im Zentrum stand die Frage nach einem wirksamen Bremsstoff (Moderator), einer Substanz, die hindurchgehende Neutronen verlangsamte, aber nicht absorbierte. Die theoretischen Überlegungen ergaben, dass neben Kohlenstoff (Graphit) schweres Wasser (Deuteriumoxid, D2O) die beste Lösung wäre. Heisenberg entschied sich, für künftige Experimente schweres Wasser zu nutzen. Doch für die Produktion dieses Stoffes waren aufwändige Elektrolyseprozesse nötig. Entsprechende Anlagen gab es zu Kriegsbeginn in Deutschland nicht. Erst nach der Besetzung Norwegens 1940 und der Anbindung der norwegischen Firma Norsk Hydro in Rjukan rund 130 Kilometer westlich von Oslo an die I. G. Farbenindustrie AG stand den deutschen Wissenschaftlern schweres Wasser zur Verfügung. Norsk Hydro wurde nämlich verpflichtet, die Schwerwasserproduktion zu steigern und ausschließlich das Deutsche Reich zu beliefern.

Den deutschen Atomwissenschaftlern fehlte es Ende der dreißiger Jahre zunächst auch an ausreichenden Uranressourcen, um im großen Stil forschen zu können. Das Erzgebirge, die einzige Region, in der es kleinere Uranerzvorkommen gab, galt geologisch als gut erkundet, darunter die Gegend um Schneeberg und Johanngeorgenstadt. Der dortige Uranvorrat wurde von den Fachleuten aber nur auf wenige Tonnen geschätzt und man rechnete nicht mit großen neuen Funden. Die im Erzgebirge tätige Sachsenerz-Bergwerks AG konzentrierte sich daher auf die Förderung seltener Metalle, die von der Rüstungsindustrie nachgefragt wurden. Lediglich im schlesischen Schmiedeberg hatte man ab 1936 die Uranerzförderung durch den Aufschluss neuer Gänge steigern können. Nach der Besetzung des Sudetengebietes und der Zerschlagung der Rest-Tschechoslowakei waren im Frühjahr 1939 die ältesten europäischen Uranerzminen in den Besitz eines deutschen Firmenkonsortiums, mit der Auergesellschaft Berlin und der Firma Buchler aus Braunschweig an der Spitze, gekommen. Eine wesentliche Ausweitung erfuhr der Joachimsthaler Bergbau jedoch auch unter der Regie dieses Radiumsyndikats nicht. Das verfügbare Material blieb begrenzt.

Erst im Laufe des Jahres 1940 bahnte sich in Sachen Uranerzressourcen eine Lösung an, nachdem die Wehrmacht im Sommer ihren Blitzkrieg im Westen gewonnen hatte. In Belgien stieß man auf große Radium- und Uranoxydvorräte, die bei der Brüsseler Union Minière lagerten. Zwar hatte deren Direktor, Edgar Sengier, bereits im September 1939 die Verschickung der Bestände nach New York angeordnet, doch bislang war erst ein Teil auf den Weg gebracht worden. Bereits ab Juni 1940 kauften die Auergesellschaft und die Degussa bei der Union Minière Uranverbindungen. Der größte Posten, insgesamt 1244 Tonnen, wurde im Mai 1942 von der Rohstoffgesellschaft mbH (Roges), einer deutschen Kriegshandelsgesellschaft, erworben. Später kaufte die Roges auch in Frankreich Uranerze und erwarb weitere 200 Tonnen Uranverbindungen von der Union Minière, die bis zum Sommer 1944 im Auftrag der Auergesellschaft die Reinigung von Uranoxyd übernahm. Mit dem belgischen Uranoxyd standen der deutschen Forschung nun die damals weltweit größten Uranoxydvorräte zur Verfügung. Das war eine ausreichend große Menge, um eine Atombombe herzustellen.5

Neben der Gewinnung von schwerem Wasser und der Uranerzbeschaffung stellte die Weiterverarbeitung zu Uranoxyd und Uranmetall mit hohem Reinheitsgrad das nächstgrößte Problem dar. Im Herbst 1939 erteilte das Heereswaffenamt der Auergesellschaft den Auftrag zur Herstellung von reinem Uranoxyd. Die Firma baute daraufhin innerhalb weniger Wochen ein Werk in Oranienburg, dessen Produktionskapazität bei ca. einer Tonne Uranoxyd je Monat lag.6 Die Weiterverarbeitung erfolgte ab 1940 in den Uranschmelzanlagen der Degussa in Frankfurt/M. und ab Ende 1944 in einer zweiten Schmelzanlage in...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2013
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-86284-019-0 / 3862840190
ISBN-13 978-3-86284-019-9 / 9783862840199
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