Ganz normale Bürger
David King (1943–2016) war ein britischer Künstler, Designer, Herausgeber, Fotohistoriker und Archivar – »eine der bemerkenswertesten künstlerischen und intellektuellen Persönlichkeiten unserer Zeit« (David Walsh). Er leitete das Kunstressorts bei der »Sunday Times« von 1965 bis 1975 und lebte in London. David King hat eine der bedeutendsten Sammlungen russischer revolutionärer Kunst aufgebaut. Zu seinen Werken zählen »Ganz normale Bürger – Die Opfer Stalins« (2012), »Roter Stern über Russland – Eine visuelle Geschichte der Sowjetunion« (2010) und »Russische revolutionäre Plakate – Bürgerkrieg und bolschewistische Periode, sozialistischer Realismus und Stalin-Ära« (2012).
Die Bilder stammen aus OGPU/NKVD-Unterlagen, die im Archiv von Memorial in Moskau lagern. Die auf Bildtafelformat vergrößerten Porträts zeigen durchweg Menschen, die sich in der Hand der sowjetischen Geheimpolizei befanden und allesamt, teils von administrativen Organen, teils - in einer geringeren Zahl von Fällen - vom Militärkollegium des Obersten Gerichts zum Tode verurteilt und erschossen wurden. Es sind Aufnahmen von großer Eindringlichkeit. Die Blicke der Porträtierten richten sich meist direkt auf den Betrachter.
Jürgen Zarusky, sehepunkte
Die Fotos strahlen eine ungeheure Intensität aus, lassen den Betrachter kaum wieder los, wenn er den Band erst einmal aufgeschlagen hat. Furcht, Wut, Trotz, Verzweiflung, Traurigkeit aber auch Schmerz, Stolz, Zorn und Aufrichtigkeit, ja bei einigen sogar der Versuch, in die Kamera zu lächeln, sind zu entdecken. Verletzte Gefangene, offenkundig von Folterspuren gezeichnet, sind ebenso auszumachen wie wirre, der Welt bereits völlig entrückte Gesichter. Auch Kinder wurden fotografisch erfasst – Kinder von Verurteilten. Ihre Fotos sind mit akkurat notierten Nummer versehen. Namenlos landeten ihre Bilder im Archiv, während die Kinder selbst in Heimeabgeschoben wurden.
Stefan Brams, Neue Westfälische
Die Geschichte der Fotografie zwischen den Weltkriegen in Stalins Russland ist hauptsächlich von Täuschung und Betrug geprägt. In dieser Zeit, in der die Bevölkerung zumeist große Not litt, verlangte der totalitäre Staat ganz im Sinne des sozialistischen Realismus Bilder, die einen seichten Optimismus befördern sollten. Fotografien aus dem Bestand der sowjetischen Behörden bringen allerdings eine grauenhafte Wahrheit ans Licht. Die hier zum ersten Mal im Westen veröffentlichten Fotografien ab Seite 23 wurden von Stalins Geheimpolizei, der OGPU, und ihrem Nachfolger, dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD), aufgenommen. Es sind Polizeifotos von ganz normalen Bürgern. Es sind Aufnahmen von Männern und Frauen, die eingekerkert wurden in den Tiefen der Lubjanka, des bis heute ominösen Hauptquartiers der Geheimpolizei im Herzen Moskaus. Die meisten Fotos stammen aus den 1930er Jahren, dem Höhepunkt von Stalins Schreckensherrschaft. Während der berühmte architektonische Umbau Moskaus im Monumentalstil begann, fand zur gleichen Zeit ein groß angelegter Einschüchterungs-, ja regelrechter Vernichtungsfeldzug gegenüber seinen Einwohnern statt. Schätzungsweise 30 000 Menschen sollen allein in der Region Moskau vom NKWD während des Großen Terrors getötet worden sein. Fahren Sie heutzutage mit der Moskauer U-Bahn, und Sie werden in die Gesichter von unzähligen Passagieren blicken, die Sie an die hier abgebildeten Fotos erinnern. Aber jede einzelne Person auf diesen Fotos, sowie unzählige weitere Tausende, wurden hingerichtet, ihre Körper in anonyme Gräber geworfen. Alle waren sie unschuldig im Sinne der gegen sie erhobenen Anklagen, niemand erhielt ein faires Gerichtsverfahren. Zwischen dem Geflüster von hinterlistigen Informanten auf der einen und der eisernen Faust von brutalen Vernehmungsbeamten auf der anderen Seite gerieten sie in das Räderwerk von Stalins Tötungsmaschine. Die Fotos mit ihren dazugehörigen Akten – bergeweise falsche Geständnisse haarsträubender Verbrechen, die die Beschuldigten nie hätten begehen können – waren jahrzehntelang im Zentralarchiv des ehemaligen Geheimdiensts KGB vergraben. Heute werden sie von der Memorial-Gesellschaft in Moskau verwaltet. Diese Gesellschaft wurde während der Gorbatschow-Ära gegründet, um die Verbrechen Stalins zu dokumentieren und um Menschen dabei zu unterstützen, ihre unter Chruschtschow noch nicht rehabilitierten Angehörigen nun endlich zu rehabilitieren. Es ist eine sehr langwierige Arbeit. Tausende von Fotos und Karteikarten zu durchforsten hat eine beinahe hypnotisierende Wirkung. Die Fotos der Opfer sind klein, passbildgroß, auf grauen NKWD-Karton geklebt, auf den Aktendeckeln stehen schabloniert und abgestempelt lediglich Nummer, Name und Datum. Die traurigen Lebensdaten eines jeden einzelnen Schicksals sind auf liniertem Papier in der gestochenen Schrift geschrieben, die einst so beliebt war unter sowjetischen Bürokraten. Alles ist alphabetisch geordnet ...
Die Geschichte der Fotografie zwischen den Weltkriegen in Stalins Russland ist hauptsächlich von Täuschung und Betrug geprägt. In dieser Zeit, in der die Bevölkerung zumeist große Not litt, verlangte der totalitäre Staat ganz im Sinne des sozialistischen Realismus Bilder, die einen seichten Optimismus befördern sollten.Fotografien aus dem Bestand der sowjetischen Behörden bringen allerdings eine grauenhafte Wahrheit ans Licht. Die hier zum ersten Mal im Westen veröffentlichten Fotografien ab Seite 23 wurden von Stalins Geheimpolizei, der OGPU, und ihrem Nachfolger, dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD), aufgenommen. Es sind Polizeifotos von ganz normalen Bürgern. Es sind Aufnahmen von Männern und Frauen, die eingekerkert wurden in den Tiefen der Lubjanka, des bis heute ominösen Hauptquartiers der Geheimpolizei im Herzen Moskaus. Die meisten Fotos stammen aus den 1930er Jahren, dem Höhepunkt von Stalins Schreckensherrschaft.Während der berühmte architektonische Umbau Moskaus im Monumentalstil begann, fand zur gleichen Zeit ein groß angelegter Einschüchterungs-, ja regelrechter Vernichtungsfeldzug gegenüber seinen Einwohnern statt. Schätzungsweise 30 000 Menschen sollen allein in der Region Moskau vom NKWD während des Großen Terrors getötet worden sein. Fahren Sie heutzutage mit der Moskauer U-Bahn, und Sie werden in die Gesichter von unzähligen Passagieren blicken, die Sie an die hier abgebildeten Fotos erinnern. Aber jede einzelne Person auf diesen Fotos, sowie unzählige weitere Tausende, wurden hingerichtet, ihre Körper in anonyme Gräber geworfen. Alle waren sie unschuldig im Sinne der gegen sie erhobenen Anklagen, niemand erhielt ein faires Gerichtsverfahren. Zwischen dem Geflüster von hinterlistigen Informanten auf der einen und der eisernen Faust von brutalen Vernehmungsbeamten auf der anderen Seite gerieten sie in das Räderwerk von Stalins Tötungsmaschine.Die Fotos mit ihren dazugehörigen Akten - bergeweise falsche Geständnisse haarsträubender Verbrechen, die die Beschuldigten nie hätten begehen können - waren jahrzehntelang im Zentralarchiv des ehemaligen Geheimdiensts KGB vergraben. Heute werden sie von der Memorial-Gesellschaft in Moskau verwaltet. Diese Gesellschaft wurde während der Gorbatschow-Ära gegründet, um die Verbrechen Stalins zu dokumentieren und um Menschen dabei zu unterstützen, ihre unter Chruschtschow noch nicht rehabilitierten Angehörigen nun endlich zu rehabilitieren. Es ist eine sehr langwierige Arbeit. Tausende von Fotos und Karteikarten zu durchforsten hat eine beinahe hypnotisierende Wirkung. Die Fotos der Opfer sind klein, passbildgroß, auf grauen NKWD-Karton geklebt, auf den Aktendeckeln stehen schabloniert und abgestempelt lediglich Nummer, Name und Datum. Die traurigen Lebensdaten eines jeden einzelnen Schicksals sind auf liniertem Papier in der gestochenen Schrift geschrieben, die einst so beliebt war unter sowjetischen Bürokraten. Alles ist alphabetisch geordnet ...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2012 |
---|---|
Übersetzer | Christine Nemeth |
Zusatzinfo | Die in diesem Band abgebildeten Fotografien waren jahrzehntelang verschollen in den Tiefen der Lubjanka, des Hauptquartiers der Geheimpolizei im Herzen Moskaus. Es sind Polizeifotos aus Vernehmungsakten von Menschen, die während Stalins Schreckensherrschaft von Ende der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1953 aufgrund falscher Anklagen verhaftet, verurteilt und erschossen wurden. |
Verlagsort | Essen |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Ordinary Citizens |
Maße | 245 x 292 mm |
Gewicht | 1090 g |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Fotokunst |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Politische Systeme | |
Schlagworte | Geheimpolizei • GULAG • Mensch (Motiv) • Russland • Sowjetunion • Stalinismus |
ISBN-10 | 3-88634-128-3 / 3886341283 |
ISBN-13 | 978-3-88634-128-3 / 9783886341283 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich