Inszenierung als Beruf (eBook)

Der Fall Guttenberg
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
214 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76780-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Inszenierung als Beruf -
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Als »das langsame Bohren harter Bretter« definiert Max Weber den Beruf des Politikers. »Langsam« impliziert, dass das alles eine Weile dauert. Die Karriere Karl-Theodor zu Guttenbergs hingegen verlief kometenhaft: Im Oktober 2008 betrat er die bundespolitische Bühne, im Februar 2009 wurde er Wirtschafts-, im Oktober 2009 Verteidigungsminister. Manchem Beobachter wurde schwindelig. Wie er die Kluft zwischen Bewunderung und Bilanz auf Dauer werde schließen können, fragte noch im Januar 2011 Die Zeit. Die Antwort: durch »Inszenierung und Imagebildung«. Tatsächlich setzte sich kaum ein Politiker derart virtuos ins Bild: in Sinatra-Pose auf dem Times Square, im Kampfanzug in Afghanistan. -Welche Sehnsüchte sprach zu Guttenberg an? -Warum reüssierte ausgerechnet der selbsternannte Anti-Politiker? -Wie verändert das Internet die Dramaturgie politischer Skandale? Die Antworten der Autorinnen und Autoren werfen über den Einzelfall hinaus ein Licht auf die Mechanismen postdemokratischer Politik. Mit Beiträgen von Tilman Allert, Petra Gehring, Oliver Lepsius, Nils Minkmar, Reinhart Meyer-Kalkus, Gustav Seibt, Thomas Steinfeld und anderen.

<p>Oliver Lepsius, geboren 1964, lehrt &Ouml;ffentliches Recht und Staatslehre an der Universit&auml;t Bayreuth.</p>

Inhalt 6
Oliver Lepsius: Die Causa Guttenberg als interdisziplinäre Fallstudie – eine Einleitung 8
I. Diskurs und Öffentlichkeit 20
Uwe Pörksen: Der Mediencondottiere – eine Skizze 22
Gustav Seibt: Promovierte Politik. Staatskunst und Dissertationshandwerk: Zum Problem des Normverstoßes in Politik und Wissenschaft 34
Thomas Steinfeld: Eine Fassade von Wissenschaft. Über Autorität und Demut im akademischen Betrieb, gedankliches Eigentum und politisches Kalkül, aus Anlass einer letztlich gescheiterten Promotion 46
Bernhard Pörksen/Hanne Detel: Evidenzerfahrungen für alle. Das kontraproduktive Krisenmanagement des Verteidigungsministers und die Logik der Skandalisierung im digitalen Zeitalter 57
II. Politik und Wissenschaft 72
Petra Gehring: Weshalb die Trennung des Ministers vom Plagiator scheitert. Zweikörpertheorie und Politik der Politik 74
Tilman Allert: Die Wunde Guttenberg – eine soziologische Skizze 85
Nils Minkmar: Zwei Wochen deutsches Psychodrama 113
III. Stil und Rhetorik 120
Heinrich Detering: Demut und Dolchstoß. Beobachtungen zur Rhetorik Karl-Theodor zu Guttenbergs 122
Reinhart Meyer-Kalkus: Was sich gehört! Der Rhetor und das Dekorum 127
Peter von Becker: Die Maske des Spielers. Zum Fall Guttenberg 145
Johannes von Müller: Von Rollen und Ämtern. Karl-Theodor zu Guttenberg als Indikator eines neuen »ikonographischen Rahmens« der Bundesrepublik 156
Sebastian Diziol: Die Rücktrittsrede von Karl-Theodor zu Guttenberg – ein analytischer Essay 172
Luca Giuliani: Herr zu Guttenberg im Spiegel römischen Heerwesens 206
Über die Autorinnen und Autoren 214
Nachweise 217

21Uwe Pörksen

Der Mediencondottiere – eine Skizze


Das Auffallendste an Aufstieg und Fall des Politikers Guttenberg ist meiner Ansicht nach seine Politikleere. In drei Versuchen über die öffentliche Sprache in der Bundesrepublik, den Büchern Plastikwörter, Weltmarkt der Bilder und Die politische Zunge hat sich mir zunehmend die Frage aufgedrängt: Politik ist Machterhalt; aber Machterhalt und Machtgewinn sind noch nicht Politik. Was ist Politik dann?

Hier fehlt ein klarer Begriff. Die Konturen einer Autonomie des Politischen sind zurzeit nicht fassbar, weder als Konzept demokratischer Politik noch als Bestandteil des öffentlichen Bewusstseins. Grund ist die gängige politische Praxis; das eingespielte System lässt eine solche Klarheit nicht aufkommen.

Die Karriere zu Guttenbergs ist in diesem Zusammenhang interessant; er ist sicher nicht aufgestiegen, weil er für eine erkennbare, konturierte Politik steht. In meinen Augen ist er weit eher ein Phänomen, das einem Verschwinden der Politik seine Existenz verdankt. In diese Lücke tritt mit ihm ein neuer Typus, dessen Wirkung darauf beruht, dass er nicht eine neue Politik, sondern alterprobte Tugenden des Politischen zu verkörpern scheint.

»Was hat heutige Publizität zu tun mit dem Programm politischer ›Öffentlichkeit‹ von 1830? Dass im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts Filmstars und Mediencondottieri, den bedenkenlosen Eroberergestalten der Renaissance vergleichbar, zu Staatspräsidenten werden, ist ein fatales Wetterleuchten«, spekulierte ich 2002 in dem Buch Die politische Zunge. Damals lag es nahe, an Berlusconi zu denken; neuerdings kommt einem Sarkozy in den Sinn, wenn er auf eigene Faust einen Krieg des Westens gegen Libyen eröffnet und danach als kleiner Napoleon durch Paris stolziert.

22Die Söldnertruppe des Mediencondottiere sind die Medien, sie sind das Instrumentarium seines Aufstiegs oder Falls. Wenn er dieses Werkzeug besitzt – Berlusconi verfügt in Italien über ein Medienimperium –, dann wird das, was man einmal Öffentlichkeit nannte, die Vierte Gewalt also, welche die Exekutive, die Legislative und die Judikative kontrolliert und in Schach hält, zum Privatbesitz. Die Öffentlichkeit ist in Italien so weitgehend Privatbesitz der Exekutive, dass die Demokratie zur Farce geworden ist.

Der im Tessin lebende Geschäftsmann Tito Tettamenti, der im Februar 2010 zusammen mit einem Anwalt die Basler Zeitung kaufte und sie nach neun Monaten wieder abstieß, als bekannt wurde, dass er Christoph Blocher als Umstrukturierer engagiert hatte, weshalb die Stadt auf die Barrikaden ging, wurde von der Süddeutschen Zeitung (2./3. April 2011, S. 21) gefragt: »Vor so etwas haben viele Leute Angst, dass sich ein reicher Politiker einfach einen Sender kauft, um Wahlen zu gewinnen.« Tettamenti antwortete: »Geld ist Geist, so ist das.« So artikuliert sich derzeit ein ökonomischer Königsmacher, der seinen Reichtum den absurden Spielregeln des freien Marktes verdankt. Ob die Nähe zwischen Helmut Kohl und Leo Kirch, bevor dessen Insolvenz aufgedeckt wurde, zum Politikum geworden wäre?

Der Aufstieg des Freiherrn zu Guttenberg gehört meiner Meinung nach nicht in einen derart schlichten, gradlinig kurzschlüssigen Zusammenhang. Das Interessante an seiner Karriere ist für mich das Schillernde, Unerwartete, Politikferne seiner Steigeisen. Ich möchte auf drei Bereiche, mit denen er reüssiert hat, hinweisen: die politikfreie Umfrage, das Mediencharisma und die Rede als Normversprechen.

I. Die politikfreie Umfrage


Unsere Politik lebt von der Umfrage in den Mund; nicht nur in Wahlzeiten, auch auf den geraden Strecken dominiert fast unverhohlen eine demoskopisch abgesicherte Politik. Die 23Umfrage ist dabei tatsächlich ein fast politikleeres Instrument. Das gilt nicht nur für das beliebte Ranking der politischen Köpfe, die in Prozenten ausgedrückte Beliebtheitsstaffel der führenden Figuren. Es gilt auch für das, was fälschlich noch als Meinungsforschung bezeichnet wird. Die Meinungsforschung kann ein Instrument sein, um zum Beispiel die Mentalität oder den Mentalitätswandel eines Landes oder eines Bevölkerungsteils zu erkunden. Die Umfrage dagegen ist ein politisches Machtmittel oder ein Unterhaltungsprogramm oder beides zugleich, ist eine Meinungsforschung II. Sie lässt zumeist kaum eine Meinung erkennen, die sich aufgrund von klaren Kriterien oder Überlegungen gebildet hat, sondern ist ein Abfragen von Zuneigung oder Abneigung, so wie Reader’s Digest die Akzeptanz eines sich entwickelnden Buchmodells oder ein Autokonzern die Zustimmung zu seiner neuesten »Entwicklung« testet. Man sollte richtiger von Stimmungsforschung sprechen.

Zu Guttenbergs Aufstieg beruhte nicht zuletzt auf der Dokumentation der seine Auftritte begleitenden öffentlichen Stimmungskurve. Hier erhöht Erfolg den Erfolg.

Dass die Umfrage ein politikfreies Instrument ist, lässt sich erkennen, wenn man den vorherrschenden Fragetypus analysiert. Die Frage entspringt – sprachwissenschaftlich ausgedrückt – dem Bewusstsein einer aktuellen Horizontenge. Sie ist ein Ausbrechen aus dem gegebenen Horizont. Manchen gilt sie als spezifisch menschliche Leistung. Der Mensch kann seinen Horizont erweitern und bedient sich dazu der Frage, mit welcher er »an den anderen appelliert, um von dessen Einsicht aus die Beseitigung einer eigenen aktuellen Horizontenge zu erfahren«. Man möchte »durch den anderen eine Einsichtsvermehrung erfahren« (ich beziehe mich auf Friedrich Kainz und Hennig Brinkmann).

Derartigen Definitionen zufolge wäre die Frage ein vorzügliches politisches Instrument. Nun gilt aber, was Harald Weinrich in seinem Essay »Linguistik der Lüge« formuliert: »Eine Frage ist gegenüber der Antwort, die auf sie erfolgt, ein 24weniger an Information über einen Sachverhalt, nicht etwa ein Nichts an Information.« »Nur wer etwas schon weiß, kann überhaupt fragen. Es fehlt dieser Information freilich etwas (die steigende Intonation ist häufig das prosodische Äquivalent dieses Mangels), aber es fehlt nur eine Ergänzung. Diese fehlende Ergänzung kann groß oder klein sein, darin unterscheiden sich die einzelnen Fragen.«

Andersherum gedacht bedeutet das: Die Frage definiert eine Beziehung zwischen Frager und Gefragtem und engt den Umriss der Antwort ein, und zwar umso mehr, je eindeutiger sie den Rahmen und das sprachliche Material der Antwort vorgibt. Das kann sehr weit gehen.

Am anspruchslosesten ist die Ergänzung, zu der die »Entscheidungsfrage« (oder »Ja/ Nein-Frage«) auffordert. Der Redaktionsstab der Bild-Zeitung hatte sich seit Langem als Herold Guttenbergs verstanden. Jetzt, als sein Siegeszug bedroht war, rief er am Mittwoch (23. Februar 2011) auf der Seite 1 zur Abstimmung auf:

 

»Der Guttenberg-Entscheid!

( ) Bleiben Sie Minister! (Tel. 1)

( ) Treten Sie zurück! (Tel. 2)«

 

Am Donnerstag (24. Februar 2011) hieß es auf der Titelseite: Ja, wir stehen zu Guttenberg! (87 Prozent der Teilnehmer hätten mit Ja gestimmt, 261.323 sich per Fax oder Telefon beteiligt.)

Es ist mehr als bemerkenswert, vielleicht ein Signal, wie sich bei diesen Abstimmungen auswirkte, was Sprachwissenschaftler die Kontextdetermination nennen, die vom jeweiligen Zusammenhang hervorgerufene Auffassung eines Wortes oder einer Frage. Es hatte nämlich gleichzeitig eine Abstimmung von Bild im Internet stattgefunden: Bis zum Donnerstag (13.30 Uhr) hatten sich 640.000 User per Mausklick beteiligt. 36 Prozent bestätigten, er mache seinen Job gut, 55 Prozent wollten jedoch den Rücktritt. Morgens also der 25Kontext eines seit Monaten eingestimmten Blattes, mittags der des aufmüpfigen Internet, welches dann auf der zuerst vorenthaltenen Veröffentlichung seines Resultats bestanden hat. Bedeutet diese Medienspaltung bereits einen Zuwachs an Politik? Der Nachteil der Ja-Nein-Umfrage bleibt meines Erachtens, dass ihr politischer Radius sehr klein ist.

Nur eine Idee anspruchsvoller ist die »Alternativfrage«, die vorgeformte Denkmöglichkeiten in Betracht zieht:

 

»Guttenberg-Rücktritt – die richtige Entscheidung?

( ) Ja, nach der Doktortitel-Affäre war er nicht mehr glaubwürdig.

( ) Nein, der Verzicht auf seinen Titel hätte für mich ausgereicht.

( ) Ich bedaure seinen Schritt, finde aber, dass er damit Rückgrat gezeigt hat und glaubwürdig geblieben ist.«

 

Die Auskunftsmöglichkeiten behalten einen geringen Spielraum.

Nehmen wir noch die Rankingfragen hinzu – Rangiert für Sie Guttenberg vor Merkel? Kann Guttenberg Kanzler werden? Wie viele Punkte hat er Steinbrück voraus? –, so ist die Vorgabe der Antwort, der weitgehend geschlossene Horizont, der Verzicht auf politisches Denken und Urteilen, in grotesker Weise sichtbar.

Das politische Feld wird zu einer Sportveranstaltung, Politik zu einem Volkssport. Nichts gegen Eishockey oder Fußballspiele, aber die Verwandlung des politischen Forums in ein in Prozenten oder Punkten...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2011
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Guttenberg • Guttenberg Karl-Theodor zu • Guttenberg, Karl-Theodor zu • Image • Karl-Theodor zu • Politische Kultur • Selbstdarstellung
ISBN-10 3-518-76780-1 / 3518767801
ISBN-13 978-3-518-76780-1 / 9783518767801
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