Metamorphosen des Mängelwesens (eBook)

Zu Werk und Wirkung Arnold Gehlens
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2010 | 1. Auflage
459 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-40838-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Metamorphosen des Mängelwesens -  Patrick Wöhrle
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Die jüngsten Arbeiten zur wieder verstärkt rezipierten philosophischen Anthropologie haben deren umstrittensten Vertreter, den Philosophen und Soziologen Arnold Gehlen, meist stiefmütterlich behandelt. Auch Untersuchungen zum Einfluss politisch belasteter Autoren auf das intellektuelle Leben der Nachkriegszeit mieden ihn weitgehend. Diese Arbeit schließt eine doppelte Lücke, indem sie - vor allem mit Blick auf überraschend aktuelle handlungstheoretische Einsichten - die analytische Kraft seiner beiden Hauptwerke 'Der Mensch' und 'Urmensch und Spätkultur' rekonstruiert, ohne deren ideologische Dimensionen zu verschweigen. Daran anschließend wird erstmals die enorme, aber oft verdeckte Wirkung nachgezeichnet, die das so kontroverse Denken Gehlens auf bedeutende Sozialwissenschaftler nach 1945 hatte, unter anderem auf Jürgen Habermas und Niklas Luhmann.

Patrick Wöhrle, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Weber-Kolleg in Erfurt und lehrt Soziologie an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt.

Patrick Wöhrle, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Weber-Kolleg in Erfurt und lehrt Soziologie an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt.

Inhalt 6
Einleitung 10
1. Handlung bei Arnold Gehlen – Schlüsselprinzip oder »Schlüsselattitüde«? 28
1.1 Anmerkungen zu Werkgenese und Entstehungskontext, Begründung der Quellenwahl 33
1.2 Die Handlung im Horizont der elementaren Anthropologie 41
1.2.1 Kommunikatives Handeln 48
1.2.2 Handeln als Zwecktätigkeit 65
1.2.3 »Irrationale Erfahrungsgewissheiten« – Handlungstheoretische Inkonsistenzen und die Vorbereitung der institutionentheoretischen Fragestellung 74
1.3 Die Handlung im Horizont der Institutionenlehre 82
1.3.1 Handeln als Selbstzweck: Gehlens Kritik des Zweck-Mittel-Denkens 84
1.3.2 »Von-den-Dingen-her-Handeln«: Die Auslöserwirkung des Gegenstandes 92
1.3.3 Handeln qua Gewohnheit 97
1.3.4 Rituell-darstellendes Handeln 107
2. Denkmotive, Denkzwänge 127
2.1 Selbstentfremdung, Selbstformierung, Selbststeigerung 133
2.2 Die Aporien des metafunktionalistischen Blicks 144
2.3 Beschädigungen aus dem reflektierten Leben 158
2.4 Halbierter Pragmatismus und Dingsozialität 170
2.5 Sozialphilosophische und ethische Konsequenzen 186
3. Wirkungsgeschichte(n) und Wahlverwandtschaften 196
3.1 Vorbemerkungen zur Methode und zu den Kriterien der Wirkungsgeschichte 197
3.2 Helmut Schelsky: Wegmarken einer Schülerschaft zwischen Popularisierung und Kritik 207
3.2.1 Die Vermittlungsposition Schelskys 209
3.2.2 »Bewusstseinsbedürfnisse« und die Institutionalisierbarkeit der Dauerreflexion 216
3.2.3 Auf der Suche nach Wirksamkeit? Zwischen Popularisierung, Assimilation und Anschlussfähigkeit 231
3.2.4 Vom »Sachzwang« zur »Anti-Soziologie« 236
3.3 Die Sprache als Metainstitution? Gehlen, Habermas und die diskursethische Umdeutung der Institutionenlehre 249
3.3.1 Erste Koordinaten der Motivverwandtschaft 252
3.3.2 Mit Gehlens Anthropologie gegen die Dialektik der Aufklärung 255
3.3.3 Der Blick auf Marx durch Gehlens Brille 262
3.3.4 Das Eigenrecht des institutionellen Rahmens 268
3.3.5 »Zwecklos obligatorisches Handeln«: Konvergenzen in der phylogenetischen Rekonstruktion kollektiver Moral 274
3.3.6 Zwischen moralischer Alltagsintuition, Dauerreflexion und Letztbegründung 280
3.3.7 Die Sprache als Meta-Institution? Verständigungsinstitutionalismus bei Karl-Otto Apel und Dietrich Böhler 286
3.4 Funktionen und Folgen systemtheoretischer Transformation – Die Verwahrscheinlichung des Unwahrscheinlichen bei Gehlen und Luhmann 300
3.4.1 Entlastung und Komplexitätsreduktion 304
3.4.2 Grenzen des Zweck-Mittel-Schemas: Handlungstheoretische Konvergenzen zwischen Gehlens Anthropologie und Luhmanns Organisationssoziologie 307
3.4.3 Trennung des Motivs vom Zweck und Affinitäten des Symbolbegriffs 310
3.4.4 Umschlag in den Selbstzweck 313
3.4.5 Funktionen und Folgen systemtheoretischer Transformation 316
3.4.6 Lässt sich die Institutionalisierung institutionalisieren? 322
3.4.7 Diesseits der Kulturkritik 326
3.4.8 Die Verwahrscheinlichung des Unwahrscheinlichen 332
3.5 Die Sozialisation des »Mängelwesens« – Dieter Claessens’ Sozialanthropologie 337
3.5.1 Primäre Sozialität und formale Instinktprinzipien oder die phylogenetische Sozialisierung des Mängelwesens 340
3.5.2 »Mittlere Entlastungen« oder die ontogenetische Sozialisierung des Mängelwesens 354
3.5.3 »Bist Du Deutschland?« Die Vermittlung von Konkretem und Abstraktem als motivationales Ursprungsproblem der Institutionen 362
3.6 Institutionenanalyse als »kritische Theorie« – Karl-Siegbert Rehberg: Ein Lehrer-Schüler-Verhältnis in stabilisierter Spannung 379
3.6.1 Erkenntnistheoretische Grundreflexionen und die »Perspektive der Betroffenheit« 381
3.6.2 Abstraktion, Autonomisierung, Akkumulation: Merkzeichen einer kritischen Theorie der Institutionen 395
3.6.3 Die »Leitidee« im Kampf um Deutungshoheiten 402
3.6.4 Institutionelle Symbolizität zwischen Transzendierung und Verflüssigung 409
4. Schlussbetrachtung: Metamorphosen des Mängelwesens 420
Danksagung 432
Siglen 434
Literatur 435
Personenregister 456

4. Schlussbetrachtung: Metamorphosen des Mängelwesens (S. 419-420)

Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass Theorien der Gesellschaft zu ihrem Objekt ein spezielles epistemologisches Verhältnis unterhalten, das es in besonderer Weise einzuholen gilt.

Sie kommen – wollen sie verallgemeinerungsfähige Resultate für sich beanspruchen – nicht umhin, auch sich selbst ihrem Gegenstandsbereich zuzurechnen. Von einer Handlungstheorie, die so fundamental ansetzt wie diejenige Arnold Gehlens, darf daher erwartet werden, dass sie sich in ihren eigenen Kategorien und Denkfiguren spiegeln und interpretieren kann: » […] der Entwurf einer Handlungstheorie muß selbst als Handlung und das ihr vorschwebende Erklärungsideal muß selbst auf die in ihr vorgelegten Vorstellungen über das menschliche Handeln beziehbar sein.«

Blickt man von diesem Kriterium der »Selbstanwendung« auf die nun zurückliegende Untersuchung, so ergibt sich ein höchst vielschichtiges Bild, das hier abschließend zu einer komprimierten Darstellung der erhaltenen Ergebnisse genutzt werden soll. Gehlens anthropologische Handlungs- und Institutionentheorie ist in einer entscheidenden Hinsicht nicht dazu in der Lage, sich selbst als ihren eigenen Gegenstand zu konzipieren und zu reflektieren. Die hier als »metafunktionalistischer Blick« bezeichnete Perspektive weist durchgehend Züge einer expertokratischen Denkhaltung auf, die zwischen eigener Reflexionsebene und ihrem Objektbereich einen scharfen Schnitt macht und sich dadurch in eine aporetische Position manövriert.

Um die »sekundäre objektive Zweckmäßigkeit« eigenauthentisch gewordener Handlungsvollzüge darf nur der Anthropologe wissen, ebenso um die Entlastung durch Gewohnheit und Institutionen, um die innenstabilisierende Kraft ritueller Formgebung, ja selbst um die ästhetische Produktivität zweckbefreiten Verhaltens – kommen diese Funktionen dem Handelnden selbst als Funkti onen zu Bewusstsein, so gelangen sie nach Gehlen in das »Feld möglicher Verlagerungen und Umkombinationen« (M: 358), treten ein in den desorientierenden Einflussbereich der »auflösende[n] und neu zusammensetzende[ n] Instanz« (U+S: 299): des Verstandes.

Dieser Instanz muss sich aber gerade der Institutionentheoretiker, der Gehlen zugleich ist, erschöpfend bedienen. Schon die allgemeine Rede von Sinn und Zweck der Institutionen setzt eine – wie Schelsky durchaus lobend an Gehlens Werk hervorhob – »verwissenschaftlichte Primärerfahrung«3 konstitutiv voraus, und der genaue Zuschnitt seiner Ordnungstheorie bestellt selbst das »Feld möglicher Verlagerungen und Umkombinationen«. Schließlich kann er die generellen – und seien es die indirekten – Leistungen der Institutionen nur dadurch überhaupt zum Thema machen, dass er von deren »So-Sein« radikal abstrahiert und sie mit einer Anthropologie verknüpft, die in weiten Teilen eine hochdynamische Theorie der »Umlenkung von Antriebsbeträgen « (U+S: 56) ist.

Die Tatsache, dass selbst seine eigene Theorie die unbefragte Geltung konkreter Institutionen nicht mehr stützen kann, hätte Gehlen zum Anlass nehmen können, ja müssen, die stets so hervorgehobene Indirektheit des humanen Selbst- und Weltbezuges auch für das Verhältnis zwischen Mensch und Institutionen nachzuweisen und die reflexive Dimension dieses Verhältnisses handlungstheoretisch einzuholen. Stattdessen – so haben die Überlegungen zu Gehlens »Beschädigungen aus dem reflektierten Leben« ergeben – bleibt diese reflexive Dimension gewissermaßen dem leidensfähigen Intellektuellen vorbehalten, der die »Belastung mit Grundsatzproblematik, mit Reflexionsaufwand, mit tief nachwirkenden Lebensirrtümern « stellvertretend auf sich nimmt. An ihrer Selbstanwendung scheitert diese Handlungstheorie hier in besonders drastischer Weise: Sie muss »Institutionen und geregelte[ ] Handlungen« selbst zum nur »vorgestellten « Thema machen und kann daher ihre eigene Möglichkeit kaum anders denken denn als luxurierende Negation ihres ureigenen Gegenstandes, als elementare Nicht-Handlung.

Erscheint lt. Verlag 8.3.2010
Reihe/Serie Theorie und Gesellschaft
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Geisteswissenschaften Philosophie Erkenntnistheorie / Wissenschaftstheorie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie Allgemeine Soziologie
Technik
Schlagworte Arnold Gehlen • Dieter Claessens • Handlungstheorie • Helmut Schelsky • Institutionenlehre • Jürgen Habermas • Karl-Siegbert Rehberg • Mängelwesen • Niklas Luhmann • Philosophische Anthropologie
ISBN-10 3-593-40838-4 / 3593408384
ISBN-13 978-3-593-40838-5 / 9783593408385
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