Die schönsten Jahre - Elke Heidenreich

Die schönsten Jahre

Vom Glück und Unglück der Liebe
Buch | Hardcover
64 Seiten
2005 | 5. Auflage
Sanssouci (Verlag)
978-3-7254-1375-1 (ISBN)
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Obwohl jedes Treffen in einem Eklat endet, besucht Nina ihre Mutter immer wieder. Eine Besserung der Beziehung scheint nicht in Sicht. Und nun will Ninas Mutter plötzlich mit auf die Reise nach Italien. Ausgerechnet jetzt, wo Nina gerade frisch verliebt ist - in eine Frau. So etwas kann man seiner Mutter doch nicht erklären. Oder? Elke Heidenreich erzählt von dem Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, von Geheimnissen zwischen Freundinnen, die unerwartet ans Licht kommen, und von schlechten und von schönsten Jahren.

Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mit meiner Mutter zu verreisen, schon gar nicht nach Mailand, und schon gar nicht jetzt, wo ich Flora wiedersehen wollte. Aber da stand sie vor mir, klein und energisch, funkelte mich an und sagte: 'Warum nimmst du mich nicht einfach mit? Italien! Das wär mal ein schönes Geschenk. Vielleicht ist dieser Geburtstag ja mein letzter.' Das sagte sie seit ungefähr zwanzig Jahren – dieses Weihnachten ist mein letztes, den nächsten Geburtstag erlebe ich nicht mehr, ich merke, daß die Kräfte schwinden, oder, ihr Lieblingssatz, wenn sie mal einen kleinen Schnupfen hatte: 'Ich bin nur noch ein Mensch von einem Tag.' Das waren alles Erpressungsversuche. Ging es ihr besser oder waren Weihnachten, Ostern, Geburtstag vorbei, straffte sie sich sofort wieder und wußte, daß sie richtig daran getan hatte, sich einen schwarzen Nerzmantel zu kaufen und keinen braunen, denn so könnte sie auf meiner Beerdigung eine bessere Figur machen, und sollte sie wirklich vor mir sterben, Gott, dann könnte ich ihn ja bei ihrer tragen. 'Das ist viel zu anstrengend für dich', sagte ich ausweichend und stellte mir eine Autofahrt mit meiner Mutter vor. 'Wenn du es aushältst, werde ich es auch aushalten', sagte sie. 'Mailand! Das muß schön sein.' 'Gerade Mailand ist gar nicht so schön', sagte ich, und prompt kam zurück: 'Warum fährst du denn dann hin? Schon wieder so ein Kerl?' Ich schwieg bockig und setzte das von ihr so genannte chinesische Gesicht auf – süßsauer: 'Oh, das chinesische Gesicht', sagte sie, 'ich frag nicht mehr, ich frag nicht mehr, jeder muß selbst wissen, wie er sich unglücklich macht.' 'Oder glücklich', ich konnte es nicht lassen, und sie sagte: 'Schön wär’s ja mal.' 'Ich treffe da eine Frau, mit der ich arbeite', sagte ich schließlich. 'Was arbeitest du denn mit einer Italienerin?' fragte sie mißtrauisch. Ich wurde ungeduldig. 'Mutter', sagte ich, 'das ist doch jetzt ganz egal, was ich da mache, es ist eine lange Fahrt, es ist heiß, es ist anstrengend, ich bleibe zwei oder drei Wochen, wie willst du denn zurückkommen?' 'Herrgott, es gibt doch Flugzeuge', sagte sie, 'ich könnte zwei Tage bleiben und dann zurückfliegen, und Klaus holt mich ab.' Meine Mutter war erst einmal geflogen, nach Berlin zur Beerdigung ihrer Schwester Luzie, und nun redete sie, als hätte sie die Miles-and-more-Karte für Vielflieger und wäre dauernd unterwegs. Klaus war irgendein Großneffe, der in der Nähe wohnte und sich manchmal um sie kümmerte. 'Also', sagte ich, 'gute Nacht, ich bin jetzt müde, ich will ins Hotel. Ich komme morgen nach dem Frühstück, ehe ich fahre, noch mal bei dir vorbei. Okay?' 'Ja, gut', sagte sie, 'und hier, vergiß die leckere Zitronenrolle und den blauen Schal nicht. Weich ist er ja, aber so was trag ich einfach nicht.' Ich nahm den Schal und ging, und der Empfangschef im Hotel fragte: 'Hat Ihre Frau Mama sich denn über das Geschenk gefreut?' 'Riesig', sagte ich und preßte den Schal tief in die Plastiktüte, wo er in die Zitronenrolle matschte. Ich hatte ihn erst am Tag zuvor gekauft und ihm auf die Frage, was ich meiner Frau Mama denn schenken würde, gezeigt. Ihr 80. Geburtstag war in der Zeitung angekündigt gewesen, der Bürgermeister hatte auch geschrieben und gratuliert. 'Gerade der', hatte sie gesagt, 'Trottel von der CDU', hatte den Glückwunschbrief zerrissen und ins Klo geworfen wie damals meine ersten Gedichte und später, als mein Vater tot war, ihren Ehering. Ich schlief schlecht in dieser Nacht und träumte von der Reise mit meiner Mutter, von Flora. Am nächsten Morgen fuhr ich noch einmal bei ihr vorbei. Sie öffnete mir in einem leuchtend blauen Kleid ('Blau trage ich nicht mehr!'), das ich noch nie an ihr gesehen hatte. Sie strahlte, hatte ein goldenes Armband angelegt, das Cousine Margret und ihr Mann ihr zum 70. Geburtstag geschenkt hatten, und im Flur stand eine kleine Reisetasche. 'Fertig', sagte sie, 'ich freu mich ja so.' Ich mußte schlucken und mich erst mal setzen. 'Mutter', sagte ich, 'wir sitzen stundenlang im Auto, und dann.' 'Aber das weiß ich doch', sagte sie ungeduldig. 'Ich fahre gern Auto. Das einzige, was dein Vater gut konnte, war Auto fahren, sonntags sind wir oft zum Drachenfels gefahren und haben Hühnersuppe gegessen. Ob man in Mailand auch etwas essen kann, wo kein Knoblauch dran ist? Ich esse nichts mit Knoblauch.' Ich konnte nur staunen. Sie schaffte es immer noch, mich zu überrumpeln, und in so strahlender Laune hatte ich sie schon so lange nicht gesehen, daß ich einfach nicht das Herz hatte, jetzt noch nein zu sagen. Ich wollte zwei Tage in einem Hotel wohnen, durch Mailand bummeln, ruhiger werden, ein wenig italienisch werden, und danach würde ich für ein paar Tage, eine Woche, zwei Wochen zu Flora ziehen. Dann spätestens mußte Mutter heimfliegen – es würde sich schon irgendwie arrangieren lassen, und im Auto, dachte ich, könnten wir vielleicht wirklich mal über ein paar Dinge reden, die mir schon so lange auf der Seele lagen. Das Auto ist ein wunderbar geschlossener Raum, niemand kann beleidigt gehen und eine Tür zuknallen, man muß sich nicht ansehen beim Reden, und ich mußte mich aufs Fahren konzentrieren und konnte also nicht ausrasten. 'Gut', sagte ich, 'versuchen wir’s. Dann los.' Und ich nahm ihre Reisetasche, während sie geräuschvoll die Jalousien herunterließ. 'Hast du deinen Paß?' fragte ich, und sie sagte: 'Was denkst du eigentlich von mir, daß ich eine vertrottelte alte Tante bin? Natürlich hab ich meinen Paß.' Und dann trällerte sie plötzlich: 'Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? Dahin, oh mein Geliebter, will ich mit dir ziehn.' Als ich ein kleines Kind war, hat meine Mutter viel mit mir gesungen, und sie kannte Unmengen von Gedichten auswendig und sagte sie bei jeder Gelegenheit auf. Ich erinnere mich daran, daß das eine schöne Zeit war – wenn ich auch nie auf ihrem Schoß sitzen, in ihrem Bett kuscheln, nicht einmal an ihrer Hand gehen durfte. Meine Mutter hatte sich, so schien es, jede Art von Zärtlichkeit aus irgendeinem Grund für immer verboten. Mein Vater hatte zwei Geliebte, eine junge schnippische Blonde und eine freundliche Verkäuferin, so alt wie er selbst, zu denen ging er regelmäßig und blieb oft auch über Nacht. 'Ich bin bei Walter', hieß es dann, oder: 'Wartet nicht auf mich, ich übernachte bei Otto.' 'Jaja', sagte meine Mutter dann, 'sag Walter, er soll weniger Parfüm auftragen, du stinkst entsetzlich, wenn du von dort kommst', oder: 'Vergiß nicht, für Otto die Seidenwäsche mitzunehmen, die ich in deinem Schrank gesehen habe.' Ich verstand das als Kind nicht und lachte, denn mein Vater hatte fünf Brüder, und die waren alle sehr komisch, da konnte ich mir jede ausgefallene Geschichte vorstellen. Onkel Otto arbeitete als Buchhalter, war der einzige, der immer feingemacht in Schlips und Anzug gehen mußte und wurde deshalb von seinen Brüdern 'Herr Pinkel' genannt. Onkel Walter trank gern einen zuviel und hieß darum 'Herr Pils', Onkel Hermann war Jalousienbauer und war 'Herr Schlitz', Onkel Fritz arbeitete als Requisiteur im Theater, er hieß demnach 'Herr Plunder', und der jüngste, Onkel Theo, war als einziger fromm, lief viel in die Kirche und spendete dauernd für wohltätige Zwecke, das war natürlich 'Herr Jesus'. Mein Vater hieß 'Herr Lustig', weil er immer gut aufgelegt war – außer bei uns zu Hause, aber wenn er mich mal mitnahm und ich mit ihm und seinen Brüdern und deren Frauen zusammensein durfte – am ersten Weihnachtstag, an Omas Geburtstag, an meinem Geburtstag –, waren das Feste, auf denen viel gelacht und viel getrunken wurde. Ich mochte 'Herrn Plunder' am liebsten, er brachte mir oft kleine Federhüte oder perlenbestickte Handschuhe oder Holzschuhe aus dem Theaterfundus mit, an denen meine Mutter dann mißtrauisch schnüffelte und sagte: 'Sonst noch was', und weg damit in den Müll, wenn ich nicht höllisch aufpaßte.

Sprache deutsch
Maße 144 x 184 mm
Gewicht 207 g
Einbandart kartoniert
Themenwelt Sonstiges
Schlagworte Hardcover, Softcover / Belletristik/Geschenkbücher, Alben, Immerw. Kalender, Pos • HC/Belletristik/Geschenkbücher, Alben, Immerw. Kalender, Postkartenbücher
ISBN-10 3-7254-1375-4 / 3725413754
ISBN-13 978-3-7254-1375-1 / 9783725413751
Zustand Neuware
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